Alp KAYSERİLİOĞLU
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Lower Class Magazine
Die Ereignisse um Griechenland und die Interpretationen davon überschlagen sich. Am Montag, dem 13. Juli ging die griechische Regierung mit der Troika ein Abkommen über die Aufnahme von Verhandlungen bezüglich eines dritten Memorandums für Griechenland ein, das es in sich hat, von Varoufakis selbst mit dem Militärputsch von 1967 verglichen wird und jedenfalls Griechenland in eine Halbkolonie unter der Verwaltung der Troika verwandeln wird, falls es durchgesetzt wird. Parallel zu diesen Entwicklungen ist die linke Grexit-Debatte, insbesondere im deutschsprachigen Raum, wieder aufgeflammt.
Die Debatte um den Grexit, verbunden mit der strategischen Perspektive bezüglich der EU und der sozialen Revolution, sind keineswegs kleine Szenescharmützel mehr, denn hier geht es aufgrund der historischen Umstände (andauernde Weltwirtschaftskrise, parallel hierzu Hegemoniekrise, Massenbewegungen insbesondere in Italien, Spanien und vor allem Griechenland) in der Tat ums Ganze, um ein Wiedererlangen einer genuin revolutionären, linken Perspektive, die sich nicht auf dem Gegebenen und den unmittelbaren Möglichkeiten ausruht und vor der Übermacht des organisierten Finanzkapitals resigniert, sondern unter gegebenen Umständen endlich anfängt, zu riskanterer und offensiverer Praxis voranzuschreiten. Gerade diese wird, unter Bedingungen einer umfassenden ökonomischen Krise, der Erschütterung der Hegemonie, den erbarmungs- und kompromisslosen Angriffen des Kapitals und der Massenaktivität der Völker und Werktätigen an unterschiedlichen Enden und Ecken der Welt und Europas gegen jene Angriffe überhaupt erst zu einer Stärkung der Linken führen können.
Das SYRIZA-Experiment und die Debatte um den linken Grexit
Das SYRIZA-Experiment in Kürze. Bevor ich meinen Beitrag zu dieser Debatte, der klar für einen linken Grexit optiert, ausführe, möchte ich einmal kurz pointieren, unter welchen Umständen SYRIZA an die Macht gekommen ist und welche Lehren man aus 6 Monaten linker Regierung ziehen muss. Ich fasse hier meineAnalysen und Ergebnisse aus drei früheren, teils sehr langen Aufsätzen zu eben diesem Thema zusammen.
[1]
Die neoliberale Umstrukturierung Griechenlands hatte, wie fast überall, zu stark sinkenden Einnahmen und steigenden Defiziten des Staates geführt; zusätzlich wurde vor allem seit und mit der EU-Integration weite Teile der bis dahin intakten griechischen Industrie und Landwirtschaft durch nun frei ins Land flutende und aus kapitalistischer Perspektive wohlfeil produzierte Waren der Kapitalisten der europäischen Zentren in Grund und Boden konkurriert. Worüber sich das griechische Kapital kaum beschwerte, weil zugleich ein massiver Influx an überschüssigem Kapital, das in den imperialistischen Zentren nicht angelegt werden konnte, in Form von Krediten und Direktinvestitionen, ins Land floss. Hiervon profitierte auch das griechische Kapital in einigen wenigen Sektoren (Tourismus, Reederei, Bauindustrie) massiv, indem es diese Kredite zwecks Investitionen in Privatisierungen oder Ausweitung der ausländischen Geschäfte, vor allem am Balkan, nutzte (was insbesondere auf die Textilindustrie und die Banken Griechenlands zutrifft) oder eben als Konsumentenkredite an die Haushalte weitergab, die bei beachtlichen nominalen Lohnerhöhungen wegen ebenso beachtlicher Inflation real eigentlich eher mit stagnierenden bis fallenden Einkommen konfrontiert waren. Aber auch der Staat verschuldete sich zunehmend und zwar vor allem bei privaten ausländischen Gläubigern (primär französische, schweizerische und deutsche Banken) zwecks Kompensation der einbrechenden Einnahmen.
Mit der Weltwirtschaftskrise floh auch aus Griechenland das Finanzkapital. So gerieten die griechischen Banken in massive Liquiditätsengpässe und der griechische Staat musste einspringen, damit sie nicht pleite gingen. Erst hierdurch schnellten die Staatsschulden in die Höhe und siehe da, die griechische Krise war am Start, die Troika und die Memoranda wurden geboren. Das Ergebnis der Memoranda waren eine regelrechte Zertrümmerung der griechischen Wirtschaft und ein ausuferndes soziales Elend, beides in einem Format, das im Umfang seiner Destruktivität fast einzigartig ist in der Moderne bei Friedenszeiten.
[2]
Es war dies zugleich die Geburtsstunde des massenhaften griechischen Widerstands, der sich unter anderem in mehreren Dutzend Generalstreiks niederschlug. Die Troika blieb unerbittlich, all die Papandreous‘, Venizelos‘, Papadimos‘ und wie sie alle heißen machten früher oder später den Buckel und krochen vor der Troika. Aber das griechische Volk hatte genug: es war die Sternstunde von SYRIZA.
SYRIZA war aktiv in unterschiedlichen Kämpfen beteiligt, fuhr eine Anti-Memorandumspolitik und traf sich hier mit den aktuellsten und brennendsten Problemen und Forderungen des kämpfenden griechischen Volkes. „Raus mit der Troika, ein Ende mit den Memoranden, keine Austerität mehr, Annullierung der Schulden!“ waren die unmittelbaren Forderungen, mit denen SYRIZA 2015 an die Regierung gewählt wurde. An denen war nichts falsch, im Gegenteil, aber ein genauerer Blick und eine genauere Analyse der Programmatik und Praxis von SYRIZA hätte schon damals aufgezeigt, was die zentralen Probleme bei SYRIZA waren respektive werden sollten.
Es ist einigermaßen bekannt, dass sich SYRIZA grob in einen sogenannten linken und in einen sogenannten rechten Flügel einteilen lässt und dies schlug sich auch in den Parteiprogrammatiken und Handlungen der linken Koalition, später Partei, nieder. Allerdings kann man, wenn man die Programme und die Handlungen genauer und vor allem in ihrer geschichtlichen Entwicklung untersucht, eine eindeutige Hegemonie des rechten Flügels erkennen.
Dem rechten Flügel zufolge hat die derzeitige Staatsschuldenkrise Griechenlands zwar etwas mit Klassenverhältnissen zu tun, aber nur insofern, als es ungerechte und falsche Steuersysteme in Griechenland gibt, die eben zu niedrigen Staatseinnahmen führten und die hohen Einkommen, die Korruption und die Steuerflüchtigen bevorteilten. Eine Vorstellung von Klassenverhältnissen als Produktionsverhältnisse und der EU als eine bestimmte politische Form, in der sich Klassenverhältnisse organisieren und ausdrücken, und ergo ein Verständnis von Antagonismen und der Notwendigkeit des Kampfes, kommen hier ebenso wenig vor wie die Vorstellung, dass die Macht des werktätigen Volkes überhaupt erst, und zwar in nicht-bürgerlicher Form, organisiert werden muss, möchte man etwas gegen das Kapital erkämpfen. Geradezu logischerweise führte dies dazu, dass SYRIZA sich nicht um die Bildung und Vertiefung von, eben proletarischer, Gegenmacht als einzigem Faustpfand in den damals anstehenden Auseinandersetzungen kümmerte, sondern auf rationale, ethisch korrekte und mit gutem Willen ausgerüstete parlamentarische Spielchen und Verhandlungen mit den Gläubigern baute – mit denselben Gläubigern, die, wie übrigens das griechische Großkapital ebenfalls, überhaupt erst die Staatsschulden so massiv explodieren ließen, ein politisches Kontrollregime über den griechischen Staat errichteten und den massivsten neoliberalen Umbau von Gesellschaft und Staat einleiteten, den es je in Griechenland und wahrscheinlich auf der ganzen Welt gab. Und mit diesen Gläubigern sollten dann durch Verhandlungen die Revision all dieser für den Großteil des werktätigen Volkes – aber ganz sicher nicht für das Kapital – desaströsen Verhältnisse ausgehandelt werden, Sozialsysteme wieder eingeführt, Rentensysteme wieder aufgestockt, Arbeiter*innenrechte wieder aufgebaut und der Schuldendienst stark gelockert werden. Nur Deutschland gab man, auch nicht völlig zu Unrecht, eine ganz besondere Schuld und wollte die Taktik verfolgen, in der Eurozone und der EU diejenigen „anti“-deutschen Elemente zu mobilisieren wie z.B. Frankreich und Italien, die angeblich ebenfalls gegen eine Dominanz von Deutschland innerhalb der EU seien und deshalb einen Anti-Austeritätskurs Griechenlands mittragen und unterstützen würden. Dass es aber gerade Hollande in Frankreich und Renzi in Italien – also die beiden, auf die man am Meisten baute – waren, die in ihren jeweiligen Ländern die Interessen ihrer eigenen dominanten Kapitalfraktionen rigoros neoliberal durchdrückten, was zum rasanten Niedergang der PS in Frankreich und vor Kurzem zur Spaltung der PD in Italien führte, und dass es vor allem französische Banken waren (gefolgt von schweizerischen und deutschen), die am meisten in das Griechenland-Fiasko involviert waren, ergo ganz sicher kein Interesse an einer möglichen Revision des Neoliberalismus in Europa haben würden – das schien man wohl vergessen zu haben oder jedenfalls nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen.
Kurz und gut, die gesamte Taktik von SYRIZA war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, und zwar aufgrund der falschen Analyse der Kräfteverhältnisse und der falschen Bestimmung der Methode, die zu einer Stärkung der Position und Lebensbedingungen der Arbeiter*innenklasse in Griechenland hätte führen können, was sich sofort nach dem Wahlsieg SYRIZAs auch zeigte: die gesamte politische Elite, natürlich insbesondere Deutschlands, stellte sich offensiv gegen die neue Regierung und die EZB akzeptierte keine griechischen T-Bills mehr als Sicherheiten, sprich den griechischen Banken wurden die Refinanzierungsmöglichkeiten gekappt. Der griechischen Regierung trat von Anfang an eine geeinte Front des Großkapitals und der politischen Eliten entgegen, die den Druck erhöhten und SYRIZA blieb machtlos, was in der Vereinbarung vom 20. Februar mündete, die die Aufsicht, Kontrolle und Bestimmungsmacht der „Institutionen“ (sprich der Troika) festschrieb, was aber schon damals, z.B. von Galbraith, abgefeiert wurde als Zeitgewinn und was noch alles.
