Die von mir bislang sehr geschätzte Christiane Schlötzer hat heute einen Artikel in der SZ veröffentlicht (s.Anlage*), der mich empört und auf den ich geantwortet habe. Hier meine Antwort:
Antwort auf Christiane Schlötzer
von C.U.Schminck-Gustavus - 13.März 2015
Christiane Schlötzer fragt sich in der Süddeutschen Zeitung vom 13.März 2015, ob bei den Athener Forderungen nach Entschädigungen für Wehrmachtsunrecht "so viel Drama" sein müsse. Einige Antworten auf ihre hochnäsige Frage hätte sie in einem von ihr selbst (!) verfassten Artikel finden können, den sie vor Zeiten in der Wochenend-SZ veröffentlicht hatte (15./16.10.2012). Ihren ganzseitigen Beitrag hatte sie seinerzeit mit einem plastischen Titel versehen: Das Tor zu einer verschütteten Geschichte. Untertitel: "In der Euro-Krise fühlen sich viele Griechen von Deutschland gedemütigt - doch ihre schrillen Reaktionen kann nur verstehen, wer das Trauma der Nazibesatzung kennt."
Vor zwei Jahren fiel es Christiane Schlötzer offenbar noch leichter, Verständnis für die "Pleite-Griechen" aufzubringen. Damals war auch noch die Samaras-Regierung am Ruder, die die verfassungs- und europarechtswidrigen Befehle der Troika stets gehorsam ausgeführt hatte; dass allerdings damals auch Minister der Samaras-Regierung bereits anfingen, ihr Privatvermögen "aus Sorge für die Kinder" ins Ausland zu transferieren, konnte man seinerzeit in der SZ-Redaktion freilich noch nicht wissen - das haben erst jetzt die Ermittlungen der als Abenteurer-Crew diffamierten Linksregierung von Tsipras-Varoufakis ergeben.
Dass es also genau diese neue griechische Regierung war, die mit der Korruption und den illegalen Geldtransfers von Reedern und Wirtschaftsführern aufzuräumen begann, hätte inzwischen freilich auch in der SZ-Redaktion bekannt sein müssen - um nicht von den Staatssekretären im griechischen Verteidigungsministerium zu reden, die kofferweise Bestechungsgelder von den Emissären deutscher Rüstungskonzerne in Empfang genommen hatten (Rheinmetall, Spiegel 48/2014 u.ö.).
Inzwischen werden in den Kommentaren vieler bundesdeutscher Politiker nur noch Stammtischparolen bedient. In der Boulevard-Presse interessiert man sich mehr für Varoufakis Hemden als für die 3 Millionen Griechen (1/4 der Gesamtbevölkerung), die keine Krankenversicherung mehr bezahlen können, die kein Geld für Strom, Medikamente oder Heizöl haben und vor den öffentlichen Suppenküchen anstehen - wenn sie nicht bereits aus ihren Wohnungen zwangsemittiert und damit obdachlos geworden sind.
Wer wie die griechische Syriza-Regierung in dieser extremen Notlage auf einvernehmliche Lösungen mit den "Partnern in der EU" hoffte, sieht sich getäuscht. Der Finanzminister der Bundesrepublik erlaubt sich stattdessen hämische Kommentare zu Varoufakis; er apostrophiert ihn als "foolish naiv" und meint, ihn als "berühmten Weltökonomen" verspotten zu dürfen, ohne zur Kenntnis zu nehmen, was Wirtschaftshistoriker wie z.B. der aus München gebürtige und jetzt an der Londoner School of Economics lehrende Professor Albrecht Ritschl bereits im Juni 2011 im Spiegel zur Finanzkrise in Europa deutlich gemacht hatte.
