Buchbesprechung von Irene Eckert, 1. Mai 2018
„Leo Trotzkis Kollaboration mit Deutschland und Japan“ Grover Furr1
Wer heute über Russland, den Erhalt
des Weltfriedens und die Gerechtigkeitsfrage nachdenkt, darf von
Stalin und Trotzki nicht schweigen.
Das real existierende, laute Schweigen
in Deutschland über die vor 75 Jahren verlorene Schlacht um
Stalingrad kann die Geschichte nicht ungeschehen machen, die
Erinnerung nicht gänzlich tilgen. Die den Ton angebenden Kreise
versuchen daher begreiflicher Weise das Ihre. Das von ihnen
intonierte Leitmotiv geht so:
Anlässlich des 100. Jahrestages der
Oktoberrevolution zeigt sich Gregor Gysi gegenüber dem
Deutschlandfunk überzeugt: „Stalin ist einfach ein Verbrecher“.2
Mit diesem Wort des immer noch führenden Links-Politikers
ist das bis heute ungebrochen weltweit herrschende Paradigma zur
Stalin-Ära kurz und knapp umrissen. Das Stigma „Stalinist“ wird
dagegen all jenen, wenigen Zweiflern verpasst, die entgegen der
einzig zulässigen, kanonisierten Sicht auf die 30er, 40er und
frühen 50er Jahre der Sowjetunion meinen, es habe sich doch um eine
durchaus interessante, gar von Erfolg gekrönte Periode der
russischen Geschichte gehandelt.
Ganz anders wird dem gegenüber die
Figur Leo Trotzkis behandelt. Er gilt bis heute für Historiker
und Journalisten als die eigentliche Lichtfigur, als der echte
Revolutionär.3
Bereits im Jahre 1937 tagte eine hochkarätig besetzte
US-amerikanische „Untersuchungskommission“ unter der Leitung von
John Dewey4
in Trotzkis Haus in Mexiko, um den russischen „Revolutionär“ von
allen in den Moskauer Prozessen vorgetragenen Anklagepunkten
freizusprechen. Eine seltsame Geschichte. Um so erstaunlicher, dass
genau 80 Jahre später ein amerikanischer Professor, ein
sprachgewaltiger Spezialist für Englische Literatur des
Mittelalters, in einer akribischen, zweibändigen Studie5
zu einem ganz gegenteiligen Ergebnis kommt.6
Der seit 1970 an der Montclair Universität im Bundesstaat New Jersey als bestalter Hochschullehrer tätige Grover Furr kommt zu dem
Schluss, dass Trotzki die ihm äußerst freundlich gesinnte Dewey
Kommission über seine Kontakte belogen hat. Der des Russischen und
Deutschen mächtige Forscher stützt sich nicht nur auf
Primärquellen soweit sie aus russischen Archiven überhaupt
zugänglich gemacht worden sind, sondern auch auf Arbeiten seiner Kollegen J. Arch Getty und Pierre Broue, führende
Trotzki Experten. Diese hatten, wie schon der Trotzki Biograf Isaac
Deutscher, Zugang zu den Trotzki-Archiven der Harvard Universität.
