Sunday, April 8, 2018

Rede des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, bei der VII Moskauer Konferenz für internationale Sicherheit

 | MOSKAU (RUSSLAND)  
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Sehr geehrte Kollegen,
Damen und Herren,
Ich freue mich über die Möglichkeit, erneut auf der Moskauer Konferenz für internationale Sicherheit, die vom Verteidigungsministerium der Russischen Föderation organisiert wird, auftreten zu dürfen. Ich begrüße ihre Teilnehmer – hohe Vertreter vieler Staaten der Welt, Leiter internationaler Organisationen, Legislative, Zivilgesellschaft, angesehene Wissenschaftler und Experten.
In den vergangenen Jahren bestätigte das Forum seine Nachgefragtheit als Plattform für einen professionellen Meinungsaustausch zu den wichtigsten militärpolitischen Problemen der heutigen Zeit. Gerade solcher offene konstruktive Dialog bietet die Möglichkeit des Erreichens vom gegenseitig annehmbaren Verständnis, das sich auf das Gleichgewicht der Interessen stützt.
Darüber haben gestern bereits meine russischen Kollegen gesprochen, die unsere Herangehensweisen zu aktuellen Themen der globalen und regionalen Tagesordnung detailliert darlegten. Unsererseits möchte ich ebenfalls die Einschätzungen einer nicht einfachen Lage in internationalen Beziehungen teilen, weil seit dem vorherigen Treffen in diesem Format sich die Situation in der Welt trotz aller unserer Anstrengungen weiterhin erschwerte.
Der Hauptgrund, und das ist bereits offensichtlich für alle, sind andauernde einseitige Schritte des Westens mit den USA an der Spitze, die in mehreren Fällen destruktiv sind, zu einem gefährlichen fehlenden Gleichgewicht der Mechanismen der globalen Steuerung führen.
In Washington, London und anderen westlichen Hauptstädten wurden keine Schlussfolgerungen aus den Tragödien in Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien, der Ukraine gemacht. In den vor kurzem veröffentlichten US-Strategien für nationale Sicherheit und nationale Verteidigung wird die moderne Welt direkt unter dem Blickwinkel der militärpolitischen Kooperation im Sinne der Logik „Seiner-Fremder“, „mit uns oder gegen uns“ betrachtet.
Es wird die Vernachlässigung des Völkerrechts und internationaler Strukturen stärker, darunter der Vereinten Nationen. Immer mehr Fragen löst die Verhandlungsfähigkeit der USA aus, besonders vor dem Hintergrund der Versuche, große internationale Vereinbarungen zu brechen – wie der Gemeinsame allumfassende Handlungsplan zum iranischen Atomprogramm, UN-Lösungen zur Nahostregelung, Deklaration der Pariser Klimakonferenz, Grundprinzipien der WTO. Auffallend ist die Tendenz zum Revisionismus in globalen Angelegenheiten.
Es wird versucht, auch die Minsker Vereinbarungen zur Regelung der innenukrainischen Krise zu revidieren, deren Erfüllung von jetzigen Kiewer Behörden sabotiert wird. Ihre Schutzherren in den USA und in Europa schließen darauf ein Auge zu, wobei gleichzeitig die Handlungen der Kriegspartei in Kiew unterstützt werden, die das Problem von Donezbecken via Gewalt lösen will.
In verschiedenen Regionen der Welt werden zweifelhafte geopolitische Spiele mit Nullsummenspiel und de facto mit negativem Summenspiel fortgesetzt. Es dauern die Versuche an, mit Terroristen zu kokettieren, sie in schlechte und nicht sehr schlechte zu teilen, worüber gestern bei der Eröffnung unserer Konferenz von russischen Vertretern ausführlich gesprochen wurde, darunter an Beispielen der Entwicklung der Situation in Syrien und in anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Es entsteht ein nachhaltiger Eindruck, dass die Amerikaner in diesem riesengroßen geopolitischen Raum den Zustand des gelenkten Chaos beibehalten wollen, indem sie damit rechnen, ihn mit dem Ziel zu nutzen, die unbefristete Militärpräsenz der USA in der Region zur Förderung der eigenen einseitigen Tagesordnung zu rechtfertigen.