Realiter wurde die Zwangsjacke der griechischen Regierung allerdings noch fester gezogen, die Kapitalflucht und die permanenten Zins- und Kreditrückzahlungen erhöhten stetig den Druck, die politische Elite der EU gab nicht nach, ein Vorschlag von Varoufakis an die Troika jagte den anderen und Schritt um Schritt, umso mehr die Daumenschrauben angezogen wurden, wich SYRIZA von ihrem 2014 beschlossenen Thessaloniki Programm ab (ganz zu schweigen von den Kongressbeschlüssen aus dem Jahre 2013!). Für jede*n Beobachter*in war klar, dass im Sommer mit diesem Spiel Schluss sein würde. Einige wenige, recht magere rote Linien waren noch geblieben: eine gerechte Reform des sowieso schon recht mageren Rentensystems statt weiterer Kürzungen, Erhöhung der Mindestlöhne auf das Level vor der Zeit der Troika, keine Erhöhung der MwSt. Diese kümmerlichen „roten Linien“ allein waren von den Kongressbeschlüssen 2013 und dem als kurzfristig (!) angedachten Thessaloniki Programm übrig geblieben.
Was dann folgte ist in der nachsowjetischen Zeit im europäischen Raum vermutlich bisher wirklich einmalig und auch ich hätte es nicht erwartet. Normalerweise erhalten sich die führenden Fraktionen des Kapitals in den imperialistischen Zentren die Kontinuität ihrer Hegemonie bei Zweifel und bröckelndem Konsens der Unterdrückten zu eben dieser Hegemonie dadurch, dass partiell, mickrig, teils furchtbar verdreht und verquarkt (z.B. der „Mindestlohn“ in der BRD) die Interessen der Ausgebeuteten und Unterdrückten integriert werden. Nur deswegen ist ja der Glaube an die Gerechtigkeit der bestehenden kapitalistischen Ordnung und die Ausbildung des neuesten Liberalismus in der Linken möglich gewesen, wonach man step by step eine Stellung nach der anderen erkämpfen, in den hegmonialen Block Keile treiben usw. könne, ohne aber, mal heftiger mal weniger heftig, gesellschaftliche Antagonismen mit der Perspektive einer Revolution auszutragen. Was die Troika aber, durch wesentliche Zutat der deutschen Seite, wollte und wogegen weder die französische, italienische noch sonst eine Seite in irgendeinem wichtigen Moment wirklich opponierte, war eine Totalkapitulation, eine regelrechte Zertrümmerung, Zerschlagung und absolute Kapitulation von SYRIZA mit halbdiktatorischen, halbkolonialistischen Mitteln. In der Tat eher ungewöhnlich und riskant, da längerfristig die weitestgehend ohne ausufernde und permanente äußerliche Repression oder Repressionsdrohung gesicherte Hegemonie in weiten Teilen der imperialistischen Zentren innerhalb Europas dadurch gefährdet wird.
Nur deshalb wurden Renzi und Hollande (und so ein bisschen der IMF) in den letzten Tagen nervös und zögerlich (wobei auch hier wieder keiner von beiden öffentlich, direkt und mit Konsequenzen gegen den Kurs der BRD Stellung nahm!); keineswegs deswegen, weil sie nun plötzlich Keynesianer geworden wären, die verstanden haben, dass der Neoliberalismus „nicht funktioniere“. Aber der bröckelnde Konsens bedeutet ja noch nichts und daraus folgt ja gewiss nicht automatisch Antikapitalismus. Der Kapitalismus kann sehr gut mit repressionsfreier Zustimmung – er kann genauso gut auch ohne repressionsfreie Zustimmung, d.h. dann eben Zustimmung durch viel mehr Repression. Vor allem unter Umständen, in denen das Kapital seit Jahrzehnten massiv in der Offensive, nun aber in eine ausweglose Weltwirtschaftskrise hineingeraten ist, aus der es sich durch eine noch weitaus verschärftere und aggressivere Offensive versucht zu befreien – wer weiß schon
jetzt und
heute, ob das gelingen wird oder nicht? – und sich eine Alternative gegen das Kapital nicht abzeichnet – und auch nicht, und hieran ist dem Kapital sehr, sehr viel gelegen,
abzeichnen können soll.
Hier lässt sich der Faden mit der Troika und SYRIZA und der Totalkapitulation wieder aufnehmen: der Strick am Hals war bereits so eng gezogen und die griechische Regierung dermaßen mit dem Rücken an der Wand, dass sie sich aus Verzweiflung für ein Referendum entschied. Das wiederum zeitigte enorme Resultate: eine Massenmobilisierung des Volkes gegen die Schmach, Erniedrigung und Erpressung – und genau das bedeutete das OXI des Volkes für es selbst und nicht eine erneute Verhandlung zu viel schlechteren Bedingungen – setzte ein, über Hunderttausend Griechen und Griechinnen stürmten die Straßen und das Wahlergebnis war überwältigend glasklar ein, wie Kouvelakis hervorhebt
[3], klassenbestimmtes OXI.
Keine 2 Tage später kam dann das JA von Tsakalatos, in der Nacht vom 12./13. Juli dann der coup de gràce. Es lohnt sich wirklich nochmal die Eckdaten beider Dokumente und ihr Verhältnis zueinander zu klären; denn das Papier des Euro-Gipfels macht doch klar, dass das am 9. Juli von Tsakalatos vorgeschlagene Programm viel zu dürftig ist, d.h., dass bei einem möglichen dritten Memorandum noch viel krassere Bedingungen zu akzeptieren sein werden, und dass es, mit der Vereinbarung vom 12./13. Juli, vorerst nur um die Erfüllung von Minimalbedingungen geht zur Aufnahme von Gespräche über ein drittes Memorandum. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!
Schon das Tsakalatos-Papier hat es massiv in sich: es sieht 13 Mrd. € an Kürzungen im Staatshaushalt vor, die unterschiedlichen Mehrwertsteuerraten werden eigentlich die Bank durch erhöht und die Erhöhung dieser Steuern soll zusätzliche Einnahmen im Rahmen von 1%/BIP einbringen, Einsparungen im Sozialsystem bis zu 0,5%/BIP, Subventionen für Bauern auslaufen, Rentenzuschüsse für die mickrigsten Renten enden, das Rentenalter sowie die Zusatzbeiträge von Rentnern ansteigen. Die Kürzungen bei den Renten sollen zuerst 0,25%-0,5%/BIP und ab 2016 1%/BIP einbringen. Über das zertrümmerte und am Boden liegende öffentliche Gesundheitssystem wird fast nichts gesagt, was heißt, dass es so belassen werden soll, sprich in Ruinen. Die Privatisierungen werden munter fortgeführt, die einzig übriggebliebenen wenigen noch nicht vollständig neoliberalisierten Sektoren (z.B. Ingenieure und Teile des Tourismussektors) sollen geöffnet werden. Allen übereinstimmenden Einschätzungen zufolge also ein Programm, das wesentlich heftiger ist, als was zuletzt von Troikas Hand auf dem Tisch lag.
Aber es ist genau dieses Programm, was den Gläubigern nicht ausreicht, weshalb sie in der Vereinbarung vom 12./13. Juli darauf drängen, dass „the Greek offer of reform measures needs to be seriously strengthened“ (SN 4070/15, S. 3; fett gesetzt von A.K.). Nebst der Auflistung von Maßnahmen, die die griechische Regierung sofort (d.h. am 15. und 22. Juli) umsetzen muss, wie z.B. die MwSt.-Erhöhung und die radikalen Kürzungen im Rentensystem, um überhaupt in Gespräche für ein drittes Memorandum eintreten zu können, werden sogar noch andere Minimalbedingungen genannt, die die griechische Seite akzeptieren muss, damit die Gespräche überhaupt in Gang kommen. Und diese zweiten Minimalbedingungen zeigen eigentlich schon an, wie hart es eigentlich so wirklich werden wird mit einem dritten Memorandum: ein Treuhandfonds zur Privatisierung von öffentlichem Vermögen im Umfang von 50 Mrd. € unter Kontrolle der Troika und großteils zwecks Rekapitalisierung griechischer Banken und Schuldenbedienung muss installiert, die Kürzungen im Rentensystem noch weiter verschärft werden, die Liberalisierung (lies: Ausplünderung) der wenigen noch nicht komplett liberalisierten Sektoren noch weiter vertieft und der gesamte Arbeitsmarkt reformiert werden, aber so, dass der Arbeitsmarkt nicht zum Zustand vor den Memoranden zurückkehrt: also absolut keine Stärkung von Arbeiterrechten, Minimallöhnen, Kollektivverträgen u.dgl., sondern das gerade Gegenteil davon. Zusätzlich muss die Troika vollständig nach Athen zurückkehren, Zutritt zu allen Ministerien bekommen und alle Gesetze und Reformen in relevanten Bereichen müssen erst mit der Troika abgesprochen werden, bevor sie überhaupt an die Öffentlichkeit oder das Parlament getragen werden können. Das i-Tüpfelchen ist natürlich, dass alles, was seit dem 20. Februar umgesetzt wurde und, laut dem Papier, dem Abkommen vom 20. Februar widerspricht, revidiert werden muss, also vermutlich so etwas wie die Wiedereinstellung der Putzfrauen, die Wiedereinrichtung des staatlichen Fernsehens ERT usw. usf. Und einen nominellen Schuldenschnitt wird es natürlich nicht geben…
… man muss erst einmal ein wenig Luft holen, nachdem man diese beiden Dokumente durchgelesen und die möglichen Konsequenzen auf sich einwirken lassen hat. Einerseits wird hier ein halbdiktatorisches (Troika kontrolliert alles Zentrale) und halbkolonialistisches (Privatisierungstreuhandfonds plündert das Land aus) Regime installiert, andererseits der griechischen Arbeiter*innenklasse die Hölle präsentiert.
b) Die Halluzinationen von Thomas Seibert und Leo Panitch. Das SYRIZA-Experiment ist, kurz zusammengefasst, gnadenlos und brutal an der Wand zerdrückt worden und, wohl auch fast einmalig in der Geschichte des linken Reformismus, alle seine Taktiken sind gescheitert (Spaltung der Eurozone in Pro-Deutschland vs. Contra-Deutschland, überzeugende Verhandlungen, ehrbarer Kompromiss gemeinsam mit den EU-Eliten), was daran liegt, dass sich die führenden Fraktionen der Bourgeoisie in ganz Europa keinen siegreichen Widerstand geführt von einer linken Regierung leisten können, sich gleichzeitig aber in einer historisch einmaligen Situation der seit Jahrzehnten in Permanenz geführten massiven Kapitaloffensive befinden und sich den drive nicht nehmen lassen wollen, die Krise für die Zwecke der kapitalistischen Akkumulation gnadenlos auszunutzen. Genau so sieht die Sachlage aus.