Allerdings geht Furr davon aus, dass die Archive – wie auch jene in
Russland - durchforstet, gesäubert und vorab gefälscht worden
sind, in Trotzkis Sinne. Die Fälscher waren aber nicht gründlich
genug vorgegangen, die Empfangsbescheinigungen für mit
entsprechenden Kreisen geführtem Briefwechsel blieben dem Archiv
erhalten. Der Top-Trotzki-Forscher Pierre Broue soll bereits 1980
unter den Harvard Dokumenten Belege gefunden haben dafür, dass der
'Block der7
Rechten und Trotzkisten' entgegen von Trotzkis Behauptungen real
existiert hat. Diplomatenkorrespondenz soll laut Furr weiter belegen,
dass die Deutschen im Jahre 1937 mit einem Militärputsch in der SU
und nachfolgend freundlichen Beziehungen der Militärdiktatur zu
Deutschland fest gerechnet haben.8
In Bezug auf die Ukraine war bereits erwogen worden, diese nicht von
einem Generalgouverneur, sondern direkt von einem deutschen Hetman
regieren zu lassen. Die Trotzkisten sollten der Abtrennung der
Ukraine nicht entgegentreten. Es sollte dies der Beginn der
Aufteilung UdSSR werden.9
Deutsche Firmen wie Borsig und Demag (Siemens an anderer Stelle)
sollten über den Kontaktmann in Berlin, Lev Sedov, Trotzkis Sohn
maßgeblich beteiligt werden.10
Trotzki und Sedov sollen direkt mit der Gestapo zusammengearbeitet
haben. So und ähnlich lauteten bereits die mehr oder weniger
bekannten Aussagen der in den Moskauer Prozessen 1936 -1938
Angeklagten und Verurteilten. Lev Sedov war nach 1929, dem Jahr von
Trotzkis Ausweisung aus der SU, sein wichtigster Agent in
Deutschland. Nachdem es mit dem für 1937 prognostizierten
Militärputsch nichts wurde, Tuchaschewski und seine Leute verurteilt
und hingerichtet waren, soll Lev Sedov dem Trunk, der Spielsucht und
den Frauen verfallen sein. Er starb bald darauf im Februar 1938 in
Paris an einer Blinddarmoperation.
In der Einleitung zum Dewey-Report
heißt es unter Bezugnahme auf die Moskauer Prozesse explizit: „Für
den Fall, dass Trotzki die ihm zur Last gelegten Taten begangen hat,
kann keine Verurteilung hart genug ausfallen.“11
Während aber bisher kaum einer die Protokolle der Moskauer Prozesse
studiert hat, deren Zustandekommen als durch Folter erpresst oder
konstruiert, also als irrelevant galten, so kann Grover Furr durch
neues Beweismaterial zeigen, dass es für die Richtigkeit der
ergangenen Urteile erdrückende Belege auch außerhalb der durchaus
wichtigen Prozessunterlagen gibt, trotz vielfach manipulierter
Dokumente. Keiner der damit bisher befassten Historiker habe dagegen
auch nur die Spur eines Nachweises für die gebetsmühlenartig
vorgetragenen Foltervorwürfe erbracht.
Die Stärke von Grover Furrs
Untersuchungen der in seinen Publikationen wirklichen oder
vermeintlichen Machenschaften von Lew Trotzkji über
Chruschtschow* bis Gorbatschow nachgeht, besteht in seiner
methodologisch-geschichtskritischen Quellenreflexion und
Analysegenauigkeit. Er stellt das antikommunistische Paradigma des
Kalten Krieges mutig in Frage und fordert eine immer neu zu
reflektierende Meinungsbildung im Lichte einer neuen Beweislage.
Beweise haben keine Ewigkeitsdauer, man muss sie prüfen und
gegenprüfen, denn jegliches Beweismaterial unterliegt interessierter
Einflussnahme, ist auf mannigfache Weise manipulierbar, warnt der
Historiker. Zu fragen, so fordert er weiter, ist nach den möglichen
Motiven der Handelnden, aber auch nach den möglichen Verengungen des
eigenen Blickwinkels, der eigenen Vorurteilsverhaftung gegenüber dem
historischen Forschungsgegenstand.
Immerhin hielt die Sowjetunion trotz
aller unbestreitbaren Anfechtungen von innen und außen, entgegen den
Unkenrufen Trotzkis, entgegen der zerstörerischen Einflussnahme des kapitalistischen
Umfeldes über 70 Jahre lang dem Druck stand. Das einstige Vorbild hat
ebenso wie sein Scheitern die Welt in großem Maßstab verändert.
Es ist ein bemerkenswertes, für den Fortbestand der Menschheit, für
die Gerechtigkeitsfrage wichtiges Unterfangen, wenn ein Forscher aus
der imperialistischen Obernation auf eigene Faust versucht, der
Wahrheit über beides auf die Spur zu kommen. Hoffentlich findet sich
bald ein Übersetzer für die beiden Trotzki Bücher Grover Furrs.
