Über den beklagenswerten Niedergang der LINKEN, eine Welle von Missverständnissen und ein Weg, darüber hinaus
von Irene Eckert Potsdam 10. August
2018
Dominico Losurdo fehlt der Linken
Dominico Losurdo ist tot. Am 28. Juni
2018 ist der italienische Philosoph im Alter von 76 Jahren
verstorben. Sein abruptes Ableben bedeutet für die Sache des
Friedens und der Gerechtigkeit einen herben Verlust. Bis kurz vor
seinem unerwarteten Ende hat er sich unermüdlich für diese
Menschheitssache mit zunehmendem Klarblick eingesetzt, hat
öffentlich dafür in allen möglichen Foren dafür gestritten.
Losurdo hatte den seltenen gewordenen Mut, sich gegen den
NATO-verordneten soziokulturellen Mainstream auch dann zu stellen,
wenn es um ganz heiße Eisen ging. Berührungsängste hatte er keine.
Noch am 13. 05. des Jahres gab er Ken Jebsen ein höchst
aufschlußreiches, friedenspolitisch wichtiges Interview1
von über eineinhalb Stunden in deutscher Sprache, die er fließend
beherrscht. Losurdo war verheiratet mit einer Deutschen. Ein Großteil
seiner gut 22 Bücher sind in viele Sprachen übersetzt worden.
Geschult an Marx, Engels und Hegel schlug sein Herz links, er
bekannte sich und wirkte als Kommunist. Obwohl er seinen ungarischen
Kollegen Georg Lukacs schätzte, distanzierte er sich entschieden
von dessen folgenreich irriger Annahme, Deutschland sei ein ewig
reaktionäres Land. Er legt Wert auf dessen revolutionäre Tradition
und kritisiert die Selbstzerfleischung moderner Linker, dieses Land
auf 12 Jahre NAZI-Herrschaft zu reduzieren.
Anti-Deutsche und imperiale Linke
Die „Antideutschen“ hält er für nachgerade „lächerlich“.
Sie verfolgten vermutlich „andere“, „jedenfalls nicht
wissenschaftlich ausgewiesene Ziele“. Er hält diese Gruppierung
für „imperial“, aber keinesfalls für links. Den im Westen
renommierten Philosophen und Kriegsverteidiger2
Habermas zählt er zur 'imperialen Linken', dem im NATO-Raum
hochgehandelten slowenischen Kollegen Slavoj
Žižek, der den Sozialstaat anprangert, spricht er das
Etikett „marxistisch“ ab, nennt ihn einen „Neo-Anarchisten“.
Über den im Pantheon als 'Helden der Freiheit' bestatteten Karl
Popper sagt er, dieser habe versucht, den Kolonialismus zu
rehabilitieren. Mit aller Entschiedenheit wendet Losurdo sich gegen
die Gleichsetzung von Faschisten und Kommunisten, gegen die
Dämonisierung einer vorgeblich rot-schwarzen Einheitsbewegung, gegen
die Dämonisierung von Kommunisten und auch gegen die Dämonisierung
von Volks-China, das Großes geleistet habe. Stalin widmete er ein
beachtenswertes Büchlein unter dem Titel „Stalin: Geschichte und
Kritik einer schwarzen Legende“.3
Missverständnis der anti-kolonialen
Revolution
Losurdo betrachtet das Sowjetprojekt,
das Stalin-Projekt, im Kontext des globalen anti-kolonialen Kampfes.
Den Nazis ging es mit ihrer Lebensraum Eroberungspolitik gen Osten um
ein grandioses Kolonisierungsvorhaben.
Das Vorbild sah Hitler in Mein Kampf im Umgang der
amerikanischen Siedler mit den Ureinwohnern des Kontinents.
Die Linke allerdings hat laut Losurdo
die Bedeutung des anti-kolonialen Kampfes nicht verstanden. Damit
ist ein konsequenter Kampf gegen die imperialistischen Kriege
unmöglich, ja gar mancher trage noch zu deren Rechtfertigung bei.