Nur Thomas Seibert glaubte noch am 13. Juli, kurz bevor beschlossen wurde, dass man Griechenland zu einer Halbkolonie macht, und nach fast 6 Monaten recht eindeutiger Entwicklungen, dass alles (!) offen ist, man immer noch darauf bauen könnte, dass die eine oder andere Kapitalseite, die weniger Austerität möchte, sich durchsetzt, der Kapitalismus in der EU doch sicher auch ohne Austerität könnte und dass die Memoranden-Politik doch nur ein Schäuble-Projekt – dieser böse Schäuble aber auch! – sei.
[4] Einmal davon abgesehen, dass das permanente Denken davon, was eigentlich die eine oder andere Kapitalseite macht und ob nicht der Kapitalismus irgendwie anders könnte, schon verrät, dass hier verzichtet wird darauf zu denken,
was die radikale Linke eigentlich selbst wollen und tun sollte, möchte ich Seibert natürlich gar nicht absprechen, dass ein netter(er) Kapitalismus
denkmöglich ist, obwohl seit den 1970ern eine neue Epoche der massiven Kapitaloffensive herrscht, die in den 90ern und dann nochmal mit der Weltwirtschaftskrise post-08
massiv verschärft wurde, und dass dies natürlich und immer, unter allen Bedingungen denkmöglich ist, genau so wie es denkmöglich ist, dass 1000 Engel auf einer Nadelspitze tanzen können. Allerdings katapultiert man sich dann jenseits der realen praktischen Verhältnisse, die nämlich so aussehen, dass im Grunde nun ein Halbkolonialregime über Griechenland installiert, die Linke komplett zerschlagen und versklavt wurde und dass dem griechischen Volk nun die Hölle aufgezwungen wird. Aber die dialektische Tiefe eines Seibert kann es sogar denkmöglich machen, dass eine Totalniederlage und ein Komplettversagen umgedeutet wird in die Möglichkeit neuer Kämpfe!
[5]Das nenn‘ ich ein taktisches und dialektisches Genie, das immer und überall alle Möglichkeiten sieht und überall Keile in den permanent instabilen herrschenden Block hineinzutreiben bemüht ist – nur die Perspektive einer Offensive aber als unrealistische Revolutionsromantik und unverantwortliches Handeln hinstellt und meint, sowas würde auf eine autoritär-sozialistische Verwaltung eines Elendszustandes hinauslaufen. Chapeau! Absurder nur, leider, Leo Panitch, auch am 13. Juli, der allen Ernstes – wirklich, ohne Scheiß! – behauptet, dass SYRIZA einen Sieg eingefahren, ja gar die andere Seite zum Übertritt [!!!] auf die eigene hegemoniale Position gezwungen hat und dass es – wirklich, ohne Scheiß! – nun doch möglich sei, dass der Kapitalseite eine umfassende Schuldenumstrukturierung und ein riesiges Investitionsprogramm
ohne weitere Auflagen abgetrotzt werden kann.
[6] Eine solche Realitätsverzerrung und Geistesumnachtung lässt sich gar nicht weiter vernünftig kommentieren.
Die Debatte um den linken Grexit
a) Die Notwendigkeit und Möglichkeit des linken Grexit. Es sind diese beinharten Realitäten im Rahmen des SYRIZA-Experiments in den letzten Monaten, die glasklar gezeigt haben, dass nichts aber auch absolut gar nichts innerhalb der EU und der Eurozone möglich ist, was nur zu einer klitzekleinen Verbesserung der Lebensbedingungen der Massen der Werktätigen führt oder führen könnte. Und zwar hat das, wie ich in meinem sehr langen Essay zu SYRIZA aus dem Februar lang und breit ausgeführt habe, damit zu tun, dass sich das Kapital seit der Einführung des Neoliberalismus in den 1970ern, die gleichzeitig eine Reaktion auf die fallende Profitrate war, und seit dem Ende der Sowjetunion 1991 in einer unaufhaltsamen Offensive befindet, befinden
muss, um nicht unterzugehen, um aber auch immer weiter vorwärts preschen zu können. Nicht nur ökonomisch kann, auch aufgrund der Instabilität der derzeitigen ökonomischen Lage weltweit, kein Schritt zurückgegangen werden noch ist es erwünscht; auch
politisch ist es völlig unmöglich, weil ein Zugehen auf SYRIZA eine offene Einladung an alle kämpfenden Völker und Werktätigen Europas wäre, in die Offensive zu gehen. Die herrschende Klasse weiß das selbst auch ziemlich gut. Um ein paar Beispiele zu geben: Der jetzt angeblich als Kritiker der Verhandlungen und des Abkommens angesehene IMF hielt schon vor einiger Zeit (nämlich 2013) fest: „Eine Schuldenverringerung für Griechenland würde eine Lockerung der Reformen verursachen. Die große Schuld ist als Druckmittel gegen die Regierung anzusehen, das sie zum Handeln zwingt.“
[7] Ähnlich und glasklar vor kurzem auch der Präsident des deutschen Außenhandelsverbandes (BGA), Anton Börner, der meinte, dass ein Entgegenkommen der Gläubiger eine Einladung an die Spanier wäre, Podemos und an die Franzosen ultralinks (oder Le Pen) zu wählen.
[8]
Die allein aus dieser Konstellation und dieser neuen Epoche des Kapitalismus begreifbare diktatoriale Art und Weise, mit der die Troika die griechische Regierung zu zertrümmern suchte und letztlich gnadenlos zertrümmerte, sowie die Erfahrungen des massiven Einbruchs des Lebensstandards breiter Massen des griechischen Volkes, erzwingt objektiv einen Austritt aus den mittlerweile halbdiktatorialen Strukturen des Euro und der EU, wenn einem auch nur irgendetwas am Wohl des griechischen Volkes gelegen ist; die Verhandlungen der letzten Monate und das massive OXI am 5. Juli, das begleitet war von Massenmobilisierungen von über hunderttausend Griechen und Griechinnen und worin sich der Kampfeswille und die Kampfbereitschaft des nach wie vor auch von SYRIZA unorganisiert gelassenen und in die Zwangsjacke parlamentarischer Spielchen gepressten statt aktiv ermächtigten griechischen Volkes ausdrückte, machen es subjektiv möglich, auf einen Grexit hin zu arbeiten.
Es gibt niemals solche Bedingungen, wo alle Menschen Marx, Engels, Lenin, Gramsci und den ganzen Rest gelesen haben und geeint, problemlos, völlig überzeugt und quasi mit dem Bahnticket Richtung Revolution gemeinsam in den Revolutionszug einsteigen und sich dann lebensfroh und keck zur gelungenen Revolution beglückwünschen, wenn sie erfolgreich an der Bahnstation „Revolution“ angekommen und gemeinsam ausgestiegen sind. In der Realität ist das alles viel unklarer, Massenbewegungen entstehen und vergehen wellenförmig und entstehen scheinbar spontan als Reaktion oder Reflex auf massives Unbehagen, das aufgrund zertrümmerter Lebensbedingungen oder -möglichkeiten entsteht, und beherbergen ganz unterschiedliche Elemente mit unterschiedlichen Organisations-, Machtpotenzial- und Bewusstseinsgraden. Abhängig vom Organisationsgrad und den akkumulierten Erfahrungen (die natürlich wieder zerstört werden können) sowie dem Verhältnis der unterschiedlichen Elemente innerhalb einer Massenbewegung entwickeln sich Massenbewegungen auch weniger spontan, zielgerichteter und ausdauernder.
Es ist geradezu Normalität in bürgerlichen Gesellschaften, dass die meisten Menschen gerade nicht politisch organisiert sind und nicht zu einem ausgeklügelten und rational komplett systematisierten, die eigenen Interessen selbstbestimmt und adäquat ausdrückenden politischen Bewusstsein kommen und dass Politik aufgrund der Formen bürgerlicher Politik und den Strukturen und Zwängen des Alltags eine elitäre Angelegenheit einiger weniger Bürger verbleibt, sprich dass die meisten Menschen gar nicht die Macht dazu besitzen, ihre Interesse durchzusetzen.