Die Wahrheit, das Zutagefördern von
Tatsachen und das Vertrauen auf die Kraft menschlicher Vernunft kann
uns aus dem gegenwärtigen Dilemma wieder herausführen. Ein Dilemma
das insbesondere die einst so wirkungsmächtige Arbeiterbewegung der
Welt nachhaltig lähmt.
_____
Fussnoten:
_____
Fussnoten:
1Leon
Trotzky's Collaboration with Germany and Japan - Trotzky's
Conspiracies of the 1930s Volume II, Erythros Press and Media LL.
Kettering, Ohio 2017
2
http://www.deutschlandfunkkultur.de/gregor-gysi-ueber-ausstellung-russische-revolution-stalin.1008.de.html?
3
„Leo Trotzki war ein
russischer Revolutionär, kommunistischer Politiker und
marxistischer Theoretiker.“ (Wikipedia)
4
Dewey
, Philosoph und Pädagoge, war eines der Gründungsmitglieder
der American
Civil Liberties Union .
Mitte der 1930er Jahre wirkte er in einer Kommission mit, die die
im „Moskauer
Schauprozess“ gegen Trotzki erhobenen
Vorwürfe „überprüfte“. (Wikipedia). Anzumerken bleibt, dass J. Dewey ein ausgesprochener Anti-Kommunist war, wie alle seine Kommissionsmitarbeiter.
5Bd
I der Studie trägt den Titel „The Trotzki Amalgam“, was so viel
heißt wie „Hexengebräu' oder 'Verschwörungskonglomerat'
Trotzkis; beide Bände liegen vorerst nur auf Englisch vor. Bereits
2014 ist allerdings G.Furrs 380 Seiten umfassendes Werk
„Chruschtschows Lügen“ auf Deutsch beim Verlag Neues Berlin
erschienen. Dort werden - bis auf eine weniger relevante - alle
Aussagen des Stalin-Nachfolgers in dessen 'Jahrhundertrede' auf dem
XX. Parteitag der KPdSU als Falschaussagen entlarvt.
6Bereits
1946 hatten allerdings zwei amerikanische Investigativ-Journalisten
von der „Großen Verschwörung gegen Russland“ berichtet. Das
Buch von Michael Sayers und Albert E. Kahn wurde in viele Sprachen
übersetzt und erschien 1948 erstmals in der DDR. Nach 1953 kam es
auf den Index und verschwand. Inzwischen ist wieder antiquarisch zu
erwerben
7verbrecherische
(I.E.)
8Siehe
Fussnote 1, S. 194-95
9a.a.S.
61
10a.a.O.
S.59
11
a.a.O S. 47, übrigens bestätigte der Jurist Joseph Davies,
damaliger US Botschafter in Moskau als einer von Hunderten
ausländischer Beobachter mit und ohne Diplomatenstatus, dass die
Urteile auf erdrückendem Beweismaterial ruhten und voll
gerechtfertigt waren. Sein auswärtiges Amt bedeute ihm den Mund zu
halten. Auch der Historiker Kurt Gossweiler sowie bereits Sayers und
Kahn hatten auf Joseph Davies Urteil hingewiesen. Der von den Nazis
ins Exil gezwungene deutsche Erfolgsautor und Freund Bertolt
Brechts, Lion Feuchtwanger gehörte zu der Schar ausländischer
Beobachter der Prozesse. Seine Sicht schildert er in „Moskau 1937.
Ein Reisebericht für meine Freunde | ISBN: 9783746650203 |“
Dafür wird er bis heute mit Häme überzogen.
*Grover Furr
sprach darüber an der Humboldt Universität in Berlin am 30.05.
2015; Furr: Der
Anlass für meinen Vortrag ist die Veröffentlichung der deutschen
Übersetzung meines Buches „Chruschtschows
Lügen“.siehe:
https://saschasweltsicht.wordpress.com/2018/01/30/rede-ueber-mein-buch-chruschtschows-luegen-und-meine-weiteren-forschungen-in-berlin/
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