Der Autor Wiliam Blum: Der 1933 geborene US-Amerikaner William Blum arbeitete nach seinem Studium als überzeugter Antikommunist im gehoben Dienst des Außenministeriums in Washington. Vom US-Krieg in Vietnam desillusioniert, quittierte er 1967 den Dienst für die US-Regierung und wurde einer der profiliertesten Kritiker der amerikanischen Außenpolitik. 1969 veröffentlichte er ein Exposé, in dem die Namen und Adressen von mehr als 200 CIA-Mitarbeitern enthüllt wurden. Mitte der 1970er Jahre arbeitete er in London mit dem früheren CIA-Offizier Philip Agee an der Enthüllung von Verbrechen des US-Geheimdienstes. Blums Klassiker »The Killing of Hope«, auf deutsch unter dem Titel »Zerstörung der Hoffnung« im Zambon-Verlag erschienen, ist ein ebenso spannendes wie erschütterndes Dokument, das die globalen Operationen der CIA seit dem Zweiten Weltkrieg, einschließlich denen in der DDR, auflistet.
Bei allem Jubel über den Fall der Berliner Mauer sollte nicht vergessen werden – ihr Bau 1961 war eine Antwort auf Wirtschaftssabotage und Subversion »Made by USA«
von William Blum
Am 9. November jährt sich der Fall der Berliner Mauer zum 25. Mal. Seit Monaten gibt es dazu ein großes Medientamtam. Wie zu erwarten, wurden alle Klischees (»freie Welt gegen kommunistische Tyrannei«) aus der Zeit des Kalten Krieges wieder aus der Mottenkiste geholt. Die Erzählungen über den Bau der Mauer folgten dem alten vereinfachenden Geschichtsbild: Im Jahr 1961 bauten die Ostberliner Kommunisten die Mauer, um ihre unterdrückten Bürger an der Flucht nach Westberlin und in die Freiheit abzuhalten. Warum? Weil Kommunisten nicht mögen, wenn die Menschen frei sind und die »Wahrheit« erfahren. Welche anderen Gründe hätten es sonst gewesen sein können?
Zunächst sei daran erinnert, dass vor dem Mauerbau 1961 Tausende Ostdeutsche jeden Tag zu ihren Arbeitsplätzen im Westen pendelten und am Abend in den Osten zurückkehrten; viele andere gingen hin und her – entweder zum Einkaufen oder aus anderen Gründen. Ganz eindeutig wurden sie also im Osten nicht gegen ihren Willen festgehalten. Warum wurde dann aber die Mauer gebaut? Dafür gab es zwei Hauptgründe:
Erstens: Der Westen war dabei, den Osten mit einer robusten Abwerbekampagne von Experten und Facharbeitern, die auf Kosten der kommunistischen Regierung ausgebildet worden waren, in die Enge zu treiben. Dies führte schließlich im Osten zu einem schweren Mangel an Arbeitskräften und einer Produktionskrise. Als ein Indiz dafür berichtete die New York Times im Jahr 1963: »Durch den Bau der Mauer erlitt Westberlin wirtschaftliche Verluste auch dadurch, dass die rund 60.000 Facharbeiter, die täglich aus ihren Häusern in Ostberlin zu ihren Arbeitsplätzen in Westberlin pendelten, ausblieben.«
Leben in Freiheit
1999 berichtete die Tageszeitung USA Today: »Als die Berliner Mauer zusammenbrach, stellten sich die Ostdeutschen ein Leben in Freiheit vor, wo es Konsumgüter im Überfluss gab und wo Not und Bedrängnis der Vergangenheit angehörten. Zehn Jahre später bekennen bemerkenswerte 51 Prozent, dass sie im Kommunismus ein glücklicheres Leben geführt hatten.« Bei früheren Umfragen wäre das Ergebnis wahrscheinlich noch höher gewesen, denn in den zehn Jahren dazwischen waren viele von denen, die ihr Leben in Ostdeutschland in positiver Erinnerung hatten, verstorben. Und laut einem Artikel derWashington Post aus dem Jahr 2009 »beschwerten sich Westberliner darüber, dass ihre Ostberliner Kollegen voller Nostalgie den kommunistischen Zeiten nachhingen«.
Es war in der Zeit nach der Wiedervereinigung, in der ein neues Sprichwort im Osten geboren wurde: »Alles, was die Kommunisten über den Kommunismus erzählt haben, war eine Lüge, aber alles, was sie über den Kapitalismus gesagt haben, hat sich als die reine Wahrheit erweisen.«
Ferner sei daran erinnert, dass die Aufteilung Deutschlands in zwei Staaten im Jahr 1949 – die zur Bühne für 40 Jahre Kalten Krieg und Feindseligkeit werden sollten – eine amerikanische Entscheidung war und keine sowjetische.
