Wednesday, June 29, 2016


Nato-Militärmanöver

Deutscher Diplomat: „Viele fürchten sich vor einem neuen Krieg“

© Flickr/ Marines
POLITIK
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Wohin steuert der Westen in seinen Beziehungen zu Russland? Zwar will man Gesprächsbereitschaft signalisieren, doch NATO-Manöver und Sanktionen machen diesen Eindruck wieder zunichte. Wie gefährlich ist dieses "Säbelrasseln"? "Die Sicherheit darf man nicht den Flugkünsten von Kampfpiloten überlassen“, sagt Botschafter a.D. Frank Elbe. Ein Interview

Herr Elbe, Hoffnungen auf eine baldige Lösung der Krise in den politischen Beziehungen zwischen dem Westen mit Russland stehen offenbar vorerst nicht zu Debatte, stattdessen beobachten wir militärische Entwicklungen an der Ostflanke der NATO, die neue Spannungen erzeugen. Außenminister Steinmeier hat das in der vergangenen Woche als „Säbelrasseln“ kritisiert. Wie bewerten Sie das? 
Dafür ist er zunächst von Politik und Medien kräftig in den Senkel gestellt worden. Danach gab es sehr rasch eine Welle der Zustimmung, sogar spektakuläre Kehrtwendungen. Wie im Fall von Botschafter Ischinger, dem Vorsitzenden der Münchener Sicherheitskonferenz, von dem man auch schon andere Töne gehört hat. Er hält die Russland-Strategie der Nato für „eindimensional“, da sie "nur auf eine Demonstration militärischer Stärke" setze. Er hat auch davor gewarnt, dass aus "Eskalationsschritten militärische Kampfhandlungen werden können".
Der Streit hat schließlich offen gelegt, dass die Bundesregierung sich mit ihrer bisherigen Politik in der Russlandkrise sehr weit von den Auffassungen und Sorgen der Menschen in unserem Land entfernt hat.
Um welche Sorgen geht es dabei genau?
Viele fürchten sich vor einem neuen Krieg. Dabei wollen die Bürger ein friedliches Zusammenleben mit Russland und seinen Menschen.
Wie sehen Sie nun die weitere Entwicklung? 
Ich weise schon seit zwei Jahren darauf hin, dass nur zielorientierte Verhandlungen eine Lösung herbeiführen können. Dabei muss der Primat des Politischen absoluten Vorrang vor militärischen Maßnahmen haben. Es kann sehr leicht aus einem riskanten Duell von Abfangjägern eine ernste militärische Konfrontation entstehen. Ich möchte unsere Sicherheit nicht den Flugkünsten von Kampfpiloten überlassen. Die Forderung nach militärischer Zurückhaltung hat für beide Seiten zu gelten.
Danach sieht es im Moment aber nicht aus. Das Verteidigungsministerium hat kürzlich dem Bundeskabinett den Entwurf des Weißbuches 2016 zugeleitet, wonach man künftig Russland als Rivalen betrachten werde…
Es zeugt nicht gerade von politischer Weitsicht, ein Weißbuch mit einer solchen weitreichenden Aussage zu einem Zeitpunkt vorzulegen, wenn erstens die Krise noch andauert, zweitens die Verhandlungen zu Minsk II noch geführt werden, drittens das Referendum über den Brexit noch bevorstand und sich außerdem die USA in einem Wahlkampf mit einem ungewissen Ausgang befinden. 
Es ist tollkühner Schritt, in einem Weißbuch jene vertraglichen Verpflichtungen so einfach aufzukündigen, die 1990 von den Mitgliedstaaten der NATO, des Warschauer Paktes und der OSZE eingegangen wurden. Nämlich sich gegenseitig nicht mehr als Gegner zu definieren, sondern als Partner, die gewillt sind, einander die Hand zur Freundschaft zu reichen. Außerdem nach gemeinsamen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft zu suchen, die Sicherheitsinteressen eines jeden zu berücksichtigen, und auch anzuerkennen, dass Sicherheit unteilbar ist, dass die Sicherheit eines Partners untrennbar mit der aller anderen verbunden ist.
