Mit dem Irak, dem Land zwischen Euphrat
und Tigris, verbinden Bewohner unseres heutigen Zeitdorfes trostlose
Bilder von Gewalt und Verwüstung. Die Zerstörung auch der antiken
Zeugnisse jener »Wiege der Menschheit« durch anglo-amerikanische
Bomben zeigt an, in welchem Maße der Menschheit das Bewußtsein von
Geschichte und Zusammengehörigkeit verloren geht. Alle sozialen
Übereinkünfte werden durch den Krieg außer Kraft gesetzt.
Im Nachbarland Syrien, zwischen
Mittelmeer und Euphrat, sieht die Welt ganz anders aus. Was sich den
Reisenden hier bietet, ist ein Bild des Friedens, religiöserer
Toleranz und orientalisch bunter Geschäftigkeit, das Bild eines
Landes im Aufschwung, das auf Kooperation mit dem Westen, mit Europa,
setzt.
Längs der 100 Kilometer Autobahn von
Damaskus nach Homs, der großen Industriestadt, reiht sich eine
Anpflanzung an die andere: Pinien und Zedern. Der breite grüne
Aufforstungsgürtel sticht ab gegen die lehmfarbigen Hänge des
Anti-Libanon-Gebirgszuges zur Linken und gegen die zementgrauen,
halbfertigen Neubausiedlungen der Ortschaften, meist unverputzt,
übersät mit Satellitenschüsseln. Lastwagen aller Arten sind
unterwegs, uralte Busse mit holzumrandeten Fenstern und private
Personenautos, deren Zahl in die Höhe geschnellt ist, seit die hohen
Einfuhrsteuern herabgesetzt worden sind.
Die Bevölkerung des Landes hat sich in
den letzten dreißig Jahren – auch dank der Investitionen ins
öffentliche Gesundheitswesen – weit mehr als verdoppelt: von knapp
acht Millionen auf etwa 19 Millionen, von denen 75 Prozent jünger
als 30 Jahre sind; das Durchschnittsalter soll bei 16 Jahren liegen!
Die meisten Kinder lachen und winken; wohin man geht oder blickt,
begegnen einem Schüler und Studenten. Seit 1970 besteht die
neunjährige Schulpflicht, ab der zweiten Klasse lernt man
Fremdsprachen, heute überwiegend Englisch. Neben den fünf großen
staatlichen Universitäten gibt es inzwischen auch private
Hochschulinstitute, internationale Kooperationen werden ausgebaut,
der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat in Damaskus einen
eigenen Vertreter. Die Wirtschaftsreformen seit Beginn der 90er Jahre
haben das Land für Privatinvestitionen aller Art geöffnet; die
Bautätigkeit ist unübersehbar.
Das säkular-sozialistische System der
Baath-Partei unter den Präsidenten der Assad-Familie, deren
Konterfeis an den Wänden einem auf Schritt und Tritt begegnen, läßt
sich mit westlichen Begriffen schwer fassen, der Orient ist hier mit
einem Hauch von DDR und Kuba überzogen. Dabei sind aber die
orientalischen Familienstrukturen vorherrschend geblieben, bei
Christen wie bei Muslimen, die hier seit Jahrhunderten mit- oder
nebeneinanderleben.
»Ein Volk lehrt Toleranz« lautete
kürzlich der treffende Titel eines Zeit-Artikels von Charlotte
Wiedemann, denn »Toleranz ist pragmatisch und Friedfertigkeit
vernünftig«. Moscheen und Kirchen stehen dicht beieinander, allein
elf verschiedene christliche Konfessionen, katholische und orthodoxe,
leben als kleine Minderheiten neben der großen sunnitischen
Mehrheit, den Schiiten und weiteren moslemischen »Sekten« wie
Drusen oder Alawiten. Letzteren gehört auch der Assad-Clan an. Die
Alawiten konzentrieren sich um die Hafenstadt Lattakia am Mittelmeer,
wo man fast überhaupt keine verschleierten Frauen sieht, sondern
eher Jeans und kurze Röcke, und wo große Hotels nach westlichem
Muster entstehen.
