In der hitzigen Corona-Debatte drohen Sachinteresse und respektvoller Umgang vollends verloren zu gehen.
Ein Kommentar von Sascha Pahl.
Hinweis zum Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
Das Land ist gespalten, die Diskussionskultur haarsträubend. Die Lager — nennen wir sie „Gesundheitsapostel“ und „Freiheitskämpfer“ begegnen sich mit zunehmender Abscheu. Diffamierungen sind an der Tagesordnung. Die Zeiten scheinen derart unsicher, dass eine neue Angst vor Andersdenkenden Hochkonjunktur hat — als müsse man sein eigenes kleines Weltbild auf Leben und Tod verteidigen. Ein Begriff aus der Psychologie des emotionalen Missbrauchs könnte sich als hilfreich erweisen, um zu verstehen, was hier vor sich geht: das so genannte Gaslighting.
In der Psychologie nennt man den Vorgang, jemanden irre zu machen, indem man seine Realitätswahrnehmung negiert, Gaslighting: Ein Täter manipuliert sein Opfer, indem er diesem „falsche Informationen gibt, die darauf abzielen, dass das Opfer seiner eigenen Wahrnehmung misstraut, schließlich seinen eigenen Verstand und seine psychische Gesundheit infrage stellt. Die Absicht dieser Aktionen ist es, die Betroffenen zu verwirren, sie einzuschüchtern und zutiefst zu verunsichern“ (1).
Ein Beispiel: Der Vater kommt total betrunken nach Hause und schlägt sein Kind. Die Mutter sieht tatenlos zu, da sie sich nicht damit auseinandersetzen möchte. Dem Kind gegenüber tut sie zudem so, als sei nichts passiert. Sie redet dem weinenden Kind ein, der Vater sei weder betrunken noch gewalttätig, es solle sich nicht so anstellen und keine Lügen verbreiten. Schließlich wolle es doch artig sein. Schwer eingeschüchtert beginnt das Kind seinen eigenen Wahrnehmungen und Emotionen zu misstrauen. Fortan denkt es, ein artiges Kind zu sein bedeute, sich selbst nicht zu glauben.
Verschwörungstheorien und Fakten
In der allgegenwärtigen Corona-Diskussion geht es auch um Realitätswahrnehmung. Oft ist von Verschwörungstheorien die Rede. Man solle sich nicht irremachen lassen und bei der Realität bleiben, heißt es. Doch was ist eine Verschwörungstheorie und was Realität?
Im Prinzip eignet sich der Begriff „Verschwörungstheorie“ sehr gut, um andere zu gaslighten: Dieser kann einfach immer dann verwendet werden, wenn jemand eine Realität kommuniziert, die dem anderen nicht passt. Man hört ihm nicht zu und bringt ihn mit dieser bloßen Bezeichnung in akuten Rechtfertigungszwang und schüchtert ihn ein.
Gegenwärtig gilt es als gefährliche Verschwörungstheorie, dass Covid-19 in etwa so gefährlich sei wie die gewöhnliche Grippe. Entsprechende Youtube-Videos werden massenweise gelöscht (2). Fachleute, die Derartiges behaupten, belegen dies jedoch in der Regel durch Zahlen, Fakten und Zusammenhänge — und nicht mit Verschwörungserzählungen. Um aber diese unpassenden Realitäten aus der öffentlichen Wahrnehmung fern- und das herrschende Narrativ vom Killervirus aufrechtzuerhalten, erscheinen Verwirrung und Verunsicherung als probate Mittel.
Während die Menschen wochenlang mit dauernd neuen und dauernd neu kontextualisierten Zahlen — Verdopplungszahl, RWert, Neuinfektionen et cetera — bombardiert wurden, fehlten aussagekräftige Vergleiche, die den Zahlen erst Sinn hätten verleihen können. Ständig stiegen die absoluten Zahlen, wie um die Rezipienten damit zu erschlagen und ihnen die politisch gewünschte Realitätswahrnehmung „Das ist ja alles so gefährlich!“ einzubläuen. Wer einen Vergleich zu anderen Grippesaisons wagte oder die Zahlen anders kontextualisierte, wurde schnell zum kruden Verschwörungstheoretiker gegaslightet und damit mundtot gemacht.
