Rohingya (I) – Die Scheinheiligkeit westlicher Empörungsdramaturgie von Rainer Rupp
19.09.2017 • 06:45 Uhr
Quelle: Reuters
Pro-Rohingysa Aktivisten in Paris
Was ist los in Myanmars Krisenprovinz Rakhine? Es wäre nicht das erste Mal, dass ausländische Mächte ethnische Spannungen zwischen militant-nationalistischen Buddhisten und der islamischen Minderheit der Rohingya für eigene, geostrategische Ziele missbrauchen.
von Rainer Rupp
Regierungen, Mainstream-Medien aller islamischen und westlichen Staaten und Al-Kaida sind sich wieder einmal völlig einig: Die buddhistische Regierung in Myanmar ist einzig und allein am aktuellen Konflikt mit den muslimischen Rohingya schuld. Sie werfen dem Militär der Zentralregierung vor, mit unverhältnismäßiger Härte gegen die muslimische Minderheit in der Provinz Rakhine vorzugehen. Die UNO und Menschenrechtsorganisationen berichten, dass bereits 350.000 bis 400.000 Menschen über die nahe Grenze von Rakhine in das dicht besiedelte Bangladesch geflohen sind, von wo zuvor viele Rohingya ursprünglich über die "grüne Grenze" eingewandert waren.
In Zusammenhang mit der aktuellen Krise im ehemaligen Burma – so nannten die britischen Kolonialherren das heutige Myanmar – hat der UNO-Generalsekretär Antonia Guterres sogar den Vorwurf der "ethnischen Säuberung" erhoben. Westliche und islamische Politiker und Medien haben weltweit zu Hilfsaktionen für die Rohingya aufgerufen, ebenso wie die internationale Terrororganisation Al-Kaida, die ihre Anhänger auffordert, ihren "muslimischen Brüdern in Myanmar" auf ihre Weise zu "helfen".
Allerdings waren es gerade die international vernetzten Terroristen, darunter auch Al-Kaida und dieser nahe stehende Gruppierungen, die die aktuelle Krise in Myanmar überhaupt erst zum Brodeln gebracht haben. Gemeinsam mit lokalen Dschihadisten in Rakhine hatten sie bereits vor einem Jahr dort damit angefangen, zuerst buddhistische Dörfer zu überfallen, niederzubrennen und Einwohner zu massakrieren, um dann den zu Hilfe eilenden Soldaten eine Art Guerilla-Krieg zu liefern, also nach ihren Überfällen in islamischen Dorfgemeinschaften unterzutauchen.
Wo der Westen "Menschenrechte" anmahnt, ist die Fußangel nicht weit
Auch die Anti-Terror-Einheiten der Zentralregierung nehmen Berichten zufolge nur selten Rücksicht auf die muslimische Zivilbevölkerung in Rakhine. So soll es gängige Praxis sein, dass z. B. Häuser der Familienangehörigen mutmaßlicher islamistischer Terroristen vom Militär angezündet werden. Und da es sich in der Regel um Holzhütten handelt, können dabei auch leicht die Wohnungen der Nachbarn in Flammen aufgehen. Noch schlimmer wird es, wenn ein gewalttätiger buddhistischer Mob den Soldaten folgt und unter deren Schutz ganze Rohingya-Dörfer anzündet.
Diese barbarischen Zustände sind durch nichts zu entschuldigen. Wenn aber ausgerechnet westliche Politiker und Medien sich darüber aufregen, schwingt eine gewisse Doppelbödigkeit mit. Denn wenn beispielsweise israelische Soldaten nach einem palästinensischen Terroranschlag die Häuser von Verwandten der Verdächtigen mit Bulldozern plattmachen, regt sich hierzulande niemand darüber auf.
Daher ist zu bedenken: Wann immer sich der Westen besonders einmütig über tatsächliche oder angebliche Missachtungen der Menschenrechte aufregt, zugleich aber in gleichgelagerten Fällen in einem anderen Land ähnlich umstrittenes Vorgehen nicht einmal zu Kenntnis nehmen will, dann steckt in der Regel mehr als die vorgeschobene Sorge um die Menschenrechte hinter dem Protest. Ähnliches zeigt auch eine Gegenüberstellung der aktuellen Lage im Jemen und in Myanmar. Die Tragödie der Zivilbevölkerung im Jemen ist unvergleichlich größer und schrecklicher als das, was die Rohingya in Rakhine erleiden müssen.
Doppelmoral auch mit Blick auf die Nobelpreisträger
Millionen Frauen und Kinder sind im Jemen ständigen Bombardierungen ausgesetzt. In den Ruinen der Städte sind Tod, Hunger und Krankheit hunderttausender unschuldiger Menschen an der Tagesordnung. Nur hört und liest man bei uns darüber so gut wie nichts. Warum? Weil der Aggressor dort der superreiche Feudalstaat Saudi-Arabien ist. Und den hat Kanzlerin Merkel sogar zu unserem "strategischen Verbündeten" erklärt, damit die deutsche Rüstungsindustrie ihn weiterhin fleißig mit Waffen beliefern kann. Außerdem leistet auch unser großer Verbündeter USA den saudischen Interventionstruppen bei ihrem Vorgehen im Jemen Rundumhilfe, entsprechend muss das ja dann alles rechtens sein. Daher hört man von unseren Politikern und Medien auch keinen kritischen Mucks. Die tun gerade so, als würde Jemen gar nicht existieren.
