Tuesday, July 28, 2020

Literarische Vorboten  Ein Standpunkt von Stefan Korinth.

Mit den Erfahrungen der Corona-Krise im Hinterkopf lesen sich viele altbekannte Buchpassagen, als wären sie ganz neu. Einige davon schildern die jetzige Situation so treffend, als seien sie speziell zum Thema Corona geschrieben worden. Oft geht es um Angst, Gehorsam oder Zensur. Es folgt eine Auswahl solcher Zitate, die zeigen, dass viele Krisenmechanismen und bestimmte menschliche Reaktionen gar nichts Neues sind. Wir sollten sie nur kennen und unsere Schlussfolgerungen daraus ziehen.
„Aber die Menschheit hat nun einmal komplett den Verstand verloren“ — Astrid Lindgren, 1942 (1).
Als der griechische Gesandte Megasthenes im späten dritten Jahrhundert vor Christus in Indien weilte, traf er auf Menschen, die Mullbinden vor Mund und Nase trugen. Es handelte sich wahrscheinlich um jainistische Asketen, erläutert der Historiker Raimund Schulz in seinem Buch „Abenteurer der Ferne“ über Entdeckungsreisen der Antike (2). Diese indischen Gläubigen ernährten sich vegetarisch und versuchten jegliches Leben zu schützen. Das ging so weit, dass einige den Boden fegten, bevor sie ihn betraten, damit sie nicht auf kleine Tiere traten, oder dass sie Mund und Nase bedeckten, um bloß keine Insekten einzuatmen.
Megasthenes erschuf aus diesen Eindrücken die Legende von „den Mundlosen“ — Menschen, die sich ausschließlich von Gerüchen und Düften ernährten. Die Mundlosen (altgriechisch: Astomi) gingen ein in die Liste antiker Wundervölker wie die Einäugigen oder die Hundsköpfigen. Auf solche Völker könnten Reisende treffen, wenn sie in unbekannte Weltgegenden vordringen — so die Sicht altertümlicher Autoren des Mittelmeerraums.
Na, und? Noch im vergangenen Jahr hätten Leser solche Buchpassagen wie die über die antike Mund-Nasen-Bedeckung wohl schnell wieder vergessen. Solche Geschichten wären zwar irgendwie skurril und erstaunlich, aber ohne Anknüpfungspunkt in der Realität gewesen. Doch heute ist das anders. Ob im Geschäft, in der Bahn oder auf der Straße — die Mundlosen sind überall.
Und so springen einem nun ständig Buchpassagen ins Auge, die in der Corona-Krise in einem ganz neuen Licht erscheinen. Manche scheinen menschliche Reaktionsweisen und bestimmte Begleiterscheinungen der Corona-Maßnahmen nahezu prophetisch vorherzusagen — man muss nur Details oder einzelne Begriffe austauschen. In anderen Fundstellen werden bestimmte politische Entwicklungen so treffend analysiert, dass diese Einsichten eins zu eins auf unsere derzeitige gesellschaftliche Krisenphase übertragbar sind. Eine Zitatensammlung:
Angst
„Zu den Psychotechniken der Angsterzeugung gehört vor allem die propagandistische Erzeugung einer massiven vorgeblichen Bedrohung, die entschlossen zu bekämpfen vordringliche Aufgabe der Bevölkerung sei. (…)
Demselben Zweck einer Verdeckung eigener Ziele und Absichten dient eine Angsterzeugung durch propagandistische Deklaration einer großen Gefahr X, der die Bevölkerung durch einen ‚Kampf gegen X‘ entschlossen entgegentreten müsse. (…) X kann dabei so ziemlich alles sein, was sich irgendwie wirksam zur Angsterzeugung nutzen lässt. X kann also für ‚Kommunismus’ stehen, für Migranten, ‚Sozialschmarotzer‘, Terrorismus, Fake News und Desinformation, Rechtspopulismus, Islamismus oder für irgendetwas anderes. Durch die propagandistische Ausrufung eines ‚Kampfes gegen X‘ lassen sich in ‚kapitalistischen Demokratien‘ gleichzeitig mehrere von den Zentren der Macht gewünschte Ziele erreichen: Zum einen wird der für Machtzwecke nutzbare Rohstoff ‚Angst‘ produziert, zudem lässt sich die Aufmerksamkeit sehr wirksam auf Ablenkziele richten, und schließlich lassen sich unter dem Vorwand eines Kampfes gegen X demokratische Strukturen abbauen und auf allen Ebenen der Exekutive und Legislative autoritäre Strukturen etablieren. (…)
