Die von uns besuchte Ortschaft Majdal Shams liegt am Fuße des Berges Hermon. Das Dorf gehört zu den vier von einst 139 Dörfern auf den Golanhöhen, die 45 Jahre Krieg und Besatzung überdauert haben. Der Krieg gegen das benachbarte Syrien wurde 1967 laut Verteidigungsminister Moshe Dajan von Israel provoziert. Aus Gesprächen erfahren wir: Weit über 100 000 Dorfbewohner sollen aus diesem wasserreichen, fruchtbaren, strategisch bedeutsamen Golanhöhen vertrieben worden sein. Nach schon bekannter Manier wurden ihre Häuser, so erzählt man, von Panzern zerstört und von Bulldozern niedergewalzt. Majdal Shams wurde mitten hindurch gerissen. Stacheldraht und Minen lauern, wo einst Schafe auf grünen Weiden grasten. Verständigung mit den auf syrischer Seite lebenden Familienmitgliedern ist nur mühsam von einem Podest aus mittels Megafonen ab und zu möglich. Heute stehen sich auf der von Israel okkupierten Seite ein Häuflein aufrechter, sich syrisch definierender Drusen und einige wenige muslimische Landsleute und eine bald genauso große Zahl von jüdischen Siedlern gegenüber. Dabei sind die Golanhöhen nach internationalem Recht und in den Augen der Weltgemeinschaft eindeutig syrisches Territorium, das von Israel widerrechtlich besetzt und besiedelt wird. Von Majdal Shams ist es nur 60 km bis zur syrischen Hauptstadt Damaskus. Der wasserreiche Jordanfluß entspringt hier. Jährlich fallen auf dem Golan 1000 mm Regenwasser. Nicht nur 25 % des israelischen Wasserbedarfs wird von hier oben aus gedeckt. Das israelische Unternehmen "Eden Springs" füllt das Wasser in Flaschen und exportiert es weltweit. Der Golanwein ist so berühmt wie die aus diesem Gebiet stammenden Äpfel und Aprikosen. Die Israelis machen sich die landwirtschaftlichenVorzüge seit über 40 Jahren ebenso wie das touristisch ergiebige Terrain zu nutze. Sie produzieren hier Olivenöl und graben nach Mineralien, bauen Ski-Stationen und Hotels. Die landwirtschafltiche Nutzung ihres eigenen Landes ist dagegen für ihre arabischen Mitbürger streng reglementiert. Nicht nur deswegen fühlen sich die syrischen Menschen hier oben eng verbunden mit den Palästinensern in Gaza und im Westjordanland, ihren Schicksalsgenossen. Der syrisch-drusische Widerstand, meist friedlicher Art, richtet sich gegen denselben zionistischen, also politischen Gegner. Die Gegnerschaft wird ihnen geradezu aufgezwungen, hält die Besatzermacht doch den syrisch stämmigen Golanhöhenbewohnern elementare Menschenrechte vor, so etwa gleiche Wasserzuteilung. Gleichzeitig fordert sie von ihnen Steuern auf selbstgesammeltes Regenwasser. Für die syrische Nation schwer erträglich ist auch die Tatsache, dass Israel seit dem "Sechstagekrieg" von 1967 auch das östliche Ufer des See Genezareths weiträumig besetzt hält und durch Übernutzung der wichtigen Wasserquelle zur ökologisch problematischen Senkung des Seewasserspiegels beiträgt.
Der Blick vom Hermonberg aus öffnet unseren Horizont und ermöglicht es uns damit auch, die feindseligen Zuschreibungen gegenüber Syrien und die inzwischen offene Kriegshetze gegen das Land, sowie die gezielten Provokationen seitens der Türkei und ihrer mächtigen Verbündeten differenzierter zu sehen. Während die seit über 60 Jahren fortlaufenden Menschenrechtsverletzungen gegenüber dem palästinensischen Volk und seit über 40 Jahren auch gegenüber sich als Bürger Syriens begreifenden Golanbewohnern von der Weltpresse weitgehend ausgeblendet werden, vernehmen wir nunmehr seit eineinhalb Jahren ein menschenrechtliches Trommelfeuer gegenüber dem toleranten und weltoffenen Syrien.
Völlig ausgeblendet bleibt, dass Syrien nicht nur stets ein sicherer Zufluchtshort für Menschen aus Palästina gewesen ist, sondern auch eine starke Stütze für das politische Anliegen der Palästinenser und der arabischen Welt. Ein souveränes Syrien, das sich nicht durch Drohgebärden seines hochgerüsteten Nachbarn einschüchtern ließ, ein Land, das durch eine besonnene Bündnispolitik Freunde in der Welt gewonnen hat, ist den strategischen Plänen des Westens, die auf Weltbeherrschung aus sind, ein Dorn im Auge. Nicht die angebliche Verletzung der Menschenrechte, die unsere nordwestliche Welt ganz offenkundig sehr selektiv anprangert, nicht der Mangel an Demokratie in einem arabischen Land, das sogar in einer gefährlichen Bedrohungslage Wahlen abhält und über seine Verfassungsänderung ein Referendum durchzuführen vermag, sind der Grund für die inzwischen offen zugegebene, militärisch kaum verdeckte Intervention der ehemaligen Kolonialmächte und ihrer Verbündeten im multi-ethnischen, multi-religiösen, toleranten Syrien. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die autoritären Monarchien am Golf, die für jedermann offenkundig die Menschenrechte mit Füßen treten und die Theokratie Israel sind ebenso gute Verbündeten der westlichen "Demokratien" wie das islamistisch geführte NATO-Mitglied Türkei. Die Türkei und das nur scheinbar derzeit zurückhaltende Israel sind Instrumente aus ein und demselben Werkzeugkasten der tonangebenden Mächte der Erde. Diese repräsentieren zwar nur eine Minderheit der Weltöffentlichkeit, aber mittels ihres gefährlichen Waffenarsenals und ihrer noch vorhandenen Wirtschaftskraft verfügen sie über ein erhebliches Bedrohungspotential. Die Stimmen der Menschlichkeit und der Verweis auf das internationale Recht scheinen diese Nordlichter noch unberührt zu lassen und so können sie bis heute ihren zerstörerischen Kurs scheinbar ungebremst fortsetzen. Echte Aufklärung ist daher not-wendig, um den Stimmen der Opfer aus dem Heiligen Land, zu dem gerade auch Syrien gehört, Geltung zu verschaffen. Die Opfer, die unserer Solidarität bedürfen sind die Schwachen, die Entrechteten und das sind dieser Tage mitnichten jene, die sich kühn"Rebellen" oder gar "Revolutionäre" nennen. Im Zeitalter der "Friedens"- Nobelpreisverleihung an ein kriegsführendes Staatenbündnis gewinnt ein George Orwell radikal aufklärerische Bedeutung.
Wir müssen uns auf die wahre Bedeutung der Begriffe neu verständigen und dürfen uns nicht ein "WAR IS PEACE" verordnen lassen.
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