Im Bereich der strategischen Stabilität setzt Washington in seiner Politik auf die Gewährleistung der militärischen Überlegenheit und Untergrabung der Parität. Es werden Anstrengungen zum Ausbau des globalen Raketenabwehrsystems ausgebaut. Es wird das Potential gepumpt und die Militäraktivitäten der Nato nahe russischer Grenzen ausgebaut. Tiefste Besorgnisse löst der Kurs der USA auf die Senkung der Grenze der Anwendung von Atomwaffen aus. Es lauten Ideen, dass im Rahmen der Nato zum Artikel 5 des Washingtoner Vertrags die Probleme im Cyberraum gezählt werden sollen. Dabei finden unsere beharrlichen Aufrufe, ein professionelles Gespräch zu Vertrauensmaßnahmen und Bekämpfung der Bedrohungen in diesem Bereich zu beginnen, keine Reaktion in Washington und Brüssel.
Für eine absichtliche Entfachung der Konfrontation und weiterer Dämonisierung Russlands werden grobe politische Provokationen organisiert. Der s.g. Skripal-Fall wurde zu einem ausgedachten bzw. inszenierten Vorwand für eine unbegründete massenhafte Ausweisung russischer Diplomaten nicht nur aus den USA und Großbritannien, sondern auch mehrerer anderen Staaten, die meisten von denen einfach dazu gezwungen wurden. Wir haben seit langem keinen solchen unverhohlenen Hohn des Völkerrechts, diplomatischer Ethik, elementaren Normen gesehen. Ich hebe hervor, dass wir weiter adäquat auf unfreundschaftliche Schritte reagieren werden, zugleich aber die Wahrheit feststellen wollen. Wir beharren auf einer gegenständlichen und verantwortungsvollen Untersuchung in strikter Übereinstimmung mit der Chemiewaffenkonvention. Die von uns auf Grundlage dieser Konvention gestellten legitimen Fragen können nicht ignoriert werden, wie das die am 4. April einberufene Sondersession des Exekutivrats der OPCW bestätigte.
Es ist unannehmbar – sowohl bezüglich Vorfalls in Salisbury, als auch bei mehreren anderen Situationen im Ganzen (von den Wahlen in den USA bis zu chemischen Angriffen in Syrien und Referendum in Katalonien) – statt konkrete Fakten vorzulegen und eine faire Untersuchung zu organisieren, unbegründete Vorwürfe zu machen. So etwas wird nur im bekannten Buch von Lewis Carroll von der Königin gefordert – zunächst Schuldspruch und erst dann der Spruch der Geschworenen – ob er schuldig ist oder nicht. Doch Carroll schrieb Satire, Märchen. Die gestrige Diskussion in Den Haag zeigte, dass erwachsene Menschen, die sich respektieren, an Märchen nicht glauben. Wir rufen erneut alle Kollegen dazu auf, jede Probleme in der Völkerrechtsdimension, fair, mit Bereitstellung von Beweisen zu betrachten. Wir sind zu solcher gemeinsamen Arbeit bereit, was der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, bei der Pressekonferenz in Ankara gestern erneut hervorhob.
Sehr geehrte Kollegen,
die ständig wachsende Konfrontationssucht und das ständig wachsende gegenseitige Misstrauen führen zur strategischen Unbestimmtheit, provozieren das Wettrüsten und – was besonders gefährlich ist – die Militarisierung des Denkens. Und im Endeffekt wird dadurch die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Sicherheitsarchitektur zerstört, die sich auf die Oberhand der UN-Charta stützt.
Eine solche Situation beschränkt wesentlich die Möglichkeiten für die Kooperation, die dringend nötig ist, wenn wir auf die für die ganze Menschheit gemeinsamen Herausforderungen und Gefahren effizient reagieren wollen, insbesondere auf den internationalen Terrorismus, die organisierte Kriminalität, den Drogenhandel, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, den globalen Klimawandel usw.
