Neue Seidenstraße versus TTIP: China baut massiv seinen wirtschaftlichen Einfluss in Europa aus
6.06.2016 • 06:15 Uhr
Quelle: Reuters
Das weltgrößte chinesische Container-Schiff "CSCL Globe" im Hamburger Hafen.
Die Volksrepublik China hat in den vergangenen Monaten umfangreiche Investitionen in Europa vorgenommen. Aus Washington wird diese Tendenz argwöhnisch beobachtet. Das chinesische Projekt der "neuen Seidenstraße" steht in direkter Konkurrenz zum geplanten Freihandelsvertrag TTIP.
China baut aktiv seine Beziehungen zu Staaten der europäischen Union aus. Im weitesten Sinne könnten diese Projekte als Teil einer neuen „Seidenstraßen-Strategie“ gesehen werden. Im Jahr 2013 hatte die chinesische Regierung unter dem Titel „One Belt, One Road“ einen beeindruckenden Entwicklungsplan aufgestellt. Über Russland und den Nordkaukasus will die Volksrepublik eine feste Infrastruktur nach Europa ausbauen. Gleichzeitig entstehen eine Reihe von maritimen Projekten, um eine Schifffahrtslinie zu schaffen.
In den vergangenen Monaten kauften große chinesische Unternehmen Häfen in Griechenland und in den Niederlanden. In Griechenland, Serbien und Ungarn stiegen die Chinesen in Eisenbahn-Projekte ein. Zudem häufen sich in diesem Frühjahr die hochkarätige Staatsbesuche von Präsident Xi Jinping. Das chinesische Interesse an Europa ist nicht mehr zu übersehen. Peking hat begonnen, mehrere Milliarden Dollar in neue Infrastrukturen zu investieren. Dabei handelt es sich um Land und See-Verbindungen über Zentral- und Südasien nach Europa.
Bisher erfolgten bereits enorme Investitionen in Pakistan oder in Gas-Pipelines in Kasachstan und Usbekistan. Aber die Endstation im so genannten „Seidenstraßen-Plan“ ist Europa. Dabei spielt natürlich die Kaufkraft und der technologische Vorsprung in Europa eine Rolle. Gerade erst bewarb sich der chinesische Anlagenhersteller Midea mit bis zu 4,5 Milliarden Euro um den schwäbischen Marktführer für Industrie-Roboter, Kuka. EU-Kommissar Günther Öttinger, der in der Vergangenheit häufig und vollkommen zu Recht klagte, dass Europa die „digitale Kolonie der USA“ ist, appellierte sofort, auf die „Zukunftsträger der europäischen Wirtschaft besonders zu achten“.
Bei den jüngsten Ausweitungen der chinesischen Investitionen in Europa geht es China auch keineswegs um rein kommerzielle Motive. „Es ist nicht nur ein wirtschaftliches Projekt, es ist ein geopolitisches Projekt, und zwar ein sehr strategisches“, zitiert Foreign Policy in dieser Woche Nadège Rolland, einen Analysten des National Bureau for Asian Research. Seiner Ansicht nach benutzt Peking den wachsenden wirtschaftlichen Einfluss auf allen Kontinenten auch für ein stärkeres diplomatisches Gewicht.
Da weiterhin viele chinesische Unternehmen staatseigen sind, oder zumindest direkt aus ehemaligen Staatsunternehmen stammen, ist die chinesische Außenwirtschaft bis heute enger mit dem zuständigen Ministerium verbunden. Im Hintergrund geht es aber auch darum, Exportmärkte für die Überkapazitäten der chinesischen Industrie zu schaffen. Aus dieser Tradition verfügt die chinesische Volkswirtschaft inzwischen über gigantische Unterenehmen wie etwa die China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC), ein Bahnausrüster, der aktuell das zweitgrößte Industrieunternehmen der Welt ist, oder die China Ocean Shipping Company (COSCO), in der sich die verschiedenen staatlichen Reedereien zum weltweit viertgrößte Transportunternehmen zusammenschlossen.
Auch diese beiden Mega-Unternehmen schlossen zuletzt große Verträge in Europa ab. COSCO kaufte mehrere Häfen auf. Die CRRC baut neue Bahnstrecken in Osteuropa. Ein anderes chinesisches Unternehmen, ChemChina, hat sich im vergangenen Jahr in landwirtschaftliche Betriebe, Reifenhersteller und Werkzeugmaschinenhersteller eingekauft.
