MEIN NAME ist
Tair Kaminer, ich bin 19. Vor ein paar Monaten habe ich ein
freiwilliges Jahr bei den israelischen Pfadfindern in Sderot [1]
beendet. In ein paar Tagen werde ich ins Gefängnis gehen.
Ein ganzes Jahr
lang habe ich in Sderot als Freiwillige mit Kindern gearbeitet, die
in einem Kriegs-gebiet leben, und dort habe ich beschlossen, den
Dienst beim israelischen Militär zu verweigern. Ich will damit
meinen Beitrag für meine Gesellschaft zu leisten und sie zu einem
besseren Ort zu machen. Meine Verweigerung ist Teil eines
fortlaufenden Kampfes für Frieden und Gleichheit.
DIE KINDER, mit
denen ich gearbeitet habe, sind im Herzen des Konfliktes aufgewachsen
und haben von klein auf schwierige Erfahrungen gemacht, Erfahrungen,
durch die bei vielen von ihnen großer Hass erzeugt wurde, ein Hass,
den man – besonders bei kleinen Kindern – verstehen kann. So wie
sie, lernen viele Kinder, die im Gazastreifen und im Rest der
besetzten palästinensischen Gebiete in einer noch schwierigeren
Realität leben, die andere Seite zu hassen. Auch ihnen kann man
daraus keinen Vorwurf machen. Wenn ich all diese Kinder zusammen
betrachte, die nächste Generation auf beiden Seiten, und die
Realität in der sie leben, dann sehe ich kein Ende dieses Traumas
und dieses Schmerzes. Und ich sage: Es reicht!
Seit Jahren
schon gibt es keine Perspektive für einen politischen
Friedensprozess und es gibt keinen Versuch, Frieden nach Gaza oder
Sderot zu bringen. Aber solange der Weg militärischer Gewalt weiter
beschritten wird, erzeugen wir Generationen voller Hass, die alles
nur noch schlimmer machen werden. Wir müssen dem jetzt Einhalt
gebieten.
Deshalb
verweigere ich: Ich will mich nicht aktiv an der Besatzung der
palästinensischen Gebiete beteiligen, nicht an dem Unrecht, das dem
palästinensischen Volk unter dieser Besatzung zugefügt wird. Ich
will nicht mitwirken an dem Kreislauf des Hasses in Gaza und Sderot.
DER TERMIN für
meine Einberufung wurde auf den 10. Januar 2016 festgelegt. An diesem
Tage werde ich bei der Einberufungsstelle in Tal Hashomer vorsprechen
und erklären, dass ich mich weigere, Militärdienst zu leisten, und
dass ich zur Ableistung eines zivilen Ersatzdienstes bereit bin.
IN GESPRÄCHEN
mit mir nahestehenden Menschen wurde ich beschuldigt, die Demokratie
zu schädigen, indem ich den Gesetzen des Staates nicht Folge leiste.
Aber die Palästinenser in den besetzten Gebieten leben unter der
Herrschaft der israelischen Regierung, obwohl sie diese gar nicht
gewählt haben. Ich bin überzeugt, dass sich Israel, solange es ein
Besatzerstaat bleibt, auch immer weiter von der Demokratie entfernen
wird. Und deshalb betrachte ich meine Verweigerung als Teil des
Kampfes für Demokratie und nicht als einen Akt gegen Demokratie.
Man sagte mir,
dass ich mich meiner Verantwortung für die Sicherheit des Staates
Israel entziehe. Aber als eine Frau, in deren Augen alle Menschen
gleich sind und das Leben aller Menschen gleich wichtig ist, kann ich
das Sicherheitsargument nicht gelten lassen, solange es nur bei Juden
ange-wendet wird. Gerade jetzt, bei der anhaltenden Welle des
Terrors, zeigt sich ganz klar, dass das Militär nicht einmal Juden
zu schützen vermag, weil es in einer Besatzungssituation eben keine
Sicherheit geben kann. Wirkliche Sicherheit wird es erst dann geben
können, wenn das palästinen-sische Volk in Freiheit und Würde in
einem unabhängigen Staat an der Seite Israels lebt.
Es gab auch
Menschen, die sich über meine persönliche Zukunft in einem Staat
Sorgen machten, in dem die Ableistung des Militärdienstes eine so
große Bedeutung hat. Sie schlugen vor, dass ich den Militärdienst
trotz meiner Überzeugungen ableisten oder ihn zumindest nicht
öffentlich verweigern solle. Aber trotz all der zu erwartenden
Schwierigkeiten und begründeten Besorgnisse bin ich zu der
Entscheidung gelangt, meine Verweigerung öffentlich zu machen.
Dieser Staat, dieses Land, diese Gesellschaft sind mir zu wichtig, um
mich auf ein Schweigen einzulassen. Ich bin nicht so erzogen worden,
dass ich mich nur um mich selbst zu kümmern habe; bis heute ging es
in meinem Leben [stets auch] um Geben und um soziale Verantwortung.
ICH WÜNSCHE
MIR, dass meine Verweigerung, auch wenn ich für meine Person einen
Preis dafür zahlen muss, dazu beitragen wird, dass die Besatzung in
Israel ein Thema des öffentlichen Diskurses wird, weil so viele
Israelis von der Besatzung nichts mitkriegen und sie in ihrem
tägli-chen Leben vergessen - einem Leben, das im Vergleich zu dem
der Palästinenser oder sogar im Vergleich zu dem der Israelis im
Westen des Negev (in der Nähe des Gazastreifens) so sicher ist.
MAN SAGT UNS,
dass es keinen anderen Weg gibt als den der militärischen Gewalt.
Aber ich glaube, dass das der destruktivste Weg ist und dass es sehr
wohl andere Wege gibt. Ich möchte uns alle daran erinnern, dass es
Alternativen gibt: Verhandlungen, Frieden, Optimismus, den
aufrichti-gen Willen, in Gleichheit, Sicherheit und Freiheit zu
leben.
Man sagt uns,
dass das Militär nichts mit Politik zu tun hat. Aber den
Militärdienst zu leisten, ist eine politische Entscheidung von
großer Bedeutung, genau wie seine Verweigerung.
Wir, die jungen
Leute, müssen die Bedeutung dieser Entscheidung in ihrer ganzen
Tragweite verstehen. Wir müssen die daraus folgenden Konsequenzen
für unsere Gesellschaft verstehen. Nachdem ich diese Bedeutung
erfasst habe, lautet meine Entscheidung: ich verweigere. Das
Militärgefängnis schreckt mich sehr viel weniger als die
Vorstellung, dass unsere Gesellschaft ihre Menschlichkeit verliert.
Die Übersetzung wurde von amnesty
international angefertigt und von SALAM SHALOM leicht überarbeitet.
[1]
Sderot
ist eine Stadt im südlichen Israel,
im Westteil der Negev-Wüste, unweit des nördlichen Gaza-streifens.
Sie wurde 1951 auf dem Land des palästinensischen Dorfes Nadschd
gegründet. Dessen Einwohner waren 1948 von jüdischen Truppen nach
Gaza
vertrieben worden. Das Dorf selbst war seinerzeit vollständig
zerstört worden. Die ehemaligen Bewohner und ihre Nachkommen leben
bis heute als Flüchtlinge im Gazastreifen.
Am 3.Mai 2016 wurde Tair zum fünften
Mal verurteilt, diesmal zu 30 Tagen Gefängnis.
SALAM SHALOM
Arbeitskreis Palästina-Israel e.V.
www.salamshalom-ev.de
salamshalom.ak@gmail.come Verantwortung.
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