Ich muss in diesem Raum wohl nicht darüber ausführlich sprechen, dass die globale Landschaft im letzten Vierteljahrhundert sich kardinal verändert hat – und sich auch weiter verändert. Es werden immer neue Zentren der Wirtschafts- und Finanzkraft und des damit verbundenen politischen Einflusses immer stärker, die auch eine solche Außenpolitik ausüben, die ihren nationalen Interessen entspricht. Niemand kann ihr Recht darauf aberkennen. Die Entwicklungsländer reden inzwischen immer lauter und verlangen, dass ihre Interessen fair berücksichtigt werden.
Es gehört zu unseren gemeinsamen Interessen, so zu tun, dass die polyzentrische Welt, die sich, objektiv gesehen, allmählich etabliert, nicht chaotisch bleibt, sondern sich konstruktiv entwickelt und die allseitig nützliche Kooperation und erfolgreiche Partnerschaft der wichtigsten Staaten fördert. Dafür sollte man diverse Phobien, Stereotype und konjunkturbedingte Kontroversen, imperiale und neokoloniale Ansprüche loswerden, einander respektieren und imstande sein, mit anderen Ländern im Interessen einer sicheren und gedeihenden Zukunft zusammenzuwirken. Mit anderen Worten, sollte man die Aufgabe zur Demokratisierung der internationalen Beziehungen anerkennen. Vorerst aber weigern sich unsere westlichen Kollegen, die behaupten, Anhänger der Demokratie in allen anderen Ländern zu sein, die Demokratisierung der Systems der zwischenstaatlichen Kontakte in multilateralen Dokumenten als Ziel zu verankern.
Unter diesen Bedingungen wird Russland als selbstständiges Zentrum der Weltpolitik seine positive Tagesordnung in den internationalen Angelegenheiten im Interesse der globalen Stabilität voranbringen. Wir zwingen niemandem etwas auf, behaupten nicht, dass wir außerordentlich wären, und schon gar nicht, dass wir alles in der Welt tun dürfen. Indem wir unsere Beziehungen mit verschiedenen Partnern entwickeln, richten wir uns immer am Völkerrecht, erkennen die zentrale Rolle der UNO an und respektieren die Interessen, die Traditionen und die Eigenständigkeit aller Nationen und Völker.
Wir sind weder an Konfrontationen noch am Wettrüsten interessiert. Aber seine eigenen Interessen, seine Souveränität wird Russland effizient verteidigen und dabei auf das ganze Arsenal der ihm zur Verfügung stehenden Mittel zurückgreifen. Davon sprach öfter der russische Präsident Wladimir Putin, unter anderem in seiner Ansprache an die Föderalversammlung am 1. März. Im Westen sollte man endlich begreifen, dass das „Spiel auf ein Tor“ nicht mehr möglich ist, dass es sinnlos ist, einseitige Vorteile auf unsere Kosten zu gewinnen, dass die Sicherheit im euroatlantischen und im Asien-Pazifik-Raum sowie in der ganzen Welt gleichberechtigt und unteilbar sein sollte.
Wir plädieren konsequent für einen umfassenden Dialog über besonders akute Fragen der Gegenwart, vor allem über die Aufrechterhaltung der strategischen Stabilität in allen ihren Aspekten und unter Berücksichtigung aller Faktoren, die sie unter den aktuellen Bedingungen beeinflussen. Darüber sprachen die Präsidenten Russlands und der USA bei ihrem Telefonat am 20. März. Wir möchten, dass die Tatsache, dass die beiden Staatsoberhäupter die Wichtigkeit dieses Themas begreifen, nicht durch bürokratische Spielchen beeinträchtigt wird und nicht zur Geisel von innenpolitischen Intrigen wird.
