Thursday, July 16, 2020

Auf, auf zum Tanz, zum Tanz* von Irene Eckert

Maskenball 2.0


Eine kleine Satire von Irene Eckert  



Lessing, der Weise? Bettina von Arnim (Brit Bartuschka) weiß es besser als Lessing (Ralf Selmer)
Bild: Piet Meyer

Auf, auf zum Tanz, zum Tanz*.

Verhülle dein Antlitz. Atme tief und erfreue dich am allgegenwärtigen, duftenden Mundnasenschmucktuch. Das zum Frohsein befreiende Impfplättchen wird bald für noch mehr heitere Ausgelassenheit sorgen. Bill und Melinda arbeiten schon mit Hochdruck daran. Ihr selbstloser Einsatz für das menschheitsbeglückende Projekt verdient höchste Anerkennung. Schicken wir ihnen vorab ein Prosit. Wir sieben Milliarden Erdenbürger werden ja den Pikser kaum merken, der dann schmerzlos unter die Haut fährt und uns die heiß ersehnte Immunität bringen wird. Der zu erwartende Geldsegen für die Sponsoren der neuesten Pharmaerfindung wird auch den letzten unter uns Bürgern zufrieden machen. Schließlich werden wir alle Gewinner sein, denn jedem wird dann Tür und Tor barrierefrei, ohne Mundnasenbekleidung und völlig kostenneutral offen stehen. Die zu erwartende neue Offenheit wird dann das jetzt noch modische Mund-Nase-Schnupftüchlein sang- und klanglos zum Verschwinden bringen. Mancher allerdings wird den inzwischen gewohnheitsmäßig angelegten Sicherheitsgurt im Gesicht vermissen. Gänzlich freier Atem und die gründliche Durchlüftung aller Gehirngänge könnten für so manche Leute ein Gefahrenpotential darstellen. Aber, freuen wir uns erst einmal über die schönen Aussichten. 

Wem Gesang gegeben, der trällere schon mal ein Liedchen, dank 'Tracking-App' auch bald wieder im Chor und vor großem Publikum. Denn dank Billy und Melli wird es nicht mehr lange heißen: „Wo man singt, da laß dich ja nicht nieder, denn gute Menschen kennen keine Lieder!“ Der neualte Ruf wird dann erschallen: „O, Freunde nicht diese Töne!“

Nur eine kleine Weile noch gilt es allerdings durchzuhalten, denn Aerosole bilden schon eine unsichtbare, ewig währende, überall lauernde, ja geradezu mörderische Gefahr. Sie zu bekämpfen erfordert daher von jedem von uns zunächst kleine Opfer. Händeschütteln, Hinz und Kunz ein Begrüßungsküsschen zu offerieren, das waren echt extrem verantwortungslose Umgangsformen. Jetzt wahren wir mehr als einen Meter Armlänge Abstand. Wir erweisen unsere Nächstenliebe durch Einhaltung der gebotenen Distanzregeln. Die drei erlassenen Schutzmaßnahmen: Abstand, Maske, Desinfektion sind zur Gewährleistung des Volkswohls nun einmal erforderlich. Notfalls muss halt ein klein wenig Druck nachhelfen, nur solange Bill und Melinda noch nicht auf die Impf- Zauberformel patentiert sind. Das wird doch wohl jeder einsehen. Wo nicht, muss ihm zur Schutzhaftung ein wenig in die Tasche gegriffen, werden, sonst Gnade uns Gott.

Aber ach, laß mal, alles halb so schlimm. Gejammert wird hier, wie immer, auf hohem Niveau. So Göttin will und wir leben, wird der Spuk im November aus und vorbei sein. Ein neuer, etwas, seniler, etwas altersgeschwächter Mann an der Spitze wird dann mit Hilfe seiner jung-dynamischen, erwartungsgemäß farbigen Weibin1 an seiner Seite dem Hokuspokus rasch Einhalt gebieten.

Solange ist es nunwirklich nicht zu viel verlangt, Abstandsregeln einzuhalten, denn die unsichtbar virale Not kennt nun einmal nur Gebot, Verbot oder Tod. Und wo der um sich greift, da fragt keiner mehr nach Grundgesetz und Menschenwürde, ganz im Gegenteil.

Erinnern wir uns?

