Tuesday, May 28, 2019

Der Staatsstreich

Inszenierte Fallen dürfen auch im „Kampf gegen Rechts“ kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein.

von Hans Moser

Manche mögen den bisherigen österreichischen Vizekanzler Strache, andere weniger. Dessen anfechtbare Weltanschauung steht aber hier nicht zu Debatte. Es geht um die Frage, wie politische Gegner künftig miteinander umgehen sollten. Das „Ibiza-Video“ zeigt ein Vergehen des FPÖ-Vorsitzenden, das nie passiert wäre, wäre es nicht von interessierten Kreisen so inszeniert und medienwirksam bespitzelt worden. Deutsche Presseorgane wie Spiegel und SZ haben sich somit massiv in das politische Geschehen eines anderen Landes eingemischt. Bedeutet die Affäre den verdienten Sturz eines korrupten Polit-Hasardeurs? Oder handelt es sich eher um einen weiteren erfolgreichen Regime-change, ausgetüftelt in Kreisen, die jede Alternative zur etablierten Politik zu Fall bringen wollen?
Die Vorgänge um den österreichischen Vizekanzler schlagen ein weiteres Kapitel im Buch verdeckter Operationen zum Angriff auf souveräne Staaten auf. Ein hochrangiger Politiker wird unter Einsatz von quasi-geheimdienstlichen Mitteln von einem Lockvogel bereits vor zwei Jahren in eine Falle gelockt: Im informellen Rahmen einer repräsentativen Villa auf Ibiza konsumiert man Delikatessen, Champagner, Wodka und Energy-Drinks. Eine — im Film unkenntlich gemachte — Frau mit ansehnlicher Figur, angeblich eine Oligarchen-Nichte, bietet dem angetrunkenen Heinz-Christian Strache ein illegales Geschäft an.
Der Vorgang wird mit mehreren versteckten Kameras aufgezeichnet, das Material zunächst für die spätere Verwendung eingelagert und dann zu einem strategisch gewählten Zeitpunkt an die deutsche Qualitätspresse durchgestochen. Auf den ersten Blick ein Akt der politischen Aufklärung: Strache, setzen sechs! Charaktertest nicht bestanden. Frohlocken bei politischen Mitbewerbern und Gegnern, welche selbstverständlich niemals strategische Hintergrundgespräche mit dubiosen Akteuren führen.
Endlich ist der Beweis angetreten, dass Rechtspopulisten korrupt sind. Keine Frage, es ist skandalös, wenn von einem Volksvertreter Amtsmissbrauch, Vetternwirtschaft und dunkle Machenschaften begangen werden. Alle ehemaligen Volksparteien in Deutschland und Österreich haben mehr oder weniger Erfahrungen mit diesem Thema machen dürfen.
Der Fall Strache aber liegt nun insofern anders, als es sich bei dem veröffentlichten Material nicht um die Dokumentation eines tatsächlichen Vergehens, sondern um die gezielte Inszenierung eines solchen handelt. 
Man fragt sich: Wer schrieb den Plot und führte Regie im Hintergrund? Warum wurde Strache als Hauptdarsteller gecastet und nicht Jens Spahn, Claudia Roth, Sebastian Kurz oder Mutter Teresa? Wieso verging so viel Zeit zwischen der Produktion und der Ausstrahlung des Films? Wieso wurde das Machwerk ausgerechnet über deutsche Qualitätsmedien ausgestrahlt?
Festzuhalten bleibt: Der Film ist ein Artefakt, niemand kann sagen, wie sich Herr Strache nüchtern in seinen Diensträumen in Wien verhalten hätte. Wer sich mal die Unterhaltungsformate mit versteckter Kamera — „Verstehen Sie Spaß?“ — aufmerksam angeschaut hat, erkennt, wie sehr hier manipulative Psychotechniken zum Einsatz kommen, die den Opfern systematisch die Souveränität entziehen und das Realitätsprinzip inszenatorisch außer Kraft setzen. Zeigt hier jemand sein wahres Gesicht oder spielt er sich — angefeuert durch die Nebendarsteller — bloß in die zugedachte Rolle hinein? Die Grenze zwischen investigativem Journalismus, welcher über tatsächliche Begebenheiten aufklärt, und Regime Change durch das propagandistische Erzeugen eines solchen Ereignisses ist hier jedenfalls eindeutig überschritten.
Ob man nun mit den Positionen der FPÖ übereinstimmt oder nicht, ob Herr Strache tatsächlich ein durchtriebener, charakterschwacher Mensch ist, der nun zu Recht und zum Wohle der Menschheit aus dem Amt scheidet, oder bloß ein unschuldiges Opfer, spielt in diesem Zusammenhang nur eine nachgeordnete Rolle.