Stattdessen richtet sich die westliche Empörung gegen Myanmars De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi, weil diese als Friedensnobelpreisträgerin das Militär und den buddhistischen Mob wegen der Vertreibung der Muslime nicht verurteilt. Aber auch beim Friedensnobelpreis misst der Westen mit zweierlei Maß. Preisträger Barack Obama hat in seiner Amtszeit in sechs Ländern Krieg geführt und diese weitgehend zerstört, mit Hunderttausenden von Toten und Millionen von Flüchtlingen. Aber Obama gilt in unserer von Frau Merkel so hoch gepriesenen "liberalen Weltordnung" geradezu als Heiliger.
Aung San Suu Kyi: Westen schluckt wieder einmal Fake-News
Frau Aung San Suu Kyi wirft ihrerseits ihren Kritikern vor, einem "riesigen Berg an Fehlinformationen" über Myanmar aufzusitzen. Dass man ihr nicht glauben kann, wird allein schon durch die Tatsache belegt, dass der "superböse" russische Staatschef Wladimir Putin die Regierung Myanmars wegen ihrer schrecklichen Untaten nicht einmal verurteilt hat. Allerdings haben Russland und China dafür gesorgt, dass die Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Myanmar am 13. September einstimmig verabschiedet wurde. In dieser wird nämlich die Regierung aufgefordert, "sofortige Schritte" zur Beendigung der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung zu unternehmen. Eine einseitige Schuldzuweisung in der Resolution an Myanmar haben Moskau und Peking jedoch verhindert.
Die differenzierte Reaktion der beiden nicht-westlichen Vetomächte China und Russland hat wahrscheinlich damit zu tun, dass sie sich von dem Berg an Fehlinformationen und der westlichen Propaganda nicht beeinflussen lassen. Denn die ethnische Minderheit der Rohingya ist im Laufe der Geschichte immer wieder mal von äußeren Mächten als separatistisches Instrument zur Schwächung der Zentralregierung in der Hauptstadt Rangun missbraucht worden. Auch in der aktuellen Krise scheint das der Fall zu sein.
Der ethnische Streit in und um die Provinz Rakhine spielte bereits im Zweiten Weltkrieg eine bedeutende Rolle, als die Briten im damaligen Burma gegen die Japaner kämpften. Im April 1942 zogen die japanischen Truppen in Rakhine ein und waren damit ganz nahe an der Grenze zum damals britischen Indien, heute Bangladesch, angekommen. Nachdem sich die Briten über die Grenze nach Indien zurückgezogen hatten, wurde Rakhine zur Frontlinie. Dort arbeiteten die lokalen, antibritischen, buddhistischen Nationalisten mit dem japanischen Militär zusammen, während die Briten die dort lebenden Muslime für Überfälle gegen die Japaner und ihre anti-britischen Helfer rekrutierten. Aus dieser Truppe der Nationalisten ging der Vater von Aung San Suu Kyi als großer Kriegsheld hervor, der sich in vielen Kämpfen gegen die Briten und ihre Rohingya-Helfer bewährt hatte. Die Anhänger von Aung San Suu Kyi würden es auch heute noch als Verrat empfinden, wenn sie die Rohingya in Schutz nehmen würde.
OBOR soll durch Rakhine verlaufen
Die eben geschilderte Episode aus dem Zweiten Weltkrieg und deren Nachwirkungen bis zum heutigen Tag beschreibt nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass ausländische Mächte die Reibungen und Feindseligkeiten in der Bevölkerung der Provinz Rakhine für eigene Zwecke angeheizt haben. Auch aktuell deuten alle Zeichen wieder in dieselbe Richtung. Denn in Chinas gigantischer, grenzüberschreitender Wirtschaftsinitiative "One Belt, One Road“ (OBOR) spielt Myanmar und dort speziell die Provinz Rakhine eine strategisch wichtige Rolle. Und Washington, das zunehmend Anstrengungen unternimmt, China Einfluss in Asien und einzudämmen, beobachtet Chinas Aktivitäten in Myanmar seit Jahren mit wachsendem Unbehagen.
Es wäre auch nicht das erste Mal, dass die beiden eng verbündeten Mächte USA und Saudi-Arabien in einer gemeinsamen Anstrengung islamistische Fanatiker als Terrorwaffe eingesetzt hätten, um ihre geostrategischen Ziele zu erreichen. Man denke da nur an Bosnien, an Afghanistan, an Libyen oder Syrien.
Mehr dazu in Teil II.
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