Einst lebte ein gottvergessenes, sittenloses Völkchen. Es schwebte einher weit über den Wolken, dort wo die Freiheit grenzenlos schien. Sei es aus Übermut oder um sich als einzigartig und unverwechselbar kenntlich zu machen, ritzten sich Männlein und Weiblein phantasievolle, farbenprächtige Tintenbilder unter die Haut. Manche ließen sich auf solche Weise für ewig mit ätzender Säure abstempeln. Andere wechselten ihr Geschlecht wie ihre Vorgänger die Moden. Der Liebe pflegten sie ebenfalls kreativ-achtlos mit Hund, Katze oder ihresgleichen. Meist geschah dies auf unbefriedigende, süchtig machende, dunkle Weise. Es fehlte dabei die altmodisch gewordene Liebe, es fehlte der befruchtende Geist in all ihren Handlungen. Wenn ihnen der Sinn danach war, mutierten manche von ihnen gar zu Pädivoren. Solche Eskapaden waren aber nur für einen Bruchteil unter ihresgleichen angesagt. Jene, die ganz oben saßen und mit ganz viel Verantwortung betraut waren, kamen für solch gewagte Abirrungen natürlich nicht in Frage. Ausschweifend, böse und rücksichtslos, ja geradezu kriegerisch gestimmt, das waren nur die ewig blöden Malocher, die Bürohengste und Sesselpupser, jene halt, die ihr bißchen Leben hart erarbeiten mussten. Ihr Dasein verlief ja sonst recht trist, ohne große Erwartungen plätscherte es dahin.

Völlig unvorhergesehen, also wie aus dem Nichts, tauchte unter ihnen eines Tages ein Spielverderber auf, ein plumper, ja ungehobelter Riese. Dieser wollte frecher Weise längst ad acta gelegte Regeln wieder beleben, während er doch wiederum andere gänzlich aushebeln ließ. Er drohte gar seinesgleichen, ihnen ihre perverse Lust madig zu machen. In seiner Dreistigkeit kam dieser Golem nicht einmal allein. Er brachte seine zahlreiche Familie mit und führte eine zart-schöne Prinzessin im Schlepptau. Ein ziemliches Gefolge stand ihm darüberhinaus zu Diensten. So manches bedauernswert blöde Geschöpf hatte sich seinem Fußvolk angeschlossen. 

Sobald die besagte Kreatur den Mund öffnete, entwichen giftige Schwaden, die die Sinne seiner Anhängerschar benebelten und sie am Erkennen der wahren Faktenlage hinderten. Statt nach und nach von ihm abzurücken, sahen seine Adepten doch tatsächlich einen am Steuer, der vermeintlich ihr Anwalt war. Sie glaubten nun ihre Sache ganz oben vertreten. Dass der Dummbart nicht mehr für sie tun konnte, schoben sie gänzlich auf seine korrupte Entourage. Zwar hatten viele sich im Laufe der Jahrunderte in solcher Volks-Vernebelungs-Taktik schon versucht, aber kaum einer der Menschenfischer vor ihm war in jüngster Zeit so erfolgreich aufgetreten.

Aus purem Verantwortungsbewusstsein musste diesem Monster das Handwerk gelegt werden.

Dieser surreal-unwirklichen Kunstfigur, diesem Gegner aller Luxusfreunde und Genießer musste Einhalt geboten werden. Dieser Popanz musste einfach weg, bevor er etwa so einträglichen Geschäftszweige wie Drogen- und Menschenhandel, kriegerischen Händeln und Söldnerterror Zügel angelegen konnte. An den ehernen, in Stein gemeisselten Verhältnissen durfte nämlich keiner rütteln, der nicht von ihrer Herrschaft beauftragt war. Es durfte einfach nicht sein, dass auf einmal die Torheit der einfältigen Masse die Zügel der Macht in die Hand nahm und die Intelligenz der Wenigen vom Thron gestoßen würde. 

So geschah es denn auch, dass diesem Völklein endlich ein Virus geboren wurde und dazu noch eine schwarze Volksbefreiungsbewegung vom Himmel fiel. Eine große Verwirrung trat ein. Freund kannte Freund nicht wieder und Bruder nicht den Bruder. Die vermeintliche Philanthropie der neuen Virusjäger und ihrer plötzlichen Schwarzenliebe führte zu nie dagewesenen Verwerfungen unter den Menschen im imperialen Wolkenkuckucksheim. Aber wie das Verwerfungen so an sich haben, sie reinigen manchmal das Feld und öffnen den Raum für neue Horizonte. 

Nehmen wir Heutigen doch einfach die Herausforderung zum großen Maskenball an und singen wir alle im Chor:

Auf, auf zum Tanz, zum Tanz! Zum Tanz sind wir bereit.2
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1Mann und Weib und Weib und Mann / Reichen an die Gottheit an“. Zauberflöte (Der Begriff 'Weib' bezeichnete im Mittelalter eine hochstehende Frau. Die Vokabel erfuhr im Laufe der Jahrhundert eine Abwertung. Ich benutze das Wort 'Weibin' aus sprachspielerischen Gründen)
2*„Auf, auf zum Kampf zum Kampf! Zum Kampf sind wir geboren. Auf, auf zum Kampf zum Kampf! Zum Kampf sind wir bereit. Dem Karl Liebknecht dem haben wir's geschworen Der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand. Dem Karl Liebknecht dem haben wirs geschworen. Der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand. Es steht ein Mann ein Mann So fest wie eine Eiche ...“ (altes Arbeiterlied, von Hannes Wader neu vertont und popularisiert) https://www.youtube.com/watch?v=wDazX9meUw8

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