All das, was hier als Kampf gegen eine Bedrohung verkauft wird, darf gar nicht erfolgreich sein, weil sein Erfolg für die ökonomischen und politischen Zentren der Macht gerade darin liegt, nicht erfolgreich zu sein und als Mittel der Angsterzeugung und Herrschaftssicherung erhalten zu bleiben.“
— Rainer Mausfeld, Angst und Macht, 2019 (3)
„Mag uns die sichtbare Welt zuweilen anmuten, wie aus Liebe gebildet; der Stoff des Unsichtbaren ist die Angst.“
— Herman Melville, Moby-Dick (4)
„Auch vom schlichtesten Parteimitglied wird erwartet, dass es kompetent, fleißig und innerhalb enger Grenzen sogar intelligent ist, doch es muss ebenso auch ein leichtgläubiger und unwissender Fanatiker sein, dessen vorherrschende Emotionen Angst, Hass, Speichelleckerei und orgiastischer Triumph sind. Anders gesagt, es sollte notwendigerweise eine dem Kriegszustand angemessene Mentalität besitzen. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Krieg tatsächlich stattfindet, und da ein endgültiger Sieg nicht möglich ist, spielt es auch keine Rolle, ob der Krieg günstig oder ungünstig verläuft. Es reicht, dass ein Kriegszustand existiert.
Die Bewusstseinsspaltung, die die Partei von ihren Mitgliedern fordert und die sich in einer Atmosphäre von Krieg leichter erreichen lässt, findet man heute fast überall, doch je höher man im Rang aufsteigt, desto ausgeprägter wird sie. Gerade in der Inneren Partei sind Kriegshysterie und Feindhass am stärksten. In seiner Funktion als Administrator muss ein Mitglied der Inneren Partei wissen, dass dieser oder jener Punkt eines Kriegsberichts unwahr ist, und es mag sich häufig bewusst sein, dass der ganze Krieg nur Augenwischerei ist und entweder gar nicht stattfindet oder aus ganz anderen Motiven als den angegebenen geführt wird: Doch dieses Wissen lässt sich leicht durch die Technik von Doppeldenk neutralisieren. Mittlerweile wird kein Mitglied der Inneren Partei auch nur für einen Moment in seinem mystischen Glauben wankelmütig, dass der Krieg echt ist und dass er siegreich enden wird.“
— George Orwell, 1984, 1949 (5)
Medien
„Belügen Sie vor allem nicht sich selber. Wer sich selbst belügt und seine eigenen Lügen anhört, kommt schließlich so weit, dass er keine Wahrheit mehr, weder in sich noch außer sich, zu erkennen vermag und daher sich selber wie auch andere zu missachten beginnt. (…) Wer sich selber belügt, wird sich auch eher beleidigt fühlen als andere. Es ist doch zuweilen sehr angenehm, sich gekränkt zu fühlen, nicht wahr?“
— Fjodor Dostojewski, Die Brüder Karamasow, 1880 (6)
„‘Die neue Theorie der Biologie‘ lautete der Titel des Aufsatzes, den Mustapha Mond eben zu Ende gelesen hatte. Er saß einige Zeit mit nachdenklich gefurchter Stirn da, dann nahm er seinen Füllfederhalter zur Hand und schrieb quer über die Titelseite: ‚Des Autors mathematische Analyse des Telos-Begriffs ist neuartig und sehr scharfsinnig, allerdings ketzerisch und in Bezug auf die gegenwärtige soziale Ordnung gefährlich und potenziell umstürzlerisch.
Veröffentlichung untersagt.
