Tuesday, November 13, 2012


Station 12 der "Via Dolorosa":Jerusalem und die Zukunft Palästinas


Station 12 des Leidensweges:  Jerusalem/Al Quds

6. Juni 2012

Wir sitzen in einem  belebten arabischen Cafe auf der 'Via Dolorosa' gegenüber dem österreichischen Hospiz zur 'Heiligen Familie'.  Schwer bewaffnete, jugendliche israelische Soldaten patrouillieren auch hier im stolzen  Bewusstsein ihrer vermeintlichen Rechte. Wie in Hebron gibt es auch in der einst rein arabischen Altstadt von Jerusalem jede Menge  jüdischer Siedler. Häufig  haben sie sich einfach auf die arabischen Häuser draufgesattelt. Die Apartheidfahnen mit dem Davidstern wehen uns von den Balkonen und Türmchen in allen Größen entgegen. Ihre illegale, weil völkerrechtswidrige Präsenz, beschützen die Vorposten der  israelischen Streitkräfte. Sie wehren präventiv die befürchteten Übergriffen der eigentlichen Besitzer ab, die im öffentlichen  Bewusstsein der Herrschernation als Terroristen wahrgenommen werden. Verkehrte Welt.
Für uns ist die 'Via Dolorosa' mehr als  ein Touristentrampelpfad. Hier spiegelt sich  auch der  lange, unvollendete Leidensweg des palästinensischen Volkes.  Zwei der drei Weltreligionen, die in der 'Heiligen Stadt' beheimatet sind, arbeiten ganz offensichtlich zusammen, um die dritte und letztgeborene der monotheistischen Glaubenslehren  in die Bedeutungslosigkeit hinabzustoßen.  Die christliche Präsenz ist in Ostjerusalem überwältigend und irritierend.  Die Nachfolger Jesu spielen sich mit ihrer massiven Omnipräsenz als Wohltäter gegenüber den Palästinensern auf und betreiben eifrig die Christianisierung ihrer Kinder durch Bildungsangebote, Waisenhilfe und sonstige milde Gaben.  Die christlichen Sakralbauten zeugen von langer Vorgeschichte und verweisen symbolisch auf gegenwärtige und  zukünftige Macht.  Das Verhalten  der Christengemeinden untereinander ist dabei allerdings oft  genauso so unsolidarisch bis übergriffig wie man es von den christlichen Nationen in Geschichte und Gegenwart auf der politischen Bühne kennt.  So streiten sich  etwa um den Besitz der Grabeskirche 7 christliche Religionsgemeinschaften.  Da kommt es auch schon mal zu Handgreiflichkeiten unter den Priestern und Mönchen. In ihrem weihrauchgeschwängerten, nach Bienenwachs duftenden, labyrinthischen Gemäuerkomplex wird darüber hinaus  sinnlich erfahrbar, wie Religion zum Opium des Volkes werden kann. Das Mittelalter läßt aber nicht nur hier grüßen. Mehrfach erleben wir auf unserer Pilgerreise, wie bruchlos  positiv im Lande der Bibel  auf die Tradition der Kreuzzügler als 'Kulturstifter' positiv Bezug genommen wird, während die jahrhundertelange tolerante Tradition des Islam einfach ausgeblendet wird.
Von unserer Herberge, einem lutherischen Gästehaus nahe dem Löwentor, haben wir einen herrlichen Blick auf die  goldene Kuppel des Felsendoms. Es ist  dieser muslimische Sakralbau  unbestreitbar das bei weitem schönste Gebäude der Stadt. Der Zugang zum Felsendom und damit auch zur Al Aqsa Moschee wird leider auf schärfste von israelischen Sicherheitskräften kontrolliert und ist nur mittels eines Stelzenganges quasi durch eine Schleuse hindurch  möglich. Auch der bloße Anblick und Charakter der schönen islamischen "Kirche" scheint nicht allen Hiesigen zu gefallen, obwohl die israelische Tourismusbehörde damit wirbt. Selbst der "Reise Know How Palästina" spricht dem Felsendom den doch unübersehbaren  "Moschee-Charakter" ab. 
Unterdessen  wird im neuen "jüdischenViertel" der Jerusalemer Altstadt, also gleich nebenan  ein riesiger, neuartiger,  wohl sakraler Kuppelbau nachts  mit gelbem Licht angestrahlt und schiebt so die goldene Kuppel auf dem Tempelberg beiseite.



