Friday, March 14, 2014

"Der Westen sollte Wladimir Putin nicht verteufeln" Erhard Eppler in der Süddeutschen

Erhard Eppler   in der  Süddeutsche Zeitung vom  11. März 2014


Kein russischer Präsident würde geduldig dabei zusehen, wie eine eindeutig

antirussische Regierung in Kiew versucht, die Ukraine in Richtung Nato zu
führen.
Der Westen sollte Wladimir Putin nicht verteufeln, sondern sein Verhalten in der Ukraine-Krise zu verstehen versuchen. Kein russischer Präsident würde geduldig dabei zusehen,wie eine eindeutig antirussische Regierung in Kiew versucht, die Ukraine in Richtung Nato zu führen. In der ukrainischen Regierung sitzen nun Rechtsradikale. Bei uns redet aber niemand darüber. Das schreibt der Minister a.D. Erhard Eppler (SPD) in der Süddeutschen und er fährt fort:

Als die Deutschen in der DDR die Einheit erzwangen und Helmut Kohl darüber mit

Michael Gorbatschow verhandelte, stellte der sowjetische Staatschef, den wir
Deutschen bis heute lieben, eine Bedingung: Die Nato darf nicht weiter vorrücken
als bisher.

Auf dem Gebiet der verschwindenden DDR sollten keine Stützpunkte und

Einrichtungen des westlichen Verteidigungspakts entstehen. Der deutsche
Bundeskanzler Kohl versprach dies. Als dann später Polen und die Tschechische
Republik der Nato beitraten, hatten diese Zugeständnisse keinen Sinn mehr.
Die Ostgrenze Polens wurde die Ostgrenze der Nato. Wer das noch im Kopf hat,
wundert sich nicht über das, was wir jetzt erleben. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass jemals ein russischer Präsident, ganz gleich, wie er heißt,
geduldig zusehen würde, wie eine eindeutig antirussische Regierung die Ukraine
in Richtung Nato zu führen versucht, zumal wenn diese Regierung nicht gewählt
ist.

Immerhin war der Kern der Ukraine seit mehr als 300 Jahren Teil des
russischen Zarenreiches. Und die Nato würde diesmal nicht, wie 1990, um 200,
sondern um weitere knapp tausend Kilometer nach Osten vorstoßen, ins Herz
Russlands. Die Nato ist ein Militärbündnis. Solange es Militärbündnisse gibt,
zumal wenn sie unter Führung einer Weltmacht stehen, sind sie auch
Einflusszonen.

Man wende nicht ein, die Nato sei keine antirussische Veranstaltung mehr. Für

die Leute, die jetzt in Kiew regieren, ist sie der Schutzschild gegen das Land,
zu dem die Ukraine seit Menschengedenken gehört hat, ein Schutzschild der
amerikanischen Einflusszone, in der die US-Geheimdienste die Regierung ausspähen
können, mögen die Gazetten noch so schäumen. Die Einkreisungsängste in Moskau
mögen übertrieben sein - besser begründet als einst die deutschen um 1900 sind
sie allemal.

    Es war Otto von Bismarck, der von Außenpolitikern vor allem die Fähigkeit verlangte, sich in die Schuhe des anderen, des Kontrahenten zu versetzen, zu verstehen, warum er so
denkt und handelt, vielleicht so handeln muss. Man muss schon sehr mächtig sein,
wenn man ohne diese Tugend auskommen will. Die USA sind es, vielleicht. Wir in
Europa sind es sicher nicht.

Wir müssen auf einem Kontinent mit Russland leben und können uns die russischen
Präsidenten auch künftig nicht backen. Wer versucht, Bismarcks Forderung gerecht
zu werden, kommt nicht auf die Idee, die jetzige Krise allein aus dem Charakter
des Wladimir Putin zu erklären. Wahrscheinlich werden Historiker einmal
urteilen, es sei eben unmöglich gewesen, eine Ukraine von Lemberg bis Charkow
mit Millionen russischen Bürgern unversehrt in eine westliche Allianz zu führen.
Auch ich möchte nicht so regiert werden, wie Putin Russland regiert. Aber dieser