Letzteres unterstrich er. ‚Der Autor ist zu observieren. Möglicherweise ist seine Versetzung an die Meeresbiologische Forschungsstation auf St. Helena zu erwägen.‘ Schade, dachte er, als er unterzeichnete. Die Arbeit war meisterlich. Wenn man aber erst Erörterungen von Ziel und Zweck zuließ — nun, dann musste man auf alles gefasst sein. Es war die Art Idee, die leicht zur Dekonditionierung der weniger stabilen Denker der höheren Kasten führen konnte, sie den Glauben ans Glück als höchstes Gut verlieren ließe und stattdessen davon überzeugte, dass das Ziel irgendwo hinter, irgendwo außerhalb der gegenwärtigen menschlichen Reichweite liege, dass der Zweck des Daseins nicht in der Sicherung des Wohlbefindens bestehe, sondern in einer Intensivierung und Verfeinerung des Bewusstseins, einer Erweiterung des Wissens. Was, sinnierte der Controller, womöglich stimmte. Aber unter den gegenwärtigen Umständen nicht zulässig war. Er nahm erneut den Füller zur Hand und zog unter den beiden Wörtern ‚Veröffentlichung untersagt‘ einen zweiten Strich, dicker und schwärzer noch als der erste (…).“
— Aldous Huxley, Schöne neue Welt, 1932 (7)
„Wir stehen hier vor der Tatsache, dass das Fernsehen die Bedeutung von ‚Informiertsein‘ verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man richtiger als Desinformation bezeichnen sollte. Ich gebrauche dieses Wort fast in demselben Sinne, wie Spione der CIA oder des KGB es benutzen. Desinformation ist nicht dasselbe wie Falschinformation. Desinformation bedeutet irreführende Information — unangebrachte, irrelevante, bruchstückhafte oder oberflächliche Information —, Information, die vortäuscht, man wisse etwas, während sie einen in Wirklichkeit von Wissen weglockt. (…) Und wenn ich sage, dass die Fernsehnachrichten-Show Unterhaltung bietet, aber keine Information, dann heißt das nicht nur, dass uns authentische Informationen vorenthalten werden. Ich weise damit auf einen äußerst beunruhigenden Sachverhalt hin, nämlich darauf, dass wir das Gefühl dafür verlieren, was es bedeutet, gut informiert zu sein. Unwissenheit lässt sich allemal beheben. Aber was sollen wir tun, wenn wir die Unwissenheit für Wissen halten?“
— Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, 1984 (8)
Masken und Gehorsam
„Sie gingen einen kleinen Flur entlang, dessen Wände hellgrün gestrichen waren und der von einem Aquariumslicht durchflutet war. Kurz bevor sie an eine verglaste Doppeltür kamen, hinter der man sonderbare Schattenbewegungen sah, ließ Tarrou Rambert in einen sehr kleinen Raum mit lauter Schränken an den Wänden eintreten. Er öffnete einen, nahm aus einem Sterilisator zwei Mullmasken, gab eine Rambert, und forderte ihn auf, eine umzubinden. Der Journalist fragte, ob das etwas nütze, und Tarrou verneinte, es erwecke aber bei den anderen Vertrauen.“
— Albert Camus, Die Pest, 1947 (9)
„Laurie kam gerade rechtzeitig zum Beginn des Spiels. Es war das zahlenmäßig stärkste Publikum des Jahres, und Laurie brauchte einige Zeit, ehe sie Amys blonden Lockenschopf auf den gut gefüllten Rängen entdeckte. Sie war schon halb hinaufgestiegen zur obersten Reihe, wollte zu Amy hinüberlaufen, als jemand ihr zurief: ‚Halt!‘.
Laurie blieb stehen und sah Brad auf sich zukommen. ‚Oh, Laurie, ich habe dich von hinten gar nicht erkannt‘, sagte er. Dann vollführte er den Gruß der Welle. Laurie stand da, ohne sich zu rühren.
Brad zog die Augenbrauen zusammen. ‚Los, Laurie, du brauchst nur zu grüßen, dann darfst du hinaufgehen.‘
‚Wovon redest du eigentlich, Brad?‘
‚Das weißt du doch! Vom Gruß der Welle!‘
‚Du meinst, ich darf nicht auf die Tribüne, solange ich nicht grüße?‘, fragte Laurie. Brad schaute sich verlegen um.
‚Ja, das haben sie beschlossen, Laurie.‘
‚Wer — sie?‘
‚Die Welle, Laurie. Du weißt doch. (…) hör mal, was ist denn schon Großes dabei? Du grüßt, und schon kannst du hinauf.‘
Laurie betrachtete die gefüllten Reihen. ‚Willst du etwa behaupten, das alle, die da sitzen, vorher gegrüßt haben?‘
‚Ja, jedenfalls an meinem Teil der Tribüne bestimmt.‘
‚Aber ich will hinauf, und ich will eben nicht grüßen!‘, fuhr Laurie ihn ärgerlich an.
‚Aber das kannst du nicht!‘, antwortete Brad.
‚Wer sagt, dass ich das nicht kann?, fragte Laurie lautstark. Einige Schüler schauten schon in ihre Richtung.