Deswegen drückt sich die Politik und der Kampfeswille des Volkes oft zersplittert, unorganisiert, uneinheitlich und unklar aus. Aber jede Massenmobilisierung des Volkes, in dem eine Ablehnung der Angriffe auf die eigenen Lebensbedingungen zum Ausdruck kommt, birgt in sich und drückt aus das Potenzial einer massiven, vorwärtspreschenkönnenden Dynamik, die sich nur noch nicht die Bahn gebrochen hat, weil dem Volk noch die Macht und die adäquate Form fehlt. Dem werktätigen Volk gelingt das nur, indem es seine Lebensbedingungen grundlegend ändert und die ihm eigenen Formen der politischen Macht und der Selbstbestimmung, eben die Räte oder räteähnliche Strukturen, erschafft, sich ergo in allen Lebensbereichen ermächtigt. Auf dem Weg dahin und auch während der Ermächtigung ist es geradezu die Pflicht der organisierten Teile dieser revolutionären Bewegung, alles aber auch alles zu tun, damit sich diese Massendynamik weiter entwickeln und voran preschen kann; und nicht, an der Oberfläche des aufgrund der eigenen Machtlosigkeit noch viel zu diffus Artikulierten gegenüber dem massiven Potenzial und der enormen Dynamik des werktätigen Volkes als aktiver Masse, die geradezu nur auf die Entfesselung und selbstermächtigender Subjektivierung wartet aber noch keine Sprache gefunden hat, zu verbleiben und die rückständigsten Vorstellungen und Elemente zu verabsolutieren. Und das Referendum vom 5. Juli zeigt klar auf, dass eine solche Massenaktivität und -dynamik des griechischen werktätigen Volkes real existiert, dass sich hier ein unglaublicher Kampfeswille ausdrückt, dass hier eine Dynamik und eine Macht als Potenzial schlummert, die man als kämpferische Partei hätte schon längst in den 5 Monaten seit der Regierungsübernahme aktivieren und weiter vorwärts bringen müssen, statt sich fast ausschließlich auf die hoffnungslosen parlamentarischen Spielchen einzulassen und wenn man das die letzten 5 Monate schon nicht geschafft hat, dass man das eben jetzt, unter den gegebenen konkreten Umständen des 5. Juli, die nicht die selben sind wie am 25. Januar, sofort in Angriff nehmen müsste.
Die Bedingungen des 5. Juli sind nicht mehr die des 25. Januars gewesen. Am 25. Januar waren „Streichung der Schulden, etc.“ genau die richtigen Parolen gewesen, um die Leute dort abzuholen, wo sie stehen, gleichzeitig aber die antikapitalistischen Potenziale und Dynamiken weiterzuentwickeln, die sich in den Kämpfen der letzten Jahre in Griechenland ausgedrückt und entwickelt hatten, und zwar in Richtung einer Ermächtigung der Werktätigen und des Bruchs mit den Verhältnissen, die die Arbeiter*innen in Griechenland seit Jahren einer Hölle ausliefern. Denn es waren Slogans und Forderungen, die auf die aktuellsten und brennendsten Auswüchse des Kapitalismus im griechischen Volk reagierten und das Volk gegen diese mobilisierten. Die ewig richtige Parole einer sozialistischen Revolution, wie sie die KKE seit einigen Jahren im Grunde unter allen möglichen taktischen Bedingungen verteidigt, hätte, am 25. Januar, überhaupt nichts gebracht und nicht zur Mobilisierung beigetragen.
Das war der 25. Januar. Seitdem sind über 5 Monate vergangen! 5 Monate, in denen SYRIZA für die Macht der griechischen Werktätigen absolut nichts getan hat, 5 Monate der Demütigung, der massenmedialen Propaganda gegen das griechische Volk, des völligen Versagens der „Verhandlungstaktik“. Aber auch mehr als 5 Monate, an deren Ende sich ein mächtiger Ausdruck des Kampfeswillens des griechischen Volkes, auf den Straßen wie an der Wahlurne, manifestierte, weil das Volk genug hatte von der Erniedrigung und davon, mit Füßen getreten zu werden, und einen historischen Moment für eine Offensive eröffnete.
Statt aber diesen Prozess der letzten 5 Monaten, und zwar vor allem die Art und Weise, wie sich die Verhandlungen entwickelt haben, nämlich überhaupt nicht und ausschließlich gegen das griechische Volk, sowie die Manifestation des Volkswillens beim Referendum auszunutzen, um die eigene Macht- und Hegemoniebasis auszubreiten und die Massenmobilisierung und Ermächtigung der Werktätigen zu befördern, wie dies z.B. seit Jahren unglaublich effizient von der PKK in Kurdistan gemacht wird, hat SYRIZA überhaupt nichts gemacht, sondern sich im, übrigens zweifelsfrei ehrlichen, Glauben an die reine praktische Vernunft der finanzkapitalistischen Ordnung und der Idee der Menschheit als eines regulativen Ideals, das das Handeln eines jeden unter dem Blickpunkt eines Reichs der Zwecke anleitet – an die Schlachtbank ausgeliefert.
Wenn sich BLOCKUPY GOES ATHENS nun hinstellt und sagt, dass die – desaströse! – Niederlage sowieso notwendig war und dazu noch abfeiert, dass SYRIZA aufgrund seiner Niederlage wenigstens praktisch bewiesen habe, dass ein reformistischer Gang nicht möglich sei und ergo zur revolutionären Bewusstseinsbildung beigetragen habe
[9] – dann ist das nichts als purer Zynismus und absolute Geistesumnachtung. Das Scheitern SYRIZAs wird die Diktatur der Troika in Griechenland in viel härterer Form wieder einführen, die gesamte Linke beim Volk diskreditieren, zu einer massiven Demoralisierung und Frustration beim Volk beitragen und nichts, aber auch absolut gar nichts, zur revolutionären Bewusstseinsbildung beitragen. Aber diesen europäischen Sozialchauvinisten, die sich vor Allem drücken, kommt nicht einmal für eine Sekunde die Erkenntnis, dass revolutionäre Bewusstseinsbildung niemals automatisch, niemals aufgrund bloßer ökonomischer Umstände oder katastrophaler Einbrüche im Lebensstandard stattfindet, sondern nur und ausschließlich aktiv und durch Eingriffe seitens der Subjekte und durch
Kämpfe unter widrigen Bedingungen; nur dann also, wenn man sich bewusst und aktiv und mit vollem Einsatz und
natürlich großem Risikoregelrecht – pardon! – den Arsch aufreißt. Was sonst herrscht ist einfach nur Wut, Frust und Hass aufgrund der zertrümmerten Lebensbedingungen – ein wunderbarer Nährboden für Faschisten, wo sich die Linken selbst abschaffen. Oder, weniger dramatisch, einfach nur eine wunderbare Bedingung für die Einführung des härtesten Neoliberalismus. Stichwort: Chile, wo es ja mal einen zwar wahrlich tapferen Präsidenten gab, der mit der AK in der Hand starb, weil er viel Richtiges sagte und wollte und der allen recht bitter vorführte, dass mit dem Imperialismus und der Großbourgeoisie im eigenen Lande nicht gut Kirschen essen ist, was aber zum geraden Gegenteil eines revolutionären Bewusstseinsbildungsprozesse führte: seit über 40 Jahre ist nun Chile das Musterland des Neoliberalismus in Lateinamerika! Und BLOCKUPY GOES ATHENS ist jedenfalls zynisch genug, ein solches Komplettversagen mit einem weiteren massiven Einbruch im Lebensstandard des Großteils der Bevölkerung in Kauf zu nehmen, was genau Wut, Frust und Hass sowie eine Diskreditierung der gesamten Linken in der griechischen Bevölkerung mit sich bringen wird – weil dies, metaphysisch betrachtet, unter dem Blickpunkt der Ewigkeit, vielleicht erst nach über 40 Jahren Faschismus oder blankestem Neoliberalismus, ganz bestimmt zum revolutionären Bewusstseinsbildungsprozess beitragen wird! Und das wird dann noch verkauft als verantwortungsvolles Handeln gegenüber dem griechischen Volke, das nun einmal genug habe von dem ganzen Elend und dem Kampf, weswegen es lieber nicht kämpfen und noch elendiger leben sollte, alles andere sei verantwortungslos. Defätistischer und zynischer gehts eigentlich nicht mehr.
En vogue ist aber auch der abstrakte, völlig inhaltsleere und niemals auf konkrete Bedingungen und Umstände eingehende geradezu groteske Vergleich des Vorgehens von SYRIZA ausgerechnet mit Lenin! Der habe ja schon gesagt, dass man eben auch Kompromisse eingehen müsse und war es denn nicht auch Lenin gewesen, der den desaströsen Raubfrieden von Bresk-Litowsk mit dem deutschen Imperialismus eingegangen sei? Ja das hat der Lenin in der Tat so gesagt und den Raubfrieden von Bresk-Litowsk unterschrieben – aber was genau beweist das denn bitteschön für die Situation in Griechenland hier und heute??! Unter den konkreten Umständen in Griechenland und dem Abkommen vom 12./13. Juli – und ich empfehle wirklich jedem mal gründlich den Tsakalatos Vorschlag vom 9. Juli durchzulesen, der ja als ungenügend befunden wurde, und gleich daraufhin das Euro Summit Statement vom 12. Juli – muss man doch fast sagen, dass der Frieden von Bresk-Litowsk ein Witz ist gegenüber dem Abkommen vom 12./13. Juli, weil Bresk-Litowsk zwar zu großen Gebietsverlusten der Sowjetunion, aber sicherlich nicht zur Einrichtung einer Troika, die wirklich fast alle zentralen Instrumente und Handlungen des Staates kontrolliert, Zertrümmerung der Sozialsysteme, Zerschlagung von Kollektivverträgen u.dgl. führte, was in Griechenland sicher keinen Zeitgewinn noch Machtgewinn bringt, sondern eine komplette Zertrümmerung bedeutet und auch in der damaligen Sowjetunion – mal etwas Analoges vorgestellt – das Ende der Revolution bedeutet hätte. Ganz zu schweigen von der äußerst spezifischen internationalen Lage, in der der Raubfrieden von Bresk-Litowsk unterzeichnet wurde und die absolut nichts mit der gegenwärtigen internationalen Lage zu tun hat (Eintritt der USA auf der Seite der Entente gegen Deutschland, absehbare Niederlage Deutschlands und ergo absehbare Annulierung des Vertrages von Bresk-Litowsk). Aber hey, Hauptsache mal den Lenin zitiert.
Eine andere Variante via der Anbetung kapitalistischer Zwänge gegen den linken Grexit zu argumentieren, predigt stärker die angeblichen ökonomischen Zwänge, die alles verhindern und nur eine Totalkatastrophe zuließen, wenn man nicht im stahlharten Gefängnis der EU verbleibe. So hatte schon, ausführlicher und besser, Varoufakis argumentiert
[10], nun in Deutschland vor Kurzem die
analyse&kritik[11] in Antwort auf einen Grexit-Beitrag des
Lower Class Magazine.
