Cathrin Schütz, Diplompolitologin und jW-Autorin, war ab 2002 Mitglied im Verteidigungsteam von Slobodan Milosevic vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Unter ihrer Mitarbeit erschien dazu 2006 im Zambon-Verlag das Buch »Die Zerstörung Jugoslawiens – Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern« (4. Auflage 2014, 263 Seiten, 10,00 Euro)
Am heutigen Freitag, dem zehnten Todestag von Slobodan Milosevic, findet eine Mahnwache vor dem Jugoslawien-Tribunal (ICTY) in Den Haag statt. Im Aufruf wird verlangt, dass diese Einrichtung ihre Tätigkeit einstellt. Sie vertreten diese Forderung schon seit längerem, warum?
1993 hatte der UN-Sicherheitsrat mit der Gründung des ICTY – jetzt »Restmechanismus« genannt – der UN-Charta hohngesprochen. Er kann als höchstes Exekutivorgan der UN kein Justizorgan unter seiner Schirmherrschaft einrichten. Im Statut des Internationalen Gerichtshofs (IGH), der höchsten Rechtsinstanz im UN-System, wird erklärt, dass nur Staaten als Parteien vor dem Gerichtshof auftreten können, aber das Statut des ICTY baut auf das Prinzip der »persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit«. Damit wurde dem damals noch bestehenden Jugoslawien und auch den neu gegründeten Teilstaaten ohne ihre Zustimmung das souveräne Recht auf ihre Justizhoheit entrissen. So spielte das ICTY schon durch seine Gründung eine bedeutende Rolle bei der Auflösung des bestehenden internationalen Rechtssystems zugunsten einer »neuen Weltordnung«. Das ICTY agiert als verlängerter Arm der NATO und versucht der Gewaltanwendung gegen Jugoslawien den Anschein des Rechts zu verleihen. Es schützt jene Staaten, die die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien zerschlagen, die kroatischen und bosnisch-muslimischen Kriegsparteien bewaffnet und 1999 einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien geführt haben.
Warum halten die USA, Deutschland und die anderen NATO-Mächte bis heute am ICTY fest?
Der NATO-Angriff auf Jugoslawien muss als Türöffnerkrieg für die unzähligen Aggressionen gesehen werden, die ihm folgten. Hier wurde alles erprobt, was wir heute sehen: die Zerstörung des Völkerrechts, die Aushebelung der Vereinten Nationen, die NATO-Aggression ohne UN-Mandat, die Zerstörung souveräner Staaten, massive Kriegspropaganda zur Rechtfertigung angeblich »humanitärer Kriegsgründe«. Jene, die damals zu Kriegsverbrechern erklärt wurden, gilt es zu verurteilen, um die Legende aufrechtzuerhalten, wonach das Eingreifen der NATO unvermeidbar war.
Für den 24. März, den 17. Jahrestag des Beginns des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien, ist die Verkündung des ICTY-Urteils gegen Radovan Karadzic angekündigt. Wie beurteilen Sie den Verlauf dieses Prozesses?
Ich habe in meiner Zeit am ICTY viele Prozesse erlebt. Alle sind Schauprozesse. Karadzic wird wegen Völkermords in Srebrenica verurteilt werden. Wer die Bücher von Alexander Dorin kennt, der die Ungereimtheiten wie kein anderer aufdeckt, wird wissen, wie das einzuordnen ist.
Im Aufruf zur Mahnwache ist davon die Rede, dass die NATO-Staaten immer noch »monströs die Dämonisierung der Serben« betreiben. Wo liegen die Gründe dafür? Immerhin bemüht sich die jetzige serbische Führung um Einvernehmen mit EU und NATO.
Hier geht es in erster Linie darum, dass die Verbreitung der Propagandalügen von damals, die längst als solche entlarvt werden konnten, bis heute forciert wird und diese gar Einzug in die Schulbücher halten. Nach Lesart der NATO-Kriegstreiber sind die Serben das Tätervolk, ist Milosevic der zweite Hitler. Das heutige Bemühen um Serbien ist Teil der aggressiven Politik gegen Russland, dessen Einfluss es zu verdrängen gilt.
Der Publizist Otto Köhler sagte auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar 2015 in Berlin : »Unsere Intellektuellen, Hans Magnus Enzensberger an der Spitze, haben Slobodan Milosevic zum Hitler ernannt, damit die Bundeswehr endlich 1999 den Krieg gegen Jugoslawien fortführen konnte, den Hitler 1941 begonnen hatte.« An der Haltung gegenüber dem früheren jugoslawischen Präsidenten Milosevic, die Leute wie Enzensberger und die großen deutschen Medien 1999 einnahmen, hat sich nichts geändert. Hat er nach Ihrer Kenntnis auf Derartiges reagiert?
