Daoud Nasser beim Vortrag in der bei einem Projekt bemalten Grotte, Foto: Andreaa Kunert, gezoomt |
Nur wenige Tage nach unserer Rückkehr erhält die Geburtskirche in Bethlehem auf Antrag der Palästinenser von der UNESCO - gegen den Widerstand des Staates Israel - das begehrte Siegel "Weltkulturerbe". Es sei der "Autonomiebehörde" dieser Erfolg von Herzen gegönnt, zumal damit die dortigen seit Jahrhunderten Ansässigen den historischen Bau vor dem Verfall retten wollen. Ob sie damit ihren Autonomiestatus ausbauen oder den begehrten Tourismus noch mehr fördern können, sei erst einmal dahin gestellt.
Ein Besuch in der Basilika konfrontiert uns mit der sinnlichen Präsenz des Mittelalters, in das die westliche Kultur auch politisch längst abgeglitten scheint. Während im 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung die sozialpolitischen Ideen der Christen so populär waren, dass Kaiser Konstantin ihre Verfolgung einstellte und eine Kehrtwende vollzog und sie in den Status einer Staatsreligion erhob, scheint davon nur wenig noch geblieben. Als fatal erwiesen sich die Folgen des konstantinischen Führungsbeschlusses für die einst revolutionäre Bewegung für Wahrhaftigkeit und soziale Gerechtigkeit. Dem Scharfsinn des römischen Kaisers ist es zu danken, dass nicht nur in Bethlehem an ehemaligen "heidnischen Kraftorten" Spuren des real historischen Christus aufgetan und dort sakrale Bauten errichtet wurden. In dem heute orthodox anmutenden Inneren des monumentalen Gebäudekomplexes befindet sich eine Grotte, die als Geburtsstätte des Religionsstifters verehrt wird. Mitten im 21. Jahrhundert werfen sich an dieser Stelle Christen auf die Erde und küssen den Fußboden.Mir ist es drinnen zu weihrauchgeschwängert und düster. Mit der Bibel und Henri Barbusse "Jesu, ein Poem" im Gepäck, bin ich überzeugt, dass der historische Jesu anderes im Sinn hatte als solchen Heiligenkult. Der Mann traute sich der Macht gegenüber - damals wie heute unpopuläre - unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Ähnliche Wahrheiten wussten übrigens die Propheten des Alten Testaments vorzubringen, auf die die neuen Herrscher der Region sich so viel zugute halten. Schließlich ist das Judentum Staatsreligion der Besatzungsmacht. Die großen jüdischen Propheten wussten dagegen, dass man das "Gelobte Land" verliert, wenn man sich der Gerechtigkeit begibt.
Ich fliehe also vor solch unaufrichtigem Gewese - zu dem auch schon mal Handgreiflichkeiten unter den ortsansässigen Priestern gehören - in das schöne, neben der Kirche liegende, schattige Cafe. Dort warte ich auf den Rest meiner Pilgerschar, die unterwegs ist, um mit dem Pfarrer der Weihnachtskirche Mitrib Raheb vielleicht über das von ihm mitverfasste "Kairos Palästina" Dokument zu sprechen. Die Frage, was Christen tun können, um diesem bedeutsamen Ruf aller palästinensischen Christengemeinden zu Hause Geltung zu verschaffen, ist wahrlich brennend.
Ich gönne mir dennoch im Gartencafe einen frischen Minztee und eine dringend nötige Denkpause nach dem Fußweg durch Bethlehem und nach dem gewichtigen Vortrag von Daoud Nasser in der Grotte beim ''Zelt der Völker' auf dessen eigenem Weinberg, einem über hundert Jahre lang schriftlich dokumentierten Familienbesitz mit lückenloser Anwesenheit des jeweiligen Familienoberhauptes.
Es will mir nicht in den Kopf, dass man diesem großartigen Mann und lutherischen Christen, der in Talitha Kuma Abitur gemacht und in Bielefeld Betriebswirtschaft und Tourismus-Management studiert hat, der konkrete konstruktive Zukunftsvisionen hat, jegliche Baugenehmigung auf seinem eigenen Grundstück verweigert. Eben wurde ihm gar noch umwegig der Abrissbefehl für seine Zisterne zugestellt. Die Begründung lautet, wie immer standardförmig: Sicherheitsgründe, Staatsland, C-Gebiet, gebaut ohne Genehmigung.
