Israelischer Gelehrter stellt klar: Israel-Kritik ist nicht zwangsläufig antisemitisch
20.10.2018 • 11:16 Uhr
Quelle: www.globallookpress.com © Rene Fluger/CTK
Oft wird Kritik an der israelischen Politik als antisemitisch verunglimpft. Das verärgert immer mehr jüdische und israelische Demokraten, die sich von vielen vermeintlichen Linken im Westen alleine gelassen fühlen. Ein Veranstaltungsbericht.
von Hasan Posdnjakow
Moshe Zuckermann, emeritierter Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv und Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender, hat am Donnerstag in Berlin einen Vortrag zum deutsch-israelischen Verhältnis gehalten. Insbesondere kritisierte er die immer häufiger auftretenden Antisemitismus-Vorwürfe gegenüber Israel-Kritikern. Die Veranstaltung fand in der Urania statt. Als Mitorganisatoren fungierten die Tageszeitung junge Welt sowie der Westend Verlag, bei dem Zuckermanns neustes Buch „Der allgegenwärtige Antisemit oder die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit“ erschien.
Der israelische Wissenschaftler sprach zunächst die Kontroverse um seinen Auftritt bei einer Veranstaltung in Frankfurt am Main im Sommer des vergangenen Jahres an. Zuckermann, der selbst etwa zehn Jahre in Frankfurt lebte, kritisierte, dass deutsche Politiker wie Uwe Becker, CDU-Kämmerer von Frankfurt, sagen könnten, jüdische Israel-Kritiker wie Zuckermann seien in seiner Stadt „nicht willkommen“. Es sei eine „total verkehrte Welt“, dass der Sohn von Holocaust-Überlebenden als Antisemit bezeichnet werden könne und das von deutschen „Linken“ wie Jutta Ditfurth und Grünen wie Volker Beck unterstützt werde. Fehlgeleitete Antisemitismus-Vorwürfe würden den Kampf gegen den echten Antisemitismus schwächen, so der israelische Professor.
Zuckermann stellte fest, dass die Vertreter Israels eine absolute Verbindung zwischen Juden, Israel und dem Zionismus herstellen würden. Dem sei aber nicht so. Es gebe viele Juden, sowohl religiöse als auch linke, die nicht-zionistisch oder sogar antizionistisch seien. Es müsse für Juden möglich sein, Israel bzw. seine Politik zu kritisieren, ohne zwangsläufig als antisemitisch abgestempelt zu werden.
In diesem Zusammenhang betonte der Geisteswissenschaftler, dass es eine jüdische humanistische Tradition von Moses Mendelssohn bis Einstein gebe, die es demokratisch gesinnten Juden zur Pflicht mache, der israelischen Besatzungspolitik zu widersprechen.
Zuckermann kritisierte die verlogenen Aufforderungen, absolute Äquidistanz zwischen jüdischen Israelis und Palästinensern zu wahren. „Zwischen Herr und Knecht gibt es kein symmetrisches Verhältnis“, erklärte er. Das wahre Machtverhältnis zwischen beiden Gruppen sei klar zugunsten der israelischen Juden.
Die israelische Siedlungspolitik der letzten Jahrzehnte unterwandere die eigentlich von allen formal anerkannte Zwei-Staaten-Lösung des Nahostkonfliktes. Zuckermann warnte, dass ohne eine Zwei-Staaten-Lösung oder eine demokratische binationale Lösung Israel angesichts der demographischen Entwicklung zum Apartheidstaat werden würde. Bereits jetzt gebe es Elemente einer Apartheidpolitik in Israel.
Die sozialen Probleme in Israel würden immer wieder durch die Heraufbeschwörung angeblicher externer Bedrohungen und Sicherheitsfragen ins Abseits gedrängt. Das erkläre auch die Besessenheit des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu von Irans angeblichem Atomwaffenprogramm. Israel habe aber mehrere, sehr tiefe soziale und ethnische Spaltungslinien, etwa zwischen sekulären und religiösen Juden, westlichen und orientalischen Juden, Alteingesessenen und Neuzuwanderern, Arabern und Juden sowie eine immer gravierender werdende Spaltung zwischen Arm und Reich.
Zuckermann sprach an, dass Anfang der 1950er Jahre die Bundesrepublik und Israel bei der „Wiedergutmachung“ für den Holocaust ein Zweckabkommen eingegangen sind. Während Deutschland wieder in die Gemeinschaft der zivilisierten Völker aufgenommen werden wollte, brauchte Israel finanzielle Mittel für die Integration von Millionen von Einwanderern. Im Rahmen dieses Paktes sei die Verteidigung der israelischen Staatspolitik zur Staatsräson auch in Deutschland geworden, wie Merkel vor wenigen Jahren im israelischen Parlament selbst feierlich erklärte. Diese Linie gelte auch für die deutschen Leitmedien:
Deutsche Medien würden Israel nie ernsthaft angreifen."
Den modernen Antisemitismus gebe es Zuckermann zufolge in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert. Er sei über die Jahrzehnte ungefähr konstant bei zwanzig Prozent der Bevölkerung verbreitet gewesen. Die Aufnahme von Zuwanderern aus dem Nahen Osten führe nicht zu dem Wiederaufflammen des Antisemitismus in Deutschland. Antisemitismus sei derzeit hierzulande kein akutes Problem. Die antiisraelischen Einstellungen von arabischen und islamischen Einwanderern seien durch den Nahostkonflikt bedingt. Zuckermann betonte, dass der millionenfache Mord an Juden nicht in arabischen oder islamischen Ländern stattfand, sondern in Europa. Der israelische Wissenschaftler erklärte, dass die Lebensbedingungen der Juden in der arabisch-islamischen Welt über viele Jahrhunderte weitaus besser waren als die ihrer Religionsgenossen in Europa.
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