Bericht
über eine Konferenz in Genf am 1. März
2013
Freitagabend. Über
300 Menschen versammeln nach Feierabend im Ghandi-Saal des Genfer
„Maison des Associations“. In konzentrierter Stille lauschen sie
den Vorträgen des belgischen Publizisten und
Menschenrechtsaktivisten Bahar Kimyongür und der russischen
Kriegsreporterin Anastasia Popova. Mit ihrem Kamerateam hat die
blutjunge, zarte Frau insgesamt sieben Monate an allen Fronten der
syrischen Konfliktzonen recherchiert. Eingeladen zu der mit
unerhörten Bildprojektionen unterlegten Präsentation hatte das
„Internationale Institut für Frieden, Gerechtigkeit und
Menschenrechte“ in Zusammenarbeit mit dem „Kollektiv der
schweizer Syrer“.
Zuvor hatten die
beiden Journalisten schon im UN-Palais referiert. Anlass, die
aktuelle Tagung des UNO Menschenrechtsrats. In das alt erwürdige
Völkerbundgebäude am Genfer See hat allerdings nicht jeder Zutritt.
Es gleicht heutzutage einer Festung. Das Volk muss draußen bleiben,
wo selbst UN-Diplomaten und akkreditierte Vertreter von NGOS für
ermüdende Sicherheitskontrollen Schlange zu stehen haben.
Auch der Zugang
zum Vereinshaus in der schmalen 'Rue des Savoises' war durch
Bauarbeiten verbarrikadiert. Wer an diesem Abend hinein wollte,
musste Spießrutenlaufen. Ein Pulk Jugendlicher, ein offenkundig
bestellter Mob, hatte vor dem Eingang ein großes Banner platziert.
Gut gekleidet skandierten sie ihre vorgestanzte Losung: „Keine
Konferenz für Faschisten!“
Einmal drinnen
traf man auf informationshungrige, gediegene Schweizer Bürger,
unter ihnen viele aus der jungen Generation. Der Radiologe und
gebürtige Syrer Constantin Sayegh moderierte die Sitzung.
„Antiochia, die
ehemalige Hauptstadt Syriens, laut Lukas, die Wiege der
christlichen Kultur, wurde 1939 von den Franzosen an die Türken
verschachert, um sie von einem Kriegsbündnis mit den Deutschen
abzuhalten“, sagte Bahar Kimyongür. Er qualifiziert die
Übertragung des Gebiets um Iskenderun als das „München des Nahen
Ostens“. Und in der Tat, nach der Besetzung von Paris durch
deutsche Truppen, marschierten die Militärs der kollaborierenden
Vichy Regierung mit britischer Unterstützung im Mandatsgebiet
Syrien ein.
Ein für das
Verständnis der neokolonialen Politik gegenüber Syrien heute
unverzichtbares Stück Geschichte, um das keiner im Westen zu wissen
scheint, über das zumindest keiner spricht. Kimyongür, der Autor
des Buches „Syriana, la conquete continue“, trauert um seine
viel geschundene Heimat diesseits und jenseits der
türkisch-syrischen Grenze. Eine Heimat, aus der die Eltern einst
als Gastarbeiter ins ferne Belgien zogen, eine ferne Heimat der der
Sohn, Historiker und Archäologe sich noch immer verbunden fühlt.
Türkisch und Arabisch scheinen ihm wie das Französische ans Herz
gewachsen. Der ortsansässigen Bevölkerung in der heute türkischen
Grenzprovinz Hatay, verblieb ein „Küchenarabisch“, das
versetzt ist mit türkischen Vokabeln. Die türkisch-syrische
Grenze wird laut einem gegenseitigen Abkommen von 1998 nur von der
türkischen Seite aus kontrolliert. Auf syrischer Seite gibt es keine
Grenzer! Mit strategischer Unterstützung der NATO wird von der
enormen US-Militärbase nahe Iskenderun ein offener Krieg gegen das
alte Kulturland Syrien vorbereitet, werden zwei Brudervölker
gegeneinander gehetzt. Hatay, so der Türko-Syrer ist eine
Miniaturausgabe Syriens.