Russland plädiert für die Verschärfung der Kontrolle über Massenvernichtungswaffen auf Basis der Prinzipien der Offenheit und Vorhersagbarkeit. Wir haben alle Vorräte der russischen Chemiewaffen entsorgt und alle unsere Verpflichtungen im Sinne des START-Vertrags erfüllt – und jetzt rufen wir die USA auf, in Übereinstimmung mit den in dem Vertrag vorgesehenen Verfahren die Fragen gemeinsam zu regeln, die mit dem Umbau eines Teils der US-amerikanischen Raketenträger verbunden sind. Wir haben der Abrüstungskonferenz in Genf unsere Initiativen zur Erarbeitung eines Übereinkommens zur Bekämpfung des Chemie- und Bioterrorismus vorgelegt. Noch wurde dabei die russisch-chinesische Initiative zur Vorbeugung der Beförderung von Offensivwaffen ins Weltall präsentiert.
Natürlich wird Russland auch weiterhin seinen Beitrag zur politischen bzw. diplomatischen Regelung von zahlreichen Konflikten leisten, insbesondere im Nahen Osten und in Nordafrika, sowie zur Regelung der Situation um die Halbinsel Korea. Wir werden die Entwicklung der Partnerschaft im GUS-Raum durch die Vertiefung der eurasischen Integration fördern und bei der Lösung von Problemen helfen, die zwischen unseren Nachbarn entstehen.
In seiner Ansprache an die Föderalversammlung rief Präsident Putin auf, am Verhandlungstisch zusammenzukommen und an das künftige internationale Sicherheitssystem und die nachhaltige Zivilisationsentwicklung gemeinsam zu denken. Ihren Beitrag zum Erreichen dieses Ziels leisten auch die SOZ, die OVKS, die BRICS. Wir sehen gute Perspektiven auch bei der G20, wo alle G7- und BRICS-Länder vertreten sind. Russland ist bereit zu einer fairen, offenen, gleichberechtigten und respektvollen Zusammenarbeit mit allen Ländern, die an unserer gemeinsamen friedlichen Zukunft und am Gedeihen der Menschheit interessiert sind.

Ein Funke genügt: Nato und Russland riskieren Konfrontation

Ein Funke genügt: Nato und Russland riskieren Konfrontation 

Die Nato rückt näher an Russlands Grenzen heran. Moskau antwortet mit Pufferzonen. Der Konflikt könnte sich an einem Funken entzünden und außer Kontrolle geraten. 
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Ein Mann mit einer Russland-Fahne, am am 16.03.2014 an der Bucht in Sewastopol, Ukraine. Im Hintergrund ein Schiff der russischen Schwarzmeerflotte. (Foto: dpa)
Ein Mann mit einer Russland-Fahne, am am 16.03.2014 an der Bucht in Sewastopol, Ukraine. Im Hintergrund ein Schiff der russischen Schwarzmeerflotte. (Foto: dpa)
Die russische Schwarzmeer-Flotte 2014. (Grafik: Stratfor)
Die russische Schwarzmeer-Flotte 2014. (Grafik: Stratfor)
Die Fregatte „Bayern“ läuft am 07.03.2018 aus Wilhelmshaven zu einem fast sechsmonatigen Nato-Einsatz in Richtung Ägäis aus. (Foto: dpa)
Die Fregatte „Bayern“ läuft am 07.03.2018 aus Wilhelmshaven zu einem fast sechsmonatigen Nato-Einsatz in Richtung Ägäis aus. (Foto: dpa)
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betreibt konsequent die Verschiebung von militärischen Einrichtungen an die russische Grenze und versteht es dabei geschickt, die verschiedensten Regierungen in Europa und Amerika einzubinden. Russlands Präsident Wladimir Putin betreibt konsequent die Schaffung von Pufferzonen rund um Russland. Die Aktivitäten haben sich zu einem brandgefährlichen Wettlauf entwickelt: Beide Seiten betonen, dass man nur vorsorglich und defensiv agiere und keinen Krieg wolle. Es genügt aber ein unkontrollierter Konflikt, kurzum ein Funke, um eine Katastrophe auszulösen.