Brad errötete: ‚Hör mal, Laurie‘, sagte er leise, ‚nun mach schon diesen blöden Gruß!‘
Aber Laurie blieb unnachgiebig. ‚Nein! Das ist einfach lächerlich, und das weißt du genauso gut wie ich.‘ (…) ‚Brad‘, sagte sie, ‚warum machst du das eigentlich mit, wenn du genau weißt, dass es dumm ist?‘“
— Morton Rhue, Die Welle, 1981 (10)
„Die Lügen, an die im Moment immer jedermann glaubte, waren von Jahr zu Jahr andere gewesen, und sie hatten einander oft widersprochen; auch waren die verschiedenen Teile der Parteihierarchie, die Mitläufer und das Volk nicht unbedingt mit derselben Kombination von Lügen gefüttert worden. Allen aber war zur Gewohnheit geworden, sich selbst zu betrügen, weil dies eine Art moralischer Voraussetzung zum Überleben geworden war; und diese Gewohnheit hat sich so festgesetzt, daß es heute noch, 18 Jahre nach dem Zusammenbruch des Naziregimes, wo doch der spezifische Gehalt jener Lügen so gut wie vergessen ist, manchmal schwerfällt, nicht zu meinen, daß Verlogenheit und Lebenslüge zum integrierenden Bestandteil des deutschen Nationalcharakters gehören.“
— Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 1963 (11)
Moderne autoritäre Politik
„Wenn Regierungen dagegen ihre Bevölkerungen wie äußerst verletzliche Wesen, wie Kinder oder Haustiere behandeln, so werden diese Wesen massive Ressentiments gegeneinander entwickeln, und dann kann die Konsequenz wohl nur sein, dass man sie in Käfige steckt, die sie vor ihresgleichen schützen. Eine Gesellschaft aus Haustieren ist eine vollkommen repressive Gesellschaft. (…)
Interessanterweise waren es in westlichen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten meist grüne und sozialdemokratische Kräfte, die nach Polizei und bürokratischer Regulierung (des zivilen Lebens, und nicht etwa der Banken und Finanzmärkte) riefen. (…)
In diesem Fall half eine scheinbar fortschrittliche Gruppe mit scheinbar fortschrittlichen Zielen (die Schwachen schützen) tatkräftig mit, höchst antifortschrittliche Wirkungen hervorzubringen (die Zerstörung des öffentlichen Raums, das Blockieren demokratischer Diskussion, das Vermeiden von Dissens). (…)
Die institutionelle Paranoia, die sie — insbesondere durch das Evozieren von Bildern unendlich schwacher, völlig hilfloser Opferfiguren — erzeugen, verlangt immer nach Sofortmaßnahmen, ohne Abwägung oder Diskussion über das Maß oder die Angemessenheit der Mittel. Nicht selten ist dies begleitet von einem ‚overruling‘ von demokratischer Kontrolle, Legalität und Gewaltentrennung. Da die Angemessenheit der Mittel in der Paranoia nicht zur Diskussion steht, bilden das Ressentiment und die ihm entsprechenden Pseudo-Politiken regelmäßig selbst die entscheidenden Hindernisse gegen dasjenige, was sie selbst als ihr Ziel ausgeben. Gesundheitsreligiöse Politik vernichtet nicht nur vieles andere, sondern verhindert sogar auch noch Gesundheit selbst (…).“
— Robert Pfaller, Erwachsenensprache, 2017 (12)
„Ach, er ist ja einer von Millionen, Minister halten Reden an ihn, ermahnen ihn, Entbehrungen auf sich zu nehmen, Opfer zu bringen, deutsch zu fühlen, sein Geld auf die Sparkasse zu tragen und die staatserhaltende Partei zu wählen. Er tut es, und er tut es nicht, je nachdem, aber er glaubt denen nichts. Gar nichts. Im tiefsten Innern sitzt es, die wollen alle was von mir, für mich wollen die doch nichts, ob ich verrecke oder nicht, das ist ihnen so egal, ob ich ins Kino kann oder nicht, das ist ihnen so schnuppe, ob Lämmchen sich jetzt anständig ernähren kann oder zu viel Aufregung hat, ob der Murkel glücklich wird oder elend, wen kümmert das was? (…) Aber das sage ich dir, mir soll noch mal ´ne Regierung kommen mit Gemeinsinn und Opferbringen und Volksgemeinschaft. Ich lach gut, die denken nur an uns, wenn’s Opferbringen heißt.“
— Hans Fallada, Kleiner Mann — was nun?, 1932 (13)
Debattenkultur
„Das größte Unglück, die Wurzel alles späteren Übels war der Verlust des Glaubens an den Wert der eigenen Meinung. Man ging davon aus, dass die Zeit, in der man den Eingebungen des sittlichen Gespürs folgte, vorüber sei, dass man jetzt mit der Stimme der Allgemeinheit zu singen und nach fremden, allen aufgezwungenen Vorstellungen zu leben habe. In wachsendem Maße begann die Herrschaft der Phrase. (…) Diese Verirrung der Gesellschaft war allumfassend und ansteckend.“
— Boris Pasternak, Doktor Schiwago, 1957 (14)
„Was ich in meinem Leben am meisten bedauere, ist meine reflexartige, unkritische Unterstützung dieser Entscheidung. Ich war außer mir vor Empörung, ja, aber das war nur der Beginn eines Prozesses, in dem meine Gefühle meine Urteilsfähigkeit vollkommen außer Kraft setzten. Ich nahm alle von den Medien kolportierten Behauptungen für bare Münze und betete sie herunter, als würde ich dafür bezahlt. Ich wollte ein Befreier sein. Ich wollte die Unterdrückten retten. Ich übernahm die Wahrheit, die zum Wohl des Staates konstruiert wurde, was ich in meiner Inbrunst mit dem Wohl des Landes verwechselte.