[12]
Alle Gründe gegen einen Grexit, die die a&k anführt [13] , bestehen im Grunde in der Anbetung kapitalistischer Zwänge: Griechenland kann kaum exportieren, da nicht konkurrenzfähig auf dem kapitalistischen Weltmarkt, importiert hingegen ganz massiv und zwar insbesondere auch sehr wichtige Güter wie Energie und Lebensmittel; es ist zudem unwahrscheinlich, dass Griechenland seinen Schuldendienst komplett einstellen kann, hat ja nicht mal Argentinien geschafft; außerdem (wegen der hohen Importquote aus EU-Ländern) ist Griechenland auch bei einer unabhängigen Zentralbank an die Geldpolitik der EZB, weil an den Euro gebunden, an dieser Abhängigkeit würde sich nichts ändern und sowieso: die Möglichkeit, dass über Massenmobilisierungen ein auf kommunalen Wirtschaftsformen basierender Wiederaufbau hergestellt wird, sei eine bloße vage Hoffnung.
Aber nicht einmal diese Argumente, insofern sie einen Kern Wahrheit ausdrücken, sind in ihrer Konsequenz gut durchdacht – nicht für eine Sekunde stellt sich die Erkenntnis ein, dass die hier analysierten Zwänge und Restriktionen Griechenland auch innerhalb der EU und der Eurozone weiter strangulieren werden und zwar auf noch heftigere Art und Weise. Die griechische Wirtschaft und Landwirtschaft ist kaputt, weil nicht mehr konkurrenzfähig und deshalb Griechenland immer mehr auf Importe überlebenswichtiger Güter angewiesen? Exakt, und zwar ist das ein Effekt der EU-Integration und hat sich mit der Krise weiter verschärft und wird sich mit dem anstehendem Memorandum nur noch viel weiter verschärfen.
Überhaupt nichts wäre bezüglich der massiven Importabhängigkeit und brachliegenden (!) Industrie gewonnen bei einem Verbleib in Eurozone und EU. Im Gegenteil wäre alles nur schlimmer, denn die einzige Art und Weise, die griechische Wirtschaft „konkurrenzfähiger“ zu machen, ist eben Lohndrückung, Abbau des öffentlichen Sektors, Liberalisierung und ergo Ausplünderung der einzigen noch (auch kapitalistisch) funktionsfähigen Industrien und Sektoren plus Investitionen in neue Industrieanlagen – die wer genau nochmal unter den bestehen Machtverhältnissen und der geplanten massiven Privatisierungen betätigen und davon profitieren können wird? Sicherlich nicht die griechischen Arbeiter*innen, sondern z.B. das deutsche Großkapital, weswegen sich ja auch der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, für den Treuhandfonds einsetzte
[14], der nun dafür sorgen soll, dass unter halber Kolonialverwaltung 50 Mrd. € an Staatsvermögen an Kapitalisten verscherbelt werden soll. Und dass Fraport die meisten Flughäfen von Griechenland übernehmen wird, das weiß ja mittlerweile wohl auch jeder. Während Griechenland selbstverständlich noch so einiges an teils einfach nur brachliegender Industrie (insbesondere Textil, Stahl und Werften) und Landwirtschaft vorzuweisen hat, die beide vor der EU-Integration auch noch prima funktioniert hatten, wird ihr mit dem anstehenden MoU endgültig der Garaus gemacht werden. Dem gegenüber steht selbstverständlich die Alternative einer
Einführung staatlicher Kontrolle über die oder gar die Verstaatlichung der wichtigsten und teils brachliegenden wirtschaftlichen Kapazitäten Griechenlands, die nicht zwecks Profit, sondern primär für den Nutzen und den Konsum des Volkes bei gleichzeitiger Massenpartizipation der Arbeiter*innen betrieben werden können. Wie genau und bis zu welchem Grad das gemacht wird, ob nicht wie in Venezuela z.B. so etwas wie eine Profit-Obergrenze für das Kapital eingeführt wird, um den Nutzen der wirtschaftlichen Kapazitäten für das werktätige Volk zu garantieren, oder ob die notwendigsten Produkte vom Staat zwecks Verteilung zwangsrequiriert und dem Kapital nur der Rest überlassen wird, oder ob viel schnellere Schritte zur Einführung des Sozialismus gemacht werden – all das wird dann im Konkreten von den Kräfteverhältnissen abhängen, die umso günstiger für offensivere Schritte sind, umso besser und umfassender und aktiver ins Geschehen eingreifend das Proletariat ist, umso mehr Macht es ausübt.
Das Abstrusteste ist für die europäischen Linken denkbar, nur diese naheliegende Option nicht! Aber die komplette Kapitulation vor dem Bestehenden und der untergründige Europa-Nationalismus der Kritiker*innen schlägt an einem ganz anderen Punkt durch. Gut, Griechenland wird sicher noch einige Zeit von Importen abhängig bleiben. Was uns aber die Entwicklungen in Griechenland zeigen, ist, dass wenn diese Importabhängigkeit weiterhin vom EU- und Euroraum bestehen bleibt, sich diese Abhängigkeit weiter vertiefen wird, der Rest an Industrie und Landwirtschaft an mit großer Wahrscheinlichkeit ausländische Investoren verscherbelt wird und, gerade zwecks „Konkurrenzfähigkeit“ und mithilfe der Übermacht der Troika, weitere Einschnitte in Löhnen, Renten, Arbeits- und Sozialrechten vorgenommen werden. Da sagen uns dann die Kritiker, ja, das stimmt schon, aber es gibt halt keinen „einfachen“ [!?] Weg aus der Misère, wir müssen eben auf die „soziale Transformation in ganz Europa“ warten.
Aber gibt es denn wirklich absolut keine andere Option für Griechenland?
Doch:
Ein andere Option ist für Griechenland konkret möglich (Bloggerin)
Wenn es einem doch im Ernst um die griechische Bevölkerung und ihr Wohl ginge, da gäbe es doch viel, viel näherliegendere Optionen: man könnte nämlich, weil man die Importabhängigkeit vor allem betreffs zentraler Güter so schnell nicht wird loswerden können, erstmal aus Russland, China, Iran, Venezuela, Kuba usw. importieren bzw. Handelsbeziehungen eingehen. Das hätte zusätzlich zum massiven Vorteil, dass keine volksfeindlichen Sparprogramme durchgedrückt werden müssten um eventuell an Kredite ranzukommen, weil Russland, China, Iran, etc. massive geostrategische Interessen an einem Austritt Griechenlands aus dem Euro und der EU haben und deshalb Griechenland günstige Bedingungen anbieten werden.
Aus Russland kann man mehr als genug Energie beziehen, zudem Investitionsabkommen bezüglich neuer Pipelines treffen und bekanntermaßen wurde insbesondere die griechische Landwirtschaft schwer von den EU-Sanktionen gegenüber Russland und den Gegensanktionen Russlands getroffen, weil sie sehr in hohen Mengen nach Russland exportiert: Denn Russland ist Griechenlands Handelspartner Nr. 1 noch vor der BRD und die russischen Gegensanktionen auf Agrarimporte aus der EU treffen 40% der griechischen Exporte nach Russland oder ca. 200 Mio. €!
[15] Sprich hier besitzt Griechenland sogar Exportkapazitäten, die wegen der imperialistischen Politik der EU zertrümmert wurden und durch einen Austritt gerettet und sogar verbessert werden könnten. Zusätzlich ist auch der Rubel massiv abgewertet wegen der wirtschaftlichen Krise in Russland aufgrund der fallenden Ölpreise, so dass sich bei einem Umschwenken des Handels von Euro auf Rubel mit Drachmen die Importkosten nicht übermäßig erhöhen werden. Russland selbst hat mehr als einmal Hilfe, finanziell wie aber auch investitions- und energiemäßig, angeboten
[16], auf nichts davon ist die griechische Regierung ernsthaft eingegangen.
Mit China sieht es ähnlich aus: auch von hier kamen, allerdings in klassisch chinesisch-diplomatischer Manier recht unterschwellig und im Stillen, Kreditangebote schon vor Monaten und vor Kurzem auch Investitionsvorschläge.
[17] In Bezug auf China ließe sich mit der riesigen Handelsflotte Griechenlands und den Häfen (die allerdings nicht privatisiert werden sollten) viel anfangen.
Zusätzlich ist hervorzuheben, dass Griechenland sogar angeboten wurde, der geplanten BRICS-Bank beizutreten um sich dadurch noch mehr vom Euro und dem USD zu lösen und die Beziehungen eben mit Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika zu vertiefen.
[18]
Mit Venezuela und Kuba sollte Griechenland sowieso ganz dringend in viel näheren Kontakt treten, weil hier auch ideologisch und strategisch-längerfristig ähnliche Ziele vorherrschen und die Allianz mit diesen Ländern viel kostbarer und enger sein können. Zusätzlich bietet natürlich vor allem Kuba massive medizinische Kapazitäten für Griechenland, die potenziell bei einem EU-Austritt zu kompensieren wären.
Es ließe und müsste! sich hier viel mehr im Detail nachdenken lassen, so weit und so gut es geht (in Zeiten großer Umwälzungen geht das eben nur bis zu einem gewissen Grad), welche genauen ökonomischen Handelsbeziehungen man wie mit welchem anderen non-EU Ländern eingeht, was genau die brachliegenden industriellen Kapazitäten Griechenlands sind und wie genau man sie wieder zu welchem Zweck aktivieren könnte, wie genau man verhindert, dass Euro-Besitzer von einer möglicherweise massiv abgewerteten Drachme profitieren und das Land plündern (worauf der a&k Artikel zu Recht hinweist und was wir gut aus Venezuela kennen); gleichzeitig müsste dies begleitet sein von einer zunehmenden Mobilisierung der Werktätigen selbst und der Schaffung der spezifisch proletarischen und popularen Formen der politischen Selbstbestimmung, nämlich der Räte, anstatt wie bisher fast 6 Monate lang fast ausschließlich mit dem Zerberus zu kuscheln.
