Friday, May 16, 2014

"China ist auf einem Erfolg verheißenden Weg zum Sozialismus Rolf Berthold (DDR-Botschafter in China) im Café Sibylle, Berlin


Das Cafe Sibylle an der Berliner Karl-Marx-Allee 72 hat Tradition. Nach jahrelanger denkmalgerechter  Sanierung  ist es ein moderner und sympathischer Veranstaltungs- und Begegnungsort geworden. 
Am gestrigen, eisgekühlten Bonifatius-Tag fand sich eine stattliche Anzahl Cafe-Hausbesucher  ein, um einem sachkundigen  Vortrag über das ferne und hochinteressante Wirtschaftswunderland  China  zu lauschen. Der Landeskenner  und des Chinesischen  mächtige, ehemalige DDR-Botschafter Rolf Berthold* sprach  in einer kurzen Stunde darüber, wie sich in den letzten 35 Jahren das Antlitz des Landes grundlegend verändert hat. Mit atemberaubender jährlicher Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts von 9-10% habe das bevölkerungsreichste Land der Erde jetzt schon Rangplatz   zwei in der Weltwirtschaft erreicht, der Listenplatz eins  liegt erreichbar nahe.
Während China in der Vergangenheit von argen Hungersnöten geplagt war, fuhr die Volksrepublik im letzten Jahr mit 602 Millionen Tonnen Getreide das beste Produktionsergebnis in seiner Geschichte ein. Das bedeute 400 Kilogramm pro chinesischer Nase und übersteige damit sogar den Bedarf.
Ebenfalls im zurückliegenden Jahr seien 13,1 Millionen neuer Arbeitsplätze in Städten und Gemeinden geschaffen worden und das Land verfüge mit 3 800 Milliarden US-Dollar  über die umfangreichsten Devisenreserven der Welt.
Das pro Kopfeinkommen der Bevölkerung auf dem Lande sei 2013 um 9,3% angestiegen. Die zwar  immer noch beträchtliche  Einkommensschere zwischen  Stadt und Land  schließe  sich langsam aber stetig. Allein im zurückliegenden Jahr hätten 92 Millionen Chinesen die Möglichkeit zu Auslandsreisen wahrgenommen. Hochkarätige Investitionen in die Infrastruktur des Landes würden unternommen, so etwa wurden über neue 1 260 km Schienenstrecke Hochgeschwindigkeitszüge eingesetzt, die  über 200km pro Stunde zurücklegen könnten.
Der Yüan, die  Währung der Volksrepublik ist stabil. 9% des Welthaußenhandels werden bereits in Yüan abgehandelt, die freie Konvertierbarkeit sei in Vorbereitung.
Dieser dynamischen Entwicklung und  der Landesvision von  einem Sozialismus chinesischer Prägung   mag es geschuldet sein, dass die derzeitige  Hegemonialmacht USA und ihre NATO-Verbündeten diesen machtvollen Konkurrenten gerne ausgeschaltet wissen wollen.
 Auch China ist kein Land ohne Probleme, trotz der umsichtigen Partei und ihrer modernen Führung. Aber das Land  scheint sich seiner Probleme voll umfänglich bewusst  und bereit, diese tatkräftig anzupacken.
In der Tatsache, dass China aus den eigenen und aus den fremden Fehlern  der UdSSR und seiner ehemaligen Verbündeten gelernt habe, liege der Grund dafür, dass die vom Ausland orchestrierten und finanzierten "Bunten Revolutionen"  hier nicht greifen würden, bisher.
Nach dem über Tibet organisierten Diversionsversuch(e) während der olympischen Spiele 2008, den Unruhen in der Uigurenprovinz Xinjiang 2009, den Auftritten der Falun Gong-Sekte und  dem Rummel um  den "Künstler" Ai Weiwei seit 2011 seien alle Versuche der Destabilisierung bisher erfolgreich zurück gewiesen worden.
1975 schon habe Mao davor gewarnt, die Fehler der UdSSR zu wiederholen, die in eine Sackgasse führen würden (!). Stattdessen gelte es der Besonderheiten des halbfeudalen und halbkolonialen  Landes gerecht zu werden und für  seine Masse an Bauern einen dem Lande entsprechenden Weg zu finden. Rolf Berthold meint allen Kritikern zum Trotz: "China ist auf einem  Weg zum Sozialismus, der Erfolg verspricht".
Vier Grundprinzipien - nach der 1979 eingeleiteten Politik der Reformen beibehalten-  seien Garanten für diesen Weg des Erfolgs:

- Festhalten  am sozialistischen Weg
- Festhalten an der Diktatur der Volksdemokratie, am sozialistischen
Staat
- Festhalten an der führenden Rolle der Kommunistischen Partei
- Festhalten am Marxismus-Leninismus

