Das Blättchen, Ausgabe 10 v. 11. Mai 2015
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Die Bundeswehr beging am 9. Mai mit einem großen Ball am Berliner Funkturm nicht etwa den 70. Jahrestag des Sieges der alliierten Streitkräfte über die nationalsozialistische Wehrmacht sondern den 60. Jahrestag der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO. Angesichts der historischen Dimension der Beendigung des faschistischen Raubkrieges und der besonderen Rolle der Sowjetunion an diesem Ereignis empfinden viele Bürger den Bundeswehrball zu diesem Datum als eine politische Geschmacklosigkeit, manche auch als Skandal oder Provokation gegenüber Russland. Die Duplizität der Jubiläen fordert geradezu dazu auf, sich eines dritten runden Jahrestages zu besinnen, der ebenfalls in die erste Hälfte des Monats Mai fällt. Die Organisation des Warschauer Vertrages (WVO) – im NATO- Deutsch also der Warschauer Pakt – wäre in diesen Tagen, genau gesagt am 14. Mai, ebenfalls 60 Jahre alt geworden. Wer jetzt mitgerechnet hat, wird eine merkwürdige Zeitrelation erkennen: Der Warschauer Vertrag wurde nämlich nicht nur sechs Jahre nach dem Nordatlantikvertrag abgeschlossen, auch die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO beginnt noch vor der Gründung des Warschauer Paktes.
Das Inkrafttreten der Pariser Verträge und die damit verbundene Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO waren für die Sowjetunion der eigentliche Anlass, ihre zögerliche Haltung bei der Bildung eines der NATO adäquaten Militärpaktes aufzugeben. Exakt bis dahin hatte die Sowjetunion ihre eigene Position zur Deutschlandfrage offen gehalten – ganz im Unterschied zu den beiden deutschen Staaten selbst. Für die Sowjetunion war die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO das Signal zu einer neuen Qualität der Spaltung Deutschlands und einer sich vertiefenden Konfrontation zwischen Ost und West, auf die eine Antwort gefunden werden sollte.
Mit dem Warschauer Vertrag versuchten die Ostblockstaaten unter Führung der Sowjetunion ein adäquates Gegengewicht zur NATO zu schaffen. Der Wortlaut des Warschauer Vertrags ähnelt durchaus dem des Nordatlantikvertrags. Beide Verträge bringen den Willen zur Friedenssicherung und – im Falle eines Angriffs durch die andere Seite – die Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe zum Ausdruck. Dazu wurde auch ein jeweils gemeinsames militärisches Oberkommando beschlossen. An dieser Stelle hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Die militärische Organisiertheit beider Paktsysteme unterschied sich grundsätzlich. Bemerkenswert bis heute ist der Artikel 11 des Warschauer Vertrags, wonach der Vertrag seine Gültigkeit verliert, wenn ein kollektiver Sicherheitsvertrag für ganz Europa abgeschlossen werden sollte. Dagegen wehrt sich die NATO bis heute.
Die Bundeswehr beging am 9. Mai mit einem großen Ball am Berliner Funkturm nicht etwa den 70. Jahrestag des Sieges der alliierten Streitkräfte über die nationalsozialistische Wehrmacht sondern den 60. Jahrestag der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO. Angesichts der historischen Dimension der Beendigung des faschistischen Raubkrieges und der besonderen Rolle der Sowjetunion an diesem Ereignis empfinden viele Bürger den Bundeswehrball zu diesem Datum als eine politische Geschmacklosigkeit, manche auch als Skandal oder Provokation gegenüber Russland. Die Duplizität der Jubiläen fordert geradezu dazu auf, sich eines dritten runden Jahrestages zu besinnen, der ebenfalls in die erste Hälfte des Monats Mai fällt. Die Organisation des Warschauer Vertrages (WVO) – im NATO- Deutsch also der Warschauer Pakt – wäre in diesen Tagen, genau gesagt am 14. Mai, ebenfalls 60 Jahre alt geworden. Wer jetzt mitgerechnet hat, wird eine merkwürdige Zeitrelation erkennen: Der Warschauer Vertrag wurde nämlich nicht nur sechs Jahre nach dem Nordatlantikvertrag abgeschlossen, auch die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO beginnt noch vor der Gründung des Warschauer Paktes.