Ritschl erklärte damals: "Deutschland war der größte Schuldensünder des 20.Jahrhunderts." Über das Londoner Schuldenabkommen von 1953 sagte Ritschl: "Nach dem ersten Zahlungsausfall in den dreißiger Jahren wurde der Bundesrepublik 1953 von den USA ein Schuldenschnitt - im Englischen "haircut" - verpasst, der das Schuldenproblem von einem voluminösen Afro-Look auf eine Vollglatze reduzierte." Ritschl kam bereits damals zu dem Ergebnis, die Bundesrepublik müsse sich "in der Euro-Krise zügeln, sonst könnte sich die Stimmung gegen das Land drehen." Genau dieses ist inzwischen in erschreckender Weise eingetreten.
Dass die griechischen Schulden vor allem gegenüber Banken bestanden - u.a. für absurde Rüstungskäufe - und dass infolgedessen die diversen Rettungspakete vor allem der Rettung oder Entlastung von Banken - wie etwa auch der Deutschen Bank als Großgläubigerin - , nicht aber der Entlastung der griechischen Bevölkerung zugute kamen, darauf haben Wirtschaftsexperten wie Professor Rudolf Hickel/Bremen wiederholt hingewiesen, ohne dass dies bei den Presseschreibern zur Kenntnis genommen worden wäre: es war eben einfacher Stimmung zu machen gegen die "faulen Griechen, die den deutschen Steuerzahler auspressen."
Aber die Frage nach dem historischen Kontext der Schuldenkrise hätte bei den Verantwortlichen in Eurogruppe und Finanzministerien nicht so ahnungslos behandelt werden dürfen, wie dies in der letzten Zeit geschehen ist. Man wird vom deutschen Finanzminister nicht erwarten können, dass er sich über die - áuf der Londoner Schuldenkonferenz - ausgedachten trickreichen Methoden unterrichtet, mit denen damals die deutschen Schulden ad calendas graecas vertagt wurden; aber in seinem großen Beraterstab hätte schon einer der Herren mal in der Habilitationsschrift der Historikerin Professor Ursula Rombeck-Jaschinski, die an der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf lehrt, nachlesen und anschließend den Herrn Minister unterrichten können.
Wenn diese Vorgehensweise im Finanzministerium aber zu mühsam erschienen sein sollte, hätte man doch zumindest erwarten dürfen, dass dort der informative Artikel von Klaus Wiegräfe im Spiegel 9/2015 zur Kenntnis genommen wird. Wiegräfe beschreibt ausführlich, wie die Regierung Kohl-Genscher beim sog. "2+4 Vertrag" alles daran gesetzt hat, den Wiedervereinigungsvertrag bloß nicht als das zu bezeichnen, was er tatsächlich gewesen ist: ein "Friedensvertrag". Die Angst von Genscher-Kohl vor dem "F-Wort" war begründet, denn sie hätte die Frage der deutschen Reparationszahlungen und Kriegsschulden wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Wusste man auch das alles nicht in der SZ-Redaktion?
Wenn nun die griechische Regierung es wagt, die - übrigens auch von früheren griechischen Regierungen wiederholt in Erinnerung gebrachten, aber nie bezahlten - Reparationen als Verhandlungsgegenstand anzumahnen oder auch den Besatzungszwangskredit, den die Nazi-Führung Griechenland auferlegt hatte, dann soll das nach Christiane Schlötzer schon "zu viel Drama" und nur ein "Ablenkungsmanöver" sein? Aber Ablenkung wovon eigentlich?
Haben nicht Historiker wie Professor Hagen Fleischer/Athen nicht schon vor Jahrzehnten die Frage des Zwangskredits thematisiert? Gestern Abend war Fleischer in einem lehrreichen ARD-Interview in "Aspekte" zu hören (12.3. - 21:45h) . Ich empfehle der SZ-Redaktion in München insoweit die ARD-Mediathek ; unter "Verpasste Sendungen" kann das Interview abgerufen werden.