Aber die Totalkapitulation dieser europäisch-sozialchauvinistischen Linken vor der geballten Macht des Kapitals, die Unfähigkeit oder eigentlich viel eher: der Unwille zum Kampf und zur Offensive, die sich hierin ausdrückt und sich seit Jahrzehnten in elaborierten Theorien von irgendwelchen Keilen, die in den herrschenden Block getrieben werden und sozialen Verhältnisse, die irgendwie transformiert statt revolutionär umgewälzt werden sollen, macht es, dass für diese Leute das zwar wirklich absurdeste und realitätsfremdeste denkbar ist (nettere Kapitalfraktionen setzen sich durch, viel Neues ist möglich, ein revolutionärer Bewusstseinsbildungsprozess hat begonnen, wir müssen langfristig die sozialen Kämpfe in ganz Europa ausweiten, etc. etc.) und zwar genau deswegen, weil es realitätsfremd ist und sich vor jedem Stück Verantwortung und Kampfeswillen, auch Risiko, drückt; all das ist für diese Leute denkbar, nur was das in-die-Offensive-gehen angeht, da werden diese Leute zu den dogmatischsten Anhängern der TINA-These Thatchers, die mit einem strukturfetischistisch und sozialchauvinistisch (Transformation nur unter besten Bedingungen, ansonsten Gulag und Massenmord) uminterpretierten Marx und einer bis ins Mark ekelerregenden moralischen Selbstbeweihräucherung („wir denken ja nur an das griechische Volk ihr verantwortungslosen Revolutionsromantiker!“) versetzt wird.
Die untergründige Losung lautet hier: ja nicht mit dem megaimperialistischen Russland und dem superkapitalistischen China Beziehungen, Kompromisse eingehen, (genau, geschuldet einer falschen Analyse, die auch hier nicht ganz überwunden scheint,Bloggerin)
das wäre die totale Katastrophe, das ewige Elend des griechischen Volkes wäre Programm; lieber mit der megaimperialistischen und superkapitalistischen EU Beziehungen beibehalten und Kompromisse eingehen, was schon zu einem ewigen Elend des griechischen Volkes geführt hat, auch wenn wir natürlich auf Schritt und Tritt den Megaimperialismus und Superkapitalismus der EU verdammen. Aber de facto gibt es nun einmal auch eine Misère und es gibt keinen Weg da raus bis auf absehbare Zeit.
Diesen europäischen Sozialchauvinisten, die die EU insgeheim und teils offen doch abfeiern als „(Möglichkeit der) Überwindung nationaler Grenzen“ und einen Grexit als „nationalistische Regression“ bezeichnen, kommt nicht für eine Sekunde der Gedanke, dass Griechenland, nebst einer klassenmäßigen Offensive im Inland, sich nicht auf den europäischen Kontinent beschränken müsste, sondern Beziehungen mit mannigfachen Ländern aller Kontinente dieses Planeteneingehen und vertiefen, sich ergo im wahrsten Sinne des Wortes internationalisieren könnte, um der finanzkapitalistischen Oligarchie Europas und ihrem politischen Instrument, der Troika, zu entgehen. „Überwindung der Grenzen“ heißt für diese Leute de facto eben „Europa um jeden Preis“, auch um den Preis einer totalen Zertrümmerung des Restes der Wirtschaft in Griechenland und der Arbeiter*innenklasse, weswegen diese Leute als europäische Sozialchauvinisten bezeichnet werden müssen: sozial der Phrase nach, euro-chauvinistisch der Tat nach.
Für die griechischen Werktätigen gibt es innerhalb der EU und der Eurozone ganz klar nur mehr eine einzige Option: nämlich die weiterer Spar-, Lohndrückungs- und Privatisierungsorgien – und nichts, absolut gar nichts anderes. Über 5 Monate mühseliger Verhandlungen und der coup de gràce vom 12./13. Juli haben das für alle schlagend bewiesen, die nicht in Halluzinationswelten à la Panitch abgedriftet sind, wonach SYRIZA gar eine Hegemonie über Merkel und Co. errungen habe. Alles Gerede von „ja, das wird nun einmal einen revolutionären Bewusstseinsbildungsprozess anstoßen“ oder „alle Leute werden empört sein“, „lieber in ganz Europa kämpfen anstatt nationalistisch verkürzt in einem Land“, oder gar, noch selbstvernichtender und entwürdigender, „Hollande und Renzi stellen sich ja vielleicht doch noch gegen Merkels Europa“ ist nichts als die Verschleierung und Rationalisierung der eigenen Niederlage sowie die Anbetung des Bestehenden.
Diese europäischen Sozialchauvinisten sind zugleich die, die den Kampf in Spanien, Italien, Portugal und den Kampf in Deutschland und Frankreich, der sich vielleicht dereinst (wieder, verschärfter) einstellen wird, verraten oder blockieren werden mit den gleichen Argumenten, die nichts anderes darstellen als die Verabsolutierung der Macht des Kapitals und seiner politischen Elite.
Die zwei Blockaden der Linken: die Europa-Linke und der neue-alte Dogmatismus
Das Totalversagen und die Kapitulation SYRIZAs ebenso wie die sozialchauvinistische Verabsolutierung und Legitimierung dieses Totalversagens durch die Europa-Linke stellen eine einschneidende Zäsur dar in der neuen Epoche der Kämpfe und der Entwicklung der Linken. Die neue Epoche, von der ich spreche, ist im Allgemeinen von drei grundlegend wichtigen Ereignissen und Entwicklungen geprägt: einmal der Beginn der massiven Kapitaloffensive, die landläufig Neoliberalismus genannt wird und in den 1970ern beginnt. Schon hier beginnt das Kapital, aufgrund der fallenden Profitrate aber auch aufgrund eines aggressiveren Akkumulationsanspruches, die bisherigen Kräfteverhältnisse und den bisherigen Konsens entscheidend für das Kapital und gegen die Arbeiter*innen zu biegen. Zum zweiten wird dieser Prozess weit aggressiver und in immer zunehmenderem Maße militaristisch, reaktionär und politisch betrachtet autoritär seit der Zerschlagung der Sowjetunion im Jahre 1991, weil die Systemalternative schlagartig vom Angesicht der Welt verschwand und sich alle Türen für das Kapital öffneten. Rassismus und Sozialhass/-hetze im Inland
sowie direkte und indirekte militärische Interventionen an allen Enden und Ecken der Welt nehmen zu, so dass sich mittlerweile knapp die Hälfte aller Staaten der Welt in einem Kriegszustand befinden; zusätzlich verschärfen sich aber die Konflikte zwischen den kapitalistischen Blöcken wieder (USA/NATO und/oder EU vs. Russland, China, Iran, Syrien, ( ??, sie rote Markierung oben)… sowie Rivalitäten untereinander). Beide diese Tendenzen verschärfen sich massiv mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise 2008, die eine neue Phase dieser neuen Epoche einleitet. Die dritte wichtige Entwicklung ist natürlich die desaströse Niederlage für die Linke, die mit dem Ende der Sowjetunion einhergeht. Sehr viele alte linke und revolutionäre Organisationen hören auf zu existieren, ganze Reihen an alten militanten Kadern verlassen frustriert die Bewegung, die Linke spielt nirgends mehr eine Rolle, eine Existenzkrise der Linken stellt sich ein.
Die Teile der Linken, die den Untergang der Sowjetunion politisch überleben, versuchen sich neu zu justieren und am Leben zu bleiben. Die Friedhofsruhe der nachsowjetischen Ordnung vergeht alsbald und große soziale Bewegungen in Lateinamerika aber auch z.B. die Friedensbewegung und die Antiglobalisierungsbewegung vor allem in Europa leiten eine neue Periode der sozialen Kämpfe ein. Alle diese Kämpfe und viele andere an anderen Orten der Welt stellen wichtige Ereignisse und Erfahrungen in der Neubegründung der revolutionären Linken weltweit nach dem Ende der Sowjetunion dar. Sie sind es, gemeinsam mit den Lehren aus dem Scheitern der Sowjetunion genau so wie des Eurokommunismus/Reformismus und des Linksradikalismus, die den Nährboden liefern, um uns neu zu organisieren und neu zu begründen, zu erforschen und zu systematisieren, wo und wie genau wir den Kampf um die bessere Welt und die Revolution wieder aufnehmen können. Aber spätestens mit der Weltwirtschaftskrise ist klar geworden, dass die weltweite Linke noch lange nicht wieder aus der Starre und der Zersetzung, die mit der Niederlage der Sowjetunion einsetzte, ausbrechen konnte. Wir können mit dem SYRIZA-Experiment und überhaupt der Entwicklung in Griechenland der letzten Jahre klar sehen, dass die massive Niederlage der revolutionären Linken mit dem Scheitern der Sowjetunion bestimmte Auswirkungen hatte, die dafür sorgen, dass die Linke nicht vom Fleck kommt und es nicht schafft, in die Offensive zu gehen. Es lassen sich hier m.E. zwei zentrale Tendenzen in der Linken insbesondere in Europa (variiert aber auch in anderen Teilen der Welt) ausmachen, die wir ab jetzt, mit den Erfahrungen und der Entwicklung in Griechenland, als Blockaden für die weitere Entwicklung der revolutionären Linken begreifen und überwinden müssen. Diese beiden Tendenzen, wovon die eine eine grundlegend liberale Tendenz ist, die in entscheidenden Momenten zum Sozialchauvinismus kippt, und die andere ein starrer, kulturkonservativer Dogmatismus, sind beide als Reflexe und Rationalisierungen der strukturellen Defensive und der Niederlage zu begreifen, in der sich die Linke seit dem Ende der Sowjetunion befunden hat und nach wie vor, im Unterschied zu den voranpreschenden Kämpfen und dem voranpreschenden Kapital, drin steckt. Um aus der Defensive in die Offensive übergehen zu können müssen wir, was uns selbst angeht, diese Blockaden und Bremsen gründlich zerschlagen.
