Trotz Kriegsalarm und
alledem:
Hoffnungsgrün
begleitet die ersten Maitage in Istanbul 2013
“Die Völker wollen Frieden” - mit
diesem Konferenz-Motto wird am 26.04. 2013 die diesjährige
Mai-Saison in Istanbul eröffnet. Die türkische Friedensgesellschaft
(Baris-Dernegi) und der Weltfriedensrat hatten für mehrere Tage lang
Persönlichkeiten und Verbände aus Europa, den USA und vor allem aus
dem Nahen und Mittleren Osten eingeladen, um den Aggressionen gegen
das Nachbarland Syrien argumentativ noch besser entgegentreten zu
können. Frau Professor Majorie Cohn aus San Diego, Kalifornien,
Vorstandsmitglied des Weltbundes Demokratischer Juristen, betonte die
Illegalität und Völkerrechtswidrigkeit bewaffneter Interventionen
im Namen der Menschenrechte. Sie verurteilte die Idee des von außen
angestachelten “Regimewechsels” als unvereinbar mit der
Internationalen Konvention zum Schutz ziviler und humanitärer Rechte
und fand scharfe Worte gegen das heuchlerische Schutzkonzept unter
der Formel “R2P”. Keine Schutzverantwortung der Welt rechtfertige
im Rahmen der UN-Charta eine bewaffnete „humanitäre Intervention“.
Der vormalige US-Präsidenten Bush junior habe schon 1999
folgendermaßen ausgedrückt, worum es in Wirklichkeit gehe: “Wir
müssen überall in der Welt unsere Produkte absetzen können, darum
dreht sich dieses Kosovo-Ding”. Diese Zielsetzung läge auch allen
nachfolgenden Interventionskriegen zugrunde. Beim bereits zwei Jahre
anhaltenden kriegerischen Geschehen in Syrien gehe es ebenfalls um
geostrategische Interessen. Man möge auf die Worte der
US-Präsidenten ruhig genau achten. Sicherung von Absatzmärkten und
Profitmargen und keinesfalls Menschenrechte seien das Ziel ihrer
Politik. Die schwedische Buchautorin Agneta Norberg sekundierte, aus
einem US-Handbuch zitierend, das Anleitungen für die Anheizung
ziviler Proteste in unbotmäßigen Ländern liefert. Die
einkalkulierte Gegenwehr und deren mögliche Opfer zögen dann
den Ruf nach humanitärer Intervention nach sich. Manfred Ziegler,
der aus Frankfurt angereiste Software Ingenieur, Vertreter einer
Syrien-Solidaritäts-Initiative, unterstrich in diesem Sinne:
“Ausländische Interventionen erwürgen die Demokratie“.
Die internationale Konferenz im
repräsentativen Hörsaal der Petrol-Is, der Gewerkschaft der
ölverarbeitenden Industrie, erhielt schon am Vortag professionelle
Unterstützung aus anderen wichtigen Berufszweigen. Der Präsident
der Istanbuler Anwaltskammer unterstrich gegenüber den
internationalen Gästen seine Solidarität mit dem Anliegen der
Baris-Dernegi mit einem Zitat des Begründers der modernen Türkei,
Kemal Atatürk: „Frieden nach innen und Frieden nach außen“. So
laute der alte Grundsatz türkischer Politik. Dieser werde durch den
neuerlichen Aggressionskurs der AKP geführten Regierung Erdogan
sträflich verletzt. Demgegenüber betonte der Vertreter des
Berufsstandes der Juristen, Professor für Rechtswissenschaft, das
„Heilige Recht auf Selbstverteidigung“, das selbst den Sklaven im
Alten Rom nicht vorenthalten worden sei, müsse hochgehalten werden.
Die aggressive Haltung gegenüber dem Nachbarland Syrien reflektiere
allerdings ganz und gar nicht die Haltung des türkischen Volkes.
Jene internationalen Marodeure, die in Syrien Massaker begehen,
die das türkisch-syrische Grenzgebiet unsicher machten, müssten
völkerrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Ihnen dürfe keine
Unterstützung zuteil werden, meinten auch andere engagierte
Verteidiger der Menschenrechte im Haus der Anwaltskammer in
Istanbul-Kadeköy. Sie sprachen auch für 38 ihrer Kollegen, die
derzeit selbst für menschenrechtliches Engagement hinter Gittern
sitzen und für deren Rechte sich der Berufsverband mit aller
Entschiedenheit einsetzt.
Professor Dr. Taner Gören, als
Vertreter der Istanbuler Ärztekammer, bezieht sich auf die WHO
Definition von Gesundheit, aus der unter anderem die Verpflichtung
für Ärzte erwachse, sich sozialpolitisch zu engagieren. Genauso
wenig wie ein menschliches Leben ohne Wasser und ohne eine gesunde
Umwelt existieren könne, genauso wenig sei der neoliberale
Kapitalismus ohne Sozialabbau und Krieg lebensfähig. Der
hippokratische Eid sei ihnen daher Verpflichtung auch zum Engagement
für den Frieden, unterstreicht auch Frau Professor Dr.
