Am letzten Brunnen von Jericho, der einstmals wasserreichen, vielleicht ältesten Stadt der Welt, Foto: A. Kunert |
Von der Nabi Musa Moschee nach Jericho
Wir befinden uns auf der Straße, die uns von Jerusalem nach Jericho führt, irgendwo in der herrlichen gebirgigen Weite des judäischen Wüstenlandes. Es liegt dieses natürliche Paradies auf dem Westufer des Jordans, mitten im palästinensischen "Autonomiegebiet". Diese Wüste ist allerdings Teil des von den Israelis zu hundert Prozent kontrollierten und beanspruchten C - Gebietes. Die Israelis brauchen schließlich den Raum für die osteuropäischen und afrikanischen Einwanderer und selbstredend brauchen sie auch die vielen Wasserquellen für ihre Landwirtschaft und ihre Besiedlungsprojekte. Vielleicht mögen sie auch die berühmten Datteln, die hier wachsen und die Bananen und die Zitrusfrüchte. Naturschutzgebiet soll die ganze Gegend einmal werden laut staatlich- israelischer Pläne für ein Land, das ihnen nach internationalem Recht nicht gehört, besetztes Territorium, erobert 1967. Mit der Begründung "Staatsland" und "Naturschutzgebiet" müssen die störenden 'ortsansässigen' Beduinen weichen. Nicht einmal eine "Tyre School", eine aus alten Autoreifen gebaute Wüstenschule gönnt man ihnen. Sie war von einer italienischen NGO gesponsert worden, nachdem die israelischen Behörden durch ihre Sperrmauer den Schulzugang für die Beduinen-Kinder nach Jerusalem verunmöglicht hatten.
"Der Schulbau war nicht unumstritten. Die israelischen Behörden haben eine Abrissorder für die Schule im C-Gebiet erteilt. In diesem Gebiet sind Israels Sicherheitsinteressen tangiert. Sie unterstehen seiner behördlichen Kontrolle. Allerdings hat der Oberste Gerichtshof die Ausführung der Abrissanweisung vorerst aufgehoben. Eine Anhörung bezüglich des Verbotes, die Schule zu nutzen wird demnächst erwartet. " (Quelle UNWRA -Fact Sheet, Übersetzung aus dem Englischen von der bloggerin)
Die UNO spielt in diesem Konflikt, wie überall in Palästina eine Schlüsselrolle. Ohne die Alimentierung durch die Vereinten Nationen wären die Menschen hier, wie auch in den diversen, übervölkerten Flüchtlingslagern im eigenen Land kaum überlebensfähig. Man hat sie ja ihrer ursprünglichen Einkunftsquellen berauben lassen.
Dies alles erfahren wir in Gesprächen, so nebenbei, während einer kurzen Pinkelpause. Währenddessen genießen wir den herrlichen Blick in die Weite des von Beduinen besiedelten Landes. Wir gehen ein paar Schritte, um uns zu orientieren und schon tauchen sie auf, die letzten Wüstenbewohner, und bieten ihre bescheidenen Schätze feil. Die Datteln sind wirklich vorzüglich, die Schals hübsch und sie schützen gegen die sengende Sonne.
Wir gehen nur noch ein wenig weiter und schon erheischen wir einen wunderbaren Blick auf das Wadi Qelt. Diese Schlucht, ein Mini-Great-Canon, lässt sich recht bequem durchwandern, bis hin nach Jericho, so lesen wir später im Reiseführer. Auf der uns gegenüberliegenden Seite liegt in malerischer Lage das Sankt-Georg-Kloster. Wie wir hören, befinden sich dort auch die Reste eines römischen Aquädukts, angeblich aus den Zeiten des Herodes.
Die Bibel scheint wirklich allgegenwärtig in diesem Lande ebenso wie die von den Israelis geltend gemachten biblischen Ansprüche darauf. Gott habe es ihnen verbürgt und zwar das ganze Palästina, das übrigens auch Syrien umfasste. Ein Blick ins Alte Testament lohnt oder doch wenigsten in die Broschüre von Pfarrer Peter Bingel "Lesen Juden und Christen dieselbe Bibel? - Vom unterschiedlichen Gebrauch der Heiligen Schrift und seinen politischen Folgen im Nahostkonflikt".
Wir verstehen, dass unterschiedliche Generationen und Völker auf dieses Land und seine Schönheiten und Reichtümer sowie auf seine geopolitisch interessante Lage immer wieder einen begehrlichen Blick geworfen haben. Und mehr noch.
