Friday, September 26, 2014

Es helfen nur Menschen, wo Menschen sind

Der Germanist Hans Peter Herrmann über "seinen" Brecht
  1. Bertolt Brecht Foto: afp
Bert Brecht, das war Schulstoff und Germanistenbrot, Schwarzbrot zuweilen, wenn die Attitüde des belehrenden Klassenkämpfers in den Vordergrund rückte. Brecht, das war auch Entzücken – über die Zartheit der "Erinnerung an die Marie A.", jener Wolke, die so "sehr weiß und ungeheuer oben" vom Vergehen der Zeit und der Liebe kündete, und Erschrecken – über die Lakonie seines "Kinderkreuzzugs". Brecht der Dichter: in seiner sprachlichen Variationsbreite unerreicht.

Uns den lang nicht Gelesenen wieder zu Gehör zu bringen, sein Dichtungsverständnis und Menschenbild neu ins Bewusstsein zu rufen, das unternahm mit einigem Erfolg der Freiburger Germanist und Emeritus Hans Peter Herrmann. "Mein Brecht" nannte der ausgewiesene Brecht-Exeget seine Mischung aus Dichtung und Deutung im Freiburger Theater im Marienbad. Ein Abend der leisen Töne und behutsamen Annäherungen. Keiner der zahlreichen Besucher ließ sich von den Dutzenden Zetteln in der Suhrkamp-Gesamtausgabe verschrecken, deren Bände sich vor dem gelassen Dasitzenden türmten. Sein Brecht war ein Impuls zum Lesen.Und Musik klingt nach – die trotzig verkapselte Zärtlichkeit der "Seeräuberjenny" in Weills berühmtem Song, und der von ihm vertonte Brechtsche Gegenentwurf zur im Westen wieder eingeführten dritten Strophe des Deutschlandlieds, jene "Kinderhymne", die nicht die geringste Aussicht hatte, je zur Nationalhymne zu werden. Anrührend, das grundhumane Ethos, der scheinbar schlichte Zusammenklang von Vaterlandsliebe und Völkerverbrüderung. "Ich empörte mich mit den Menschen", schreibt Brecht im Gedicht "Die Nachgeborenen", das von ihm selbst gesprochen am Ende erklingt.

"Empörung und Zugehörigkeit" auf diese Formel brachte Hermann die Brechtsche Dichtungsmaxime. Immer wieder beschwört er die "Freundlichkeit" in einer Welt, die dafür keinen Raum mehr lässt. Also soll die Welt verändert werden. Statt auf Utopie setzte Brecht mit "unerbittlicher Nachgiebigkeit" auf die "Poesie als gesellschaftliches Verhalten", vereinigt im Gedicht Gegensätze, die er selbst als unvereinbar behauptet: die anklagende Rede des Anstreichers und das Glück des blühenden Apfelbaums. Die suggestive Kraft seiner Sprache: Wer hatte 1918 den Mut "Schwarz, Weiß, Rot" auf "Kot" zu reimen, und welcher Macho hätte 1925 zärtlicher einen "One Night Stand" beschrieben? ("Entdeckung an einer jungen Frau"): "Denn wir vergaßen fast, dass du vergehst". Sein heftig kritisierter "Gewaltaufruf" in der "Heiligen Johanna der Schlachthöfe" endet mit der (meist ignorierten) Zeile: "es helfen nur Menschen, wo Menschen sind".

Weder individualistisch noch kollektivistisch sei Brechts Menschenbild, betont Herrmann, sondern: angemessen. An der Subjektivierung unserer Kultur habe der Dichter Anstoß genommen, der "Mythe vom kontinuierlichen Ich". "Zertrümmerung des Charakterkopfs" nennt das der Referent.
Quelle: Badische Zeitung 2.April o9
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