Saturday, August 4, 2012

Weltkulturerbe Geburtskirche/Bethlehem

Daoud Nasser beim Vortrag in der bei einem Projekt bemalten Grotte, Foto: Andreaa Kunert, gezoomt


Nur wenige Tage nach unserer Rückkehr erhält die Geburtskirche in Bethlehem  auf Antrag der  Palästinenser von der UNESCO -  gegen den Widerstand  des Staates Israel - das begehrte Siegel "Weltkulturerbe". Es sei der "Autonomiebehörde" dieser Erfolg von Herzen gegönnt, zumal damit die dortigen seit Jahrhunderten Ansässigen den historischen Bau vor dem Verfall retten wollen. Ob sie damit  ihren Autonomiestatus ausbauen oder den begehrten Tourismus noch mehr fördern können, sei erst einmal dahin gestellt.

Ein Besuch in der  Basilika konfrontiert uns mit der  sinnlichen Präsenz des Mittelalters, in das die westliche Kultur auch politisch längst abgeglitten scheint. Während im 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung  die sozialpolitischen Ideen der Christen so populär waren, dass  Kaiser Konstantin ihre   Verfolgung einstellte und eine Kehrtwende vollzog und sie   in den Status einer Staatsreligion erhob, scheint davon nur wenig noch geblieben. Als fatal erwiesen sich die  Folgen  des konstantinischen  Führungsbeschlusses für die einst revolutionäre  Bewegung für Wahrhaftigkeit und soziale Gerechtigkeit.  Dem Scharfsinn des römischen Kaisers   ist es zu danken, dass  nicht  nur  in Bethlehem an ehemaligen "heidnischen Kraftorten" Spuren des real historischen Christus aufgetan und dort sakrale Bauten errichtet wurden.  In dem heute  orthodox anmutenden Inneren des monumentalen Gebäudekomplexes befindet sich eine Grotte, die als Geburtsstätte des Religionsstifters verehrt wird.  Mitten im 21. Jahrhundert werfen sich an dieser Stelle Christen auf die Erde und küssen den Fußboden.

Mir ist es drinnen zu weihrauchgeschwängert  und düster. Mit der Bibel und Henri Barbusse "Jesu, ein  Poem"  im Gepäck, bin ich überzeugt, dass der historische  Jesu  anderes im Sinn  hatte als solchen Heiligenkult.  Der Mann traute sich der Macht  gegenüber - damals wie heute unpopuläre -  unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Ähnliche Wahrheiten wussten  übrigens  die Propheten des Alten Testaments vorzubringen, auf  die die neuen Herrscher  der Region sich so viel zugute halten. Schließlich ist das Judentum Staatsreligion der Besatzungsmacht. Die großen  jüdischen  Propheten wussten dagegen, dass  man das "Gelobte Land" verliert, wenn man sich der Gerechtigkeit begibt.

Ich fliehe  also vor solch unaufrichtigem Gewese - zu dem auch schon mal Handgreiflichkeiten unter den ortsansässigen Priestern gehören -  in das schöne, neben der Kirche liegende, schattige Cafe. Dort warte ich auf den Rest meiner Pilgerschar, die unterwegs ist, um mit  dem Pfarrer der Weihnachtskirche Mitrib Raheb vielleicht über  das von ihm mitverfasste "Kairos Palästina" Dokument zu sprechen. Die Frage, was Christen tun können, um diesem bedeutsamen Ruf aller palästinensischen  Christengemeinden zu Hause Geltung zu verschaffen, ist wahrlich brennend.

Ich gönne mir dennoch im Gartencafe einen frischen Minztee  und eine dringend nötige Denkpause nach dem Fußweg durch Bethlehem und nach dem  gewichtigen Vortrag von Daoud Nasser in der Grotte beim ''Zelt der Völker' auf dessen  eigenem Weinberg, einem über hundert Jahre lang schriftlich dokumentierten  Familienbesitz mit lückenloser Anwesenheit des jeweiligen Familienoberhauptes.



Es will mir nicht in den Kopf, dass man diesem  großartigen Mann und lutherischen Christen, der in Talitha Kuma Abitur gemacht und in Bielefeld Betriebswirtschaft und Tourismus-Management studiert hat, der konkrete konstruktive Zukunftsvisionen hat, jegliche Baugenehmigung auf seinem eigenen Grundstück verweigert. Eben wurde ihm gar noch  umwegig der  Abrissbefehl für seine Zisterne zugestellt.   Die Begründung lautet, wie immer standardförmig: Sicherheitsgründe, Staatsland, C-Gebiet, gebaut ohne Genehmigung.