Es geht ums Prinzip: Möchten wir, dass dieses Verfahren ein akzeptiertes Mittel der politischen Kultur schlechthin wird? 
Was wäre, wenn das Moskauer Zentrum für unpolitische Hässlichkeit der Familie Ernmann-Thunberg einen Schauspieler vorbeischicken würde, der sich als Vertreter eines IT-Konzerns aus dem Silicon Valley ausgibt und gegen kleine Gegenleistungen der furchtlosen Greta großzügige Unterstützung bei der Mobilisierung der Klimajugend anbietet? Was wäre, wenn sich ein Lockvogel im Auftrag der AfD gegenüber der deutschen Bundeskanzlerin als Repräsentant der Open Society Foundations ausgeben und ihr finanzielle Zuwendungen durch George Soros anbieten würde?
Was wäre, wenn eine attraktive Friedenaktivistin und vorgebliche Verlagsagentin Daniele Ganser im Auftrag der NATO mit einem üppigen Buch- oder Vortragshonorar ködern würde? Wenn dann die heimlich gefilmten Personen anschließend zu einem wohlkalkulierten Zeitpunkt in der Öffentlichkeit bloßgestellt würden? Offengestanden: Wenn es unsere politischen Gegner betrifft, würden wir womöglich ein solches Ereignis voller Schadenfreude beklatschen. Umgekehrt wären wir empört, wenn einer der Unseren auf diese Weise öffentlich demontiert würde.
Doch Schadenfreude und Empörung können nicht das Prinzip einer politischen Kultur sein, die sich in den Bahnen von Recht und Gesetz bewegt, die auch die Souveränität anderer Staaten und den Willen der Wähler anerkennt. Nur zum Vergleich: Vor Gericht ist die Verwendung von illegal erworbenen Beweismitteln — etwa einer versteckten Kamera — problematisch.
Selbst einem Delinquenten werden im Rechtsstaat also Persönlichkeitsrechte zugestanden. Die öffentliche Tribunalisierung und mediale Aburteilung Straches durch die Qualitätsmedien schert sich kaum um solche Spitzfindigkeiten. Gewaltenteilung gilt nur für den politischen Raum, die Medien urteilen über Strache und sind zugleich Organ der Urteilsvollstreckung. Wir haben es hier mindestens mit einem wohlorganisierten Regime Change durch die vierte Gewalt zu tun. Denn, ob es uns passt oder nicht, die FPÖ wurde in Österreich demokratisch gewählt, die Regierung nach allen Regeln des Rechtsstaates gebildet. Ein Regierungswechsel müsste regulär auf dem Wege verfassungsmäßiger Verfahren — etwa durch Wahlen — vonstattengehen.
Doch vielleicht müssen auch noch ganz andere Fragen gestellt werden. Können wir an diesem Beispiel nicht exemplarisch die Funktionsweisen und Netzwerke des Tiefen Staates rekonstruieren? Waren bei der Produktion des kompromittierenden Materials Geheimdienste am Werk? War der Campaigner Tal Silberstein tatsächlich involviert? Welche Funktion haben die beteiligten Akteure in der Medienlandschaft, etwa der vielgerühmte und gescholtene Jan Böhmermann? Welche Rolle spielt eigentlich das sogenannte „Recherchenetzwerk“ von SZ, NDR und WDR, dessen Leiter Georg Mascolo, Journalist des Jahres 2014, Mitglied der Atlantikbrücke und der Core-Group der Münchner Sicherheitskonferenz ist? Welche Botschaft wird durch den Vorgang im Vorfeld der Europawahlen vermittelt?
Vermutlich werden in den nächsten Tagen weitere Enthüllungen folgen und die öffentliche Aufmerksamkeit mit Nebelkerzen aufwühlen. Für die politische Auseinandersetzung in Zukunft aber werden diejenigen gerüstet sein, deren Kompromatköfferchen gut gefüllt ist. Die Medienlandschaft hat nach dem Fall Relotius aber weiter an Vertrauen verspielt, wenn sie sich — wieder einmal — als Werkzeug anonymer Akteure missbrauchen lässt.
Wenn im vermeintlichen Kampf „gegen rechts“ jedes Mittel recht ist, ruinieren wir selbst alles, was eigentlich verteidigt werden müsste. 
Was könnte helfen? Mehr direkte Demokratie, politische Bildung und alternative Medien wie der Rubikon
Hans Moser ist ein österreichischer Schauspieler mit dem Markenzeichen des genuschelten Klartextes. Unvergessen ist er auch als Chart-Stürmer mit seinem Welthit „Jetzt trink’n ma noch a Flascherl Wein“. Hier dient er als Pseudonym für einen ebenso einschlägigen wie furchtsamen Rubikon-Autoren.
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