Wednesday, July 24, 2019


reich thermodynamik 
 Am 06. 08. 17 starb kurz vor Vollendung des 85. Lebensjahrs Roland Reich, Vorstandsmitglied und bis zuletzt Ehrenvorsitzender des Arbeitskreises für Friedenspolitik – atomwaffenfreies Europa e.V., emeritierter Professor der Physikalischen Chemie an der FU Berlin.
Seit den friedensbewegten frühen Achtzigern des vorigen Jahrhunderts organisierte Professor Reich so lange es ihm irgend möglich war für jedes Wintersemester die fächerübergreifende Ringvorlesung „Naturwissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Zuletzt firmierte sie unter dem Motto „Frieden, Umwelt, Demokratie heute noch realisierbare Werte?“ Mit dem krankheitsbedingten Rückzug von Professor Reich vor genau 10 Jahren schlief das zuletzt von Seiten der Universitätsleitung kaum noch unterstützte Projekt sanft ein. Das geschah, obwohl die Vortragsthemen aktueller nicht hätten sein können, die Referenten Rang und Namen hatten und eine ungewohnte pluralistische Vielfalt im Denken repräsentierten. Professor Reich bezahlte – was kein Außenstehender wußte – zuletzt Honorare und Unterbringung der reputierten Gastdozenten aus eigener Tasche. Die Diskutanten, die im Anschluss jeder Vorlesung bis zum oft späten Ende der Debatte durchhielten, lud der engagierte Wissenschaftler dann noch zu einer Nachsitzung mit Abendmahl ein. Dort wurden die Gespräche vertiefend fortgeführt und manch langanhaltende Freundschaft geschlossen.
Woher bezog der Naturwissenschaftler Reich die Kraft für ein solch ungewöhnliches, gesellschaftspolitisches, parteiübergreifendes, selbstloses Engagement
Sicherlich war ein ihm vielleicht sogar unbewusster Kraftspender seine große Familie, seine ebenso selbstlos agierende Frau, die Biologie- und Mathelehrerin, Heide Reich, die Hüterin des Hauses, Mutter seiner zwei famosen Kinder, rührige Großmutter von fünf Enkeln, aber auch fraglose Unterstützerin all seiner Projekte.
Sicherlich bezog der stets parteilose, überzeugte protestantische Christ auch Kraft aus einem Glauben, der das Wesen des Christentum begriffen hatte, das auf Verantwortungsbewusstsein für das Ganze und auf Gerechtigkeit zielt.
Wahrscheinlich gab ihm auch die Liebe zur Musik Kraft, seine virtuose Beherrschung des Klaviers, seine Naturfreude, das Skilaufen und die vielen Spaziergänge in freier Natur.
Vor allem aber gebot ihm sein wacher, klarer, naturwissenschaftlich geformter Verstand, dass „man doch etwas tun muss“, wo offenkundig Recht gebrochen wird, wo Menschenrechte für kriegerische Zwecke missbraucht werden und wo vor unser aller Augen Demokratie etwa mit Hilfe des EU-Verfassungsvertrages abgebaut und das Grundgesetz ausgehebelt wird.
Warum Krieg?“ Das war das Thema einer der letzten Ringvorlesungen, zu dem er am 12. Dezember 2007 den Theologen Eugen Drewermann aus Paderborn eingeladen hatte. Dieser füllte das Auditorium Maximum der FU in der Garystraße 35. Im von Professor Reich erstellten, obligatorischen Faltblatt zur Vorlesungsreihe wird Drewermann mit den Worten zitiert: „Frieden ist möglich! Die Lehre vom ‘gerechten Krieg’ ist überholt. Krieg ist kein Heilmittel, sondern eine Krankheit. Wir müssen die religiösen und psychologischen Irrtümer aufdecken, die die Menschheit immer wieder in die Falle ‘Krieg’ hineinlaufen lassen. Der Kampf der Kulturen muss verhindert und eine Perspektive friedlicher Toleranz muss gefunden werden. .. . Religion und Psychologie müssen nicht Felder der Aggressivität sein, sie sollten Kräfte des Friedens sein.“1
Noch aktueller und zugespitzter vielleicht referierte vor Drewermann am 7.11. 2007 der Völkerrechtler Professor Normann Paech aus Hamburg über „Die Instrumentalisierung der Menschenrechte für die Machtinteressen des Kapitals“. Im weisen Vorgriff auf das, was in den nachfolgenden zehn Jahren kommen sollte, zitiert Reich den Völkerrechtler Paech im Begleitblatt zur Vorlesung wie folgt: „Gelingt es uns nicht die Menschenrechte aus diesem gefährlichen Verbund geostrategischer Interessen und ‘humanitärer Interventionen’ zu lösen, werden sie weiter für die nächsten Kriege benutzt.“ 2
