Hegemon mit Schuldkomplex
23.05.2014
Anliegen der Außenpolitik
Mit einem "Europa-Atlas" bemüht sich die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) um eine breitere öffentliche Zustimmung für die deutsch dominierte EU. Die Broschüre ist in einem Gemeinschaftsprojekt der Stiftung mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), dem European Council on Foreign Relations (ECFR) und der deutschen Ausgabe der Monatszeitung Le Monde Diplomatique erstellt worden. Die Verfasser entstammen weithin dem bundesdeutschen Außenpolitik-Establishment; zwei von ihnen sind im vergangenen Herbst als Ko-Autorinnen eines Strategiepapiers hervorgetreten, das explizit mehr deutsche "Führung" in der Weltpolitik fordert.[1] Der "Europa-Atlas", der offenbar auch im Schulunterricht Verwendung finden soll, befasst sich auf 52 reichlich mit Grafiken versehenen Seiten mit zahlreichen Aspekten von Politik und Gesellschaft in den Mitgliedstaaten der EU, darunter diverse Schwerpunktthemen von Grünen-nahen Milieus (Erneuerbare Energien, Gleichstellung der Geschlechter, Kampf gegen rechts, "gerechter" Welthandel, Datenschutz etc.). Darin eingebettet ist die Vermittlung zentraler Anliegen der Berliner Außenpolitik, wie sie exemplarisch in dem erwähnten Strategiepapier vom Herbst 2013 niedergelegt sind.
Mehr Führung
So lässt der "Europa-Atlas" Sympathie für eine stärkere deutsche "Führung" in der EU erkennen. Die Bundesrepublik müsse "mehr Lasten und Aufgaben übernehmen - und der Bevölkerung die Gründe dafür genau erklären", heißt es etwa. "In zwei Weltkriegen" habe Deutschland "die meisten Staaten des Kontinents zu geeinter Stärke gegen sich auf(gebracht)". Heute jedoch verlange "das europäische Ausland ... von Deutschland mehr Führung und Initiativen". "Europa" sei "für Deutschland unverzichtbar - und umgekehrt": Die Bundesrepublik "dominier(e)" zum Beispiel "als Taktgeber der Sparpolitik der EU". Ansonsten aber hätten "die deutsche Gesellschaft und Politik ... ihren historischen Schuldkomplex noch immer nicht überwunden" und schwankten deshalb "zwischen Selbstüberschätzung und Wegducken", heißt es weiter: "Deutschland muss sich vorwerfen lassen, dass es am liebsten in eine Art großer Schweiz mutieren möchte". "Die Rolle eines 'wohlwollenden Hegemons', der das augenblickliche wirtschaftliche und politische Machtvakuum in Europa füllt", finde in der deutschen Öffentlichkeit immer noch keine Zustimmung. Immerhin habe der Bundespräsident sich der Problematik inzwischen angenommen: Joachim Gauck habe im Januar "die 50. Münchner Sicherheitskonferenz mit der Aufforderung eröffnet", Deutschland müsse "mehr Verantwortung in der Welt übernehmen".[2]
Gewicht in der Welt
Darüber hinaus nimmt der "Europa-Atlas" die EU als Instrument einer offensiveren Weltpolitik in den Blick. "Als Idee klingt es überzeugend", heißt es in der Broschüre: "Durch geschlossenes Auftreten könnte die Europäische Union in der Welt ein politisches Gewicht besitzen, über das die Mitgliedsländer einzeln nicht verfügen." Doch sei die EU uneins, "das Unionsbudget für Verteidigungsausgaben ... klein und die Rüstungsindustrie zersplittert". "Zugleich sinken nationale Verteidigungsbudgets."[3] Zwar seien in den letzten zehn Jahren "20.000 europäische Soldatinnen und Soldaten für die EU im Auslandseinsatz" gewesen. "Doch 11 der derzeitigen 17 Operationen umfassen weniger als 200 Personen; Einsätze dieser Art gelten oft als symbolische Aktion." Größere Interventionen fänden immer noch "im Rahmen der Nato statt". "Sicherheitspolitik steht nicht besonders weit oben auf der Agenda", heißt es in der Böll-Broschüre: "Dabei lagen und liegen mit dem Balkan und Nordafrika zwei Krisenherde in direkter Nachbarschaft". Eine stärkere Einmischung befürwortend, erklärt das Papier "eine genauere Bestimmung der Verantwortung der EU" in den "Krisengebieten" für "nach wie vor nötig" - etwa "in Syrien, Zentralafrika und der Ukraine".