So analysierte Carsten Forberger, der Begriff „Verschwörungstheoretiker“ habe inzwischen einen Stellenwert, der vergleichbar mit dem des Ketzers oder Häretikers aus unaufgeklärten Zeiten sei (3). Ketzerisch sind Meinungen, die „gar nicht gehen“, für die man sich schämen muss. Und wer möchte schon in dieser Schublade landen, die einer Exkommunikation aus dem öffentlichen Diskurs gleichkommt? In Diskussionen mit Menschen, die der mehrheitlichen Wahrnehmung des viralen Gefahrenpotenzials folgen, war ich immer wieder bass erstaunt: Meine Hinweise auf vorhandene Zahlen und Fakten, die eine ganz andere Sprache sprechen als das herrschende Narrativ (4), stießen auf taube Ohren. Keiner wollte ernsthaft eine inhaltliche, sachliche Diskussion führen. Offenbar ist es zu belastend, das medial vermittelte Weltbild anzuzweifeln. — So wie die Mutter ihr Bild vom Mann nicht anzweifeln wollte und lieber das Kind verunsicherte.
Einige gaben zu, dass es ihnen zu anstrengend sei, sich wirklich intensiv mit der Frage zu beschäftigen und dass es für sie einfacher wäre, der medial vermittelten Auffassung zu vertrauen. Andere wiesen wiederholt darauf hin, dass man sich mit so einer Behauptung in die Ecke von Rechtsradikalen und Verschwörungstheoretikern stelle. — Das erinnert an den Hinweis der Mutter, das Kind solle doch artig sein.
Mein verzweifelter Einwand, es müsse doch um die Sache gehen und nicht um politische Zuordnungen, verhallte stets ungehört. Einmal genügte auch das relativistische und in seiner Abstraktheit geradezu zynische Argument: Egal welche Zahlen ich anführte, es gäbe ja sicherlich irgendetwas im Internet, das das widerlegt. „Egal was du sagst, liebes Kind, wir können dir jedes Wort im Mund herum drehen.“
Ich musste also, wenn nicht gar eine Realitätsverleugnung, so doch zumindest ein dezidiertes Desinteresse an der Realität feststellen. Die Diskrepanz zwischen Ideal und Realität war offenbar zu schwer zu ertragen: So wie Mutters Idealbild von einem guten Ehemann und die Realität des betrunkenen, gewalttätigen Vaters nicht übereinzubringen war, so ist es offenbar zu schmerzhaft, das Idealbild von Medien und Politik, denen man im Großen und Ganzen vertrauen kann, mit der Realität abzugleichen. Diese realitätsferne Selbstverteidigung ging sogar so weit, dass mir vorgeworfen wurde, ich befände mich mit meinem Beharren auf Fakten und meiner Kritik an der medialen Darstellung der Situation in einer negativistischen, weinerlichen Opferhaltung. — Das Kind solle sich nicht so anstellen und sich nicht einreden, Opfer des Vaters zu sein, damit die Mutter sich in ihrem selbstgerechten Wegschauen nicht als Mittäterin fühlen muss.
Gaslighting pur, wie mir scheint, doch wozu? Um das eigene Betrogensein zu verleugnen? Man stelle sich vor, die Mutter sagte irgendwann dem Kind, das nicht locker lassen will mit seiner Realitätswahrnehmung, es solle doch mit diesen Verschwörungstheorien aufhören. Ein Totschlagargument, das jede Selbstachtung im Kind töten wird.
Verschwörungsleugnung und Aufklärung
Natürlich gibt es Paranoia und natürlich gibt es falsche Verschwörungstheorien und kritikimmune Wahngebilde. Es gibt ja auch Kinder, die den Missbrauch durch Elternteile nur imaginieren. Aber um falsche Verschwörungstheorien von korrekten zu unterscheiden und von bloßen Tatsachenbehauptungen ohne jeden Verschwörungsanspruch, muss man die Augen aufmachen, in der Realität nachschauen, wie es sich verhält, und damit aufhören, wild mit diesen missbräuchlichen und respektlosen Begriffen um sich zu werfen.
Angesichts der Resistenz in der gegenwärtigen Diskussion, überhaupt sachlich hinzuschauen, müsste man — in Anlehnung an Coronaleugner, das Schimpfwort der Gegenseite — eigentlich einen neuen Begriff einführen: Verschwörungsleugner. Wer sich wirklich verschworen hat, sind in unserem Beispiel schließlich die Mutter und der Vater gegen das Kind. Wenn hier jemand verrückt ist, dann diese beiden. Wer das leugnet, hat sich dumm machen lassen und muss jetzt alle anderen gaslighten, um nicht mit der Realität in Konflikt zu geraten.