Am gegenüberliegenden Ölberg besuchen wir die in französischer Hand  befindliche "Paternosterkirche".  Hier können wir das  Vaterunser in den Sprachen diverser Minderheiten sogar im elsässischen Dialekt und in hebräischer Sprache auf Keramiktafeln lesen. Auch dem Garten Gethsemane statten wir einen Besuch ab und gedenken der Aktualität des Seufzers Christi  vor seiner Hinrichtung: "Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen". Wie vielen christlichen Palästinensern, deren Häuser von den Besatzern mutwillig zerstört wurden, mag dieser Spruch  schon durch den Sinn gegangen sein? Wie viele Opfer müssen noch erbracht werden, bevor dem völkerrechtswidrigen Gebaren der "einzigen Demokratie" im Nahen Osten Einhalt geboten wird? Deren einseitige  Ausrufung Jerusalems als Hauptstadt mit Sitz der Regierung und des Parlaments erkennt zwar keine Regierung der Welt offiziell an, aber ansonsten lässt man die Herrscher dort gewähren oder spornt sie gar bei ihrem frevelhaften Tun an.
Mein Herz ist voller Zweifel als wir anschließend  noch höher hinaufsteigen auf den Ölberg  und  das in polnischem Besitz befindliche Haus der Elisabethanischen Schwestern in Top-Lage besichtigen. Von hier aus hat  man einen herrlichen Blick  auf den Felsendom und die Al Aqsa Moschee. Auf diesem schönen Hügel mit Blick auf die Heilige Stadt betreuen die polnischen Nonnen 'arme Palästinenserkinder aus der Westbank' und machen sie zu guten Christen.
Das Ergebnis solcher Erziehung ist Islamfeindlichkeit und Dankbarkeit gegenüber den Betschwestern, die mit den Mächtigen im Lande und ihren Hintermännern kunkeln.  Das Geschichtsbild solch christlicher Erziehung verherrlicht die kulturstiftende Kraft der Kreuzzügler, die einst im Juli 1099 Jerusalem in einem Blutbad erstickt haben und entzieht die Nachkommen der arabischen Ureinwohner die Kenntnis ihrer eigenen Kultur.

Diese  unchristliche Vorgehensweise ist typisch für den Siedlerkolonialismus von Eroberer-Nationen. Wir kennen sie aus Nordamerika, Australien und Afrika. Mit der einst  fortschrittlich-humanisitischen Tradition des Judentums  wie sie  in Lessings Nathan dem Weisen zum Ausdruck kommt, hat das, was wir in diesem Frühsommer in Jerusalem erleben nichts mehr zu tun.
Und wie verhält es sich mit der einst fortschrittlichen, zeichensetzenden palästinensischen  Tradition? Der vom Westen hofierte Palästinenserpräsident Abbas scheint die Forderung nach einem Palästinenserstaat mit Ostjerusalem als Hauptstadt  aufgegeben zu haben, er will sogar auf das völkerrechtlich verbriefte Rückkehr-Recht  für die palästinensischen  Heimatvertriebenen neuerdings verzichten. Die normative Kraft des Faktischen, die einem vor Ort durchaus den Atem rauben kann, scheint ihm die Sinne vernebelt zu haben.

Jerusalem, die "goldene Stadt" bildet den Ausgangspunkt und den Endpunkt unserer Reise. Bei  Ankunft um Mitternacht auf dem Flughafen Ben Gurion fiel uns trotz der Übermüdung das römisch imperiale Gepräge der Eingangshalle  auf.  In der Kreuzfahrerstadt  Akko erlebten wir  eine Führung, die ausschließlich die Errungenschaften und Fähigkeiten der Kreuzfahrer pries und in Haifa beeindruckte uns der alles in den Schatten stellende, durchaus   prachtvolle Bahai-Tempelpark. 
An welchen Vorbildern  orientiert sich das Land Israel? Wo ist Platz für einen zweiten, nämlich einen palästinensischen Staat? Wenn die christliche Religion im "Judenstaat"  einen so großen Raum einnehmen darf und  sogar der jungen  Religion einer verschwindenden Minderheit wie die  der Bahai ein geistiges Zentrum im Lande gewährt wird, wo ist Raum für den Islam, der Jahrhunderte lang den Kulturraum geprägt hat. Wie wird der noch  junge Staat Israel  mit den immer drängenderen Widersprüchen im Lande fertig werden? Glaubt man ernsthaft durch  den festungsartigen Ausbau und mittels Apartheidmauern die Risse glätten zu können? Soll das tragische Schicksal des jüdischen Volkes und das auf ihm lastende historische  Leid durch die Verdoppelung desselben einem anderen Volk gegenüber gut gemacht werden?
Mir scheint, dass der Weg zur Befreiung immer nur  durch die Anerkennung des Leides erfolgen kann, das man anderen angetan hat.  Für uns Bürgerinnen und Bürger eines Landes, das an der derzeitigen  Tragödie in Israel/Palästina mehr als andere Völker Anteil hat, muss es heißen, dem Unrecht, dem jedem Völkerrecht Hohn sprechenden Unrecht, gegenüber dem palästinensischen Volk Einhalt zu gebieten. Konkret heißt das, die Wahrheit über die Zustände im Lande der Bibel, die zum Himmel schreien, zu verbreiten, gerade dann, wenn es den Betroffenen zunehmend an Möglichkeiten hierfür gebricht. Fordern wir also von unserer Regierung:

- Respektiert das Völkerrecht und pocht auf dessen Einhaltung  auch gegenüber der
israelischen Regierung.

- Keine Solidarität mit einer Politik, die sich über sämtliche UN-Beschlüsse hinwegsetzt. 

- Helft mit  die rassistische Diskriminierung des palästinensischenVolkes zu beenden.

- Reißt diese Mauer ein!


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