Zweitens: In den 1950er Jahren haben die amerikanischen Kalten Krieger von der Bundesrepublik Deutschland aus eine krude Sabotage- und Subversionskampagne gegen Ostdeutschland durchgeführt, um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu schwächen und den Verwaltungsapparat zu untergraben. Die CIA und andere US-Geheimdienste und militärische Dienste rekrutierten und finanzierten Aktivistengruppen und Einzelpersonen in West- und Ostdeutschland, um sie dann für die Durchführung von Maßnahmen auszubilden und auszurüsten, die von Jugendkriminalität bis zu Terrorismus reichten – alles mit dem Ziel, den Menschen in Ostdeutschland das Leben so schwer wie möglich zu machen und auf diese Weise ihre Unterstützung für die Regierung zu schwächen.
Es war ein bemerkenswertes Unterfangen. Die Vereinigten Staaten und ihre Agenten verwendeten Sprengstoff, sie begingen Brandstiftungen, verursachten Kurzschlüsse und setzten andere Methoden ein, um Kraftwerke, Werften, Kanäle, Hafenanlagen, öffentliche Gebäude und Verkehrsmittel, Tankstellen, Brücken etc. zu beschädigen oder Güterzüge entgleisen zu lassen, wobei Arbeiter schwer verletzt wurden. Sie zündeten zwölf Güterzüge an, bei anderen Waggons zerstörten sie Bremsschläuche. Sie setzten Säure ein, um in Fabriken lebenswichtige Maschinen zu beschädigen, legten Feuer oder brachten mit Sand eine Turbine zum Stillstand. Sie stifteten Arbeiter zu Bummelstreiks an. Sie töteten 7.000 Kühe eines genossenschaftlichen Molkereibetriebs mit Gift. Sie mischten Seife unter Milchpulver, das für Schulen bestimmt war. Bei Agenten wurde bei der Festnahme eine große Menge des Giftes Cantharidin gefunden. Es sollte mit Zigarettentabak vermischt werden, um damit ostdeutsche Führungskräfte zu ermorden. Im Vergleich dazu zählte der Einsatz von Stinkbomben zur Störung politischer Versammlungen noch zu den harmloseren Sabotageakten. Dazu gehörte auch die Verteilung gefälschter Lebensmittelkarten, um Verwirrung zu stiften und Ressentiments gegen die Regierung zu schüren. Auch verschickten Agenten gefälschte Steuerbescheide, Regierungserlasse, Vorschriften und vieles mehr, um in Industrie und Gewerkschaften Desorganisation und Ineffizienz zu schaffen.
Mehr Sicherheit
Das »Woodrow Wilson International Center for Scholars« in Washington, das sich aus konservativen Kalten Kriegern zusammensetzt, hat in einem Arbeitspapier (Nr. 58, Seite 9) seines »Cold War International History Projekts« festgestellt: »Die offene Grenze in Berlin hat die DDR massiven Spionage- und Subversionsangriffen ausgesetzt. Wie die beiden Dokumente im Anhang zeigen, gab die Schließung der Grenze dem kommunistischen Staat mehr Sicherheit.«
Im Laufe der 1950er Jahre beschwerte sich die Sowjetunion wiederholt bei ihren einstigen Verbündeten im Westen und bei den Vereinten Nationen über bestimmte Sabotage- und Spionageaktivitäten und forderte die Schließung der Büros bestimmter Agentengruppen in der BRD, wobei sie Namen und Adressen nannte. Ihre Beschwerden stießen stets auf taube Ohren. Unweigerlich mussten die Ostdeutschen daher bei Einreisen aus dem Westen schärfere Kontrollen durchführen, bis schließlich die berüchtigte Mauer gebaut wurde.
Man sollte auch nicht vergessen, dass Ostdeutschland komplett entnazifiziert wurde, während in der BRD auch noch mehr als ein Jahrzehnt nach dem Kriegsende zahlreiche ehemalige Faschisten höchste Ämter in der Exekutive, der Legislative und der Judikative bekleideten.
Schließlich ist daran zu erinnern, dass Osteuropa deshalb kommunistisch wurde, weil Hitler das Gebiet – mit Zustimmung des Westens – für den Aufmarsch zum Angriff auf die Sowjetunion genutzt hat, um ein für allemal den Bolschewismus auszulöschen. Die Sowjetunion hat in den beiden Weltkriegen etwa 40 Millionen Menschen verloren. Es konnte also nicht überraschen, dass sie nach 1945 entschlossen war, alles zu tun, damit Osteuropa nicht wieder als Plattform für einen Angriff aus dem Westen genutzt werden konnte.
Übersetzung: Rainer Rupp
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