Er selbst, Alawit
mit belgischem Pass wünscht sich, wie fast alle türkischen
Menschen von ganzem Herzen, dass den Kriegsvorbereitungen gegen
dass Nachbarland der Türkei Einhalt geboten wird. „Frieden“ ist
das Zauberwort, dafür arbeiten er, seine Freunde, seine Familie und
dafür, dass das unbeschreibliche Leiden der syrischen Bevölkerung
aufhören möge.
Für Kimyongür
ist es gleichgültig, welcher der achtzehn allein christlichen
Religionsgemeinschaften Syriens man angehört, ob man Christ, ob
Muselman, ob Alawit, ob Jude, Shiit oder Sunnit ist. Sie leiden
alle. Ja, auch letztere verschonen die „Islamisten“ nicht, sobald
diese sich nicht den Rebellen „freiwillig“ anschließen oder sich
auch nur der Dämonisierung des syrischen Präsidenten Assad
verweigern. Es treibt Bahar K. die Tränen in die Augen, während
er sagt: „ Die Bezeichnung „Allawit“ wird heute gleichgesetzt
mit „Kindermörder“. Zwischentöne, so der Publizist, finden kein
Gehör mehr. Man kann im Westen keine differenzierte Kritik am
syrischen Präsidenten, an der syrischen Politik mehr vorbringen.
„Bist du für oder gegen Assad“, lautet die standardisierte
Frage. Ein Verdammungsurteil Bashar al-Assads ist der Preis dafür,
dass du weiterreden darfst. Während in Saudi-Arabien zwischen zehn-
und zwanzigtausend Gefangene in den dortigen Gefängnissen schmoren
und Israel sich angesichts der Entwicklungen im Nachbarstaat Syrien
die Hände reibt, halten fanatisierte, von den Amerikanern
geförderte Libyer an der türkisch-syrischen Grenze vorgeblich eine
„Konferenz“ ab, über das, was sie unter „Islam“ verstehen.
Die sogenannten Rebellen, in Wirklichkeit gedungene ausländische
Söldner aus allen Herren Ländern, werden im Stützpunkt Incerlik an
modernsten Waffen trainiert. Die Welt weiß es seit langem und
schweigt. Sie schweigt zu all den unheilvollen, bedrohlichen
Entwicklungen, während die syrische Politik pausenlos als
„verbrecherisch“ charakterisiert wird und ein Eingreifen gegen
Syrien immer lauter gefordert wird. Den offenen Kriegsvorbereitungen
gegen Syrien müsse endlich ein Ende gesetzt werden, meint der
junge Journalist, Buchautor und Menschenrechtsaktivist. Er, der in
mehreren Kulturen zu Hause ist, er der polyglott ist und die
Völkerverständigung als seinen Auftrag begreift, bittet fast
demütig sein Publikum:„Helfen Sie mit diesen Krieg zu verhindern!“
Während
Kimyongürs Beitrag ins Grundsätzliche reicht und in elegantem
Französisch vorgetragen wird, berichtete seine russische Kollegin,
die dekorierte Kriegsberichterstatterin Anastasia Popova in
flüssigem Englisch von den knallharten Fakten vor Ort. Ihr
Kameramann hat alles im Bild festgehalten. Jetzt müssen wir, das
Publikum, den Bildokumenten ins Auge schauen. Die bestialischen
Gewaltakte überschreiten das Maß des Erträglichen. Wie kann
soviel Hass gezüchtet werden, der sich gegenüber völlig wehrlosen
Opfern entlädt? Worin gründen die Motive? Warum greifen Menschen
zu Mitteln, die sie selber ihrer Menschlichkeit berauben.
47 Journalisten
haben die 'Rebellen' bereits auf dem Gewissen. Unter den dahin
Gemordeten sind Kollegen, die die Referentin liebgewonnen hatte.