Das Inkrafttreten der Pariser Verträge und die damit verbundene Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO waren für die Sowjetunion der eigentliche Anlass, ihre zögerliche Haltung bei der Bildung eines der NATO adäquaten Militärpaktes aufzugeben. Exakt bis dahin hatte die Sowjetunion ihre eigene Position zur Deutschlandfrage offen gehalten – ganz im Unterschied zu den beiden deutschen Staaten selbst. Für die Sowjetunion war die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO das Signal zu einer neuen Qualität der Spaltung Deutschlands und einer sich vertiefenden Konfrontation zwischen Ost und West, auf die eine Antwort gefunden werden sollte.
Mit dem Warschauer Vertrag versuchten die Ostblockstaaten unter Führung der Sowjetunion ein adäquates Gegengewicht zur NATO zu schaffen. Der Wortlaut des Warschauer Vertrags ähnelt durchaus dem des Nordatlantikvertrags. Beide Verträge bringen den Willen zur Friedenssicherung und – im Falle eines Angriffs durch die andere Seite – die Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe zum Ausdruck. Dazu wurde auch ein jeweils gemeinsames militärisches Oberkommando beschlossen. An dieser Stelle hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Die militärische Organisiertheit beider Paktsysteme unterschied sich grundsätzlich. Bemerkenswert bis heute ist der Artikel 11 des Warschauer Vertrags, wonach der Vertrag seine Gültigkeit verliert, wenn ein kollektiver Sicherheitsvertrag für ganz Europa abgeschlossen werden sollte. Dagegen wehrt sich die NATO bis heute.
Inwieweit die beiden Paktsysteme nun zur Sicherung oder zur Gefährdung des Friedens
beigetragen haben – darüber kann man trefflich streiten. Nachdem im Mai 1955 auch der
scheinbar sozialistische Osten seine Militärorganisation gegründet hatte, begann jedenfalls die
Zeit eines beispiellosen Wettrüstens, das wechselseitig von völlig schizophrenen
Bedrohungsperzeptionen getrieben war. Beide Seiten warfen sich Streben nach militärischer
Überlegenheit und zunehmende Aggressionsbereitschaft vor. Auf diese Weise schaukelte sich
die gegenseitige Abschreckung auf ein Vielfaches der Fähigkeit zur Vernichtung der
menschlichen Zivilisation hoch. Zeitweise standen sich in Zentraleuropa mehr als zwei
Millionen Soldaten in einem labilen militärischen Gleichgewicht direkt gegenüber. Die Linie
der unmittelbaren Konfrontation lief dabei durch Deutschland. Wer sich an diese Zeit noch
erinnern kann – und dabei an solche Situationen wie die Kubakrise 1962 denkt – wird leicht
begreifen, dass wir damals wohl mehr mit Glück als durch politische Vernunft einer
Katastrophe entgangen sind.
Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass sich insbesondere in den 1980er Jahren ein bemerkenswerter Wandel im militärischen Denken des Warschauer Vertrages vollzogen hat, der in der NATO bis heute offiziell nicht zur Kenntnis genommen wurde und auch durch die regierungsamtliche Militärhistoriografie nur sehr zögerlich reflektiert wird. Bis Anfang der 1980er Jahre gingen die militärischen Planungen des Warschauer Paktes davon aus, dass einer angenommenen Aggression der NATO mit einer offensiven militärischen Strategie begegnet werden müsse. Dabei sollte möglichst schnell die militärische Initiative durch strategische Angriffsoperationen ergriffen werden, bei denen der vermeintliche Aggressor – also die NATO – auf ihrem eigenen Territorium vernichtend geschlagen werden sollte. Diese Zielstellung entsprach den historischen Erfahrungen der Sowjetunion, die sie durch den Überfall der deutschen Wehrmacht im Juni 1941 gemacht hatte. Das damit verbundene Trauma eines zeitweiligen Verlustes fast des gesamten europäischen Territoriums der Sowjetunion sollte sich niemals wiederholen dürfen.
