Sunday, April 8, 2018

Ein Funke genügt: Nato und Russland riskieren Konfrontation

Ein Funke genügt: Nato und Russland riskieren Konfrontation 

Die Nato rückt näher an Russlands Grenzen heran. Moskau antwortet mit Pufferzonen. Der Konflikt könnte sich an einem Funken entzünden und außer Kontrolle geraten. 
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Ein Mann mit einer Russland-Fahne, am am 16.03.2014 an der Bucht in Sewastopol, Ukraine. Im Hintergrund ein Schiff der russischen Schwarzmeerflotte. (Foto: dpa)
Ein Mann mit einer Russland-Fahne, am am 16.03.2014 an der Bucht in Sewastopol, Ukraine. Im Hintergrund ein Schiff der russischen Schwarzmeerflotte. (Foto: dpa)
Die russische Schwarzmeer-Flotte 2014. (Grafik: Stratfor)
Die russische Schwarzmeer-Flotte 2014. (Grafik: Stratfor)
Die Fregatte „Bayern“ läuft am 07.03.2018 aus Wilhelmshaven zu einem fast sechsmonatigen Nato-Einsatz in Richtung Ägäis aus. (Foto: dpa)
Die Fregatte „Bayern“ läuft am 07.03.2018 aus Wilhelmshaven zu einem fast sechsmonatigen Nato-Einsatz in Richtung Ägäis aus. (Foto: dpa)
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betreibt konsequent die Verschiebung von militärischen Einrichtungen an die russische Grenze und versteht es dabei geschickt, die verschiedensten Regierungen in Europa und Amerika einzubinden. Russlands Präsident Wladimir Putin betreibt konsequent die Schaffung von Pufferzonen rund um Russland. Die Aktivitäten haben sich zu einem brandgefährlichen Wettlauf entwickelt: Beide Seiten betonen, dass man nur vorsorglich und defensiv agiere und keinen Krieg wolle. Es genügt aber ein unkontrollierter Konflikt, kurzum ein Funke, um eine Katastrophe auszulösen.
Es geht um eine neue Weltordnung
Diese Woche ging der Wettbewerb an Putin, der bei dem Gipfel in Ankara den Eindruck für sich verbuchen konnte, das NATO-Mitglied Türkei auf seine Seite gezogen zu haben. Damit hat sich die Situation am Schwarzen Meer und mittelbar auch in Osteuropa grundlegend verändert. Im Osten des Schwarzen Meers, an Russlands Südgrenze herrschen jetzt ebenfalls neue Bedingungen: Im Dreiländereck Georgien, Armenien und Aserbaidschan ist die Position Russlands deutlich gestärkt.
Die Woche davor punktete Stoltenberg. Die EU-Kommission verkündete eine Art „Schengen für Panzer“: Die Mitgliedstaaten sollen Straßen und Brücken ausbauen und rechtliche Hemmnisse beseitigen, um Panzern eine freie Fahrt zu ermöglichen. Die Richtung wurde nicht genannt, gemeint ist aber der Osten. Ganz neu ist diese Politik nicht: In Polen führt eine prächtige, kaum befahrene Autobahn nach Osten an die ukrainische Grenze, dagegen ist die wirtschaftlich entscheidende Nord-Süd-Strecke nur mangelhaft ausgebaut.
Eine westliche Schwarzmeer-Flotte gegen Russland?
Am Schwarzen Meer hat Russland 2014 durch die als Folge des Maidan-Umsturzes erfolgte Eingliederung der bislang zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim seine Position gefestigt. In der russischen Militärliteratur gilt die Krim nicht nur als entscheidender Posten, um das Schwarze Meer zu beherrschen, sondern bietet auch einen idealen Ausgangspunkt um im Mittelmeer einzugreifen. Deswegen ist seit mehr als zwei Jahrhunderten die russische Schwarzmeer-Flotte an der Krim positioniert. Dies war auch durch einen Vertrag mit der Ukraine abgesichert, seitdem die Krim 1954 innerhalb der Sowjetunion von Russland zur Ukraine kam. Die Bestrebungen der NATO, die Ukraine und folglich auch die Krim enger an das westliche Militärbündnis binden, haben naturgemäß in Moskau Alarm ausgelöst.
Die NATO hat mit der Ukraine zahllose Vereinbarungen geschlossen, die das Land zwar nicht offiziell, aber faktisch zu einem Mitglied der Militärallianz machen. In dieses Bild passt beispielsweise auch die aktuell betriebene Lieferung von 210 Anti-Panzer-Raketen und 37 Raketenwerfern des Javelin-Systems aus den USA.
