Foto: Sylvia Jerusalem, May 12 |
Nördlich von Bethlehem verläuft die "israelische Sperranlage", die es den einheimischen Bewohnern des "christlich" dominierten Ortes so gut wie unmöglich macht, ins nahe gelegene Jerusalem zu gelangen.
Wer beim Anblick dieses Mauerungetüms, das sich Hunderte von Kilometer weit durch das palästinensische Westjordanland schlängelt, nicht begreift, welch grenzenloses Unrecht hier geschieht und von wem dieses Unrecht ausgeht, dem muss das Herz verdorrt sein. Die Berliner Mauer war ein Waisenkind gegen dieses bis zu acht Meter hohe Trenngebilde.
Nur wenige Menschen allerdings scheinen bereit, dem Verhängnis direkt ins Auge zu blicken. Es ist zumindest in Israel/Palästina möglich, ihm optisch ausweichen. Der Anblick der "Schandmauer", wie es einst anderswo hieß, bleibt dem durchschnittlichen Israel-Touristen ebenso erspart wie der Mehrheit seiner Bürger. Ein Israel- oder selbst Palästina-Reisender gelangt nämlich auf den eigens für die jüdischen Siedler im besetzten Westjordanland angelegten Straßen meist unbehelligt zu den berühmten Stätten des Heiligen Landes. Jeder israelische Bürger, kann sich dem Anblick des für ihn und seine Siedler geschaffenen "Sicherheitszaunes" weitestgehend entziehen. Strebt er überhaupt danach, in die "gefährlichen", OPT-Zonen zu reisen, wo sich die Wehrdörfer der israelischen Siedler befinden, wird er oder sie die Apartheidstraßen benutzen. Die Nähe zu den verrufenen Brutstätten der "arabischen Gewalt", den "Zentren des Terrorismus", den "Krisengebieten" wird er tunlichst meiden.
Leider erfreut sich das uralte Bild von den drei Affen, die nichts sehen und nichts hören und also nichts sagen müssen auch im einst so wunderschönen, weltoffenen Palästina/Israel und anderswo großer Beliebtheit.
Das den jenseits des "Schutz-Walles" lebenden Palästinensern mit der Trennbarriere einmal mehr zugefügte Unrecht ist allerdings der Welt längst bekannt. Seine riesigen Betonquader wurden in Bethlehem von internationalen Graffiti-Künstlern kreativ bereichert. Die Bilder sind durchaus von beeindruckender Qualität. Davon zeugen auch die davon gefertigten Fotos und Postkarten. Sie sind ebenso berühmt wie das Mauerwerk selbst.
Foto: Andrea Kunert, Juni 2012 |
Alles darüber steht im Netz. Filme , wie "The Iron Wall" sind der interessierten Öffentlichkeit ebenfalls zugänglich. Das eigentlich Erschütternde ist daher die Unterlassungssünde des Wegguckens und Verharmlosens. Trotz all den bekannten und frei zugänglichen Fakten über die Mauer auf palästinensischem, rechtswidrig enteignetem Territorium, trauen sich wenige nur die Not-wendigen Schritte zu tun. Zu mächtig erscheinen die sie schützenden Interessen. Die für den "Schutzwall" verantwortlich Zeichnenden werden daher niemals als "Regime" oder "Unrechtsstaaten" angprangert. Gegenüber den bedrohten Nachbarländern Syrien oder Iran etwa ist dagegen eine solche Einstufung - absurderweise - eine selbstverständliche sprachregelnde Geste. Eine völlig verquere und immer aufs neue missbrauchte Schambarriere ist gegenüber dem real existierenden Israel am Werk. Diese Schamschiene ermöglicht es, vollkommen verzerrte Erklärungsmuster zu offerieren für die nicht zu leugnenden Tatsachen vor Ort. Opfer mutieren demzufolge in der Weltpresse zu Tätern. Geschuldet ist die Schambarriere und ihre fatalen Folgen, einem früheren Schweigen über frühere geschehenes, großes Unheil. Verhängnisschwanger beschwört das neuerliche betretene Wegschauen neue, noch schwerer wiegende Menschheitsschuld herauf. Siehe dazu das fast schon wieder vergessene Günter Grass-Gedicht "Was gesagt werden muss".
Trotz der wochenlangen und weltweiten Debatte über das so wichtige Gedicht des Literaturnobelpreisträgers bricht eher ein Nashorn durch diese (Schweige-) Mauer als dass das völkerrechtswidrige Vorgehen allgemein thematisiert und verurteilt würde. Dem wirkt schon die öffentliche Hinrichtung des forschen Greises Günter Grass entgegen. In die gleiche Richtung wirkte zuvor schon die Auspeitschung des südafrikanischen Richters Goldstein. Mit derlei Methoden soll das Angstniveau angehoben und die Kleinmütigkeit geschürt werden. Eine wenngleich wenig aussichtsreiche, heimliche Hoffnung auf Teilhabe am Wohlstand, der schon in einer anderen Epoche in der Nähe des "Heiligen Grabmals" gesucht und gefunden wurde, tun ein Übriges.
Entgegen diesem ruinösen Trend ist es dennoch unerlässlich und in aller Interesse zu fordern, dass die Auftraggeber und ihre ausführenden Organe zur Rechenschaft für ihr unheiliges Tun gezogen werden. Solches muss möglich sein, nachdem ein internationales Gericht in Den Haag den dafür grundlegenden Urteilsspruch schon vor Jahren vorlegte. Solange sich aber der Mantel des schamhaften Schweigens weiter über die doch anerkanntermaßen untragbaren Praktiken der Besatzungsmacht hüllt, wird das humanitäre Völkerrecht dort weiterhin mit Füßen getreten werden. Die Stimme der Weltöffentlichkeit, die dieses einzufordern, muss lauter und vernehmlicher ertönen.
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