In den USA verfolgt man diese Entwicklung mit großer Sorge. Mit dem Freihandelsabkommen TTIP streben die US-Multis ebenfalls danach, in Europa einen zusätzlichen Absatzmarkt zu schaffen und Firmenzukäufe abschließen zu können. China wird nun eine ernsthafte Konkurrenz für die Amerikaner. „Die meisten chinesischen ausländischen Direktinvestitionen sind keine normalen Direktinvestitionen“, beklagt sich etwa Philippe Le Corre von der Brookings Institution. Er hat kürzlich ein Buch veröffentlicht, das vor Chinas Offensive in Europa warnt. „Mit wenigen Ausnahmen haben sie einfach den gesamten chinesischen Staat hinter sich.“
Eine unausgesprochene Absicht hinter dem Projekt „Neue Seidenstraße“ besteht darin, dass die Volksrepublik über wirtschaftliche Kooperation seine politischen Beziehungen zu den Ländern am Wegesrand verbessert. Die Vorstellung, dass China und Russland auf diesem Weg eine eurasische Integration mit Europa gelingt, ist für die amerikanische Außenpolitik der Horror. Die außenpolitische Denkfabrik Council on Foreign Relations widmete China im Jahr 2015 ihr Schwerpunktprogramm. In der Zusammenfassung heißt es, man müsse ab sofort „jeder Internationalisierung chinesischer Unternehmen mit robusten Maßnahmen begegnen“.
Tatsächlich hat Chinas Investitionsschub in Europa bereits zu einigen diplomatischen Erfolgen geführt. Die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik bemüht sich offensichtlich um China und selbst in Großbritannien wurde Präsident Xi Jinping nach große Investitionen in den Energiesektor auf dem roten Teppich empfangen. Einige der größten europäischen Staaten - etwa Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien - unterstützen die neue internationale Entwicklungsbank, die Asian Infrastructure Investment Bank, obwohl es ausdrücklich harte Warnungen aus den USA gab.
Die größten Erfolge verzeichnet die chinesische Außen- und Wirtschaftspolitik jedoch am Rande der Europäischen Union. Die dortigen Staaten haben sich in der „16+1“-Gruppe der mittel- und osteuropäischen Ländern zusammengeschlossen. Aus diesem Verbund wurden inzwischen zahlreiche Investitionen mit China abgeschlossen, vor allem im Bereich der Infrastruktur.
Aber auch die Gegenbewegung findet statt: In Kasachstan, einem wichtigen Staat an der „Seidenstraßenroute“, hat China bereits Verträge über 50 Milliarden Dollar abgeschlossen. Im April kam es zu Protesten gegen groß angelegte Landkäufe durch chinesische Unternehmen. Im Nachbarland Kirgisistan musste nach „öffentlichem Druck“ ein Vertrag über Bergbaukonzessionen mit chinesischen Firmen rückgangig gemacht werden. Aber auch in Brüssel haben sich bereits Akteure aufgestellt, die eine weitere Verflechtung mit der chinesischen Wirtschaft verhindern wollen. Anfang Mai diskutiert das Europäische Parlament den Antrag, China offiziell den Status einer Marktwirtschaft zu verleihen. Diese Anerkennung würde es chinesischen Unternehmen zum einen erlauben, einfacher Geschäftsabschlüsse in Europa zu tätigen. Andererseits würde diese Maßnahme China helfen, in die Welthandelsorganisation einzutreten. Diesen Status versuchen die EU-Kommissare, die handelspolitisch auf TTIP ausgerichtet sind, zu verhindern.
Gerade erst im April unterzeichnete Frankreich einen Deal über 40 Milliarden Dollar mit Australien. Frankreich will dem kleinen Kontinent neue U-Boote bauen, um eine angebliche „militärische Expansion“ Chinas im westlichen Pazifik zu stoppen. Australiens Aufrüstung findet ausdrücklich im Rahmen des „Pivot to Asia“ statt, mit dem die US-Außenpolitik zukünftig China eindämmen will. Auf das neue Steckenpferd, mit dem die USA ihre Einmischung in der Region rechtfertigen, die völkerrechtlichen Streitigkeiten im Südchinesischen Meer, springen auch die europäischen Staaten auf, die ansonsten gute Geschäfte mit der Volksrepublik machen. Das gibt den Amerikanern die Hoffnung, dass aus den chinesischen Investitionen bis auf weiteres keine „politische Hebelwirkung“ in Europa folgt. So hofft etwa Philippe Le Corre von der Brookings Institution: „Der europäische Teil des ‚One Belt, One Road’ wird kein Spaziergang werden.
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