Das gleiche gilt für die vorgestrige Parlamentsrede von Alexis Tsipras, die sich durch ihren - fast demütig-versöhnlichen - Ton sowie durch das Angebot von neuen Verhandlungen vollständig unterschieden hat von dem, was man hier als Politiker-Gebelle auch im deutschen Bundestag zu hören bekommt ("nicht auf der angestiegenen Suizid-Rate in Griechenland herumreiten")usw. Auch diese Tsípras-Rede ist in deutscher Übersetzung abrufbar unter
Tsipras kündigte die Aktivierung einer Expertenkommission an, die sich mit der Frage der Reparationen befassen soll. Inzwischen ist aus Griechenland auch zu hören, dass die griechische Regierung von den US National Archives &Records Administration 162 microfilms (36mm) erworben hat. Jeder Film enthält zwischen 500 und 3.000 Dokumente der Wehrmachtsverwaltung in Griechenland; dieses Material über deutsche Kriegsuntaten in Griechenland wurden seinerzeit von der amerikanischen Militärverwaltung beschlagnahmt und sodann ins US-Nationalarchiv überführt.
Wer die teilweise mühsame Archivarbeit in Freiburg (Militärarchiv), Bonn/Koblenz/Berlin (AA-Archiv, Bundesarchiv) und Athen (Αρχείο του Στρατού) kennen gelernt hat, der weiß, dass hier wohl noch Überraschungen bevorstehen, die auch dem "Weltökonomen" im bundesdeutschen Finanzministerium Kopfzerbrechen bereiten werden. Dies gilt auch für die in zweiter aktualisierter Auflage jetzt herauskommende umfassende Studie von Dr. Karl-Heinz Roth/Hamburg/Bremen unter dem Titel "Griechenland am Abgrund und die deutsche Wiedergutmachung", in der die - in deutschem Namen - in Griechenland hinterlassenen Verwüstungen detailliert beschrieben werden.
Roth weist unter anderem auch auf die zu beachtende Größenordnungen hin: Die Unterstützung einer griechischen Kreditanstalt für Wiederaufbau mittels Rückzahlung des Besatzungszwangskredits zur Ankurbelung der griechischen Wirtschaft würde sich - im Vergleich zu den nach der Wiedervereinigung in den "Aufbau Ost" geflossenen Mittel - durchaus bescheiden ausnehmen. In den "Aufbau Ost" der neuen Bundesländer sind in 15 Jahren nämlich umgerechnet circa 1,2 Billionen Euro geflossen.
Auch haben die Experten im Bundesfinanzministerium zur Kenntnis zu nehmen, dass sich nicht nur kritische Völkerrechtslehrer und Europarechtsexperten wie Professor Andreas Fischer Lescano/Bremen, Professor Gerhard Stuby/Bremen und Professor Norman Paech/Hamburg, sondern auch der neue griechische Staatspräsident zur Reparationsfrage geäußert haben.
Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos ist aber nicht nur Vorstandsmitglied der Nea Dimokratia in Athen und ehemaliger Innenminister; er ist auch Professor für Staats- und Verfassungsrecht an der Universität Athen, und er hat bereits vor einem Jahr zu den fortbestehenden Kriegsschulden Deutschlands gegenüber Griechenland eindeutig Stellung bezogen.
Schließlich aber möge man sich hierzulande der vorgestrigen maßvollen und auf Verständigung zielenden Worte des griechischen Regierungschefs erinnern: er plädiert nicht für "Drama", sondern für Einigung und Dialog mit gegenseitigem Respekt vor der historischen Wahrheit und zitiert in diesem Sinne auch die Bergpredigt: "Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken aber in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?" (Matthäus 7,3).
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*Griechenland Muss
so viel Drama sein?
Griechenlands
Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras (im Bild rechts,
links der Finanzminister Yanis Varoufakis) tritt stark auf - aber ist
sie es auch?
Athens Forderungen
nach Entschädigung für das Unrecht der Wehrmacht sind ein
Ablenkungsmanöver: Die griechische Regierung will sich stärker
zeigen, als sie ist. Das verschärft die Krise.