Wir verstehen, dass die Wüstenmenschen das wenngleich mühselige Leben in dieser großartigen Weite nicht freiwillig aufgeben wollen.
Aber überall lauern schon die zu allem bereiten fremden Siedler, die ihre Heimat wohl auch nicht ganz freiwillig aufgegeben haben. Kriege, wirtschaftliche Not oder andere Bedrängnisse mögen ihre Auswanderung erzwungen haben. Wir verstehen auch ihre sorgenreiche Lage.
Doch als ob mir der Gedanke an das dennoch völkerrechtswidrige Vorgehen der israelischen Siedler verboten werden sollte, durchbrechen plötzlich zwei Jadgdbomber das friedliche Grasen der Gazellen. Das Flugzeugmanöver ist wohl Teil der dem Staate Israel dienenden 'Schutzvorkehrungen'.
Um uns abzulenken, von der unerfreulichen Unterbrechung der hier sonst waltenden wunderbaren Stille, kehren wir rasch zu unseren freundlichen Fremdenführern zurück, steigen in den Bus ein und fahren weiter...
Unsere palästinensische Reisebegleiterin, die es nach dem Willen der Israelis gar nicht geben dürfte*, bietet uns noch einen Schlenker zur ebenfalls herrlich gelegenen Nabi Musa Mosque an. Ein Kamel hat sich malerisch davor platziert, ein alter Jude bietet Schalom und Blumen feil. Wir befinden uns, wie gesagt, immer noch im C-Gebiet.
Es findet sich vor Ort keinerlei Hinweis darauf, dass es sich seit Saladins Zeiten um eine für heilig befundene Stätte handelt. Die Mameluken errichteten eine Moschee an dem Ort, von dem zumindest die Muslime annehmen, dass der Prophet Moses dort beerdigt sei. Sie begründeten damit eine in Zukunft stark frequentierte Wallfahrtstätte. Die Osmanen haben den Schrein im 19. Jahrhundert restauriert und die einst üppige Pilger-Tradition wieder aufleben lassen, die an der Al Aqsa Moschee in Jerusalem ihren Ausgang nahm. Es liegt ja alles so nahe beieinander. Wir befinden uns 12 Kilometer südlich von Jericho und 20 Kilometer nur entfernt von Jerusalem, von Al Quds, der Heiligen, in arabischer Diktion. Wäre da nicht die Mauer, die sich wie ein Lindwurm durchs Land zieht und wären da nicht die vielen Grenzübergänge und Kontrollen der Besatzungsmacht, man könnte die Wege in der Tat zu Fuß zurücklegen, wie zu biblischen Zeiten.
Von hier aus soll man bei gutem Wetter übrigens sogar auf den Berg Nebo in Jordanien sehen können, der der Überlieferung nach das wirkliche Moses-Grab birgt. Der Prophet, 'der aus dem Wasser kam', soll ja den Jordan nie überquert haben. Weite Ferne - ach so nah.
Umgebung von Musas Grab, Fotograf unbekannt |
Wir setzen nach eingehender Würdigung der schönen, außer uns fast menschenleeren Grab-Anlage, unseren Weg, motorisiert, in Richtung Jericho fort und erreichen bald die Stelle, die uns unter Meerespiegeltiefe hinab führen wird, zum Toten Meer.