Es geht um eine neue Weltordnung
Diese Woche ging der Wettbewerb an Putin, der bei dem Gipfel in Ankara den Eindruck für sich verbuchen konnte, das NATO-Mitglied Türkei auf seine Seite gezogen zu haben. Damit hat sich die Situation am Schwarzen Meer und mittelbar auch in Osteuropa grundlegend verändert. Im Osten des Schwarzen Meers, an Russlands Südgrenze herrschen jetzt ebenfalls neue Bedingungen: Im Dreiländereck Georgien, Armenien und Aserbaidschan ist die Position Russlands deutlich gestärkt.
Die Woche davor punktete Stoltenberg. Die EU-Kommission verkündete eine Art „Schengen für Panzer“: Die Mitgliedstaaten sollen Straßen und Brücken ausbauen und rechtliche Hemmnisse beseitigen, um Panzern eine freie Fahrt zu ermöglichen. Die Richtung wurde nicht genannt, gemeint ist aber der Osten. Ganz neu ist diese Politik nicht: In Polen führt eine prächtige, kaum befahrene Autobahn nach Osten an die ukrainische Grenze, dagegen ist die wirtschaftlich entscheidende Nord-Süd-Strecke nur mangelhaft ausgebaut.
Eine westliche Schwarzmeer-Flotte gegen Russland?
Am Schwarzen Meer hat Russland 2014 durch die als Folge des Maidan-Umsturzes erfolgte Eingliederung der bislang zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim seine Position gefestigt. In der russischen Militärliteratur gilt die Krim nicht nur als entscheidender Posten, um das Schwarze Meer zu beherrschen, sondern bietet auch einen idealen Ausgangspunkt um im Mittelmeer einzugreifen. Deswegen ist seit mehr als zwei Jahrhunderten die russische Schwarzmeer-Flotte an der Krim positioniert. Dies war auch durch einen Vertrag mit der Ukraine abgesichert, seitdem die Krim 1954 innerhalb der Sowjetunion von Russland zur Ukraine kam. Die Bestrebungen der NATO, die Ukraine und folglich auch die Krim enger an das westliche Militärbündnis binden, haben naturgemäß in Moskau Alarm ausgelöst.
Die NATO hat mit der Ukraine zahllose Vereinbarungen geschlossen, die das Land zwar nicht offiziell, aber faktisch zu einem Mitglied der Militärallianz machen. In dieses Bild passt beispielsweise auch die aktuell betriebene Lieferung von 210 Anti-Panzer-Raketen und 37 Raketenwerfern des Javelin-Systems aus den USA.
Der Westen wollte und will Russland mit Sanktionen zur Aufgabe der Krim zwingen, wobei man die Osterweiterung der NATO unerwähnt lässt, aber Russland als Aggressor attackiert. Die entsprechenden Aktionen erweisen sich als wirkungslos. Somit wird in der NATO die Idee verfolgt, eine eigene Schwarzmeer-Flotte zu errichten. Dem steht allerdings der immer noch geltende Vertrag von Montreux aus dem Jahr 1936 entgegen: Kriegsschiffe, die nicht von einem Anrainer-Land kommen, dürfen sich maximal 21 Tage im Schwarzen Meer aufhalten.
Also wird nun über den Aufbau einer Flotte der Anrainer-Staaten Rumänien und Bulgarien diskutiert, also jener Länder, in denen die NATO seit der Ukraine-Krise eine Eingreiftruppe und militärische Einrichtungen unterhält. 2017 wurden in dieser Region ausgiebige Manöver durchgeführt. Allerdings sind die beiden Länder selbst nicht in der Lage, eine Flotte aufzubauen. Für die NATO ist ein derartiges Projekt unter den Flaggen der beiden Staaten schwer umsetzbar.
Russland gewinnt die Türkei und ist im Kaukasus aktiv
Hier lohnt sich ein Blick auf die Landkarte. Im Norden und Westen dominiert die Ukraine das Schwarze Meer. Dann schließt im Westen Moldawien an, wo die Regierung gegen den Willen des Präsidenten und trotz der Proteste aus Moskau mit der NATO kooperiert. Weiter gegen Süden folgen die NATO-Staaten Rumänien und Bulgarien.
