Vom Kongress zum Kulturskandal
Am 26. Juni 1950, genau einen Tag nach dem Angriff Nordkoreas auf die südliche Halbinsel, stand Ernst Reuter, Oberbürgermeister West-Berlins und Ex-Kommunist, vor 4.000 Menschen im Titania-Palast. Nachdem die Berliner Philharmoniker die Ouvertüre von Beethovens Egmont gespielt hatten, rief Reuter eine Schweigeminute für alle Opfer von Gewaltherrschaft aus. Anschließend begann er seine Rede zur Gründung des Congress for Cultural Freedom, kurz CCF. Viele bekannte Intellektuelle jener Zeit, wie die Schriftsteller Tennessee Williams und Arthur Koestler, der Philosoph Sidney Hook, der Historiker Arthur Schlesinger Jr. und der Schauspieler Robert Montgomery, nahmen an der Konferenz teil.
Dieser Moment markiert die Geburtsstunde einer Institution, die in den folgenden Jahren durch ihren Kampf gegen Diktatur und Totalitarismus unter dem Banner der Freiheit immer größer und einflussreicher werden sollte. Um sich geografisch auszubreiten, eröffnete der CCF Büros in 35 verschiedenen Ländern, unter anderem im Libanon (Beirut) und in Ägypten (Kairo). Dabei nutzte er die Mittel der kulturellen Diplomatie und der „soft power“, um die westliche Kulturproduktion in den Sparten Musik, Kunst und Literatur zu gestalten. Diese Entwicklung nahm ihren Lauf, bis am 27. April 1967 der größte Kulturskandal des 20. Jahrhunderts aufgedeckt wurde: Die New York Times hatte herausgefunden, dass der Congress for Cultural Freedom von der CIA gefördert wurde. Diese Nachricht erschütterte die Kulturszenen weltweit.
Freiheit als Propagandabegriff im Kalten Krieg
In Anbetracht der Tatsache, dass diese kulturelle Verschwörung vor einem halben Jahrhundert ihren Ausgang in Berlin nahm, erscheint es treffend, dass ausgerechnet das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) sich ihrer angenommen hat. Die Wiederentdeckung findet in Form der Ausstellung Parapolitik: Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg (03.11.2017 – 08.01.2018) statt, die subtil Kritik übt und Zweifel an der westlichen Kulturgeschichte der Nachkriegszeit anbringt. Parapolitik beschäftigt sich mit unterschiedlichen Kunstformen, die im Rahmen des vom CCF initiierten Kulturkampfes benutzt wurden, darunter abstrakte Malerei, Jazz, moderne Poesie und Avantgardeliteratur. In verschiedenen Abschnitten werden Kulturproduktionen sowie kulturelle, politische und philosophische Diskussionen im Umfeld des CCF abgebildet. Außerdem stellt die Ausstellung die wichtige Frage nach Inhalt und Bedeutung des Begriffs der „kulturellen Freiheit“ in seiner US-amerikanischen Definition.
Der Congress for Cultural Freedom positionierte sich von Anfang an als Gegenpol zur UdSSR und zur Kunst des sozialistischen Realismus. Er nutzte die Eingriffe der sowjetischen Regierung in die Kulturszene, wie z.B. das Verbot von Ausstellungen, Büchern oder Musikgenres, als Grund für die Ausrufung eines propagandistischen Kulturkampfes. In der Hauptsache konzentrierte man sich auf den Vergleich des sowjetischen mit den faschistischen und nationalsozialistischen Regimes der 1940er-Jahre. Der CCF gab den Rahmen dieses Kulturkampfes vor, indem er den Begriff der „Freiheit“ in den Mittelpunkt rückte und die „freie Welt“ einer totalitären gegenüberstellte. Dass die USA, wie viele andere Akteurinnen und Akteure auch, das Konzept auf diese Weise benutzten konnten, war vor allem deshalb möglich, weil Freiheit als Begriff sehr stark, als Institution jedoch fluide ist. Freiheit kann in wenigen Worten beschrieben werden; sie kann den Lebensstil von Künstlern und Schriftstellern oder aber einen offenen, wettbewerbsfähigen Kulturraum bezeichnen.
Der CCF wurde nicht von ungefähr in Europa gegründet, war er doch ein Versuch, den kriegsgeschädigten Kontinent zu kontrollieren. Ausstellungen europäischer Künstlerinnen und Künstler, die im US-amerikanischen Exil lebten, wurden in London und Paris veranstaltet. Gleiches galt für Musikfestivals wie jenes in Paris, an dem der russische Komponist Igor Strawinsky beteiligt war. Auf literarischer Ebene förderte der CCF die Publikation zahlreicher Literaturzeitschriften, wie z.B. der französischen Preuves, der deutschen Der Monat und der englischen Encounter. Diese Zeitschriften veröffentlichten Texte von T.S. Eliot, Albert Camus, Aldous Huxely, Boris Pasternak, Alexander Solschenizyn, Jorge Louis Borges, Hannah Arendt, Heinrich Böll, Max Frisch, Thomas Mann, George Orwell und Theodor Adorno. Am häufigsten jedoch griff der CCF auf dem linken politischen Spektrum angehörende, ehemals kommunistische oder im Exil lebende sowjetische Schriftstellerinnen und Schriftsteller zurück. Dies konnte mit oder ohne Wissen der betreffenden Personen geschehen.
Auch in der arabischen Welt war der CCF aktiv
Mit der Zeit verbreitete sich der Congress of Cultural Freedom auf der ganzen Welt. In einem ersten Schritt wurden Büros eröffnet, anschließend Konferenzen veranstaltet und Zeitschriften publiziert – in Asien, Afrika, Südamerika und dem Nahen Osten. In Beirut wurde über fünf Jahre hinweg die Zeitschrift Hiwar herausgegeben. Ihr Chefredakteur war der palästinensische Dichter Taufiq Sayigh, den die Entdeckung der Beziehungen zwischen CCF und CIA schwer traf und der kurz darauf im US-amerikanischen Exil starb. Jedoch hatte es schon früher Verdächtigungen in diese Richtung gegeben, die Sayigh selbst dazu veranlassten, in der ersten Ausgabe von Hiwar Stellung zu beziehen: „Dies ist keine ausländische Zeitschrift, die in einem arabischen Land herausgegeben wird, sondern eine hauptsächlich arabische Zeitschrift, die ihren eigenen Charakter und ihre eigene Farbe hat, die sie von Zeitschriften in anderen Sprachen unterscheidet.“
Wie andere Publikationen des CCF auch glänzte Hiwar durch Beiträge berühmter Schriftstellerinnen und Schriftsteller, wie z.B. Badr Shakir al-Sayyab, Jabra Ibrahim Jabra, Zakaria Tamer, Mohammed al-Maghout, Layla Baalbaki, Salah Abdel Sabour, Tayeb Salih und andere. Im Nachhinein ist kaum festzustellen, wer von ihnen von der Verschwörung zwischen CCF und CIA wusste. Interessanterweise findet sich eben dieser Aspekt in der CIA-Definition von Propaganda wieder. Diese lässt sich folgendermaßen in Worte fassen: „Die effektivste Propaganda ist jene, bei der eine Person sich in die gewünschte Richtung bewegt, jedoch aus Gründen, die sie als die eigenen empfindet.“
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