Jericho am Toten Meer
Das "Tote Meer" stirbt übrigens wirklich und zwar einen leisen Tod. Es verlandet jährlich um bis zu einem Meter. Der wasserreiche Jordan wird von der israelischen Bevölkerung derart übernutzt, dass er dem riesigen Salzsee nicht mehr genug Wasser zuführen kann. Unter diesem Wassermangel leidet leider nicht nur der einst so zuträgliche Meereszufluß, unter ihm leidet vor allem die in jeglicher Weise benachteiligte palästinensische Bevölkerung. Ihre Wasserzuteilung wird von der israelischen Besatzungsmacht stark reglementiert und auf ein Minimum reduziert. Die Israelis graben den Ureinwohnern des Landes buchstäblich überall das Wasser ab. Besonders traurig zu beobachten ist dies in der einstigen Oase und vor Wasserreichtum überquellenden Stadt Jericho. Die Stadt in der A-Zone, berühmt-berüchtigt heute nur noch für ihr Spielkasino, für den allerletzten Berg der Versuchung, wurde gemäß dem "Osloer Friedensabkommen" als erste an Arafat übergeben", wie es heißt. Sie hätte anstelle des auserwählten Ramallah auch die Hauptstadt eines zukünftigen Palästinenser-Staates werden können. Dieser aber steht ohnehin in den Sternen, trotz UN-Mandat und d'accord der UN-Generalversammlung vom Herbst des Jahres 2011. Hörte man es hierzulande nicht allenthalben, so sähe man die Aussichtslosigkeit dem verwaisten Tourismusministerium in Jericho an.Man spürt die Irrelevanz der hiesigen einheimisch-palästinensischen Behörden auch an der freundlichen Machtlosigkeit der jungen Polizisten, die vor der Touristen-Hochburg, dem Einkaufspalast gegenüber dem 'Berg der Versuchung Jesu durch den Teufel' , Wache schieben, mangels alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten. So schauen also die uniformierten, gesprächsbereiten Jungs den ganzen Tag über auf das Werbeschild der israelischen Firma AVAHA, das am Eingang des doch palästinensischen Einkaufspalastes prangt. Eine Versuchung ganz anderer Art? Dort wird überdeutlich zum Erwerb von Schönheitsprodukten vom Toten Meer aufgefordert: " Buy Beauty from the Dead See" - "Buy Israeli Quality!" ist damit gemeint , obwohl diese Produkte nach internationalem Recht gar nicht aus Israel stammen können. Im nach wie vor unter Besatzungsstatut stehenden Westjordanland werden sie dennoch als "israelische Waren" produziert und auch so vertrieben und fallen damit unter die "729 Chiffre" - kein Einkauf unter dieser Nmmer. Andererseits erklären die Verkäufer auf Nachfrage auch schon mal, es handele sich um palästinensische Güter. Einer der vielen Widersprüche im Lande Palästina. Schließlich sollte man als bewusster Zeitgenosse, dem BDS-Aufruf* der palästinensischen Zivilgesellschaft folgend, Siedlerprodukte unter obiger Nummer nicht kaufen, weil man damit die illegale Siedlungspolitik unterstützt und die Apartheidmauer, die diese geradezu zwingend nach sich zieht. Der BDS- Aufruf will das Licht der Öffentlichkeit auf die herrschenden Unrechtszustände lenken. Vorbild ist die einst erfolgreiche Kampagne gegen das Apartheidregime in Südafrika, das durch den Boykottaufruf gegenüber den Produkten des damals rassistischen Landes öffentlichkeitswirksam delegitimiert werden konnte. Selbstverständlich unterstützen auch alle im Lande der Bibel vertretenen christlichen Kirchen diese Initiative, um auf das Schicksal ihrer "Kinder" aufmerksam zu machen. Selbstverständlich? Das "Kairos-Palästina-Papier" der palästinensischen Christenheit legt jedenfalls davon Kunde ab.
Es ist allerdings nicht so leicht, im 'Lande der Bibel', unmittelbar gegenüber dem Berg der Versuchung, einem Einkauf der überzeugend beworbenen Produkte zu widerstehen. Eine ureigene palästinensische Produktion, außer der handgemachten, allerdings wertvollen Olivenseife, gibt es ja nicht und man möchte doch durch den Erwerb eines Mitbringsels die Menschen hier im Lande unterstützen. Widersprüche über Widersprüche türmen sich auf.
Gibt es Palästina überhaupt noch oder ist es bald nur noch eine Schimäre?
Wahrscheinlich verschwindet eher das Apartheidsregime und Palästina wird eine ganz neue, moderne, demokratische Vielvölker-Gesellschaft der Zukunft werden, in der alle ihren Platz haben, ob Jud , ob Christ, ob Muselmann.
Der große Weise Israels, Kritiker der Regierungspolitik seines Landes, Uri Avnery schrieb zu diesem Thema am 19. Mai 2012:
"Israel steuert auf einen Eisberg zu, auf einen größeren als einer von denen, die auf dem Wege der Titanic schwammen. Er ist nicht verborgen. Alle seine Teile sind von weitem sichtbar, und wir segeln geradewegs mit Volldampf auf ihn zu. Wenn wir den Kurs nicht ändern, wird sich der Staat Israel selbst zerstören - er wird sich erst in ein Apartheidstaats-Monster vom Mittelmeer bis zum Jordan verwandeln und später vielleicht in einen bi-nationalen Staat mit arabischer Mehrheit vom Jordan bis zum Mittelmeer" (Friedensforum 4/12)
Siehe auch den Kurzfilm zweier junger Amerikaner auf dem Weg über Jordanien nach Jericho. http://www.youtube.com/watch?v=nTBivZi5b60
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