Slobodan Milosevic hat sich vor dem ICTY selbst verteidigt. Weil er das Tribunal als politisches Machtinstrument erkannt und die Anklage gegen ihn als politische, nicht juristische bewertet hat, hat er sich ebenso politisch verteidigt. Ähnlich wie Georgi Dimitroff hat auch Milosevic nicht nur sich selbst verteidigt, sondern sein Volk und die Wahrheit. Er hat seinen Prozess genutzt, um die NATO auf die Anklagebank zu stellen, um die Rolle Deutschlands bei der Zerschlagung Jugoslawiens aufzuzeigen und die fatale Einmischung der USA zu beweisen. Umgeben wurde er von jenen, die den Mut hatten, zu seinen Gunsten öffentlich für ihn einzutreten. Darunter fand sich Peter Handke mit seinem unermüdlichen Einsatz für »Gerechtigkeit für Serbien« wie auch viele westliche und auch aus Deutschland stammende Politiker, Journalisten, Polizisten, Militärs, die in das Kriegsgeschehen als Augenzeugen involviert waren und die beschlossen, ihrem Gewissen zu folgen und nicht ihren Auftraggebern und das Schweigen zu brechen. Viele von ihnen haben, unbeachtet von den westlichen Medien, als Zeugen der Verteidigung im Prozess ausgesagt und die Anklage tief erschüttert.
Die Todesumstände von Slobodan Milosevic in der Haft waren dubios. Gibt es neue Erkenntnisse?
Ich würde die Umstände nicht als dubios bezeichnen. Dubios war vielmehr die Untersuchung, die erfolgte. Milosevics Herzkrankheit war weithin bekannt. Ärztlicher Rat, der ausreichende Schonung und adäquate Behandlung forderte, wurde regelmäßig ignoriert, sein Arbeitsvolumen durch enge Prozesstermine und den kurzfristigen Austausch von Zeugen massiv erhöht. Schon Monate vor seinem Tod haben wir davor gewarnt, dass man ihn zermürben und schwächen will, um seiner Verteidigung zu schaden. Wie wir später über Wikileaks erfahren haben, hat man über seinen Gesundheitszustand aus dem Gefängnis heraus stetig an die US-Regierung berichtet. Milosevic hat schließlich eine Behandlung in einer Herzspezialklinik in Russland beantragt. Man sagte, diese sei nur möglich, wenn die nötigen Sicherheitsgarantien seitens Russlands vorlägen. Als diese vorlagen, hat man ihm die Behandlung untersagt. Wenige Tage darauf wurde er tot in seiner Zelle gefunden. Obwohl Milosevic kurz vor seinem Tod in einem Brief an die russische Botschaft die Befürchtung geäußert hat, dass man ihn vergifte, wurden die Todesumstände bis heute nicht unabhängig untersucht. Das ist dubios! Das ICTY hat den Fall mit einem internen Bericht, der die Beteiligten jeder Verantwortung entbindet, abgeschlossen. Milosevics Familie hat den kanadischen Anwalt Chris Black mit weiteren Untersuchungen beauftragt. Unklar bleibt u. a., wie zwei im ICTY-Bericht genannte Substanzen in Milosevics Körper gelangen konnten. Blacks Bemühungen sind jedoch im Sand verlaufen, weil die beteiligten Behörden und forensischen Institute mit Verweis auf ein Abkommen mit dem ICTY keine Informationen herausgeben. Gelungen ist es jedenfalls, einen sich selbst verteidigenden Milosevic, der es wagte, die wahren Motive der NATO aufzudecken, zum Schweigen zu bringen. Sein Agieren widersprach dem Sinn der Erfindung des ICTY und durfte nicht sein.
Vor zwei Jahren bekannte Exbundeskanzler Gerhard Schröder freimütig, er habe 1999 mit dem Jugoslawien-Krieg Völkerrechtsbruch, also ein Kriegsverbrechen begangen. Er sagte damals auf einem Forum der Zeit, »unsere Flugzeuge, unsere Tornados« seien nach Serbien geschickt worden, »und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt – ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte«. Gab es Versuche, Schröder juristisch zu belangen?
Bei der Bundesanwaltschaft gingen 1999 viele Strafanzeigen wegen der Vorbereitung eines Angriffskrieges bzw. der Aufstacheln zum Angriffskrieg ein. Es wurden jedoch keine Ermittlungen eingeleitet. Begründet wurde es damit, dass Anhaltspunkte für eine Straftat fehlten. Auch vor dem ICTY wurden Strafanzeigen gestellt. Dabei ging es um die als »Kollateralschäden« bekannt gewordene Bombardierung von Zivilisten, Krankenhäusern, Schulen u. s. w. Das ICTY hat ebenfalls und nicht überraschend keine Anklagen erhoben, weil man den NATO-Staaten keine Absicht nachweisen könne. Aus dem entsprechenden Bericht geht hervor, dass sich die Ermittler des ICTY bei ihrer Untersuchung fast ausschließlich auf NATO-Quellen berufen haben.
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