Man kann sich kaum eine pluralere
Gesellschaft vorstellen, zusammengesetzt aus mehreren Ethnien, die in
unterschiedlichen Landstrichen leben. An der Mittelmeerküste wähnt
man sich in Ligurien oder Umbrien: endlose Olivenplantagen und
Obstkulturen. Im Nordwesten zur Türkei hin steile Gebirge, dann der
meeresähnliche Assad-Stausee am Euphrat, dessen Bau mit
sowjetrussischer Hilfe den Schlüssel für die Urbarmachung und
Bewässerung weiter Teile des Landes bildete. Syrien ist immer noch
überwiegend ein Agrarland, aber selbst die weite Wüstensteppe
Richtung Irak und gen Süden, nach Jordanien hin, ist elektrifiziert,
kleine Erdölpumpen fördern die Energie für den nationalen Bedarf
zutage, das Erdgas wird großteils exportiert. Die dort in
Lederzelten oder flachen Lehmbauten lebenden Beduinen sind
Halbnomaden; sie ziehen mit ihren Schaf- und Ziegenherden nur noch
zeitweise umher.
Hier werden auch die wertvollen, zum
Export bestimmten Erze abgebaut, Kupfer und Phosphate, und auf
Eisenbahnwaggons verladen, die man quer durch die Steppe rollen
sieht; einst führte die Bahnlinie von Aleppo bis nach Bagdad.
Etwa 120 Kilometer vor der Grenze zum
Irak haben clevere junge Beduinen ein »Bagdad Café« eröffnet, in
Anlehnung an den gleichnamigen Film von Percy Adlon mit Marianne
Sägebrecht (deutscher Titel: »Out of Rosenheim«); ein
Original-Filmplakat hängt über den Wasserpfeifen. Sie wollen neben
ihrem Zelt demnächst ein kleines Hotel eröffnen. Syrien setzt auch
auf den Ausbau des Tourismus. In Damaskus fand gerade im April die 3.
Internationale Tourismusmesse statt, laut Syria Times mit
hoffnungsvollen Perspektiven.
Die Reiseziele sind unvergleichlich:
Etwa 25 aufeinanderfolgende Zivilisationen haben hier seit fast
10.000 Jahren ihre Spuren hinterlassen, die derzeit an 3000 Stätten
ausgegraben werden; viele europäische Archäologen sind im Lande,
und ich hatte das Privileg, eine deutsche Grabung (Technische
Universität Berlin) in Resafa näher kennenzulernen.
Der Schauer, der einen überkommt, wenn
auf dem Grabungshügel von Ebla auf der einen Seite die Sonne unter-
und direkt gegenüber der Vollmond aufgeht, ist kaum zu beschreiben.
In dem immensen Tempel des Baal in Palmyra verspürt man einen Hauch
von Unendlichkeit. Und nach dem Aufstieg zur Zitadelle von Aleppo
begreift man, weshalb sie zu den Weltwundern zählte.
Auf dem mit zwölf Kilometer Länge
größten Bazar des Nahen Ostens in Aleppo fällt auf, wie
selbstbewußt, freundlich und interessiert die Menschen den Besuchern
aus Europa begegnen. Man kommt leicht ins Gespräch, viele können
Deutsch, Englisch oder Französisch und fragen nach unserer Meinung
über ihr Land. Und ob wir es tatsächlich für einen »Schurkenstaat«
halten.
Allein in Damaskus lebt etwa die Hälfte
der rund zwei Millionen Kriegsflüchtlinge aus dem Irak. 2006 kam
eine halbe Million Menschen aus dem Libanon hinzu. Auch etwa 600.000
Palästinenser sind im Lauf der Jahre mehr oder weniger integriert
worden. All das bisher erstaunlicherweise ohne wesentliche Probleme –
wenn man von der Teuerungsrate absieht, die alle beklagen. Wohnraum
in den Riesenstädten wird auf dem freien Markt langsam unbezahlbar.
Und die Arbeitslosigkeit nimmt nicht ab, wenn immer mehr Menschen
zuströmen.
Europa wäre gut beraten, Syrien bei
der Integration der Flüchtlinge stärker zu unterstützen. Italien,
Deutschland und Frankreich sind Syriens wichtigste Handelspartner.
Sie können viel dazu beitragen, daß das Land eine Bastion des
Friedens im Nahen Osten bleibt.
Erschienen in Ossietzky 10/2007
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