"Die Rebellen und nicht die Regierung Assad haben Giftgas verwendet" Prof. Günter Meyer
Wer setzt Giftgas in Syrien ein?
Interview von Peter Voegeli, Redaktor SRF, mit Prof. Günter Meyer
Peter Voegeli: Der Wind hat gedreht. Immer mehr kommen die syrischen Rebellen ins Visier. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie Giftgaswaffen eingesetzt hätten und nicht das Regime Assad. Professor Günter Meyer leitet an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz das «Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt». Er vertritt ganz pointiert die These, dass die Rebellen und nicht die Regierung Assad Giftgas verwendet haben. Ich habe ihn gefragt: «Wie können Sie sich von Mainz aus dessen so sicher sein?»
Günter Meyer: Es ist völliger Unsinn anzunehmen, dass die Regierungstruppen in der gegenwärtigen Situation Giftgas einsetzen. Das Regime ist auf dem Vormarsch. Die Streitkräfte von Assad haben eine überragende Feuerkraft. Mit konventionellen Waffen, mit ihrer Artillerie, mit ihrer Luftwaffe, mit ihren Kampfflugzeugen können sie die Aufständischen gezielt bekämpfen. Deshalb ist in dieser Situation davon auszugehen, dass das Regime auf keinen Fall das Risiko eingehen wird, Giftgas einzusetzen, was nicht zuletzt durch eine Änderung der Windrichtung gegen die eigenen Reihen gelenkt werden könnte.
Das macht Sinn, wenn die Regierung rational handelt, wenn Assad ein rational handelnder Diktator ist.
Zu unterstellen, dass Assad irrational handelt, dafür gibt es nicht den geringsten Anlass. Er selber hat kürzlich in einem Interview erklärt: «Wir lassen uns doch nicht von unseren Gegnern über die rote Linie hinwegziehen.» Gemeint ist die rote Linie, die von Obama aufgestellt worden ist: Wenn das syrische Regime Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzt, dann wird es Konsequenzen haben von seiten der USA, die damit den entscheidenden Grund hätten, um militärisch in Syrien einzugreifen. Und daran haben nur die Gegner von Baschar al-Assad ein Interesse.
Könnte Assad nicht hoffen, dass er seine Unterstützer mobilisiert, falls die Amerikaner in Syrien intervenieren?
Hier müssen wir uns in die Perspektive der Obama-Regierung hineinversetzen und die Folgen bedenken, was passiert, wenn eine Flugverbotszone eingerichtet wird, wenn in grossem Umfang Waffen an die Aufständischen geliefert werden und das Regime tatsächlich stürzt. Dann entsteht ein Machtvakuum, und das wird gefüllt von den Aufständischen, insbesondere der al-Nusra-Front, den Dschihadisten, den al-Kaida-Anhängern, die nur darauf warten, in das Machtvakuum hineinzustossen. Die Befürchtung, dass diese Terrorgruppen schliesslich die Macht übernehmen würden, ist einer der Hauptgründe, weshalb Obama auf keinen Fall militärisch in Syrien eingreifen will.
Aber warum ist dann selbst die unabhängige Uno-Kommission zu Syrien sehr skeptisch, nicht nur die Amerikaner?
Nach Aussage des prominenten Kommissionsmitgliedes Carla del Ponte sprechen alle vorliegenden Indizien dafür, dass die Rebellen die Verantwortlichen sind für den Chemiewaffeneinsatz. Das wird auch deutlich, wenn wir uns die konkrete Situation beim Giftgaseinsatz in Khan el-Assal nördlich von Aleppo anschauen, bei dem 27 Menschen getötet worden sind. Mit chemischen Kampfstoffen wurde ein Dorf angegriffen, das auf seiten des Regimes steht. Die meisten Einwohner des Ortes sind Schiiten, die von den sunnitischen Rebellen bekämpft werden. Auch Soldaten des Regimes waren unter den Toten. Dass Regierungstruppen eine von ihnen selbst kontrollierte Siedlung mit chemischen Kampfstoffen angreifen, das widerspricht jeglicher Logik. Für diesen Angriff können nur die Aufständischen verantwortlich sein.
Woher haben die Rebellen denn das Giftgas Ihrer Meinung nach?
Der «Guardian» hat sehr detailliert recherchiert und kommt zu dem Schluss, dass eine kleine, mit einer Giftgasgranate bestückte Rakete von der Siedlung Bab abgeschossen worden ist, die unmittelbar vor der türkischen Grenze liegt. Dieser Ort ist die Hochburg der dschihadistischen al-Nusra-Front, die sich al-Kaida angeschlossen hat. Immer wieder haben westliche Geheimdienste betont, dass die syrischen Chemiewaffenlager sicher sind, solange das Regime an der Macht bleibt. Es ist deshalb auszuschliessen, dass die Chemiewaffen von hier ihren Weg zu den Rebellen gefunden haben. Viel naheliegender ist es dagegen, dass über die benachbarte offene Grenze von türkischem Gebiet her die Chemiewaffen in die Hände der al-Nusra-Front gelangt sind.
Das heisst also, Sie glauben, dass die Türkei die Rebellen mit Giftgas beliefert, und das, obwohl sie Verbündete sind der USA, die das überhaupt nicht wollen?
Der Verdacht liegt zumindest nahe, und er wird auch dadurch bestärkt, dass Ministerpräsident Erdogan jetzt behauptet hat, dass der türkische Geheimdienst über die Reste von mindestens 200 Geschossen mit Giftgasspuren verfüge, die vom Regime in Syrien eingesetzt worden sein sollen. Wenn tatsächlich 200 Geschosse mit Giftgas abgefeuert worden wären, hätte das Hunderte, gar Tausende Tote gegeben und wäre überhaupt nicht vergleichbar mit den relativ geringen Folgen, die bei den bisherigen angeblichen Angriffen mit Sarin-Gas beobachtet wurden. Deshalb deutet alles auf eine grossangelegte Propaganda-Aktion hin, um jetzt den Druck auf Obama vor den anstehenden Verhandlungen Erdogans in Washington zu erhöhen.
Nun gibt es ja eine unübersichtliche Vielfalt von Rebellen. Welche setzen denn das Giftgas ein?
Am besten organisiert sind die Mitglieder der al-Nusra-Front, die nach unterschiedlichen Schätzungen unterstützt wird von mindestens 600 Dschihadisten allein aus europäischen Ländern sowie zahlreichen al-Kaida-Kämpfern, die aus dem Irak und vielen anderen islamischen Ländern eingesickert sind. Diese Gruppen sind auch in medialer Hinsicht hervorragend organisiert. Sie haben ein eindeutiges Interesse daran, das Assad-Regime als Verantwortlichen für den Chemiewaffeneinsatz darzustellen. Sie sind sich sehr wohl bewusst, dass das Regime wieder an Boden gewinnt, während die Aufständischen verlieren. Um das Blatt noch einmal zu wenden, ist es entscheidend, dieses Argument – Überschreiten der roten Linie durch den Einsatz von Giftgas – in die Diskussion hineinzubringen; und es ist für die Rebellen ein Leichtes, sich chemische Kampfstoffe zu beschaffen. •
Quelle: SRF, Echo der Zeit vom 16.5.2013 aus den Schweizer ZEITFRAGEN Nr. 20/21 vom 11. Juni 2013
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