Thursday, July 26, 2012


Station 1 der Pilgerreise: Hebron


Foto: Sylvia Jerusalem, Mai 12

Kommt und seht, seht und fühlt, fordert uns der freundlicher Fremdenführer Walid Abu-Alhalweh auf. Der Sanierungsspezialist empfängt unsere kleine Pfingstpilgerschar am Eingang der Al Shuhada, der ehemals pulsierenden Hauptgeschäftsstraße in der Altstadt von Hebron. Der einzige Weg zum Grab des Patricharchen führt durch die inzwischen „aus Sicherheitsgründen“ von mehreren Seiten  her verbarrikadierte  zentrale Gasse des  einst berühmten  Suk.  Wir befinden uns in der Zone C im südlichen Westjordanland, in der C-Zone,  nach israelischer Lesart, im jüdischen  Galiläa. Die "heilige Stadt" Hebron ist, zusätzlich zum übrigen Gebiet der "Occupied Palestinan Territories" (OPTs),  nochmals  in die Zone H1 und H2 geteilt, so die  offzielle UN-Sprachregleung.  Die palästinensischen C-Gebiete werden  ebenso wie die H2 Zone  ausschließlich  von  israelischen  Behörden aus administriert.  Laut so gedeuteter Zuschreibung im Alten Testament gehört dem hebräischen Volk  ja das ganze historische Palästina.
 Erstmals sehe ich nun  hier  mit eigenen Augen, was dieser historische Anspruch  für die in der biblischen Stadt lebenden Menschen bedeutet. Ich sehe, was „Siedlertum“ in Israel-Palästina, in  den "OPTS"  bedeutet. Jüdisch-israelische Einwohner haben sich nämlich in Hebron, wie übrigens  auch in Ostjerusalem unmittelbar auf den Häusern der arabischen Ureinwohnern angesiedelt. Damit die Hausbesitzer und Altmieter sich solche aufsitzenden  "Einlieger" gefallen lassen, sind  bewaffnete Militärposten an strategischen Punkten stationiert.  Blutjunge, dienstverpflichtete, hebräische Soldaten  sitzen  hinter stacheldrahtverkleideten Wachtürmchen und  beschützen von dort aus ihre übergriffigen Landsleute. Die  jungen Burschen langweilen sich wohl die meiste Zeit. Auf engem Raum eingepfercht glotzen sie  auf die vielversprechenden  israelischen Fähnchen, die  eventuell im Winde hin und her wedeln. Das ungute Treiben zu ihren Füßen nehmen sie vielleicht gar nicht mehr  wirklich wahr. Wahrscheinlich  wären sie  doch viel lieber  ganz  wo anders, vielleicht in Tel Aviv, wo es moderner  und freier  für sie zugeht.
Wir  versuchen ihre Anwesenheit  für dieses Mal  zu ignorieren und gehen vorwärts   durch die triste Marktgasse. Der  freie Blick nach oben ist  uns  verwehrt. In den über die  Straße hinweg  aufgespannten Netzen lagert Unrat. Die schmutzigen  Teile   wirken , wie so vieles hier,   eher  wie eine  hilflose Abwehrgeste. Die  noch verbliebenen arabischen Händlern  schützen damit notdürftig ihre Waren, potentielle  Kunden  und auch  sich selbst vor dem herabfliegenden Müll.  Dieser   wird von den zugewanderten jüdisch-israelischen Siedlern nämlich achtlos aus den Fenstern geworfen.

Mittelalter  oder Postmoderne? In Israel-Palästina verschwimmen die Konturen immer wieder auf's Neue.

Während wir im Moment mit unseren Gefühlsstellungnahmen zu den  eben empfangenen Bildeindrücken noch  kämpfen, sind wir  schon am Abzweig zur Abrahams Moschee angelangt und müssen leicht bergan durch einen "Checkpoint". Dies ist einer der  unzähligen Kontrollpunkte, wie sie sich  übers ganze  besetzte  Land verstreut, vor allem  für die  Hiesigen, zu jeder Zeit und an jedem Ort, auftun können.
Nach der üblichen Taschenkontrolle und eventuellen  Abtasterei, wie man sie inzwischen von jedem Flughafen kennt, gelangen wir an Eisenstäben, Stacheldraht und Wachsoldaten vorbei zum eigentlichen Heiligtum, in dem sich Gräber der Patriarchen samt ihrer Gattinnen befinden sollen.

Der stattliche Sakralbau, bekannt als Abrahams-Moschee, zur Zeit der Mameluken gebaut, birgt die Sarkophage der biblischen Urväter  und -mütter. Es ist dies ein  ursprünglich umfänglicher, würdiger, schmucker Ort, der von Juden und  Muslimen geehrt wird. So zumindest will es die Legende.  Der Anschlag des jüdisch-amerikanischen Arztes Baruch Goldstein, einem  der vielen aus der Neuen Welt eingewanderten  Siedler aus Kiryat Arba im Jahre 1994 lässt an dem Respekt vor der  Heiligkeit des Ortes durch orthodoxe Juden Zweifel aufkommen. Der fanatisch religiöse Mann erschoss damals 29 palästinensische Gläubige während ihres Gebets im Gotteshaus und verletzte  120 weitere zum Teil schwer. Die unheilvolle Tat hatte für die Überlebenden, Familien der Opfer  und alle Bewohner Hebron  noch fatalere  Folgen. Mit seiner rassistisch motivierten Tat gegenüber der arabischen Bevölkerung hat  sich  der vielfache Mörder unter den Siedlern einige Freunde gemacht. So befindet sich an der Einfahrt zur nahe gelegene Siedlung  Arba eine Grabstätte. Dieses  Grab erinnert an den “Helden Baruch”. Auf Grund seiner verhängnisvollen, bösen Tat wurde  schließlich die Moschee segregiert und der Zugang zu ihr für das Umfeld der Opfer streng reglementiert. Eine jüdische Hälfte wurde zu einer  Synagoge umfunktioniert. Auf Grund der verschärften Sicherheitsvorkehrungen finden sich selbst zu Gebetszeiten  heutzutage nur noch wenige Muslime am stillen Ort ein, um  dort   frei von den üblichen Belästigungen  zu ihrem Gott zu beten oder einfach nur stille Einkehr zu halten.
Wir Touristen dürfen den Ort über einen  besonderen Ausgang, der zu einer rein jüdischen Siedlung führt,  leichtfüßig und unbehindert verlassen. Auf der Siedlerseite ist gleich alles großzügig, luftig, viel Grün. Hier lässt sich's leben.
 Eine Gruppe israelisch-palästinensischer Frauen, die nach uns zum Tor gelangt ist, darf diese Sperre nicht passieren, obwohl sie einen seriösen, mittelständischen Eindruck machen. Prinzip ist Prinzip. Diesem Prinzip folgend gelten für arabische und jüdische Menschen nicht die gleichen Gesetze im heiligen Land.
Der letzte plästinensische Ladenbesitzer auf dieser Seite, also der von jüdischen Siedlern bevölkerten,  lädt uns freundlich zum Verweilen und vertieften Schauen ein. Ein Glas Tee ist wie immer im Angebot enthalten. Um keinen Preis, so erklärt er uns freundlich, will er hier weichen.
Wie lange wird er dem Druck noch standhalten können?

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