Monday, May 27, 2013

Das Leben des Galileo Galilei von Bert Brecht im Gorki Theater: Ein Klamaukstück!

Die sinnliche Freude bei der  Erkenntnis um die Beschaffenheit der Welt wird in der  jüngsten Berliner Inszenierung des im Exil 1939 entstandenen Stückes ausradiert. Völlig verloren geht Brechts Grundidee, dass die  Wissenschaft das Schicksal der Menschen erleichtern kann, muss und wird. Als Voraussetzung nennt Brecht wissende Menschen, die sich für den Fortschrittsgedanken in Bewegung setzen, Menschen also, die begriffen haben, dass sie selbst letztlich ihres  Schicksals Meister sind. In dieser Erkenntnis  gründet letztlich Brechts eigene  Freude am forschenden Denken. Die dauernd hysterisch kreischende Virginia, Tochter des Meisters Galilei, rückt  völlig zu unrecht  in den Vordergrund des Geschehens. Das ist auch deswegen schon konträr zu Brechts Anliegen, weil  das Mädchen  die Bigotterie und die Dummheit verkörpert. Die leibliche Tochter des Forschers ist also dumm, während der Ziehsohn intelligent ist und daher zu Galileis  Lieblingsschüler wird. Das offenbar attraktive Mädchen aber wird vom Regisseur Petras bevorzugt und mit ihrer Hilfe verdrängt er  die wunderbare Rolle ihrer Ziehmutter Frau Sarti. Diese von Brecht fürsorglich-mütterlich angelegte Figur  wird in der aktuellen Inszenierung zur Sexgespielin des erkenntnishungrigen  Wissenschaftlers degradiert. Für irrelevant wird in der Petraschen Inszenierung damit das ewige Bemühen der Rolle einer Haushälterin und Mutter erklärt, der es anheimfällt  für das leibliche Wohl zu sorgen  und den  schwierigen Alltag im Forscherhaushalt  zu meistern. Gar nicht mehr vor kommt Frau Sarti als Mutter des klugen Schülers und Gehilfen Andrea, der die Zukunft einer neuen Wissenschaftlergeneration verkörpert, wissbegierig, aufrichtig, wahrheitsliebend. Der Zuschauer kann ohne Textlektüre nicht wissen, dass der  zu Beginn der Handlung erst elfjährige Knabe, der spätere Physiker Andrea, in den Galilei vernarrt ist, dem er alles zutraut, dem er seine Discorsi heimlich (!) übergibt, sozusagen sein Adotpivsohn ist. Andrea bildet bei Bercht  das Gegenstück nicht nur  zu seiner Stiefschwester und späteren Spionin Virginia, was unter  Petras Regie  auch entfällt.  Er ist damit  auch das Gegenstück  zu dem perspektivisch von seiner Schwester erträumten reichen  Bräutigam Ludovico. Den Gutsherrensohn, einen Dummbold und Pferdenarr  will Galilei  nicht unterrichten,  dafür ist ihm seine Zeit zu schade. Wohl aber lehrt er  jederzeit die, die fragen, denn sie verdienen Antwort ("Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration").  Das positive Lehrer-Schüler-Verhältnis soll aber  nach  Petras nicht sein.  Stattdessen wird völlig sinnwidrig  dem großen Mann  Galilei spät noch  ein inzestuöses Verhältnis zu der dummen, blind der Obrigkeit gehorchenden Virginia angedichtet. Der altersschwache Greis Galilei, der über seiner heimlichen Forscherarbeit erblindet, wird im Gorki-Theater von einem schwachen Schausspielerinterpreten als Säufernase charakterisiert. Die Inszenierung verurteilt  anhand von Mätzchen die Zuschauer zum "Glotzen",  anstatt  sie, wie Brecht es will,  zum Sehen, also zum erkennenden Denken und damit zum verändernden Handeln anzuleiten. Der Gestus des zeigenden Schauspielers wird abgelöst durch den Geist der seichten Unterhaltung. Stilistische Mittel sind von Robert Wilson abgekupfert.
Auch die Figur des intellektuell regen,  dünnen Mönchs aus der Campagna wird  verkannt. Er ist  von Brecht   als weiteres  Gegenbild zu Ludovico konzipiert. Virginia Galilei will er  nur so lange zur Frau als der Vater  sich höchster Anerkennung erfreut, sich  der Macht beugt und durch seine Wissenschaft keinen Aufruhr begünstigt. Schließlich würde  ein solcher  seinen Geschäftsinteressen schaden, die auf Ausbeutung der Campagna-Bauern ruhen.  Die Erwiderung Galileis auf des Mönchleins Rede über die positive  Rolle der kirchlichen Moral, die den kleinen Leuten ihr  unveränderbares Schicksal  erträglich machen will,  fällt dem Streichstift nämlich ganz und gar zum Opfer. Verloren geht damit, dass Galilei dem wissbegierigen, armen, kleinen Mann der Kirche die Augen öffnet und ihm zeigt, dass  es die Wissenschaft ist, die den geknechteten Campagna-Bauern ihr Los einmal erleichtern wird, falls sie in Bewegung kommen und sich  rühren werden   gegen ihr Schicksal: "Wenn sie nicht in Bewegung kommen und denken lernen, werden ihnen auch die schönsten Bewässerungsanlagen nichts nützen",  sagt der Sterndeuter bei Brecht. Aber auch dieser,  für Brecht zentrale Gedanke,  entfällt.  Der Satz "Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch wie wir durchsetzen"  wird dagegen out of Kontext platziert  und geht damit  verloren. Verloren geht auch Galileis Gedanke: "Was ich weiß, muss ich weitersagen. Wie ein Liebender, wie ein Betrunkener." Wissen wollen und Wissen verbreiten, darin besteht die Leidenschaft  des Renaissance-Mathematikers, weder im Trinken noch im Huren, wie es das Stück tendenziell nahelegt.