An gleicher Stelle geht es um das völkerrechtlich verbriefte ‘Recht auf Selbstbestimmung’, um ‘das Prinzip der nationalen Souveränität’, dem vor dem Hintergrund der zunehmenden Integration der europäischen Staaten die Zukunftsfähigkeit abgesprochen wurde“. In den Staaten des Südens werde die Bedeutung der Souveränität viel deutlicher erkannt als in Europa so zitiert Roland Reich Bello Walden, den Direktor eines Bangkoger Forschungsinstituts: „Die Verteidigung der Souveränität ist eine Angelegenheit von Leben und Tod, eine zwingende Bedingung für die Realisierung unserer kollektiven Bestimmung als Nationalstaat. Die Mitgliedschaft in einem Nationalstaat ist für uns eine grundlegende Bedingung für den ungehinderten Zugang zu den Menschenrechten, politischen und wirtschaftlichen Rechten.“3
Am 24. 10 2007 war die die letzte Ringvorlesungsreihe eröffnet worden mit dem Staatsrechtler und Kantianer Albrecht Schachtschneider aus Erlangen-Nürnberg über den „Absturz der Werte – hin zum Recht?“, womit die ganze Bandbreite der Referenten aufgezeigt sei. Diese Bandbreite sollte im Laufe der letzten 20 Jahre so unterschiedliche Denker und Themen umfassen wie etwa Hans-Peter Dürr , „Quantentheorie“ (2001), Fritz Vilmar „ Amerikanisierung der deutschen Sprache?“ (2002) , Hermann Scheer „Solare Weltwirtschaft“ (2001), Ulrich Duchrow „Soziale und psychische Zerstörungen im Neoliberalismus“ (2008) , Fanny Michaela Reisin, „Dürfen Deutsche die israelische Regierung kritisieren?“ (2006) Dr. Essaid /Issam Haddad „Ist Frieden möglich in Israel/Palästina?“ (2007), Reuven Moskowitz. „Ein Israelischer Friedenskämpfer über die verzweifelte Lage der Palästinenser (2008), Sarah Wagenknecht „Kapitalismus im Koma? (2005) Cathrin Schütz „NATO-Intervention in Jugoslawien (2005) um nur einige wenige zu nennen.
Oft zu Gast war Professor Schachtschneider, dessen Analysen zum höchst problematischen EU-Verfassungsvertrag bereits 2001 Gehör bei der Ringvorlesung fanden. In einem 2007 von Prof. Reich verbreiteten, damals wie heute aktuellen Artikel Schachtschneiders heißt es unter der Überschrift: ‘Ohne Volk – EU-Verfassung: Merkels Politik muss das Recht entgegengestellt werden’ „Was die Bundeskanzlerin bestimmt und wer sie führt, ist nicht recht deutlich, aber ihrer Politik muss das Recht entgegengestellt werden.“4
Aus heutiger Erfahrung ist es vor diesem bunten Hintergrund kaum erstaunlich, dass es eines mutigen Mannes bedurfte, um den zunehmenden Anfechtungen die Stirn zu bieten, die ein solches Referenten-Spektrum unweigerlich nach sich ziehen musste. Im Falle des Vortrags vom damals schon 80Jährigen israelischen Staatsbürger und Friedensaktivisten Reuven Moskovitz wurde Professor Reich von der Universitätsleitung zitiert und musste sich persönlich verbürgen, dass es zu keinen antisemitischen Äußerungen kommen würde. Heute würde sich ein aufrechter Querdenker und politisch unambitionierter Humanist wie der verstorbene Roland Reich gewiss den Vorwurf „Querfrontler“ eingehandelt haben. Aber der an Wahrhaftigkeit interessierte Wissenschaftler würde sich auch solch dumm-dreister Verleumdung nicht gebeugt haben, denn er war einer der mit dem Herzen gut sah. Er wusste, dass man die Wahrheit nicht nur erkennen muss, sondern auch dafür Sorge zu tragen hat, dass sie sich durchsetzt-
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Fußnoten
1Flugblatt zur Vorlesung vom 12.12. 2007, verantwortlich Prof. Reich
2Norman Paech, Wissenschaft und Frieden 2/2007, S. 6-8
3Nach Prof. Reich Fußnote 1
4Junge Freiheit Nr. 5 vom 26. 01. 2007

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