Der Westen wollte und will Russland mit Sanktionen zur Aufgabe der Krim zwingen, wobei man die Osterweiterung der NATO unerwähnt lässt, aber Russland als Aggressor attackiert. Die entsprechenden Aktionen erweisen sich als wirkungslos. Somit wird in der NATO die Idee verfolgt, eine eigene Schwarzmeer-Flotte zu errichten. Dem steht allerdings der immer noch geltende Vertrag von Montreux aus dem Jahr 1936 entgegen: Kriegsschiffe, die nicht von einem Anrainer-Land kommen, dürfen sich maximal 21 Tage im Schwarzen Meer aufhalten.
Also wird nun über den Aufbau einer Flotte der Anrainer-Staaten Rumänien und Bulgarien diskutiert, also jener Länder, in denen die NATO seit der Ukraine-Krise eine Eingreiftruppe und militärische Einrichtungen unterhält. 2017 wurden in dieser Region ausgiebige Manöver durchgeführt. Allerdings sind die beiden Länder selbst nicht in der Lage, eine Flotte aufzubauen. Für die NATO ist ein derartiges Projekt unter den Flaggen der beiden Staaten schwer umsetzbar.
Russland gewinnt die Türkei und ist im Kaukasus aktiv
Hier lohnt sich ein Blick auf die Landkarte. Im Norden und Westen dominiert die Ukraine das Schwarze Meer. Dann schließt im Westen Moldawien an, wo die Regierung gegen den Willen des Präsidenten und trotz der Proteste aus Moskau mit der NATO kooperiert. Weiter gegen Süden folgen die NATO-Staaten Rumänien und Bulgarien.
Die gesamte Südküste wird von der Türkei beherrscht, die immer noch NATO-Mitglied ist, aber diese Woche einen überraschenden Akzent gesetzt hat: Es wurde eine enge, militärische Kooperation zwischen der Türkei und Russland von den Präsidenten Erdogan und Putin verkündet. Womit sich das Kräfteverhältnis am Schwarzen Meer grundlegend geändert hat. Im Norden ist die Ukraine gelähmt, die Krim ist Teil Russlands geworden, Moldawien, Rumänien und Bulgarien sind als Schwarzmeer-Länder nicht relevant und der Süden ist nun durch die Partnerschaft mit der Türkei unter wachsendem russischem Einfluss. Nicht übersehen darf man, dass die Türkei unter Erdogan die Politik oft ändert und keineswegs sicher ist, dass die Freundschaft mit Russland lange hält. Jens Stoltenberg hat das Ticket nach Ankara wohl schon gebucht.
Bei der Kooperation der drei Länder, Russland, Türkei und Iran, die Syrien befrieden soll, wurden auch im Osten des Schwarzen Meers und somit im Süden Russlands neue Bedingungen geschaffen. An die Türkei grenzt im Osten – allerdings ohne Zugang zum Schwarzen Meer – Armenien an und im Osten von Armenien liegt Aserbaidschan mit einer Küste am Kaspischen Meer. Im Norden der beiden Staaten folgt Georgien mit einer langen Küste am Schwarzen Meer. Die verbleibende Zone zwischen Georgien und der Ukraine im Norden ist russisches Gebiet mit der Region Krasnodar.
Aus Moskauer Sicht gilt es, nicht nur den Westen, sondern auch den Osten des Schwarzen Meers, den Kaukasus, zu beherrschen.
– Dies wurde bereits 2008 im Krieg um Georgien demonstriert. Auch Georgien hatte sich, wie die Ukraine der NATO angenähert. Bei Tiflis betreibt die NATO ein Ausbildungszentrum für die georgische Armee.
– Mit Armenien, das seine Unabhängigkeit und Neutralität betont, kam es 2017 zu einer demonstrativen, militärischen Kooperation. Die russische und die armenische Armee führten gemeinsame Manöver durch, wobei Armenien betonte, man brauche die Hilfe Moskaus im Konflikt mit dem Nachbarstaat Aserbaidschan um das Gebiet Berg Karabach.
– Die Region Berg Karabach agiert wie ein unabhängiger Staat und will das auch offiziell sein, wird international aber als Teil von Aserbaidschan gesehen. Armenien beansprucht das Gebiet ebenfalls.
– Die im Vorjahr begründete Kooperation bindet nicht nur Armenien stärker an Russland, sondern eröffnet auch für Moskau die Möglichkeit in Aserbaidschan aktiv zu werden.
Es wird eng für Aserbaidschan
Dieser Staat, mit der Hauptstadt Baku, verfügt über reiche Ölvorkommen und betreibt die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline, die Rohöl von Ölfeldern aus Aserbaidschan und Kasachstan am Kaspischen Meer nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste transportiert. Das Land laviert zwischen den Mächten. Man betont die Neutralität, ist um gute Beziehungen zu Moskau bemüht, aber kooperiert mit der NATO und versucht sich auch mit dem mächtigen, südlichen Nachbarstaat Iran arrangieren.