Im Westen wurde die offensive Verteidigung als aggressive Absicht wahrgenommen und mit einer Stärkung der Luftangriffsfähigkeiten der NATO beantwortet. Sicherlich hat dieses militärische Gegenkonzept zu einem Umdenken im Osten beigetragen. Entscheidend dürfte aber gewesen sein, dass sich im Zusammenhang mit dem KSZE-Prozess und den ersten Abrüstungs- beziehungsweise Rüstungsbegrenzungsabkommen zwischen den USA und der UdSSR auf beiden Seiten etwa seit Anfang der 1980er Jahre die Erkenntnis entwickeln konnte, dass in Zentraleuropa ein Krieg nicht mehr führbar und gewinnbar ist und zu einer militärischen Deeskalation übergegangen werden muss. Dementsprechend vollzog der Warschauer Pakt in mehreren Planungsschritten den Übergang zu einem defensiven Konzept der Verteidigung, reduzierte seine Angriffsfähigkeiten durch einseitige Abrüstungsmaßnahmen, beschränkte die Manöver auf Verteidigungshandlungen und richtete dann auch die Einsatzplanung ab dem Jahr 1988 ausschließlich auf eine Verteidigungsoperation aus, die im Falle eines Konflikts lediglich die Erreichung des „Status quo ante“ zum Ziel hatte.
Diese strategische Umorientierung bildete exakt den Kern der neuen Militärdoktrin, die im Mai 1987 vom Politisch Beratenden Ausschuss der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages in Berlin beschlossen wurde. Mit dem Übergang von einer offensiven zu einer defensiven Verteidigung wurde den Besorgnissen des Westens weitgehend Rechnung getragen. Diese neue Militärdoktrin hatte den Charakter eines Paradigmenwechsels im militärischen Denken des Warschauer Vertrages, der den letzten Abschnitt der Geschichte dieses Militärpakts prägte und zugleich den Übergang zu Schritten einer militärischen Entspannung möglich machte. Offensichtlich hatten die sowjetischen Militärs auch den Wahnwitz der bisherigen Nuklearplanung erkannt und deshalb mit der Militärdoktrin von 1987 auf jeden Ersteinsatz von Kernwaffen verzichtet. Dementsprechend durften bei Übungen und Manövern der WVO ab 1988 auch keine Kernwaffenschläge mehr simuliert werden – ganz im Unterschied zur NATO, die bei ihrer Rahmenstabübung Wintex-Cimex im Frühjahr 1989 noch fiktive Kernwaffenschläge gegen die Streitkräfte des Ostens führte.
Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass sich insbesondere in den 1980er Jahren ein bemerkenswerter Wandel im militärischen Denken des Warschauer Vertrages vollzogen hat, der in der NATO bis heute offiziell nicht zur Kenntnis genommen wurde und auch durch die regierungsamtliche Militärhistoriografie nur sehr zögerlich reflektiert wird. Bis Anfang der 1980er Jahre gingen die militärischen Planungen des Warschauer Paktes davon aus, dass einer angenommenen Aggression der NATO mit einer offensiven militärischen Strategie begegnet werden müsse. Dabei sollte möglichst schnell die militärische Initiative durch strategische Angriffsoperationen ergriffen werden, bei denen der vermeintliche Aggressor – also die NATO – auf ihrem eigenen Territorium vernichtend geschlagen werden sollte. Diese Zielstellung entsprach den historischen Erfahrungen der Sowjetunion, die sie durch den Überfall der deutschen Wehrmacht im Juni 1941 gemacht hatte. Das damit verbundene Trauma eines zeitweiligen Verlustes fast des gesamten europäischen Territoriums der Sowjetunion sollte sich niemals wiederholen dürfen.
Im Westen wurde die offensive Verteidigung als aggressive Absicht wahrgenommen und mit einer Stärkung der Luftangriffsfähigkeiten der NATO beantwortet. Sicherlich hat dieses militärische Gegenkonzept zu einem Umdenken im Osten beigetragen. Entscheidend dürfte aber gewesen sein, dass sich im Zusammenhang mit dem KSZE-Prozess und den ersten Abrüstungs- beziehungsweise Rüstungsbegrenzungsabkommen zwischen den USA und der UdSSR auf beiden Seiten etwa seit Anfang der 1980er Jahre die Erkenntnis entwickeln konnte, dass in Zentraleuropa ein Krieg nicht mehr führbar und gewinnbar ist und zu einer militärischen Deeskalation übergegangen werden muss. Dementsprechend vollzog der Warschauer Pakt in mehreren Planungsschritten den Übergang zu einem defensiven Konzept der Verteidigung, reduzierte seine Angriffsfähigkeiten durch einseitige Abrüstungsmaßnahmen, beschränkte die Manöver auf Verteidigungshandlungen und richtete dann auch die Einsatzplanung ab dem Jahr 1988 ausschließlich auf eine Verteidigungsoperation aus, die im Falle eines Konflikts lediglich die Erreichung des „Status quo ante“ zum Ziel hatte.