Es war, als sei jedwede politische Haltung, die ich entwickelt hatte, in sich zusammengebrochen: Das online erworbene, gegen die Institutionen gerichtete Ethos der Hacker und der apolitische Patriotismus, den ich von meinen Eltern übernommen hatte, waren von meiner Festplatte gelöscht worden, und nach dem Neustart stand ich als willfähriges Instrument der Rache zur Verfügung. Am beschämendsten ist die Erkenntnis, wie leicht diese Transformation vonstattenging und wie bereitwillig ich sie willkommen hieß.“
— Edward Snowden, Permanent Record, 2019 (15)

Quellen und Anmerkungen:

(1) Astrid Lindgren: Die Menschheit hat den Verstand verloren. Tagebücher 1939-1945. (Original schwedisch 2015), Seite 180, Verlag Ullstein, Berlin, 2016.
(2) Raimund Schulz: Abenteurer der Ferne. Die großen Entdeckungsfahrten und das Weltwissen der Antike. Seite 286, Verlag Klett-Cotta, 2016.
(3) Rainer Mausfeld: Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien. Seiten 23, 39, 60. Verlag Westend, Frankfurt am Main, 2019
(4) Herman Melville: Moby-Dick. (Original englisch 1851), Seite 275, Verlag Diogenes, Zürich, 2019.
(5) George Orwell: 1984. (Original englisch 1949), Seite 232, Verlag Ullstein, Berlin, 2020.
(6) Fjodor Dostojewski: Die Brüder Karamasow. (Original russ. 1880), Seite 63, Verlag dtv, München, 2018.
(7) Aldous Huxley: Schöne neue Welt. Ein Roman der Zukunft. (Original englisch 1932), Seite 202 folgende, Verlag Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2014.
(8) Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie. (Original englisch 1984), Seite 133 folgende, Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main, 1985.
(9) Albert Camus: Die Pest. (Original französisch 1947), Seite 234, Verlag Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2020.
(10) Morton Rhue: Die Welle. Bericht über einen Unterrichtsversuch, der zu weit ging. (Original engl. 1981), Seite 127 folgende, Verlag Ravensburger, Ravensburg, 1984.
(11) Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. (Original englisch 1963), Seite 129, Verlag Piper, München/Berlin, 2017.
(12) Robert Pfaller: Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur. Seite 138f., Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main, 2017.
(13) Hans Fallada: Kleiner Mann — was nun? (Original 1932), Seiten 173, 246, Aufbau-Verlag, Berlin, 2017.
(14) Boris Pasternak: Doktor Schiwago. (Original russisch 1957), Seite 504 folgende, Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main, 2011.
(15) Edward Snowden: Permanent Record. Meine Geschichte. Seite 107, Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main, 2019.
Stefan Korinth, Jahrgang 1983, ist freiberuflicher Journalist. Er lebt und arbeitet als Autor und Redakteur in Hannover. Dort studierte er Politikwissenschaften und Soziologie. Für seine Abschlussarbeit forschte er in der Ukraine. Seine journalistischen Arbeitsschwerpunkte sind politische und historische Themen sowie der Ukraine-Konflikt. Er schreibt für mehrere unabhängige Online-Medien und eine Nachrichtenagentur. Gemeinsam mit Ulrich Teusch und Paul Schreyer gründete er das Magazin Multipolar.
https://kenfm.de/literarische-vorboten-von-stefan-korinth/

No comments:

Post a Comment