Jetzt wird es allerdings eng für Aserbaidschan. Seit längerem entwickelt sich eine enge Verbindung zwischen Russland und dem Iran. Bei dem schon zitierten Treffen zur Befriedung Syriens wurde auch diese Achse neuerlich betont. Dazu kommt, dass der Iran schon seit längerem eine zwiespältige Politik gegenüber Baku betreibt. Einerseits wird kooperiert, Aserbaidschan finanziert sogar eine Eisenbahnstrecke im Iran, zum anderen baut der Iran seinen religiösen Einfluss in dem eher liberalen Land aus. Vor allem aber unterstützt Teheran Armenien und engagiert sich in Berg Karabach. Eine Rolle spielt auch der Umstand, dass Aserbaidschan zum Missfallen der Iraner gute Beziehungen zu Israel unterhält.
Im Moment jedenfalls kann Putin davon ausgehen, dass Russland im Dreiländereck Georgien, Armenien und Aserbaidschan an Einfluss gewinnt.
Fragile Freundschaft zwischen Moskau und Teheran
Das Interesse Russlands an Syrien ergibt sich aus dem Umstand, dass im syrischen Tartus der einzige russische Stützpunkt im Mittelmeer besteht. Somit ist für Moskau wesentlich, wie die politische Struktur der Region nach dem Ende der Kriegshandlungen aussehen wird.
Der Iran arbeitet seit längerem an der Schaffung eines Korridors, der die Staaten Iran, Irak, Syrien und Libanon umfasst, womit der Iran zu einer internationalen Großmacht aufrücken würde. Die Erreichung des Ziels ist nicht unrealistisch: Der Einfluss des Iran im Irak ist groß, Syriens Präsident Assad ist vom Iran abhängig, im Libanon betrachtet die mächtige Terror-Miliz das geistige Oberhaupt des Iran, Ali Chamenei, auch als ihren Führer. Die Realisierung des iranischen Großreichs scheiterte bisher am Islamischen Staat, der zwar als besiegt gilt, aber weiterhin im Irak und in Syrien aktiv ist. Auch die Türkei, die derzeit im Dreierbund mit Russland und dem Iran zusammenarbeitet, verfolgt stets eigene Großmachtambitionen und führt derzeit in Syrien einen Feldzug gegen die Kurden.
Es entsteht der Eindruck, dass Putin glaubt, die Streitparteien jetzt im Griff zu haben und Einfluss üben zu können. Ob die Freundschaft zwischen Moskau und Teheran so weit geht, muss bezweifelt werden. Nicht zuletzt, weil der Iran enge Verbindungen mit China pflegt: Der Ölexport spielt eine entscheidende Rolle, China investiert in Anlagen im Iran. Der Iran kauft zwar Atomkraftwerke von Russland, hat aber auch eine Kooperation im Nuklearbereich mit China. Außerdem findet eine militärische Zusammenarbeit statt. Die Neue Seidenstraße, Chinas Großprojekt, soll über Teheran führen.
Putin und Stoltenberg verfolgen einen Anachronismus
Der Wettlauf der beiden Akteure ist naturgemäß spannend. In den Hintergrund rückt dabei, dass beide Protagonisten dringendere und wichtige Aufgaben hätten.
– Putin ist Präsident eines Landes, das wirtschaftlich extrem schwach ist, von Rohstoffexporten abhängt, die enormen Preisschwankungen unterliegen. Eine Innovations- und Wachstumspolitik könnte das Land stärken, das wie eine Weltmacht agiert, aber Daten aufweist, die bei einer Wirtschaftsleistung von 10.000 US-Dollar pro Kopf und Jahr bescheiden sind.
– Stoltenberg vertritt mit der NATO eine Organisation, die sich nicht mehr zu definieren vermag. Aus der westlichen Allianz unter Führung der USA, die nur Mitglieder haben darf, die die demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien einhalten, ist ein Sammelsurium geworden. Die EU will eine eigene Verteidigungspolitik mit einer eigenen Armee aufbauen, kann aber weder einen Konsens der Mitgliedstaaten herstellen noch das Projekt finanzieren. Außerdem hat man sich mit dem Lissabonner Vertrag zu einer engen Abstimmung mit der NATO verpflichtet. Zudem kooperieren Länder wie Polen direkt mit dem USA, andere wie Ungarn suche enger Verbindungen mit Moskau. Die Verteidigungslinie im Osten der EU wurde von der NATO aufgebaut, die Staaten sehen sich aber unter dem Schutz der USA.
Nicht zu übersehen ist, dass die Konfrontation zwischen Putin und Stoltenberg den Konflikt des vorigen Jahrhunderts fortsetzt, also gleichem ein Anachronismus ist, allerdings ein extrem gefährlicher. Die eigentliche Konfrontation von West und Ost findet nicht mehr zwischen den USA und Russland statt, sondern zwischen den USA und China.
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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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