Freunde, deren sinnloser Tod sie schwer verkraftet. Auch Anastasia
wurde verletzt, während einer ihrer vor Ort Recherchen. Auch sie
hat manches Bildmaterial von Rebellen übernommen, von jenen also,
die die keinen Hehl aus ihren verbrecherischen Taten machen.
Schließlich sollen die von ihnen angebotenen Bilder abschrecken, von
jeder Solidarität mit de moräsidenten. Durch die dokumentierten
Untaten soll das Grauen hervorgerufen werden, das die Syrer
massenhaft aus ihrem einst reichen Land treibt. Für all jene, die
sich nicht dem fundamentalistisch-archaischen Ideengut der
'Dschihadisten' unterwerfen und für jene, die sich deren brutaler
Herrschaft entgegenstellen, solle im künftigen Syrien kein Platz
mehr sein. „Warum“, so fragt Frau Popova, „hören wir niemals
von jener millionenstarken 'Hälfte' der syrischen Bevölkerung, die
noch immer zu ihrem Präsidenten Bashar al-Assad steht, trotz aller
Gräuel, mit denen sie bedroht werden, trotz des bereits erfolgten
Aderlasses von hunderttausenden Mitbürgern, denen der Absprung ins
Ausland glückte? Wer erzählt ihre Version der Geschichte? Warum
können die „Rebellen“ nicht besiegt werden, obwohl sie
zweifelsfrei eine Minderheit verkörpern und einen völligen
Fremdkörper innerhalb der traditionell toleranten syrischen
Gesellschaft bilden?“ Die Antwort ist einfach, so Popova, handelt
sich doch weder um 'syrische Oppositionelle' noch um eine isolierte
Bande von besonders brutalen Gangstern. Vielmehr haben wir es zu
tun mit Terroristen, die mit modernsten Waffen ausgestattet und
die von NATO Offizieren trainiert werden. Sie verfügen über die
neueste Kommunikationstechnologie und über schwere Geschütze, bis
hin zu Panzerabwehrraketen. Über eine halbe Milliarde Dollar habe
allein die USA bereits für Waffenhilfe ausgegeben und jetzt sei gar
ein Trainingslager auf syrischem Boden geplant. Laut UN-Daten kämen
die Söldner aus 29 Ländern. Die Bezahlung laufe vornehmlich über
Saudi-Arabien und Katar. Die USA schicke sogar zum Tode Verurteilte
nach Syrien und zahle dafür den Familien eine monatliche Zuwendung.
Andere „Dschihadisten“ kämen aus Libyen, dem Irak, Afghanistan;
bis hin nach Australien reiche die Blutspur.
Die „Rebellen“
seien mit dem Auftrag unterwegs in einem Ursprungsland des
Christentums mit gleichwohl reicher islamisch toleranter
Kulturtradition die „Sharia“ einzuführen, die der Westen
anderswo mit Waffengewalt bekämpfe.
Warum riskiert
Frau Popova für ihre Auftraggeber „Russia Today“, „Russia 24“
und die internationale Presseagentur 'Pressenza' ihr Leben in
Kriegsgebieten? Warum ging sie innerhalb der letzten zwei Jahre
immer wieder zurück nach Syrien, dahin wo der Zugang für
Journalisten unmöglich sein soll?
Unmöglich sei gar
nichts, meint sie. Jeder Journalist, der das wolle, erhalte eine
Akkreditierung, aber die Berichte von mutigen Journalisten würden
von den Auftraggebern oft verfälscht wie sie an einem selbst
miterlebten Beispiel erläutert. Viele Kollegen blieben an der
Grenze und in ihren Hotels und verließen sich auf Bildmaterial der
bewaffneten 'Rebellen', die ihre Gräueltaten der syrischen Armee
zuschrieben. Eine Überprüfung vor Ort würde meist vermieden.
Ihr eigenes Motiv
sei identisch mit dem ihres Landes, sie wolle einen Beitrag zum
Frieden in der Region und damit zum Frieden in der Welt leisten.
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