Die gesamte Südküste wird von der Türkei beherrscht, die immer noch NATO-Mitglied ist, aber diese Woche einen überraschenden Akzent gesetzt hat: Es wurde eine enge, militärische Kooperation zwischen der Türkei und Russland von den Präsidenten Erdogan und Putin verkündet. Womit sich das Kräfteverhältnis am Schwarzen Meer grundlegend geändert hat. Im Norden ist die Ukraine gelähmt, die Krim ist Teil Russlands geworden, Moldawien, Rumänien und Bulgarien sind als Schwarzmeer-Länder nicht relevant und der Süden ist nun durch die Partnerschaft mit der Türkei unter wachsendem russischem Einfluss. Nicht übersehen darf man, dass die Türkei unter Erdogan die Politik oft ändert und keineswegs sicher ist, dass die Freundschaft mit Russland lange hält. Jens Stoltenberg hat das Ticket nach Ankara wohl schon gebucht.
Bei der Kooperation der drei Länder, Russland, Türkei und Iran, die Syrien befrieden soll, wurden auch im Osten des Schwarzen Meers und somit im Süden Russlands neue Bedingungen geschaffen. An die Türkei grenzt im Osten – allerdings ohne Zugang zum Schwarzen Meer – Armenien an und im Osten von Armenien liegt Aserbaidschan mit einer Küste am Kaspischen Meer. Im Norden der beiden Staaten folgt Georgien mit einer langen Küste am Schwarzen Meer. Die verbleibende Zone zwischen Georgien und der Ukraine im Norden ist russisches Gebiet mit der Region Krasnodar.
Aus Moskauer Sicht gilt es, nicht nur den Westen, sondern auch den Osten des Schwarzen Meers, den Kaukasus, zu beherrschen.
– Dies wurde bereits 2008 im Krieg um Georgien demonstriert. Auch Georgien hatte sich, wie die Ukraine der NATO angenähert. Bei Tiflis betreibt die NATO ein Ausbildungszentrum für die georgische Armee.
– Mit Armenien, das seine Unabhängigkeit und Neutralität betont, kam es 2017 zu einer demonstrativen, militärischen Kooperation. Die russische und die armenische Armee führten gemeinsame Manöver durch, wobei Armenien betonte, man brauche die Hilfe Moskaus im Konflikt mit dem Nachbarstaat Aserbaidschan um das Gebiet Berg Karabach.
– Die Region Berg Karabach agiert wie ein unabhängiger Staat und will das auch offiziell sein, wird international aber als Teil von Aserbaidschan gesehen. Armenien beansprucht das Gebiet ebenfalls.
– Die im Vorjahr begründete Kooperation bindet nicht nur Armenien stärker an Russland, sondern eröffnet auch für Moskau die Möglichkeit in Aserbaidschan aktiv zu werden.
Es wird eng für Aserbaidschan
Dieser Staat, mit der Hauptstadt Baku, verfügt über reiche Ölvorkommen und betreibt die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline, die Rohöl von Ölfeldern aus Aserbaidschan und Kasachstan am Kaspischen Meer nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste transportiert. Das Land laviert zwischen den Mächten. Man betont die Neutralität, ist um gute Beziehungen zu Moskau bemüht, aber kooperiert mit der NATO und versucht sich auch mit dem mächtigen, südlichen Nachbarstaat Iran arrangieren.
Jetzt wird es allerdings eng für Aserbaidschan. Seit längerem entwickelt sich eine enge Verbindung zwischen Russland und dem Iran. Bei dem schon zitierten Treffen zur Befriedung Syriens wurde auch diese Achse neuerlich betont. Dazu kommt, dass der Iran schon seit längerem eine zwiespältige Politik gegenüber Baku betreibt. Einerseits wird kooperiert, Aserbaidschan finanziert sogar eine Eisenbahnstrecke im Iran, zum anderen baut der Iran seinen religiösen Einfluss in dem eher liberalen Land aus. Vor allem aber unterstützt Teheran Armenien und engagiert sich in Berg Karabach. Eine Rolle spielt auch der Umstand, dass Aserbaidschan zum Missfallen der Iraner gute Beziehungen zu Israel unterhält.
