Betrachtungen auf dem Wege nach Nazareth
Auf der Busfahrt nach Nazareth im
biblischen Galiläa geht mir noch mancherlei Bedrückendes aus
„Judäa und Samaria“ durch den Sinn. Ich denke an die
Bild-Eindrücke, die ich beim Durchfahren palästinensischer Städte
gesammelt habe. Den aufmerksamen Palästina- Reisenden begrüßen
auf den Straßen Bethlehems etwa Poster mit der Aufschrift „Welcome
in Bethlehem – Pray for the Freedom of Palestine“. Ich lese
große Hoffnungslosigkeit aus den Zeilen heraus. Soll denn da nur
Beten noch Abhilfe verschaffen können? Sollte ein Schöpfer, der
die Menschen mit Vernunft und Mitgefühl ausgestattet hat, nicht
mehr von uns erwarten, als dass wir beten angesichts der Überfülle
an Leid, das Menschen anderen Menschen wieder einmal antun. Diesmal
tun sie es hier im Lande, an einem Ort, der im Alten Testament als
„ein heilig Land, ein gutes und weites Land, ein Land, darin Milch
und Honig fließt“ (2. Moses, 3) bezeichnet wird. „There is
nothing holy in an occupied city“ steht auf dem nächsten Plakat
geschrieben. Wir nicken zustimmend und denken daran, wie wir am
Vorabend hinter einem Leichentransporter herfahren mussten, der zum
Teil schon seit Jahren tote Märtyrer aus israelischen Gefängnissen
heim zur Bestattung führte.
Allerdings wissen die Menschen zu Hause
in Deutschland recht wenig vom Zynismus solcher Gesten, mittels derer
erreicht werden soll, dass die „Friedensgespräche“, die keine
sind, weitergehen.
Wir Pilger versprechen uns daher
gegenseitig für mehr Öffentlichkeit zu sorgen.
Dazu gehört auch ein Hinweis auf den
jüngsten Bericht von Amnesty International, der Israel für seine
Haftbedingungen stark kritisiert. Dort wird geschlussfolgert, Israel
müsse entweder alle palästinensischen Gefangenen in
Untersuchungshaft freilassen oder ihnen einen Prozess gewähren.
„Seit Jahrzehnten versucht Amnesty
International Israel dazu zu bewegen, diese Haftstrafen aufzugeben
und die Gefangenen entweder zu entlassen oder ihnen einen fairen
Prozess nach internationalem Recht zu geben," sagt Ann Harrison,
zuständig für Nordafrika und den Nahen Osten bei Amnesty
International.
„Israel hat die Praxis der
Untersuchungshaft – die ursprünglich für stark Terrorverdächtige
vorgesehen war – benutzt um die Rechte der Gefangenen jahrelang mit
Füssen zu treten," so Harrison, „das muss sofort aufhören."
Kein Wassermangel im „Kernland Israel“
Während ich meinen Gedanken nachhänge,
passieren wir die Grenzkontrolle und befinden uns im . Große Weite, fruchtbares Land dank reichlich
verfügbarer Wasservorräte, die man dem Brudervolk vorenthält. Die
Straße führt streckenweise in Sichtnähe der Mauer vorbei, die auf
palästinensischem Westbank-Gebiet erbaut wurde. Wir passieren die
landwirtschaftlich reichen, nördlich gelegenen Regionen der
Westbank, Jenin, Tulkarem und Qalqilia. Traditionell waren dies die
Kornkammern Palästinas.
Qalqilia kommt aus dem römischen „Qala
alia“ und heißt „die hohe Festung“. Heute nennt man sie im
Volksmund allerdings "Flaschenhals", weil sie inklusive eines
rekonstruierten kanaanitischen Dorfes und seiner an sich
sehenswerten Tiergärten vollkomen ummauert ist und nur an einer Stelle ein Durchgang möglich, so die israelischen Besatzer ihn denn gewähren wollen.
Auf den israelischen Straßen reist es
sich rasch und problemlos. Nach einer kurzen
Kaffeepause an einer sehr belebten Raststätte, erleben wir israelische Familien auf Sommerfrische, die sich mit Kind und Kegel hier tummeln und erreichen bald Nazareth .
Hier herrscht ausgelassenes, lärmiges
Treiben, der Volksmund würde von "Remmidemmi" sprechen. Laute Musik
dröhnt einem aus Lautsprechern auf den zentralen Straßen entgegen,
so dass man auch in dieser mehrheitlich arabischen Stadt, kaum etwas
von Heilsamkeit oder Heiligkeit zu spüren vermag. Die vielen
Sakralbauten im christlichen Stil und der neue Jesus Wander-Pfade, der hier
seinen touristischen Ausgang nimmt, erhöhen das Niveau an Umtriebigkeit.
Die Herberge "Fauzi Azar Inn"
Unsere Herberge liegt allerdings
idyllisch mitten im Souk und unser Gepäck müssen wir zu Fuß
ein gutes Stück schleppen. Der Weg zum "Fauzi Azar Inn" ist schmal, aber sehr gut ausgeschildert von allen Seiten her. Laut Eigenwerbung der israelisch-amerikanischen Inhaber handelt es sich um ein
"Sehr schönes altes Gemäuer mitten in der Innenstadt. Die Mitarbeiter sind sehr bemüht jede Frage bestmöglich zu beantworten!!”