Putin will und muss Russland, nicht Deutschland regieren. Und dieses Russland
besteht nicht nur aus St. Petersburg und Moskau, sondern aus einer fast
unendlichen Fläche mit Tausenden Dörfern und Kleinstädten. Die Bauern und
Kleinbürger dort - sie bilden die Mehrheit im Land - wollen nach allem, was wir
Deutschen in Russland angerichtet und was die Kommunisten an Chaos hinterlassen
haben, vor allem Ordnung. Dann wollen sie Arbeit und Brot - und schließlich ein starkes Russland, damit nicht noch einmal 20 Millionen Landsleute dran glauben müssen, weil ein
Verrückter Mütterchen Russland überfällt. Von dieser Mehrheit ist Putin gewählt.
Und im Interesse dieser Mehrheit handelt er. Diese Mehrheit kann sehr wohl
unterscheiden zwischen einem Josef Stalin, der mit kleinen Haken hinter
unzähligen Namen Zehntausende erschießen ließ, und einem Putin, der inzwischen
auch seinen schärfsten Gegner, Michail Chodorkowskij, aus dem Gefängnis
entlassen hat - in das er allerdings nach unseren Vorstellungen von Rechtsstaat
wohl nie gekommen wäre.

      Krim-Krise Umstrittene Halbinsel 

Dass die provisorische Regierung der Ukraine keine ausreichende Legitimation hat, die Zukunft des Landes zu bestimmen, ist rechtlich so einleuchtend wie das Pochen des Westens auf die Unversehrtheit des Territoriums der Ukraine. Aber die Weltgeschichte ist
kein Amtsgericht. Wir Deutschen haben immer auf unser Selbstbestimmungsrecht
Wert gelegt. Haben die Russen auf der Krim dieses Recht nicht? Muss das, was der
Diktator Nikita Chruschtschow 1954 aus Laune dekretiert hat, auch gelten, wenn
die Ukraine sich gegen jenes Russland stellt, dem die Mehrheit der Krimbewohner
sich verbunden fühlt?

Was die russische Propaganda über die "Faschisten" in der ukrainischen Regierung
zu sagen hat, ist offenkundig übertrieben. Ist dies aber ein Grund dafür, dass
wir im Westen fast nichts darüber hören? Ich weiß bis heute nicht, wie viele
Mitglieder der provisorischen Regierung Rechtsradikale sind, obwohl ich seit
Tagen die Zeitungen danach absuche. Ich habe nur ein Radio-Interview gehört, als
Janukowitsch bereits verschwunden war. Da erklärte einer der ganz Rechten, sie
seien der harte Kern der Aufstandsbewegung gewesen, und nun gingen sie nicht
nach Hause, ehe ihre Leute in der Regierung seien.

So ist es auch gekommen, dass in dieser Regierung auch Leute sind, die einen
Mann als Helden verehren, der mit Wehrmacht und SS gegen die Sowjetarmee
gekämpft hat,  das kommt natürlich in Moskau anders an als in Kiew. Sicher ist, dass
es ausgeprägte Antisemiten in dieser Regierung gibt. Da sind wir Deutschen doch
aus guten Gründen sensibel.

Kurzfristig sind Wahlen notwendig

In diesem Fall kommt noch etwas dazu: Könnte es sich da um die Enkel jener
Ukrainer handeln, die seinerzeit freiwillig der SS bei der Judenhatz geholfen
haben? Nicht alles, was die Russen übertreiben, muss in Deutschland im Nebel
bleiben. Seit der Antike prallen auf der Krim die Kulturen aufeinander - manchmal friedlich, meist mit Gewalt. 
 Wer auch immer womit recht hat, jetzt kommt es darauf an, dass wir uns nicht immer tiefer in diese Krise hineinbohren, in der wir ohnehin schlechte Karten haben. Kurzfristig - auch wenn es ein paar Wochen dauern kann, sind Wahlen in der Ukraine nötig.
In Kiew brauchen wir eine Regierung, deren Legitimität unantastbar ist, eine,
die aus freien Wahlen in der ganzen Ukraine hervorgegangen ist. Dann kann auch
Putin sich nicht mehr weigern, mit der Ukraine zu sprechen. Sobald ein
Wahltermin feststeht, kann man wohl mit Putin über ein Stillhalten reden, wenn
nicht für die Krim, dann doch für die Ostukraine.

Langfristig sehe ich nur eine weniger konfliktträchtige Perspektive: dass die
Europäische Union ein so enges Verhältnis zu Russland findet, ökonomisch und
politisch, dass Russland keinen Anlass mehr hat, der Ukraine Vergleichbares übel
zu nehmen. Dabei müsste allerdings immer klar sein: Die Ukraine tritt nicht der
Nato bei. Jedenfalls nicht, ehe Russland dies tut.

11. März 2014 10:41  Süddeutsche Zeitung

Erhard Eppler, 87, war von 1968 bis 1974 Entwicklungshilfeminister und bis 1992

Mitglied der Grundwertekommission der SPD.

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