Biker gegen Faschismus, Generäle für den Frieden von Rüdiger Göbel
06.05.2015
Verkehrte Welt zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus: Martialisch wirkende Motorradfahrer sind auf Friedensfahrt von Moskau nach Berlin. Frühere deutsche Spitzenmilitärs warnen vor einem neuen Krieg in Europa. Die Mainstreampresse lehrt dagegen die Russen Mores.
Russenalarm auf Deutschlands Straßen und in den Medien: "Sympathisanten des kremlnahen russischen Rockerclubs "Nachtwölfe" haben am Montag die KZ-Gedenkstätte Dachau besucht", berichtet die Nachrichtenagentur dpa. "Kremlnah" als politische Einordnung ist in der Berichterstattung Pflicht – obwohl niemand so richtig erklären kann, was das heißen soll.
Und was haben die russischen Biker in Bayern schlimmes gemacht? Sie haben Kerzen in der Gedenkstätte angezündet und gebetet, sie haben das Krematorium des vor 70 Jahren von US-Truppen befreiten Konzentrationslagers besichtigt und Blumen am Mahnmal niedergelegt.
"Die Bundesregierung steht der sogenannten Siegestour des Motorradclubs zum 70. Jahrestag des Kriegsendes in Deutschland zwar skeptisch gegenüber, plant aber keine Maßnahmen dagegen«, lügt »dpa« und merkt offensichtlich nicht, wenn im Nachsatz das genaue Gegenteil steht: »Das Auswärtige Amt bestätigte, dass drei führenden Mitgliedern der ›Nachtwölfe‹ aus Russland am Flughafen Berlin-Schönefeld die Einreise verweigert worden sei."
Die Biker wurden auf der Autobahn und am Münchner Flughafen penibel kontrolliert, die Gruppe wird vom Staatsschutz überwacht. In Lübeck-Travemünde wurde ein »alleinreisender ›Nachtwolf‹«, der mit der Fähre aus Helsinki kam, von der Bundespolizei in Gewahrsam genommen – aber sonst will »die Bundesregierung nicht verhindern, wenn Menschen 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs dieses Anlasses gedenken wollen«, wie Regierungssprecher Steffen Seibert verkündet.
Die antifaschistische Aktion der »Nachtwölfe« schlägt bis in den hohen Norden hohe Wellen. Der »Weser-Kurier« etwa regt sich über die »umstrittene Siegestour« auf und begrüßt die staatliche Repression: »Nein, sie verdienen diese Aufmerksamkeit nicht. (…) Statt auf breiter Front in Richtung deutsche Hauptstadt zu brettern, ist der Konvoi des Motorradklubs in Kleingruppen zersplittert. Der geplante Triumphzug scheint schon jetzt ausgebremst. Am Montag schafften es lediglich einige Sympathisanten und Familienangehörige der Biker über die deutsche Grenze zur KZ-Gendenkstätte in Dachau. Mehreren Mitgliedern der ›Nachtwölfe‹ wurde die Einreise verwehrt.«
Gegen das "vermeintliche Vorhaben", der Roten Armee als Befreierin von der NS-Diktatur zu gedenken, wäre an sich nichts einzuwenden, gibt sich der »Weser-Kurier« großzügig und weiß genau: Die Aktion verfolgt »einen anderen Zweck«: »Die Putin-nahen Motorradfreunde stehen für einen aggressiven Nationalismus und großrussische Allmachtsfantasien. (…) Die ›Nachtwölfe‹ wollen mit ihrer skurrilen Roadshow das Leid der NS-Opfer für ihre Ideologie instrumentalisieren und inszenieren sich selbst als Ausgesperrte. Das Katz-und-Maus-Spiel mit den Grenzern nutzen sie, um den Eindruck eines russlandfeindlichen Klimas in Europa zu schinden. TV-Sender wie ›Russia Today‹ und andere russische Medien nehmen diese Propaganda dankend an.«
Allein, "den Eindruck eines russlandfeindlichen Klimas in Europa" müssen keine "Putin-nahen Motorradfreunde" schinden, das besorgen "Weser-Kurier" und Co. schon selbst.