Im Unterschied zu diesen opportunistischen Linken, denen es am Mut
zum Klartext fehlt, spricht Losurdo etwa sehr eindeutig von 'dem
kolonialen Expansionismus gegen das palästinensisch Volk'. Dagegen
müssten Linke und Deutsche eindeutig Stellung beziehen, wenn sie dem
Kolonialismus endgültig und definitiv absagen wollten. Anstelle der
von Losurdo gewählten Vokabel Kolonialismus sollte man allerdings
den präziseren Begriff Imperialismus setzen, denn darum handelt es
sich bei den US/NATO geführten Kriegen.
Während aber auf der Linken weder
Klarheit in Sachen Anti-Kolonialismus herrscht, ganz zu schweigen von
Anti-Imperialismus, wird die Vokabel Faschismus sehr leichtfertig
verwendet, wenn es gilt einer Opposition von Rechts entgegenzutreten,
ja selbst Kontakte jedweder Art mit regierungsoppositionellen Rechten
werden für verwerflich erklärt. Man übernimmt dafür sogar einen
Kampfbegriff aus dem ideologischen Arsenal der NATO-Kiste, man
spricht verschwörungstheoretisch von 'Querfront' und rückt all
jene, die unter Missachtung der Geschichte, derlei Vorhaben
bezichtigt werden, in die Nähe der Nazis. Stigmatisierung ersetzt
das Argument, die Geschichte wiederholt sich als tragische Farce.
Querfront? Volksfront? Wider
multimediale Gehirnwäsche
Dominico Losurdo machte solchen
(US-deutschen) Humbug nicht mit. Er gab nicht nur etwa gemeinsam mit
dem zum Schreckgespenst aller Linken mutierten Jürgen Elsässer
Texte gegen die NATO-Kriege heraus4,
sondern hielt sogar mit seinem wissenschaftlichen Gegner Nolte
gemeinsam Kongresse ab.5
Unterdessen weist Losurdo auf das inzwischen fast wichtigste Thema
der multimedialen Übermacht der Vereinigten Staaten hin. Diese
übermächtige NATO-Waffe gilt es zu bekämpfen, so Losurdo, wenn
der Friedenskampf erfolgreich geführt werden soll. Diese giftige
Geistesübermacht beherrscht nicht nur die Köpfe sondern auch die
Herzen und manipuliert unsere Gefühlswelt mit sehr effektiven
Propaganda-Mitteln. Schwer vorstellbar, so Losurdo, dass Linke, dies
nicht zu erkennen vermögen. 6
Man möchte dieser weisen Einsicht
ergänzend hinzufügen, dass nicht nur das Thema Anti-Kolonialismus
und damit Anti-Imperialismus der Linken mit dem Ende der
sozialistischen Staatenwelt abhanden kam, sondern auch der
Faschismus-Begriff. Zwar wird die Vokabel inzwischen inflationär
benutzt, aber die 1935 von Georgi Dimtiroff entwickelte
Faschismus-Definition hat man längst unter den Tisch fallen lassen.
Dimitroff definierte den Faschismus als Klassenherrschaft der
am meisten imperialistischen, am meisten aggressiven kapitalistischen
Fraktionen, außerdem sagte er: »Es muß uns vollkommen klar
sein, daß der Faschismus keine lokale- oder Übergangserscheinung
ist. Er stellt ein System der Klassenherrschaft der kapitalistischen
Bourgeoisie und ihrer Diktatur in der Epoche des Imperialismus und
der sozialen Revolution dar«, auf dem VII. Weltkongreß der III.
