Der bedeutendste Auslandskorrespondent unserer Republik, ein Deutsch-Franzose mit jüdischen Wurzeln, ein Arabist und Islamkenner, einer der als Söldner in Indochina gedient hat, einer, der die Welt wie seine Westentasche zu kennen glaubte, ist am 16. August dieses Jahres verschieden.
Kurz vor seinem Tode hat der 90jährige uns ein hochaktuelles und sein vielleicht wichtigstes Buch hinterlassen. Der passende und noch von ihm selbst gewählte Titel ist einem Schillerzitat aus dem Wallenstein entnommen.
Die vorschnelle Schuldzuschreibung für den Absturz der Malaysian Airways Maschine MH17 an die Adresse Russlands hält er für verhängnisvoll, den Vorgang selbst ganz und gar nicht im Interesse Putins. Vielmehr verweist Scholl-Latour darauf, dass “durch einen grausamen Zufall ” am gleichen Tage des tragischen Flugzeugunglücks
” die Furien des Krieges in unmittelbarer Nachbarschaft Europas entfesselt (wurden). Der Regierungschef Benjamin Nethanjahu gab seiner Armee den Befehl, in den GAZA-Streifen einzurücken…Die Verluste der palästinensischen Zivilbevölkerung waren entsetzlich und trugen dazu bei, dass die Weltöffentlichkeit, die bislang Israel zuneigte, in Protest und sogar Abscheu gegen den Judenstaat umschlug.”
Und weiter fährt der staatstragende und im Laufe seines langen Berufslebens mit vielen Ämtern und Ehren gewürdigte Altmeister des Journalismus fort:
“Für die zwei Millionen Menschen, die im Küsten-Fetzen von GAZA zusammengepfercht leben, schlägt die Stunde der totalen Verzweiflung.Aber mit Palästina ist es ja nicht getan. In ihrem verbissenen Versuch, das Assad-Regime von Damaskus zu stürzen, hatten sich die seltsamsten Koalitionen gebildet….In Syrien hat sich die “Freie Syrische Armee”, mit der die Amerikaner ein westlich orientiertes System installieren wollten, als kampfuntauglich erwiesen. Die gelieferten Waffen kamen den Jihadisten zugute, die über die türkische Grenze eingedrungen waren. Unter diversen Etiketten .Jibhat el-Nusra oder Ahrar es-Scham -engagirierten sie sich als unversöhnliche Gotteskrieger….Ein bodenloser Abgrund öffnete sich, als neben diesen radikalen Islamisten eine kriegerische Formation auftauchte, die zunächst einen ‘Islamischen Staat im Irak und in Syrien’ proklamierte, um ihn dann unter der Bezeichnung ‘Islamischer Staat’ auf die ganze islamische Umma auszuweiten …In einem sensationellen Blitzfeldzug erwies sich dieser ‘Islamische Staat’ allen anderen kämpfenden Formationen überlegen”
Scholl-Latour greift zu biblischen Bildern, um das vom Westen im Orient geschaffene “Tohuwabohu” zu charakterisieren. Der Jesuiten-Zögling lässt gar die Klage des antiken Propheten Jesaja erklingen, der einst mahnte:
“Die Sendboten des Friedens weinen bitterlich, die Straßen sind verwaist, alle Menschen sind von den Pfade verschwunden, die Erde trauert und stöhnt; der Orient ist zutiefst verwirrt und durch schwarze Flecken entstellt.”
Mit dem Zerschellen der Malayischen Verkehrsmaschine sei die Zeit für ironische Bemerkungen verstrichen. Das rauhe Vokabular von Frau Nuland, der US Spitzendiplomatin gegenüber der EU, ihr GI Jargon, werfe ein grelles Licht auf die geringe Wertschätzung, ja Verachtung mit der Washington auf den “Verbündeten” schaue.
Der Autor versteht sich trotz oder gerade wegen seiner Kritik nach wie vor als Freund Amerikas. Er sieht sich als einen, dessen enge familiäre Bindungen, es nicht geboten erscheinen lassen, passiv zuzuschauen. wie das Land auf den Abgrund zusteuert und seine “europäischen Verbündeten” mit dahinein zieht.
Als einer, der die Schlichen der Weltpolitik von ganz oben mit erlebt hat, sieht der alterweise Journalist weiter und tiefer als manch einer der nach ihm kommenden Medienarbeiter. Er sieht, wie die von Bashar al Assad geführte syrisch-arabische Republik einer systematischen Desinformations-Kampagne des Westens ausgesetzt wurde, demzufolge jedweder völkerrechtswidrige Angriff nur vom Regime selber ausgegangen sein konnte, wider alle Logik des cui bono und des klugen Menschenverstandes, über den zumindest Assad verfüge.
Er hat begriffen, dass beim “Arabischen Frühling” nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war, kann das Wort nicht mehr hören! Er betont, dass die ‘Araballion’ in Syrien in eine Sackgasse geraten war, aus der sie nicht mehr herauszufinden scheint.
Obwohl Scholl-Latour von Libyens ermordetem Staatschef Gadhafi nur als “Diktator” spricht, dessen unrühmliches Ende als mutmaßlicher “Terrorist” er wohlverdient findet, so sieht er doch auch bezogen auf den Wüstenstaat, die unheilvollen Folgen westlicher Abenteuer-Politik.
Rußland und China seien bezüglich Libyens über den Tisch gezogen worden, von einer umfassenden Militäroperation und einer politischen Umgestaltung des Landes sei in der UN Entschließung nicht die Rede gewesen.
Die syrische Tragödie sei anderer Art und die Heuchelei diesem säkularen, dem Westen unter Bashar nahegerückten arabischen Staat besonders groß.Lange vor Deraa und Homs sei die unermüdliche Forderung nach “Vernichtung des Regimes von Damaskus” erhoben worden.
Und was den vermeintlich vom Assad-Regime angewiesenen Giftgas-Einsatz von Ghouta angeht, so verweist Scholl-Latour auf diverse, vom Westen scheinbar “vergessene” eigene Giftgas- Napalm und Agent Orange-Einsätze, insbesondere in Vietnam.
Zum Glück habe bei der US-amerikanischen Generalität in Bezug auf Syrien eine größere Zögerlichkeit geherrscht, die die Bereitschaft der Politiker zu neuem, noch unberechenbarerem Abenteurertum gezügelt habe. Auch in Bezug auf den Iran hofft Scholl-Latour auf einen Erfolg der Diplomatie, wenngleich, wie er meint, die Würfel noch nicht gefallen seien.
Wichtig für uns nachgeborene Friedensarbeiter ist Scholl-Latours Einsicht in die trügerische Allmacht Amerikas. In China sei den USA ein wirklicher Herausforderer entstanden, dessen Staatschef Xi Jinping sowie seine attraktive und gebildete Gattin mit entsprechender Gelassenheit und mit dem gebotenen Selbstbewusstsein aufträten.
Abschließend sei Scholl-Latours Vorhaltung zitiert:
Die Staatsmänner und Politiker der Atlantischen Allianz, die sich über den ‘Expansionismus’ Wladimir Putins und sein Projekt der ‘Eurasischen Union’ entrüsten, erweisen sich als unfähig, die asiatische, die defensive Dimension dieses lockeren Zusammenschlusses zu erkennen.
Das 340 Seiten starke Buch ist trotz aller Kritik in manchen wesentlichen Details, wegen seiner grundsätzlichen Orientierung als Lektüre empfohlen.
Irene Eckert (AKF)
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