Der "Deutschlandfunk" heißt die Männer vom "Nachtwolf-Rudel" – sie haben den »IQ einer obenliegenden Nockenwelle« und »kennen nichts als den Stolz auf ihr Russentum« – ganz herrenmenschlich willkommen: »Lasst die Russen kommen. Haltet die Nachtwölfe nicht auf, sondern macht ihnen den Weg frei. Immerhin können sie von München nach Berlin auf der Autobahn fahren. Die Russen haben es in 70 Jahren nicht geschafft, eine Autobahn von Moskau nach St. Petersburg zu bauen. Vielleicht also lernen die Nachtwölfe noch was auf ihrem Weg von Moskau nach Berlin und zurück. Vielleicht nehmen sie ein bisschen Zivilisation mit."
Wenn das der Führer wüsste, wie stolz man noch heute auf seine Autobahnen ist, die für die Erschließung des Lebensraumes in den russischen Weiten gebaut worden sind. Klar ist, mit einer solchen Grundhaltung wird ein Friedensappell ehemaliger deutscher Spitzenmilitärs totgeschwiegen – noch dazu, wenn sie im falschen Teil Deutschlands dienten, nämlich in der antifaschistischen DDR.
Die Mehrheit der rund 100 unterzeichnenden Generäle, darunter zwei ehemalige Verteidigungsminister, hat den Zweiten Weltkrieg an der Front erlebt. Heute sind sie "in großer Sorge um die Erhaltung des Friedens und den Fortbestand der Zivilisation in Europa".
Krieg sei wieder zum ständigen Begleiter der Menschheit geworden, konstatieren sie. »Die von den USA und ihren Verbündeten betriebene Neuordnung der Welt hat in den letzten Jahren zu Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan, im Irak, Jemen und Sudan, in Libyen und Somalia geführt. Fast zwei Millionen Menschen wurden Opfer dieser Kriege, und Millionen sind auf der Flucht.«
Mit Blick auf die Eskalation im Ukraine-Konflikt heißt es weiter: "Offensichtlich zielt die Strategie der USA darauf ab, Russland als Konkurrenten auszuschalten und die Europäische Union zu schwächen. In den letzten Jahren ist die NATO immer näher an die Grenzen Russlands herangerückt. Mit dem Versuch, die Ukraine in die EU und in die NATO aufzunehmen, sollte der Cordon sanitaire von den baltischen Staaten bis zum Schwarzen Meer geschlossen werden, um Russland vom restlichen Europa zu isolieren. Nach amerikanischem Kalkül wäre dann auch eine deutsch-russische Verbindung erschwert oder verhindert."
Und sie warnen: "Die forcierte Militarisierung Osteuropas ist kein Spiel mit dem Feuer – es ist ein Spiel mit dem Krieg!"
Die DDR-Militärs, die im Gegensatz zu ihren Kollegen in der Bundeswehr keinen einzigen Tag Krieg geführt haben, warnen vor einem "Verbrechen an der Menschheit": "Begreift man nicht, was eine militärische Auseinandersetzung auf dem dichtbesiedelten europäischen Kontinent bedeuten würde? Hunderte Kampfflugzeuge und bewaffnete Drohnen, bestückt mit Bomben und Raketen, Tausende Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, Artilleriesysteme kämen zum Einsatz. In der Nord- und Ostsee, im Schwarzen Meer träfen modernste Kampfschiffe aufeinander und im Hintergrund ständen die Atomwaffen in Bereitschaft. Die Grenzen zwischen Front und Hinterland würden sich verwischen. Millionen Mütter und Kinder würden um ihre Männer, um ihre Väter und Brüder weinen. Millionen Opfer wären die Folge. Aus Europa würde eine zerstörte Wüstenlandschaft werden."
Soweit dürfe es nicht kommen, mahnen sie. Statt der "Schnellen Eingreiftruppe der NATO" an den Ostgrenzen brauche es "mehr Tourismus, Jugendaustausch und Friedenstreffen mit unseren östlichen Nachbarn«, statt Kriegshetze gegen Russland brauche es »gegenseitiges Verständnis und ein friedliches Neben- und Miteinander".
Das ist noch ein weiter Weg. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen lässt am 9. Mai die Truppe tanzen. Beim "Ball des Heeres" in Berlin werden 60 Jahre Mitgliedschaft in der NATO gefeiert – nicht die Befreiung vom Faschismus.
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