JUNGE WELT vom 09.01.2014 / Titel / Seite 1Inhalt
Weiter auf Kriegskurs
Bundesregierung verlängert Militäreinsätze der Bundeswehr rund um Syrien. Kritik von Friedensbewegung und Linkspartei
Von Rüdiger Göbel
Die Bundeswehr ist derzeit mit knapp 5000 Soldaten an 16 Auslandseinsätzen beteiligt. Am Mittwoch verständigte sich die schwarz-rote Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel darauf, zwei »Missionen« routinemäßig zu verlängern. So sollen im Rahmen von »Active Fence« (Wirksamer Zaun) weiter bis zu 400 deutsche Soldaten mit zwei »Patriot«-Raketenabwehrstaffeln in der Türkei stationiert bleiben. Und auch der »Active Endeavour« (Energische Bemühungen) getaufte Militäreinsatz im Mittelmeer unter Führung der NATO, beschlossen ursprünglich in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA, soll deutscherseits fortgeführt werden. Der Bundestag muß – und wird – die Militäreinsätze in der kommenden Woche formal wieder durchwinken.
Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte nach der Kabinettssitzung, der Einsatz in der Türkei bleibe »rein defensiv« ausgerichtet. Die Lage in der Grenzregion zu Syrien sei unverändert angespannt. »Die Türkei benötigt weiterhin die Unterstützung durch die NATO gegen ein mögliches Risiko von Raketenangriffen von syrischem Boden aus.« Tatsächlich ist Ankara eine der zentralen Parteien im Krieg gegen Syrien. Über das NATO-Land werden die Aufständischen mit Waffen versorgt, deren Verletzte wiederum werden in türkischen Krankenhäusern für den nächsten Einsatz fit gemacht.
Auch »Active Endeavour«, offiziell als Mission zur Bekämpfung des Terrorismus im Mittelmeerraum verkauft, trägt zur weiteren Internationalisierung des Syrien-Krieges bei. Die bei der Seeraumüberwachung gewonnenen Daten werden auch für den »präventiven« UNIFIL-Einsatz der Bundesmarine vor der Küste des Libanon genutzt. Auf den deutschen Booten sind Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes stationiert, sie spionieren das syrische Kriegsgebiet aus. Dabei gewonnene Erkenntnisse, etwa über Truppenbewegungen der syrischen Armee, werden an »befreundete Dienste« weitergegeben – und dürften am Ende ebenfalls bei den Aufständischen landen.
Die »Patriot«-Radaranlagen können einen »präzisen Luftlageplan erstellen, der über Aleppo, der nach Damaskus wichtigsten Stadt Syriens im Norden des Landes, hinausreicht«, warnt der Bundessauschuß Friedensratschlag in einer am Mittwoch verbreiteten Stellungnahme. »Ähnliches ist mit den AWACS-Flugzeugen möglich, die sämtliche Flugbewegungen über syrischem Boden beobachten können und Luftlagebilder an Bodenstationen in Echtzeit übermitteln. Es wäre naiv zu glauben, daß die dabei gewonnenen Daten nicht auch den kämpfenden Einheiten in Syrien einschließlich der dort operierenden Terrororganisation Al-Nusra-Front zur Verfügung gestellt würden.«
Kritik kommt auch von der Linksfraktion im Bundestag. »Der Schutz eines autoritären Regimes am Bosporus kann und darf nicht zu den Aufgaben der Bundeswehr zählen«, erklärte am Mittwoch die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen zur Verlängerung des »Patriot«-Einsatzes. »Daß das Kabinett in Kenntnis der aktuellen Entwicklungen in der Türkei das Mandat der Bundeswehr verlängert hat, ist ein Skandal.«
Die Linke ist die einzige Fraktion, die Auslandseinsätze der Bundeswehr kategorisch ablehnt. Allerdings werden Stimmen laut, diese grundsätzliche Haltung aufzugeben. So weist der Abgeordnete Stefan Liebich, Sprecher der parteirechten Strömung »Forum Demokratischer Sozialismus«, in einem jW vorliegenden Kritikpapier an den Fraktionsvorstand das prinzipielle Nein zu deutschen Militäreinsätzen als »unrealistisch« und »weltfremd« zurück. Unklar ist, ob der Berliner Linke-Politiker etwa Obmann der Fraktion im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages wird.
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