Wenn uns Demokratie interessiert, müssen wir uns gegen Gaslighting in der politischen Diskussion wenden, gegen Diffamierung und Ausgrenzung abweichender Meinungen. Nur wenn wir ein gemeinsames Interesse an der Realität haben, können wir eine sinnvolle Diskussion führen. Ziehen wir es stattdessen vor, uns gegenseitig in Schubladen zu stecken, so können wir uns nur anfeinden. Meine Befürchtung ist, dass die Gräben inzwischen so tief sind, dass es darauf hinausläuft.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt:
Liebe Verschwörungsleugner, werdet Theoretiker! Lasst Euch nicht von Vater Staat, Mutter Medizin und der versammelten Verwandtschaft der Massenmedien eine Realität vorgaukeln, die deren Interesse an Eurem Gehorsam entspricht. Blinde Loyalität zu diesen Instanzen hat ein erwachsener Mensch genauso aufgekündigt wie die zu den Eltern. Das kann schmerzhaft sein, man muss durch potenzielle soziale Ächtung — Gaslighting durch die Loyalen — hindurch, aber es lohnt sich. Als Kind war das unmöglich, da mussten wir uns verbiegen. Aber wir sind ja keine Kinder mehr.
Schon Immanuel Kants berühmte Aufklärungsschrift aus dem Jahr 1784 liest sich wie ein Aufruf zum Erwachsenwerden. Er plädiert eindringlich gegen die Bequemlichkeit des blinden Vertrauens in die vorherrschenden äußeren Autoritäten — zu seiner Zeit offenbar Medizin, Kirche und Medien:
„Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt und so weiter, so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen“ (5).
Ein gesunder Erwachsener hingegen, einer der nach Kant „den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes ohne Anleitung eins anderen zu bedienen“, hätte es nicht nötig, andere wie in voraufklärerischen Zeiten als Ketzer zu diffamieren und exkommunizieren, denn er müsste vor Andersdenkenden keine Angst haben (6).
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Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book https://www. buchkomplizen.de/Alle-Buecher/ Nur-Mut-oxid.html.
Quellen und Anmerkungen:
(2) „Jeder Inhalt, der die Angaben der WHO in Bezug auf die Existenz und Ausbreitung von Covid-19 bestreite, würde gegen die YoutubeRichtlinien verstoßen.“;https://www.rnd. de/digital/fake-news-zu- corona-youtube-loscht-videos- mit-verschworungstheorien- U2LKL4DQZ5A23LWE25T7LDTSRM. html
(3) „Der Begriff ‚Verschwörungstheorie‘ (…) erfüllt mittlerweile die Funktion, welche Wörtern wie ‚Ketzer‘ oder ‚Häretiker‘ in unaufgeklärten Zeiten zugeschrieben wurde. Aktuell wird jeder Widerspruch gegen das Narrativ, wonach SARS-CoV-2 ein gefährliches Virus sei, das es zu bekämpfen gelte, bis die Rettung in Form des Impfstoffes naht, als Verschwörungstheorie gebrandmarkt. Es geht nicht mehr nur um die Stigmatisierung des Andersdenkenden, sondern auch um ein Mittel, sich der notwendigen inhaltlichen Diskussion darüber zu entziehen, ob die dem herrschenden Narrativ zugrunde liegenden Annahmen auch tatsächlich zutreffen. Man gibt vor, mit jedem zu reden, solange es kein Verschwörungstheoretiker ist. Ein Verschwörungstheoretiker ist wiederum jeder, mit dem man sich inhaltlich nicht auseinandersetzen möchte. Mittels dieses perfekten Zirkelschlusses verkommt die Meinungsfreiheit, die für die Demokratie konstitutiv ist, zur Farce.“; https://multipolar- magazin.de/artikel/wenn- fakten-zu- verschworungstheorien-werden
(4) Beispielsweise: https://swprs. org/covid-19-hinweis-ii/
(6) Diese Erinnerung an Aufklärung als Erwachsenwerden sei hier nicht nur an das Lager der Gesundheitsapostel gerichtet, sondern auch an das der Freiheitskämpfer: Umgekehrtes Gaslighting bestünde nämlich darin, den Vorwurf des Gaslighting wahllos gegen alles und jeden zu erheben, um sich so seinerseits vor argumentativer Auseinandersetzung und unliebsamen Realitäten zu bewahren. Das wäre auch erheblich unerwachsen.
Und passend dazu diesen gestrigen Kommentar von Klaus Hartmann: https://kenfm.de/ verschwoerungen-zwischen- theorie-und-praxis-von-klaus- hartmann/
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