Blick auf die Siedlung gegenüber von Nassers Weinberg, Foto: A.Kunert |
Im C-Gebiet, das heißt in 65-70% des von Israel seit 1967 besetzten Westjordanlands haben sich die Israelis die komplette Oberhoheit zugesprochen. Ihre Siedlungen von bis zu 45 000 Menschen (!) erdrücken die Palästinenser buchstäblich. Der bibelkundige Mann erklärt uns die Situation ganz ruhig und sachlich:
"Wir Palästinenser haben gar nichts gegen die Juden als Volk, schließlich sind wir mit ihnen verwandt. Es gilt allerdings zu respektieren dass das Volk hier aus Juden, Muslimen und Christen besteht.
98% der Bevölkerung des Westjordanlandes lebt in A/B Gebieten. Der weitaus größte Teil des fruchtbaren und wasserreichen Landes hier haben sich nämlich bereits die Siedler angeeignet und die Regierung hat diese als C-Gebiete deklariert. Selbst in den A- und B-Gebieten hat die palästinensische Polizei nur die Araber zu kontrollieren. Die israelischen Siedler respektieren die unbewaffneten arabischen Polizisten nicht. Dreimal haben die nahen Siedler schon versucht, unser Familien-Land gewaltsam einzunehmen. Sie haben die Wassertanks zerstört. Sie haben damit begonnen, für sich eine eigene Straße bauen, während wir nach Bethlehem und selbst ins benachbarte Talitha Kuma nur umwegig auf einem steilen, engen Zufahrtsweg gelangen, der Mauer wegen, die unsere Dörfer abtrennt von den israelischen Siedlungen. Aber gegen übergriffige Israelis hat die palästinensische Behörde ohnehin keinerlei Befugnisse. Razzien der Besatzungsmacht auf dem Schulweg, fliegende Kontrollen erschweren das Leben in den durch die Mauer abgetrennten Enklaven. Unsere Kinder werden auf dem Weg zur Schule schon behindert. Jugendliche ohne Abitur, ohne Studium haben hier überhaupt keine Zukunft. Wir brauchen dringend Berufsbildungsmaßnahmen, sonst gehen sie alle zur Polizei. Man ist im Begriff bei uns im Westjordanland einen Polizeistaat zu schaffen.
Für ein Drittel des Landes besteht Kultivierungsverbot, womit uns eine wesentliche, traditionelle Einnahmequell geraubt wird. 250 Olivenbäume wurden allein auf diesem Grundstück abgeholzt. Weinanbau lohnt nicht mehr, fehlendes Wasser, fehlende Vertriebsinfrastruktur, Billigkonkurrenz der bevorzugten israelischen Produkte machen die Landwirtschaft kaputt. Unser Fall ist ja nur ein Beispiel. Nur drei Optionen scheinen für uns noch offen:
Emigration, Zuflucht zur Gewalt oder Aufgeben, Resignieren.
Unsere Besten gehen weg. Kaum verwunderlich , die Willkürmaßnahme sind allgegenwärtig."
abgeholzte Olivenbäume, Foto: Sylvia S-T |
Daoud Nasser aber ist ein Fels. Er gibt mit seiner Familie selbst ein unnachahmliches Beispiel. Er kämpft mit allen gewaltfreien, legalen Mitteln. Er steht mit der Welt in Verbindung. Er ist überzeugt: "Es gibt eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft - sie muss von uns nur gestaltet werden".
Und er ist dabei zu gestalten, ob Sommeraktivitäten für Kinder aus Bethlehem, Baumpflanzaktionen, Bemalen von Steinen, Computerkurse und Empowerment-Workshops für die Landfrauen der nahen Dörfer und mehr, Daoud Nasser und die Seinen arbeiten unermüdlich. Nur, all die kleinen Schritte genügen nicht, sagt der weltoffene, erfahrene Palästinenser, die Besatzung ist das Problem fügt er hinzu. Wir brauchen keine humanitäre Hilfe, Finanzhilfe aus dem Ausland hat unsere Menschen träge gemacht. Es bedarf einer harten Kritik an der arroganten israelischen Regierung. Die Besatzung muss aufgehoben werden, sie ist das Problem.
Frieden unter der Besatzung kann und wird es nicht geben.
Wenige Tage nach unserer Rückkehr erfahren wir, dass auch die von Rupert Neudeck gesponserten Solaranlagen zerstört werden sollen, laut Befehl der Besatzungsmacht.
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