Diese strategische Umorientierung bildete exakt den Kern der neuen Militärdoktrin, die im Mai 1987 vom Politisch Beratenden Ausschuss der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages in Berlin beschlossen wurde. Mit dem Übergang von einer offensiven zu einer defensiven Verteidigung wurde den Besorgnissen des Westens weitgehend Rechnung getragen. Diese neue Militärdoktrin hatte den Charakter eines Paradigmenwechsels im militärischen Denken des Warschauer Vertrages, der den letzten Abschnitt der Geschichte dieses Militärpakts prägte und zugleich den Übergang zu Schritten einer militärischen Entspannung möglich machte. Offensichtlich hatten die sowjetischen Militärs auch den Wahnwitz der bisherigen Nuklearplanung erkannt und deshalb mit der Militärdoktrin von 1987 auf jeden Ersteinsatz von Kernwaffen verzichtet. Dementsprechend durften bei Übungen und Manövern der WVO ab 1988 auch keine Kernwaffenschläge mehr simuliert werden – ganz im Unterschied zur NATO, die bei ihrer Rahmenstabübung Wintex-Cimex im Frühjahr 1989 noch fiktive Kernwaffenschläge gegen die Streitkräfte des Ostens führte.
Inzwischen ist der Warschauer Pakt Geschichte. Der Zusammenbruch des realen Sozialismus
machte auch die Existenz seiner Militärorganisation obsolet. Den ersten Schritt ging die DDR,
die – kurz vor ihrem Beitritt zur Bundesrepublik – am 24. September 1990 offiziell aus dem
Warschauer Vertrag austrat. Die militärischen Strukturen des Warschauer Vertrages
beendeten ihre Tätigkeit zum 31. März 1991. Der offizielle Beschluss zur Selbstauflösung
erfolgte am 1. Juli 1991. Der politische und militärische Gegner der NATO war
verschwunden – ohne Krieg und ohne sich zu ergeben. Es begann eine Zeit der Hoffnung auf
den ewigen Frieden in Europa.
Nach rund 25 Jahren müssen wir feststellen, dass Europa nicht sicherer geworden ist. Die Chance zu einem neuen europäischen Sicherheitssystem, das alle Länder Europas vereint und allen Ländern gleiche Sicherheit gewährleistet, wurde verpasst. Die NATO versteht sich als Sieger des Kalten Krieges und rückte im Baltikum direkt bis an die russische Grenze vor. Die Besorgnisse und Interessen Russlands werden wie eh und je ignoriert. Man wünscht sich eine Kraft, die den Übermut der NATO im Interesse von Frieden und Stabilität in Europa zügelt. Diese Fähigkeit kann heute nur noch die elementare politische Vernunft haben. Es ist ungewiss, ob sich diese Kraft tatsächlich durchsetzen wird.
Nach rund 25 Jahren müssen wir feststellen, dass Europa nicht sicherer geworden ist. Die Chance zu einem neuen europäischen Sicherheitssystem, das alle Länder Europas vereint und allen Ländern gleiche Sicherheit gewährleistet, wurde verpasst. Die NATO versteht sich als Sieger des Kalten Krieges und rückte im Baltikum direkt bis an die russische Grenze vor. Die Besorgnisse und Interessen Russlands werden wie eh und je ignoriert. Man wünscht sich eine Kraft, die den Übermut der NATO im Interesse von Frieden und Stabilität in Europa zügelt. Diese Fähigkeit kann heute nur noch die elementare politische Vernunft haben. Es ist ungewiss, ob sich diese Kraft tatsächlich durchsetzen wird.
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