Dies gesagt, seien wichtige Reformen zur Ankurbelung der Wirtschaft getätigt worden, so zum Beispiel:
Es gibt - aus der bürgerlich-demokratischen Revolution herrührend - acht  weitere Parteien in China, die gemeinsam mit der KP den Weg des Landes bestimmen.
Waren 1979 nur ein Prozent der Wirtschaft in privater Hand, so erfolgte jetzt eine Öffnung für privatwirtschaftliche Unternehmen und eine intensive Zusammenarbeit mit dem kapitalistischen Ausland. Nach 1989 habe man die Werke von Marx/Engels und Lenin noch einmal neu studiert und etwa bei Engels gefunden, dass Aktien eine Übergangsform  hin zu gesellschaftlichem Eigentum bilden können. Durch breite Streuung der Aktien in Händen verschiedener gesellschaftlicher  wie auch privater Eigentümer könne  auch ein Interesse an der Verteidigung des Eigentums bei den Akteuren geweckt werden. Aktiengesellschaften seien deshalb nicht von vorn herein Privatbetriebe.
Die Befugnisse der Zentralregierung würden schrittweise dezentralisiert. Dort wo dies vonVorteil sei, würden Beschlussfassungskompetenzen an die Provinzen oder an große Städte  delegiert.

Das System der Strafprozessordnung werde umstrukturiert. Schrittweise würde die Verhängung der Todesstrafe reduziert.
Die Politik  der Einkindfamilie würde vorsichtig geöffnet.
Dem Markt würde größere Bedeutung eingeräumt; er entscheide über die Verteilung der Ressourcen, aber unstrittig sei in China, dass es ohne Regierung, also zentrale Steuerung auch  nicht  gehe.
Wenn die Rede sei, von der  perspektivischen Zulassung privater Banken, dann handele es sich um klare Beschränkung auf vier bis fünf Banken in den Sonderwirtschaftszonen, die eine Konvertierbarkeit des Yüan einleiten sollten. Noch sei keine solche Bank gegründet worden. Alles geschehe  mit großer Behutsamkeit und mit Bedacht.
Wenn etwa die Rechte der Pachtbauern auf ihren Pachtboden gestärkt werden sollten, dann gehe es darum, diese zu schützen etwa gegen Eingriffe privater Investoren oder zu forsches staatliches Investitionsprogramm.
Die Regierung habe ehrgeizige Programme vorgelegt zur Hebung der Lebensumstände für 300 Millionen Bürger, die aus Dörfern kommend in Städten und Gemeinden anzusiedeln seien, was ein großes Wohnungsbauprogramm zur Voraussetzung habe. So wolle man allein  im laufenden Jahr 2014 4,8 Millionen staatlicher Wohnungen bauen. Man wolle  ebenfalls noch in diesem Jahr  10 Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen, die Armut auf dem Lande für  10 Millionen Menschen verringern und dergleichen ehrgeizige Vorhaben mehr realisieren. Natürlich gehe das alles nicht ohne Widersprüche vor sich. Nicht jedem Dorfbewohner sei daran gelegen, in eine  moderne Hochhauswohnung umzuziehen…
Zur Außenpolitik gab es leider nur  eine paar kurze Hinweise, bevor die nächste Veranstaltung im beliebten und turbulenten Café seinen Tribut zollte:
China fokussiert insbesondere nach 1989 auf die friedliche Koexistenz, lehnt Mitgliedschaft im illustren Kreis der G8-Staaten, die jetzt nach dem quasi  Ausschluss Russland wieder G7 heißen ab, engagiert sich aber immer ganz anders zusammengesetzten Kreis der G20 und in der APEC (Asian Pacific Economic Cooperation, inclusive USA und Japan) und seit 2001 im Kreise der BRICS Staaten, seit 2010 unter Einbeziehung Südafrikas. Dieser lockere Staatenzusammenschluss, der sich einmal jährlich trifft, hat in erster Linie ökonomische Aufgaben, auf chinesisch heißt dieses  BRICS-Backstein(e)gebilde "Goldbarren“.
Die BRICS-Staaten umfassen 40% der Weltbevölkerung, 27% des Territoriums der Erde und erbringen 22% der Weltwirtschaft . Perspektivisch könnte der lockere Staatenverbund ein enormes politisches Gewicht haben. Er umfasst die Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.
Allerdings gibt es gewichtige Abhängigkeiten von einzelnen dieser Länder gegenüber dem noch Imperium, das ein gemeinsames politisches Auftreten und  die Geltendmachung  anderer Schwerpunkte noch deutlich erschwert. Akzente sind aber durchaus erkennbar.
Gerne hätten die Zuhörer nachgehakt und noch viel mehr von dem sachkundigen Referenten erfahren, aber für diesmal blieb nur der Umzug nach Vietnam (ins vietnamesische Restaurant),  ein zweites (Zweiers) asiatischen Land, in dem  Herr Berthold auch einstmals in der (die) diplomatischen Vertretung der DDR tätig war (leitetete).

(vom Referenten durchgesehene Fassung)

Irene Eckert
______
*Rolf Berthold China 2003. Auf dem Weg zum Sozialismus. Neue Impulse Verlag, Essen 2003, ISBN 3-910080-43-X 
und
„Chinas Weg – 60 Jahre Volksrepublik“, 2009, Verlag Wiljo Heinen, Berlin,
ISBN 978-3-939828-46-4


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