Kommentar
von Christiane Schlötzer
in: Süddeutsche Zeitung 13.3.2015
Wie soll man sich
das vorstellen? Das Goethe-Institut in Athen schickt all seine
Sprachschüler nach Hause, weil am Eingang des Gebäudes ein Kuckuck
klebt? Die Deutsche Schule Athen, die seit fast 120 Jahren besteht,
schließt ihre Pforte, weil dort ein Pfandsiegel prangt? Undenkbar.
Sollte man meinen. Genau damit aber droht der griechische
Justizminister, falls die Regierung in Berlin den griechischen
Forderungen nach Entschädigungen für altes Unrecht
nicht entgegenkommt.
Juristisch ist der
Pfändungsfall - im Zusammenhang mit NS-Unrecht - vor griechischen
Gerichten eigentlich längst ausgereizt. Mit der klaren Antwort: Es
geht nicht. Aber juristische Details spielen für die Regierung von
Alexis Tsipras jetzt nicht unbedingt eine Rolle. Es geht um
politischen Druck auf Deutschland.
Die Botschaft aus
Athen lautet: Wir sind keine Bettler, im Gegenteil, wir haben mit
euch noch ein paar Rechnungen offen. Erinnert euch! Der Griff in die
Geschichte ist immer ein sensibles Unterfangen. Wo politisch geholzt
wird, da ist seriöse historische Aufarbeitung kaum möglich. Deshalb
ist es wenig hilfreich, wenn Tsipras nun in die Rolle des
Gerichtsvollziehers schlüpft, in der Hoffnung, dass die Griechen
dann nicht merken, dass seine Regierung längst nicht so stark ist,
wie sie auftritt. Weil sie beispielsweise gerade die
Haushaltsaufseher wieder ins Land lassen musste.
Athen
will Druck auf Berlin machen - und macht nur Drama
Berlin reagiert auf
die täglichen Anwürfe aus Athen inzwischen mit Gereiztheit,
Frustration und Verständnislosigkeit. Und statt miteinander zu
reden, redet man nun schon wieder vor allem übereinander. Der
griechische Finanzminister Yanis Varoufakis beschwert sich gar per
offizieller diplomatischer Demarche über seinen Berliner Kollegen
Wolfgang Schäuble. Geht es nicht ein bisschen kleiner, mit weniger
Drama? So möchte man da dazwischenrufen.
Schuldenstreit
Schäuble nennt griechische Beschwerde über ihn "Unsinn"
Der Streit um die
griechische Schuldenkrise wird zunehmend persönlich. Der griechische
Botschafter in Berlin beschwert sich, Bundesfinanzminister Schäuble
habe seinen Amtskollegen Varoufakis als "naiv" bezeichnet.
Wenn zwei sich
streiten, freut sich der Dritte. Das klingt nach alter Weisheit, ist
aber im deutsch-griechischen Fall Unsinn. Vergebens sucht man hier
nach einem Profiteur des zeitraubenden Zwists. Vielleicht sollten
daher beide Seiten ein paar Tage lang einfach gar keine Interviews
mehr geben, eine Art Interview-Fasten praktizieren, passend zur
vorösterlichen Zeit des Verzichts -am besten so lange, wie sie der
Versuchung nicht widerstehen können, stets verbal
übereinander herzufallen.
Dann könnte man
sich endlich mit den drängenden Fragen befassen: beispielsweise, ob
es nicht doch nötig wäre, Griechenland eine Neustrukturierung
seiner Schuldenlast in Aussicht zu stellen. Schließlich war dies
auch der alten Regierung schon versprochen. Oder wie man endlich
wieder ein paar Investoren ins Land holt. Die warten nun schon so
lange darauf, dass die Zitterpartie, ob Griechenland im Euro bleibt
oder nicht, endlich endet. Und dann sollte man auch in aller Ruhe
darüber reden, ob griechische Juden oder Dörfer, in denen die Nazis
besonders übel wüteten, nicht doch noch einige Ansprüche haben,
über die man nicht mit ein paar steifen Worten hinweggehen kann.
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