Im Moment jedenfalls kann Putin davon ausgehen, dass Russland im Dreiländereck Georgien, Armenien und Aserbaidschan an Einfluss gewinnt.
Fragile Freundschaft zwischen Moskau und Teheran
Das Interesse Russlands an Syrien ergibt sich aus dem Umstand, dass im syrischen Tartus der einzige russische Stützpunkt im Mittelmeer besteht. Somit ist für Moskau wesentlich, wie die politische Struktur der Region nach dem Ende der Kriegshandlungen aussehen wird.
Der Iran arbeitet seit längerem an der Schaffung eines Korridors, der die Staaten Iran, Irak, Syrien und Libanon umfasst, womit der Iran zu einer internationalen Großmacht aufrücken würde. Die Erreichung des Ziels ist nicht unrealistisch: Der Einfluss des Iran im Irak ist groß, Syriens Präsident Assad ist vom Iran abhängig, im Libanon betrachtet die mächtige Terror-Miliz das geistige Oberhaupt des Iran, Ali Chamenei, auch als ihren Führer. Die Realisierung des iranischen Großreichs scheiterte bisher am Islamischen Staat, der zwar als besiegt gilt, aber weiterhin im Irak und in Syrien aktiv ist. Auch die Türkei, die derzeit im Dreierbund mit Russland und dem Iran zusammenarbeitet, verfolgt stets eigene Großmachtambitionen und führt derzeit in Syrien einen Feldzug gegen die Kurden.
Es entsteht der Eindruck, dass Putin glaubt, die Streitparteien jetzt im Griff zu haben und Einfluss üben zu können. Ob die Freundschaft zwischen Moskau und Teheran so weit geht, muss bezweifelt werden. Nicht zuletzt, weil der Iran enge Verbindungen mit China pflegt: Der Ölexport spielt eine entscheidende Rolle, China investiert in Anlagen im Iran. Der Iran kauft zwar Atomkraftwerke von Russland, hat aber auch eine Kooperation im Nuklearbereich mit China. Außerdem findet eine militärische Zusammenarbeit statt. Die Neue Seidenstraße, Chinas Großprojekt, soll über Teheran führen.
Putin und Stoltenberg verfolgen einen Anachronismus
Der Wettlauf der beiden Akteure ist naturgemäß spannend. In den Hintergrund rückt dabei, dass beide Protagonisten dringendere und wichtige Aufgaben hätten.
– Putin ist Präsident eines Landes, das wirtschaftlich extrem schwach ist, von Rohstoffexporten abhängt, die enormen Preisschwankungen unterliegen. Eine Innovations- und Wachstumspolitik könnte das Land stärken, das wie eine Weltmacht agiert, aber Daten aufweist, die bei einer Wirtschaftsleistung von 10.000 US-Dollar pro Kopf und Jahr bescheiden sind.
– Stoltenberg vertritt mit der NATO eine Organisation, die sich nicht mehr zu definieren vermag. Aus der westlichen Allianz unter Führung der USA, die nur Mitglieder haben darf, die die demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien einhalten, ist ein Sammelsurium geworden. Die EU will eine eigene Verteidigungspolitik mit einer eigenen Armee aufbauen, kann aber weder einen Konsens der Mitgliedstaaten herstellen noch das Projekt finanzieren. Außerdem hat man sich mit dem Lissabonner Vertrag zu einer engen Abstimmung mit der NATO verpflichtet. Zudem kooperieren Länder wie Polen direkt mit dem USA, andere wie Ungarn suche enger Verbindungen mit Moskau. Die Verteidigungslinie im Osten der EU wurde von der NATO aufgebaut, die Staaten sehen sich aber unter dem Schutz der USA.
Nicht zu übersehen ist, dass die Konfrontation zwischen Putin und Stoltenberg den Konflikt des vorigen Jahrhunderts fortsetzt, also gleichem ein Anachronismus ist, allerdings ein extrem gefährlicher. Die eigentliche Konfrontation von West und Ost findet nicht mehr zwischen den USA und Russland statt, sondern zwischen den USA und China.
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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.