Faschismus? "Eher bei Putin"
Dass die Pläne für eine gesteigerte deutsch-europäische Einmischung im Äußeren mit entsprechenden Maßnahmen im Inland verbunden sind, zeigen exemplarisch Aktivitäten der Böll-Stiftung in Sachen Ukraine. Die Stiftung ist bemüht, der Kritik an dem Einfluss faschistischer Kräfte in Kiew den Wind aus den Segeln zu nehmen; sie wäre schließlich geeignet, den Rückhalt für die Berliner Ukraine-Interventionen zu schwächen. Bereits vor dem Umsturz, unmittelbar an dem Tag, an dem Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der deutschen Botschaft in Kiew erstmals öffentlich mit dem Faschistenführer Oleh Tjahnybok zusammentraf [4], publizierte die Böll-Stiftung eine Stellungnahme einer Reihe von Wissenschaftlern, die den "Euromaidan" ausdrücklich gegen alle Vorwürfe in Schutz nahmen, an ihm seien faschistische Kräfte in relevantem Maße beteiligt. "Die instabile Situation des Landes" rufe "vielerlei destruktive und widersprüchliche Meinungen" hervor, hieß es entschuldigend in dem Papier; "eine Unterstützung von Fundamentalismus, Ethnozentrismus und Ultranationalismus" habe "manchmal mehr mit der andauernden Verwirrung und den täglichen Sorgen der ... Menschen zu tun, als mit ihren tieferen Überzeugungen". Kritiker sollten "vorsichtig" sein und nicht "rhetorische Munition für Moskaus Kampf" liefern.[5] Einer der unterzeichnenden Wissenschaftler monierte wenige Wochen später - Swoboda hatte inzwischen Ministerposten in der Umsturzregierung erhalten -, es sei unpassend, die Partei faschistisch zu nennen; in einer von der Böll-Stiftung verbreiteten Stellungnahme behauptete er, "bei Putin" fänden sich "schon eher einzelne Ideen und Praktiken, die an die Politik des Dritten Reiches erinnern".[6]
Opposition? Einfach verbieten
Wie weit inzwischen auch grüne Kreise beim Versuch gehen, deutsche Einmischung im Ausland gegen Kritik im Inland abzusichern, hat Rebecca Harms, Grünen-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, erkennen lassen. Harms, die kürzlich behauptete, die Swoboda-Anhänger auf dem Majdan hätten vor allem "Selbstverteidigung" betrieben [7], hat bereits im März versucht, Einwände gegen die deutsche Einmischung in der Ukraine schlicht zu verbieten. Kritische Äußerungen des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zur deutsch-europäischen Ukraine-Politik habe sie "als Teil einer Kampagne" empfunden, die "mehr Akzeptanz für Putin" erreichen solle, teilte sie mit; deshalb habe sie sich genötigt gesehen, dem Europaparlament einen Antrag zur Entscheidung vorzulegen, dem zufolge das Parlament Schröders Äußerungen "bedauere" und "betone", dass der Ex-Bundeskanzler "keine öffentlichen Aussagen zu Themen machen sollte, die Russland betreffen".[8] Zu ihrem - vom Europaparlament mit Verwunderung abgewiesenen - Versuch, das Recht auf freie Meinungsäußerung auszuhebeln, gibt es inzwischen weiterreichende Parallelen in der Ukraine: Umsturzpräsident Oleksander Turtschinow hat das Justizministerium aufgefordert, Schritte zum Verbot der Kommunistischen Partei einzuleiten; Präsidentschaftskandidat Oleh Ljaschko verlangt, darüber hinaus auch die "Partei der Regionen" zu verbieten. Ob Kritik an der Forderung nach einer Aushebelung demokratischer Grundrechte in der Ukraine von der Grünen-Spitzenkandidatin ebenfalls als "Akzeptanzkampagne für Putin" eingestuft und mit einem Meinungsäußerungs-Verbot bedroht wird, ist nicht bekannt.
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