a) Die Europa-Linke. Die eine Tendenz spiegelt sich in Europa im grundsätzlich liberalen Charakter der Europa-Linken wider, deren Vertreter von Balibar über Negri&Hardt aber teils auch Badiou und eben SYRIZA und viele andere darstellen; die Mehrheit der linken Intellektuellen und Akademiker*innen können dieser Tendenz zugeordnet werden. Eingeknickt unter der Übermacht des Kapitals und der Niederlage der Linken weltweit propagiert diese Linie ernsthaft die Vorstellung eines anderen, solidarischeren Europas als einzigen Weg teils im besten Wissen darum, dass das derzeitige Europa der EU und des Euro ein Europa des Großkapitals und des Autoritarismus ist. Die Konsequenz daraus, dass man also nur im scharfen Gegensatz zu den Interessen des Großkapitals und der politischen Elite der Bourgeoisie die Interessen der Werktätigen und aller anderen Unterdrückten und Marginalisierten durchsetzen kann, wird nicht gezogen, sondern allen Ernstes und in völliger Ignoranz der Ungleichzeitigkeit der Kämpfe eine „Transformation der sozialen Verhältnisse in ganz Europa“ zugleich anvisiert, was durch einen schrittweisen Kampf um Hegemonie, durch eine Spaltung und Schwächung der unterschiedlichen Teile des herrschenden Blocks und dergleichen mehr wunderbar ausgeklügelter und ungemein scharfsinniger Taktiken zu bewerkstelligen sei. Als ob gerade die andere Seite ein Tölpel sei, der sich einfach mal so durch kluges Taktieren und Keile treiben zersetzen lassen würde! Als ob sie nicht diametral entgegengesetzte Interessen zu einem „solidarischen“ oder „sozialistischen Europa“ verfolgen würde! Aber hierin eben liegt der Liberalismus dieser Linken begründet: in einem stillschweigenden Glauben daran, dass man strukturelle Antagonismen umgehen könne. Das ganze wird begleitet und teils geschickt überdeckt von einer bestimmten verbalradikalen Selbstbeweihräucherung über das eigene taktische Genie (Keile in den herrschenden Block treiben, um Hegemonie kämpfen, Klassenkampf in der Ideologie betreiben, Klassenkampf auch im Staat betreiben, Stellungskrieg statt Bewegungskrieg betreiben usw.) im Gegensatz zur Grobklotzigkeit eines dogmatischen und autoritären Lenins und Konsorten.
Die Europa-Linke als Alternative für die Völker und Werktätigen Europas ist in dem Moment, wo es mal Ernst wurde mit all den Theorien und hochtrabenden Ideen, unter der Übermacht des Kapitals und seiner politischen Eliten, die doch nicht so bekloppt sind, dass sie sich von irgendwelchen „kreativen Ambiguitäten“ oder „spieltheoretischen Taktiken“ übers Ohr hauen lassen, sowie aufgrund des eigenen Reformismus/Transformismus, der gnadenlos zerschmettert wurde, vollends den Bach runtergegangen und teils zum Sozialchauvinismus übergelaufen. Die Anbiederung an die bestehenden Machtverhältnisse und Formen der Politik, kaschiert unter dem Deckmantel eines von der Kanzel herabgepredigten „Kampfes um Hegemonie“, eines „Versuches, Keile in den herrschenden Block zu treiben“ u.dgl. angeblich unglaublich kämpferischer sowie edler Worte und sonstiger moralischer Fingerzeige und hochtrabander Theorien, wird die Europa-Linke unter den Bedingungen einer zunehmenden Autoritarisierung und gnadenlosen Offensive von Staat und Kapital, die für die derzeitige Epoche kennzeichnend ist, immer mehr zum offenen Sprachrohr des Bestehenden machen und das Bonmot Lenins von vor knapp 100 Jahren, wonach Deutsche sich lieber eine Bahnsteinkarte kaufen bevor sie einen Bahnhof stürmen, auf groteske Art und Weise wieder bestätigen (nämlich neudeutsch: entweder ganz Europa „transformiert sich“ gleichzeitig, friedlich, zum Nutzen aller und ganz ohne heftigste Kämpfe – die sowieso schon stattfinden – oder aber wir müssen auch alle möglichen Niederlagen einstecken, Niederlagen sind notwendig, jedenfalls alles besser als irgendetwas nicht-europäisches oder gar … revolutionäres !!!).
Die Europa-Linke, die den Kampf offensiv aufzunehmen nicht gewillt ist aber angeblich unglaublich kämpferisch und halbphantastisch weiterhin von irgendwelchen Keilen in den herrschenden Block, von Atempausen, von besseren Niederlagen usw. schwätzt und alle damit trickst, merkt gar nicht, dass es gerade der herrschende Block ist, der Keile in die Europa-Linke getrieben und eine vollständige Hegemonie über sie errungen hat insofern Teile dieser Europa-Linken nun darin exzellieren herunterzubeten, dass die Niederlage im Angesicht des Systems notwendig war und alles andere verantwortungslos und autoritäre Revolutionsromantik sei. Die Teile der Europa-Linken, die noch ehrlich interessiert sind am Kampf der Völker und Werktätigen werden sich von ihr lösen, der übriggebliebene Teil wird notwendig immer weiter nach rechts driften, immer weniger zum Kampf bereit sein und sich vor jeder Auseinandersetzung drücken, denn ab jetzt wird es immer ernster und heftiger werden – vonseiten des Kapitals wie auch vonseiten des Widerstands der Völker und Werktätigen. Und die Europa-Linke wird aufgrund ihrer Glorifizierung des und Kapitulation vor dem Bestehenden auch zunehmend jeden Kampf und jede Kampfmöglichkeit verdammen, weil die Zeit nicht reif sei, weil der kapitalistische Weltmarkt keine Alternative ließe, weil gerade nur Niederlagen möglich seien, weil das alles sowieso Revolutionsromantik sei, weil man mal Atempausen brauche, weil man keine Pferde reiten solle ohne das Reiten gelernt zu haben, weil man sich doch statt „Parteidiktatur“ lieber smoothe, unglaublich verantwortungsvolle soziale Transformationen herbeiwünschen sollte, Transformationen also, bei denen es allen immer besser geht, bei denen man gar nicht zu kämpfen braucht und Friede, Freude, Eierkuchen herrscht – als ob wir nicht in einer Epoche leben würden, die, wie die praktische Realität ganz konkret anhand des SYRIZA-Experimentes von nun knapp 6 Monaten zeigt, offensichtlich von den härtesten und brutalsten Antagonismen und Interessensgegensätzen gekennzeichnet ist und zwar insbesondere im Zeitabschnitt seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise, die besonders gekennzeichnet ist durch politische Reaktion, autoritärem Staatsumbau, ausuferndem Militarismus und militärische Interventionen in allen Teilen der Welt sowie massivste Angriffe seitens des Kapitals auf die Arbeiter*innenklasse zwecks Stabilisierung der Profite bzw. diese Tendenzen, die vor allem seit dem Neoliberalismus und der Zerschlagung der Sowjetunion dominant wurden, besonders verschärft.
Diese europäischen ex-Liberalen-nun-Sozialchauvinisten, die nicht einmal dann den Kampf gegen den Gegner offensiv aufzunehmen bereit sind, wenn sich die gesamte Front des Kapitals im Zusammenhang mit der politischen Elite zur Partei der Ordnung manifestiert, um mit aller Macht auf das griechische Volk und auf das Hoffnungssymbol der gesamten Europa-Linken, SYRIZA, einzudreschen, sprich unter Bedingungen, wo der Kampf sowieso schon massiv eskaliert ist und wo es nur so knallt und die Fetzen fliegen – diese Europa-Linke hat sich selbst abgeschafft und ist in einen neuen europäischen Sozialchauvinismus degeneriert, der sich auch in den zukünftigen Kämpfen gegen die Massenaktivität der Völker und Werktätigen Europas und sonstwo auf der Welt stellen und für Ruhe und Ordnung, für ehrbare Niederlagen und Kapitulationen gegenüber dem Zerberus eintreten wird – weil das verantwortlicher sei, weil die Revolution noch nicht reif sei, weil die Völker und Werktätigen, diese großen Helden der Weltgeschichte, gar zu viel Angst hätten vor dem Kampf! Man glaubt kaum, dass das ernst gemeint sein kann: Zehntausende, wenn nicht gar mehr als Hunderttausend Griechen und Griechinnen fluten, wie es so schön immer bei Negri&Hardt und Blockupy heißt, die Straßen und lehnen massiv jeden weiteren Angriff seitens des Kapitals auf ihre Lebensbedingungen ab und den sich selbst zu ihren moralischen Stellvertretern und Sprachrohren ernennenden Europa-Linken à la Seibert fällt nichts besseres ein, als die ganze Zeit darauf zu verweisen, dass dieses kämpfende und kampfeswillige Volk – Angst und keine Lust mehr zu kämpfen habe! Deswegen solle man lieber die zerschmetterndsten Niederlagen kassieren als zum offensiven Kampf aufzurufen! Das überführt sich im Grunde von selbst ob seiner Erbärmlichkeit.