Zuhal Okuyan vom Baris-Dernegi aus Izmir, die die Konferenz
im Stadtteil Kadiköy eröffnete. Die Vorsitzende des
Weltfriedensrates, Frau Soccorro Gomez, ehemalige Justizministerin im
brasilianischen Bundesstaat Amazonien, betonte die Dringlichkeit der
Solidarität gegenüber jenen Völkern, die unter den
imperialistischen Kriegen von heute zu leiden haben. Was der
souveränen Nation Syrien heute widerfährt, was Libyen gestern
erdulden musste, kann morgen der Türkei und übermorgen anderen
Nationen blühen. Dagegen müssen wir als bewusste Staatsbürger
unsere Stimme geltend machen, wissend, dass wir die Interessen der
Weltbevölkerung vertreten. Der Brite Dave Webb vom Global Network
Against Nuclear Weapons in Space warnte vor dem Missbrauch
derWeltraumtechnologie und betonte, dass unter anderem die
hinterhältigen Drohnen durch Satellitenkontrolle manövriert würden.
Es gelte derartige „Verteidigungssysteme“ völkerrechtlich zu
ächten und auch damit der imperialistischen Kriegsstrategie einen
Riegel vorzuschieben. Wir müssten vor allem interdisziplinär
zusammen arbeiten und die fatalistische Vorstellung aufgeben, dass
Gewalt unaufhaltsam sei. Der Schutz der Umwelt, die Verteidigung der
Menschenrechte, die Verteidigung des Friedens erfolge durch
Kooperation und dadurch, dass bewusste Bürger zusammen stünden.
Notfalls müsste man der Regierungspolitik durch einen
gemeinsamen Aufschrei die Schranken weisen. Die Molekularbiologin
Cathy Goodman vom US-amerikanischen Friedensrat zitierte ausführlich
aus dem von ihrem Verband vorgelegten Strategie-Papier und meinte
„Das Schweigen der Friedensbewegung angesichts der
imperialistischen Aggression gegenüber Syrien, dem Nahen und
Mittleren Osten und Nordafrika ist ungerechtfertigt und
unhaltbar“. Auch sie unterstrich, dass es um Geostrategie geht und
nicht um etwaigen Schutz von Menschenrechten.
5 Tage lang hatten die ausländischen
Gäste Gelegenheit sich unter anderem im Gespräch mit
Parlamentsabgeordneten, mit Gemeindebürgermeistern, mit Vertretern
von Berufsverbänden und Gewerkschaften sich davon zu
überzeugen, wie stark der Friedenswille innerhalb der türkischen
Gesellschaft verankert und wie lebendig demokratisches Engagement
dort ist. In der 50 000 Einwohner fassenden Stadt Antakya, dem
antiken Antiochia, in der Grenz-Provinz Hatay, konnten die
Delegierten vor Ort spüren, wie stark der Widerstandswille in der
Region gegen die Umtriebe der „syrischen Rebellen“ ist, die auch
auf der türkischen Seite der Grenze bereits die Bevölkerung
einschüchtern. Das einst rege Wirtschaftsleben der Tourismus- und
Handelsmetropole ist fast völlig zum Erliegen gekommen. Die Grenze
wird von den „Rebellen“ kontrolliert, Grenzgänge zu den jenseits
wohnenden Verwandten sind lebensgefährlich geworden. Die „Rebellen“
bedienen sich schon mal der Hotel-und Restaurationsangebote und
verweisen mit vorgehaltener Pistole darauf, dass der Gouverneur die
Rechnung begleichen werde. Die Arbeitslosigkeit ist auf Grund des
darniederliegenden informellen Sektors in die Höhe geschnellt.
Schon zum zweiten Mal innerhalb weniger
Monate veranstalteten die Friedenskräfte hier ein großes
Antikriegsfestival. 5000 Menschen aus allen Altersgruppen waren
gekommen, um den populären türkischen Musikern, Sängern,
Schauspielern einen jubelnden Empfang zu bereiten. Wie politisch ihr
Anliegen war, spürten man vor allem bei den Worten des syrischen
Anwalts Adel Omar, der als einziger syrischer Gast von jenseits der
Grenze, wo sein Heimatort liegt, die Reise in die Türkei gewagt hat.
Das Mitglied der syrischen Anwaltskammer wurde wie ein Held gefeiert.
Ob der Folk-Sänger Yasar Aydin
mit seiner Band, ob die Sängerin Ilky Akkaya, ob Edip Akbayran, der
Musiker, ob die Großmütterchen vom Lande oder die
städtische Jugend, sie alle eint die gemeinsame Tagesbotschaft:
Stoppt die Aggression gegen Syrien – für echte Völkerfreundschaft
und Solidarität mit unseren Nachbarn!
Mögen sie alle den Grundgedanken
unseres großen Poeten Bert Brecht, den der Schauspieler Metin
Coslem zitierte, nicht vergessen:
GENERAL, DEIN TANK IST EIN STARKER
WAGEN.
Er bricht einen Wald nieder und
zermalmt hundert Menschen.
Aber er hat einen Fehler:
Er braucht einen Fahrer.
General, dein Bomberflugzeug ist
stark.
Es fliegt schneller als ein Sturm
und trägt mehr als ein Elefant.
Aber es hat einen Fehler:
Es braucht einen Monteur.
General, der Mensch ist sehr
brauchbar.
Er kann fliegen und er kann töten.
Aber er hat einen Fehler:
Er kann denken.
Irene Eckert, als Vertreterin des AKF
zu Gast in Istanbul und Antakya vom 25. 04. -02. 05. 2013
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