Kommunistischen Internationale 1935 und faßte die Erfahrungen der
internationalen Arbeiterklasse im Kampf gegen Faschismus und Krieg
zusammen. Damals wurde die allgemeingültige Richtschnur für diesen
Kampf festgezurrt. Sie hat an Gültigkeit nichts eingebüßt, nach
wie vor ist sie der Prüfstein für eine konsequente Haltung zum
Kampf gegen Faschismus und Krieg. 7
Der neue Faschismus wird sagen: Ich
bin der Antifaschismus
In der Juni Ausgabe 2018 der
Zeitschrift „Cicero“ zum Thema, „Wie der Westen an Russland
scheitert“ wird der einst kommunistische italienische
Schriftsteller Ignazio Silone mit Worten zitiert, die zu denken
geben: „Der neue Faschismus wird nicht sagen, ich bin der
Faschismus. Er wird sagen ich bin der Antifaschismus“.
Der neue Faschismus
hat in der Tat viele Gewänder. Gerne tritt er in der Maske des
Menschenrechtsverteidigers auf und fordert „Verantwortung zum
Schutze bedrohter Bürger fremder Nationen“. Das Acronym R2P ist
als deutsches Fremdwort eingebürgert. Gerne trägt er auch Weiße
Helme oder tritt als Heilsarmee gegen Faßbomben in Erscheinung oder
er fordert als tyrannischer feudaler Freund Vasallentreue gegenüber
einer übermächtigen Herrscherin, die Weltherrschaft beansprucht
und keinen Widerspruch duldet. Dieser neue Faschismus drapiert sich
auch gerne als Verteidiger von Demokratie und Freiheiten libertinärer
Art. Er kennt kein Vaterland und kein Geschlecht und jedes Mittel ist
ihm recht. Er sitzt bereits an vielen Schalthebeln der Macht. Dort,
aber wohin alle irgendwie links fühlenden Seelen zeigen, sitzt er
nicht. Die neurechten, populistischen Strömungen, die weltweit nur
entstehen konnten, weil eben „Die Linke fehlt“8,
sind ihm eher ein Dorn im Auge, den er herausoperiert wissen will.
Gegen
Volksverhetzung, Faschismus und Krieg
Eine neue, alle
oppositionelle Kräfte zusammen führende Volksfrontinitiative wäre
in dieser historischen Situation durchaus geboten. Das ist so, weil
die gegenwärtige imperiale Bedrohung breiteste Volksschichten bis
hinein in den Mittelstand, in die mittelständische, ja nationale
Industrie sofern noch existent, betrifft. Das ganze Volk, die
nationale Volkswirtschaft, ein reiches kulturelles Erbe, erkämpfte
demokratische und soziale Rechte sind in Gefahr. Der tiefsitzende,
überall seine Kentakeln verbreitende militärisch-industrielle
US-NATO gesteuerte Komplex bedroht ganze Völker, inklusive dem
eigenen US-Volk. Gegen dessen barbarisch-zerstörerische,
noch-herrschende Politik ist mit Hilfe der richtigen,
vorwärtsweisenden Losungen Widerstand zu mobilisieren. Dazu muß
man nicht den Sozialismus verkünden, auch eine neue kommunistische
Partei ist dazu nicht von Nöten, auch keine fußlahme Linke.
Erforderlich ist die Einsicht in die Notwendigkeit des
anti-kolonialen Kampfes. Gegen die neo-kolonialen Gepflogenheiten
einer US-geführten-NATO-Politik muss aufbegehrt werden unter
Berufung auf nationale Interessen. Gegen die uns aufoktroyierte
US-Gewalt-Unkultur ist Stellung zu beziehen. Feindbildhetze jedweder
Art gegen Personen und Staaten gleichermaßen ist genauso anzulehnen
wie rassistische Verteufelung ganzer Völker. Dazu muss man sich auch
der heute ja bereits deutlich vorhandenen Bündnispartner
vergewissern: China und Russland gehen mit gutem Beispiel voran. Die
NATO geführten Völker sind nämlich allesamt ebenso Opfer einer
imperialen Vormachtstrategie, die in den Abgrund führt, wie diese
und andere 'unbotmäßige', weil nach nationaler Unabhängigkeit
strebende Staaten. Damit werden alle NATO-bedrohten Länder zu
potentiellen Verbündeten, weil sie den gleichen Hauptgegner haben.