b) Der neue-alte Dogmatismus. Auf der anderen Seite steht der sich ebenfalls unglaublich kämpferisch und in Worten sehr revolutionär gebende kulturkonservative Dogmatismus à la KKE. Denn einige Teile der alten kommunistischen Linken konnten sich, teils sehr prekär und mit vielen Spaltungen (so bei der KKE), halten und opponierten, zurecht!, gegen den alten (Eurokommunismus) und neuen Liberalismus (europäische Linke) innerhalb der Linken. Nur taten sie dies dadurch, dass sie diejenigen Tendenzen in der kommunistischen Arbeiterbewegung, die schon am Anfang falsch waren, noch weiter überspitzten und in einem Dogmatismus mündeten. Und mit Dogmatismus meine ich hier genau zwei Dinge: einerseits werden die neuen Kämpfe und Kampfformen aus der zweiten Hälfte des 20. Jh. aber auch des beginnenden 21. Jh. ganz im Stile der KPs im entscheidenden Jahr 1968 nicht ernst genommen, gar als kleinbürgerlicher Radikalismus, als Formen der Reformierung des kapitalistischen Systems abgetan. Alle neuen demokratischen und potenziell antikapitalistischen Kämpfe werden so mit einem Handstreich zur Seite gewischt. Andererseits herrscht ein taktischer Dogmatismus, nämlich gar keine Taktik und gar keine Vorstellung mehr von der Dialektik von Taktik und Strategie vor. Egal, was die genauen Kampfbedingungen, die Organisiertheit und der Bewusstseinsstand der Massen ist, egal, wie und wo und in welchen Formen, Slogans und Forderungen sich im Volk die Auswüchse des Kapitalismus am brennendsten und aktuellsten manifestieren resp. die Reaktion darauf ausdrücken, es wird immer die selbe ewig wahre Wahrheit heruntergebetet, dass eben nur der Sozialismus die Lösung sei – entweder das Maximalprogramm, die sozialistische Revolution, findet hier und jetzt statt oder wir können nicht viel machen, ist hier die Devise. Das führt auch zu einem völlig sinnfreien und politisch desaströsen Sektierertum, insofern die KKE und ihre Gewerkschaft PAME fast ausschließlich eigene und von allen anderen Demonstrationszügen unabhängige Demonstrationen veranstalten, weil allen anderen die exakt gleichen Einsichten wie die der KKE fehlen. Und weil aber das Volk nun einmal diese Einsicht in die sozialistische Revolution noch nicht habe (denn die kann es, nur so am Rande, gar nicht und nie haben, wenn man das Verhältnis von Volk und Partei so denkt, dass die Partei von außen die Wahrheit spricht und das Volk „aufklärt“ bis dann irgendwann Sturm geblasen wird auf den Winterpalais), verschiebt auch diese Tendenz genau so wie die ex-Liberalen-nun-Sozialchauvinisten den Kampf und die Offensive, die niemals ausschließlich die sozialistische Revolution unmittelbar umsetzt, sondern eine Periode der Umbrüche und Ermächtigungen aber auch Momente von Doppelherrschaft u. dgl. kennt, auf übermorgen – und zwar ebenfalls unter Bedingungen, wo das griechische Volk seit Jahren gekämpft und mit dem 5. Juli en masse klare kämpferische Akzente gesetzt hat.
c) Wir müssen die lähmenden Tendenzen überwinden! Dies sind, soweit ich das sehe, die beiden Hauptströmungen innerhalb der radikalen und revolutionären Linken, die für eine Blockade der Linken sorgen. Sie zeigen sich am Kampf in Griechenland ganz besonders offensichtlich und schroff, weil hier, einmalig und nach langer Zeit in Europa, die Möglichkeiten des Kampfes sehr günstig sind und wir vor den Anforderungen des Kampfes vorerst gründlich gescheitert sind. Überwinden wir nicht diese beiden Tendenzen, die Positionen der Defensive, der Selbstaufgabe und des Quietismus sind, werden wir immer weiter unter den Schlägen des Kapitals erliegen, werden sich diese Tendenzen immer weiter nach rechts entwickeln (einerseits immer stärker pro-Europa, andererseits immer stärkeres bloßes Herunterrattern von abstrakten Wahrheiten und Sektierertum) und nicht mehr mit den Kämpfen und der Aktivität der Werktätigen mithalten können. Zugleich wird, sollten wir nicht die entstehende Lücke in der kriselnden Hegemonie ausfüllen und eine offensive Antwort auf die Krise entwickeln können, die äußerste Rechte, der Faschismus wie z.B. in der Ukraine, massiv an Boden gewinnen.
Was Griechenland angeht, muss jetzt ohne wenn und aber klar gemacht werden, dass eine krasse Niederlage eingesteckt wurde, dass SYRIZA eingeknickt ist und dass über Griechenland gerade ein halbdiktatorisches, halbkolonialistisches und volksfeindliches Regime installiert wird, das mit allen Kräften aktiv bekämpft werden muss. Nach der Abstimmung im griechischen Parlament von gestern Nacht (15. Juli), bei der 38 Parlamentarier von SYRIZA gegen ihre eigene Führung abstimmten, und auf dem Hintergrund dessen, dass sich 109 von 201 Mitgliedern des ZK von SYRIZA gegen das Programm gestellt haben, zeichnet sich ab, dass sich SYRIZA spalten wird. In diesem Fall wird der Flügel um Tsipras, Dragasakis usw. weiter nach rechts driften und eine nationale Koalition mit den anderen rechten und pro-Memorandum Parteien eingehen und SYRIZA, deren Ende nun eingeleitet wurde, wird mit der Zeit langsam von der politischen Bildfläche verschwinden. Die Linke Plattform derweil kommt nur sehr langsam in die Gänge. Die Hoffnung liegt jetzt unmittelbar darin, dass sich die linken Plattformen, Gruppen und Parteien (KKE, Linke Plattform, Antarsya, usw.) in einer Front zusammentun, um die Implementierung des Abkommens offensiv zu bekämpfen. Auf gar keinen Fall dürfen sich Linke an der Umsetzung dieses Programms aus „Treue zur Regierung/Tsipras“ oder dergleichen edlen und gescheiten Erwägungen beteiligen. Das wäre politischer Selbstmord. Noch ist der mobilisierende Moment vom 5. Juli nicht vorbei, noch besteht eine Chance, dass die Menschen nicht in Demotivation, Frustration und Resignation zurücksinken. Es werden die jetzt einsetzenden (oder nicht einsetzenden) Kämpfe sein, die bestimmen, ob es bei der katastrophalen Niederlage bleiben bzw. sich diese verschärfen wird, oder ob es der Widerstand des griechischen werktätigen Volkes sein wird, der voranprescht und gerade dadurch erst allen anderen europäischen Völkern und Werktätigen ein leuchtendes Beispiel dafür abgibt, dass auch die Macht des Kapitals und seiner politischen Eliten gebrochen werden kann.
[4] „[Der Kapitalismus, A.K.] hat größere Spielräume, könnte mit einer milderen oder gar keiner Austeritätspolitik auskommen, könnte ein Schuldenmoratorium oder einen –schnitt zulassen. […] Darauf zu setzen, dass sich auf der Kapitalseite eine andere Partei durchsetzt, war gleichwohl nicht falsch und könnte sich noch immer als tragfähige Option erweisen: das werden die nächsten Stunden und Tage zeigen.“
http://www.neues-deutschland.de/artikel/977586.gegen-das-linke-grexit-gerede.html.
[5] „Eine solche Niederlage muss aber kein Ende sein, sondern kann zum Anfang der jetzt zu führenden Kämpfe werden. […] Da ist vieles Neues möglich, unerprobte, noch nicht gegangene Schritte eines erst zu erfindenden Sozialismus des 21. Jahrhunderts von unten.“ Seibert, ebd.
[6] „
Genau diese Zurückweisung stand beim Referendum zur Abstimmung. Mit dem überwältigenden OXI im Rücken gelang es Alexis Tsipras, den Rücktritt von Antonis Samaras, dem führenden Repräsentanten der griechischen herrschenden Klasse und früheren Ministerpräsidenten, durchzusetzen und dann alle Parteivorsitzenden, die sich als Sprachrohr der herrschenden Klasse sehen, dazu zu bringen, SYRIZAs Position zu akzeptieren, dass nicht nur eine Restrukturierung der Schulden, sondern auch Mittel für Investitionen erforderlich sind.
Man könnte sogar sagen, dass – wenn es den Übertritt einer Klasse gegeben hat – es genau anders herum war, dass also SYRIZAs Politik eher dem entspricht, was Gramsci mit hegemonialer Strategie umschrieb[…]. Sollte in dem Abkommen tatsächlich eine signifikante Schuldenrestrukturierung und ein Fonds für Investitionen enthalten sein und nicht an weitere Auflagen gebunden sein, würde das den gerade im Parlament verabschiedeten Plan von Haushaltsüberschüssen in Höhe von 11 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre um ein Vielfaches übertreffen.“ usw. usf. Vgl.
http://www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/requiem-am-lenin-mausoleum/.
[9] „Die letzten Monate haben der ganzen Welt die Möglichkeit gegeben, die faktische Existenz des Antagonismus zu erfahren, zu sehen, zu spüren. Syriza hat nicht reformistische Wünsche geweckt, sondern sie in einem praktischen Anschauungsunterricht zerstört – ob gewollt oder nicht. […] Syriza hat nicht bei den eigenen Wahrheiten begonnen, sondern beim Stand des Bewusstseins der Bevölkerung und dieses radikalisiert. Insofern hat sie einen revolutionären Prozess begonnen [.]“
http://athens.blockupy.org/post/123881416885/die-niederlage-verstehen-heisst-den-sieg. Eine Totalniederlage, eine komplette Zerstörung der eigenen organisierten Macht als
Beginn eines revolutionären Prozesses beschreiben – auch das kann nur eine unglaublich tiefe, urdeutsche Dialektik zuwege bringen.
[13] Am 18. Juli, nachdem dieser Essay schon abgefasst und für das Online-Magazin vorbereitet wurde, hat die a&k auf ihrer Facebook-Seite einen Beitrag geteilt, der sich auf die neuesten Entwicklungen in Griechenland (Abkommen vom 12./13. Juli) bezieht. (siehe:
https://www.facebook.com/permalink.phpstory_fbid=10153076085037476&id=183921262475&substory_index=0) Es wird hier aus den Erfahrungen der letzten Wochen die richtige Schlussfolgerung gezogen, dass es innerhalb der Eurozone genauso wie innerhalb der deutschen Regierungskoalition keinerlei Spielraum gibt und dass sich für die a&k, die ja für eine wie auch immer geartete europäische Lösung der Griechenlandkrise argumentierte, und für uns als radikale Linke im Allgemeinen, die Frage stellt, wie politisches Handeln in Europa überhaupt noch aussehen kann. Das gibt mir die Hoffnung, dass auch für die a&k „Europa um jeden Preis“ nicht die richtige Losung sein kann und dass die Haltung der a&k wesentlich eine ist, die nicht sofort alle Niederlagen wegrationalisiert und sich konform darin einnistet, sondern sich mit ihnen auseinandersetzen und Lösungen schaffen möchte. Insofern muss die Schärfe in meinem Essay bezüglich der a&k vermutlich relativiert werden. Meine inhaltliche Argumentation halte ich immer noch für richtig und bin nicht der Meinung, wie die a&k meint, dass wir uns hätten diese Diskussion ebensogut sparen können; im Gegenteil: die Diskussion muss, ob scharf oder nicht, dringend fortgesetzt werden, damit wir es das nächste mal besser machen!