Die Frage nach den ehemaligen Besitzern des 200 Jahre alten,
einstigen arabischen Herrenhauses und nach dem Hergang, der zum Besitzwechsel führte, stellen wir an dieser Stelle aber lieber nicht. Ich wende mich das weltweite Netz. In der New York Times war über das Gasthaus mit orientalischem Flair folgender ausführliche Kommentar zu finden:
„AROUND the corner from Nazareth’s
Old City market, in the shadow of 200-year-old Ottoman mansions,
there’s a cobblestone street so narrow you can almost touch the
houses on either side. An arrow pointing up some stairs is painted on
one rough wall, along with the words “Jesus Trail.” It’s the de
facto trailhead for a 40-mile hike through the Galilee region of
Israel in the footsteps, more or less, of the man who made Galilee
famous.
The Jesus Trail is the brainchild of
two hiking enthusiasts, Maoz Inon, a 37-year-old Israeli who owns the
Fauzi Azar Inn in Nazareth, and David Landis, 30, a guidebook writer
from Pennsylvania.
Die bedeutendste US-amerikanische würdigt in ungewohnter Offenheit die israelisch-us-amerikanische Zusammenarbeit. Unsere Naivität wurde demnach lügen gestraft. Kein christlicher Araber betreibt das gastliche Haus. Israelisch-US-amerikanisches Kapital lockt Gäste ins Wirtshaus und auf den Jesus-Pfad.
Wir verzichten auf den Weg des Herrn und genießen die unschuldig-schönen Tage im Fauzi Azar Inn. Wir danken vor allem dem arabischen Bauherrn nachträglich für sein geschmackvolles Erbe. In seinem einstigen Heim genießen wir einen schönen Aufenthalt.
Unsere Erkundung der Nachbarschaft führt uns zunächst in die „Weiße Moschee. Die Führung bestellt für uns in makelosem Deutsch ein Türke aus Berlin.
Nazareth sei die Stadt des Friedens und der geschwisterlichen Liebe.
Der Theologe Nur Masalha aus Surrey/England schreibt ausführlich und hintergründig über die Lage der arabisch-palästinensischen Menschen in Nazareth und darüber hinaus
Die infolge
der 1948er Vertreibungen, der „Naqba“ (Katastrophe), verbliebenen
internen Flüchtlinge, die 25% der insgesamt 1 Million
palästinensischen Bürger Israels ausmachen, werden im israelischen
Recht als „Anwesende Abwesende“ bezeichnet.
Vor der
Nakba war die palästinensische Gesellschaft größtenteils eine
ländliche Gesellschaft, Landwirtschaft war die wichtigste Quelle zur
Sicherung des Lebensunterhalts und das Bebauen des Landes das
Rückgrat der palästinensischen Ökonomie.
Landnahme für die zukünftigen
jüdischen Einwanderer und Siedler, zerstörte den Lebensunterhalt vieler
israelischer Araber, schränkte die Entwicklung arabischer Orte ein und drohte, das Überleben einer territorial
verankerten palästinensischen Bevölkerung zu unterminieren.
Nakba, schwerwiegende Zerrüttung der einheimischen Ökonomie
Die
Geschichte der Enteignung begann unmittelbar nach 1948. Einheimische durch Gesetzen enteignet, die das israelische Parlament verabschiedet
hatte, das Land wurde in jüdische Kontrolle und Besitz übergeben.
Die
palästinensischen Bürger innerhalb Israels unter Ausnahmrecht.
Der Ausnahmezustand nie
wirklich aufgehoben worden. Die Vorschriften sind mit einigen
Veränderungen bis zum heutigen Tag gültig. Darüber hinaus haben
israelische Regierungen seit dem Ende der Militäradministration
gesetzliche und administrative Maßnahmen ergriffen, die darauf
abzielen, das Land der zerstörten Dörfer zu konfiszieren, um die
Rückkehr der internen Flüchtlinge zu verhindern.
Die
fortlaufende Landenteignung ist wahrscheinlich das explosivste Thema
in der Beziehung zwischen der palästinensischen Bevölkerung in
Israel und dem jüdischen Staat.
Seit 1976
ist der 30. März ein „Nationaltag“ für Gedenken und Proteste
der palästinensischen Bevölkerung – Proteste, die sich
hauptsächlich direkt gegen die staatliche Politik der Landenteignung
und Landnutzung richten.
2%
Landeigentum für 20% der Bevölkerung
Obwohl die palästinensischen Bürger
Israels 20% der Gesamtbevölkerung ausmachen, kontrollieren sie nur
2% der kommunalen Gebiete des Landes.
Hochwürden
Riah Abu al-ńAssal aus Nazareth (1998 als anglikanischer Bischof von
Jerusalem eingesetzt) sagte folgendes:
Wir haben keinen Platz mehr, um unsere Toten
zu begraben... Ich übertreibe nicht. Ich lebe in einer Stadt namens
Nazareth, die zur überfülltesten Stadt des Landes geworden ist...
Auf dem griechisch-orthodoxen Friedhof in Nazareth – und die
griechisch-orthodoxe Gemeinde zählt über 11,000 Menschen – werden
die Gräber derer ausgegraben, die vor zehn Jahren gestorben sind, um
die neuen Toten zu begraben.‘
Quelle: www.frsh.de· Der Schlepper Nr. 45 · 10/2008 · 31
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