Die
Volksfrontinitiative, die 1935 vom VII.Weltkongress der KI ausging,
kam damals viel zu spät, wurde nicht wirklich begriffen und
folglich nicht konsequent umgesetzt. Volksfront bedeutet natürlich
nicht nur Zusammenarbeit von Kommunisten,Sozialisten, Linken, die es
außerdem heute in der NATO-Hemisphäre praktisch wirksam nicht
mehr gibt. Volksfront bedeutet die Konzentration aller nationalen,
anti-kolonialen Kräfte gegen den Hauptfeind, gegen
sozialräuberischen Militarismus und Krieg, gegen die aufoktroyierte,
selbstzerstörerische Politik der Sanktionen, gegen einen
unheilvollen Handelskrieg, gegen die unerträgliche Hetze wider
gewählte Staatslenker. Diffamierung, Ausgrenzung und Intoleranz
gegenüber mainstream-kritischen Stimmen muss entschieden begegnet
werden. Dissens muss ausdrücklich erlaubt sein, die einst vorhandene
Diskurs- und Widerspruchskultur muss wieder belebt werden und zwar
nach allen Richtungen. Vielfalt statt Einheitsbrei, Diplomatie statt
Gewalt und Fäusteballen. Der Auseinandersetzung mit Worten statt
mit dem Holzhammer oder der Atomkeule muss Raum gegeben werden.
Kooperation statt Konfrontation ist angesagt: Für eine multipolare
Welt.
2
„Bereits vor 15 Jahren rechtfertigte Habermas den Nato-Krieg gegen
Serbien und die WSWS wies nach, wie die „Kritische Theorie“ zur
Kriegstheorie mutierte.“
https://www.wsws.org/de/articles/2014/06/18/habe-j18.html
3
,„Losurdo
zeigt im Stalin-Buch (noch einmal), dass der deutsche Faschismus
keineswegs einen „Sonderweg eines unverbesserlichen Volkes“
darstellt ... Die Kolonialisierung Osteuropas entlehnt Hitler in
Mein Kampf dem Umgang der amerikanischen Siedler mit den Indianern
(204). Hitlers „Endlösung“ war weder die erste, noch die
letzte in der westlichen Welt.“
http://www.helmutdunkhase.de/stalin.pdf
4betrifft
Siehe etwa : Die DEUTSCHEN von Domenico
Losurdo hrsg. von Jürgen Elsässer . Der ebenfalls
entsprechend stigmatisierte Erfolgs-Journalist Ken Jebsen macht im
Interview mit Losurdo am 13. 05. '18deutlich, welch weite Reise von
ganz links nach rechts der ehemalige Chefredakteur der Jungen Welt,
Jürgen Elsässer von der „Konkret“ über das „Neue
Deutschland bis hin zur AFD-Unterstützung hinter sich gebracht
hat.
Sonderweg eines unverbesserlichen Volkes?
112 Seiten, Taschenbuchausgabe, 2013
2. Auflage COMPACT Band 15, 7.50 € Bestell-Nr. 12015
Sonderweg eines unverbesserlichen Volkes?
112 Seiten, Taschenbuchausgabe, 2013
2. Auflage COMPACT Band 15, 7.50 € Bestell-Nr. 12015
5Siehe
Interview mit Jebsen
6https://www.youtube.com/watch?v=EasZCrFjcWQ
7http://www.mlwerke.de/gd/biographie.htm
8Dominico
Losurdo zieht in seinem Buch „Wenn die Linke Fehlt“ diese
Schlussfolgerung nicht, sie zu ziehen ist aber unbedingt
erforderlich.
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