Blick auf die Siedlung gegenüber von Nassers Weinberg, Foto: A.Kunert

Im C-Gebiet, das heißt in 65-70% des von Israel seit 1967  besetzten Westjordanlands haben sich  die Israelis die komplette Oberhoheit zugesprochen. Ihre Siedlungen von bis zu 45 000 Menschen (!) erdrücken die Palästinenser buchstäblich. Der bibelkundige Mann erklärt uns  die Situation ganz ruhig und sachlich:

"Wir Palästinenser haben gar nichts gegen die Juden als Volk, schließlich sind wir mit ihnen verwandt. Es gilt allerdings zu respektieren dass das Volk hier aus Juden, Muslimen und Christen besteht.
98% der Bevölkerung des Westjordanlandes lebt in A/B Gebieten. Der weitaus größte Teil des fruchtbaren und wasserreichen Landes hier haben sich  nämlich bereits die Siedler angeeignet und  die Regierung hat diese als C-Gebiete deklariert.  Selbst in den A- und B-Gebieten hat die palästinensische Polizei nur die Araber zu kontrollieren.  Die israelischen Siedler respektieren die unbewaffneten  arabischen Polizisten nicht. Dreimal haben die nahen Siedler schon versucht,  unser Familien-Land gewaltsam einzunehmen. Sie haben die Wassertanks zerstört. Sie haben damit  begonnen, für sich  eine eigene Straße bauen, während wir nach Bethlehem und selbst ins benachbarte Talitha Kuma nur umwegig auf  einem steilen, engen Zufahrtsweg  gelangen, der Mauer  wegen, die unsere Dörfer abtrennt von den  israelischen Siedlungen. Aber gegen übergriffige Israelis hat die palästinensische Behörde  ohnehin keinerlei Befugnisse.   Razzien  der Besatzungsmacht auf dem Schulweg, fliegende Kontrollen erschweren das Leben in den durch die Mauer abgetrennten Enklaven.  Unsere Kinder  werden auf dem Weg zur Schule schon  behindert. Jugendliche ohne Abitur, ohne Studium haben hier  überhaupt keine Zukunft. Wir brauchen dringend  Berufsbildungsmaßnahmen, sonst gehen  sie alle zur Polizei. Man ist im Begriff bei uns im Westjordanland  einen Polizeistaat zu schaffen.
Für  ein Drittel des Landes besteht Kultivierungsverbot, womit uns eine wesentliche, traditionelle Einnahmequell geraubt wird.  250 Olivenbäume wurden allein auf diesem Grundstück abgeholzt. Weinanbau lohnt nicht mehr, fehlendes Wasser, fehlende Vertriebsinfrastruktur, Billigkonkurrenz der bevorzugten israelischen Produkte machen die Landwirtschaft kaputt. Unser Fall ist  ja nur ein Beispiel. Nur drei Optionen scheinen für uns noch offen:
Emigration, Zuflucht zur Gewalt oder Aufgeben, Resignieren.
Unsere Besten gehen weg. Kaum verwunderlich , die Willkürmaßnahme sind allgegenwärtig."

abgeholzte Olivenbäume, Foto: Sylvia S-T

Daoud Nasser aber  ist ein Fels. Er gibt  mit seiner Familie selbst ein unnachahmliches Beispiel. Er kämpft mit allen gewaltfreien, legalen Mitteln. Er steht mit der Welt in Verbindung. Er ist überzeugt: "Es gibt eine Hoffnung auf eine  bessere  Zukunft - sie muss von uns nur gestaltet werden".
Und er ist dabei zu gestalten, ob Sommeraktivitäten für Kinder aus Bethlehem, Baumpflanzaktionen, Bemalen von Steinen, Computerkurse und Empowerment-Workshops für die Landfrauen der nahen Dörfer und mehr,  Daoud Nasser und die Seinen  arbeiten unermüdlich.  Nur,  all die kleinen Schritte  genügen nicht, sagt der weltoffene, erfahrene Palästinenser, die Besatzung ist das Problem fügt er hinzu. Wir brauchen keine humanitäre Hilfe, Finanzhilfe aus dem  Ausland hat unsere Menschen träge gemacht. Es bedarf einer harten Kritik an der arroganten  israelischen Regierung.  Die  Besatzung muss aufgehoben werden, sie ist das Problem.

Frieden unter der Besatzung kann und wird es nicht geben.

Wenige Tage nach unserer Rückkehr erfahren wir, dass auch die von Rupert Neudeck gesponserten Solaranlagen zerstört werden sollen, laut Befehl der Besatzungsmacht.


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