Verloren geht auch die Bedeutung der kleinen List im Kampf ums Überleben, die  im Brechtschen Sinne keine Lüge ist, sondern Überlebenskunst. Vor allem aber dient die List der nachgeholten Erfindung des Fernrohrs ja der Erkundung des Laufs der Gestirne. Diese Sache  aber, die ihm einige Scudi einbringt, wird  im Gorki-Theater zum Wesensmerkmal eines betrügerischen Galileis hochstilisiert: "Groß ist nicht alles, was ein großer Mann tut" wird zum Leitmotiv, mit dem ihm auch unzüchtiges Verhalten gegenüber der leiblichen Tochter angehängt wird.

Völlig unbegriffen bleibt schließlich , dass der Mann aus Sinnlichkeit denkt! Eine Beobachtung, die Brecht dem neuen Papst, ehemals  Barberini, in  den Mund legt, dem einstigen Wissenschaftler und früheren Kollegen Galileos.
Unergründet bleibt weiter, die wieder zeitgemäße  Rolle der Bigotterie, der Virginia verfallen ist, der Ignoranz, das kirchlich verordnete  Festhalten an der  Unwissenheit, die zur Verbreitung der Pest   und auch zum Tode von Frau Sarti führt. Dieser Tod wird damit Galilei angelastet, der sie aus Liebe zur Wissenschaft nicht rechtzeitig aus der Stadt schaffen ließ.
Gestrichen wurde auch der für uns Heutige triftige Schlußgedanke Galileis:

"Wie es nun steht ist das Höchste, was man erhoffen kann, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge die für alles gemietet werden können."

Vielleicht hätte diese Feststellung gegen Ende  die Zuschauer nachdenklich entlassen. So bleibt  uns nur die Hoffnung auf  die Textlektüre.
Und es verbleibt uns der Verweis auf einen wichtigen Text von Professor Norman Paech über das nachgerade peinliche Versagen der Human- bzw. Rechts-Wissenschaft von heute.
Siehe Junge Welt vom 12.12 2012  "Unter Dauerbeschuß"


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