Das Verteidigungsministerium usurpiert im Übrigen eine politische Rolle, die ihm nicht zusteht. Das ist in der Vergangenheit schon immer wieder versucht worden, aber gottlob nie erfolgreich gewesen. Verfassungsrechtlich sind die Streitkräfte das militärische Instrument der deutschen Sicherheitspolitik. Das beschränkt die politische Rolle der Verteidigungsministerin. Außenminister Steinmeiers jüngster Weckruf darf wohl auch als Mahnung verstanden werden, den Primat der Politik zu beachten. Deutschland erinnert sich mit Unbehagen an die Zeiten, in denen die Politik vom Generalstab bestimmt wurde – wie im Schicksalsjahr 1914.
Allerdings wäre da auch noch eine verfassungsrechtliche Frage zu klären. Artikel 26 des Grundgesetzes verbietet Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören. Einen anderen Staat zum Feind oder Rivalen zu erklären, ist unter den gegebenen Umständen verfassungsfeindlich. Selbst der Begründer der Lehre vom Freund-Feind-Verhältnis, der zu Recht umstrittene Staatsphilosoph Carl Schmitt, hat die Feind-Erklärung immer an den extremen Ausnahmefall gebunden.
Nun behauptet das Bündnis, dass die militärische Verstärkung an der Ostflanke der NATO wegen der historischen Ängste Polens vor Russland gerechtfertigt sei. Für Sie eine glaubwürdige Behauptung? 
Ich habe sieben Jahre meines Lebens als Diplomat in Polen gearbeitet, Anfang der 70er Jahre als junger Konsul und von 1999 bis 2003 als Botschafter. Die historische Angst der Polen vor Russland hat überwiegend dann Konjunktur, wenn die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ an der Macht ist. Das war schon in der Regierungszeit von Jaroslaw Kaczynski so. Er wollte damals die NATO verleiten, die Strategie des Harmel-Berichtes zu ändern und sich auf Russland als Feind zu fixieren. Die NATO verwarf solche Überlegungen und entschied sich 2010 in ihrer neuen, immer noch gültigen Strategie die Kooperation mit Russland zu intensivieren.
Die meisten Polen sehen ihre Zukunft in einem vernünftigen Verhältnis mit Russland. Sie wünschen keine Konfrontation. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Polen in ihrer Tradition zur Versöhnung mit Russland eine für Europa nutzbringende Partnerschaft führen können und wollen. Niemand – weder diesseits noch jenseits des Atlantiks — sollte allerdings Ängste, soweit sie noch vorhanden sind, für politische Absichten schüren.
Warum ist es nun so schwierig, eine politische Lösung zu erreichen? 
Zunächst muss man verstehen, dass eine völkerrechtswidrige Annexion fremden Staatsgebietes zu verurteilen ist. Die Empörung ist auch heute noch gerechtfertigt. Das muss auch die russische Seite verstehen. Der Westen machte allerdings den Fehler, seine Reaktionen ausschließlich auf den Akt der Annexion abzustellen, und die Vorgeschichte der Krise, die Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten der Ukraine, insbesondere den von den Amerikanern eingeleiteten Putsch, unter den Tisch fallen zu lassen. Das war wenig redlich.
Wir müssen bei dem Konflikt verstehen, dass es primär um eine machtpolitische Rangelei zwischen den USA und Russland geht, neue Einflusssphären in Europa zu schaffen bzw. alte zu behaupten. Es geht dabei auch um die innenpolitische Auseinandersetzung in den USA über die grundsätzliche Ausrichtung der amerikanischen Politik gegenüber Russland und Europa. Begnügt man sich, in einer neuen Weltordnung, wie es Präsident Bush sen. vorschwebte, „second to none“, also niemandem unterlegen, aber auch niemandem überlegen zu sein? Oder beansprucht man die Rolle der einzigen Supermacht und reduziert Russland auf die Größe einer bloßen Regionalmacht – wie es Präsident Obama gesagt hat? Der amerikanische Wahlkampf erschwert wegen dieser unklaren Positionierung der USA in der Welt inzwischen eine Lösung des Konflikts mit Russland.
Das sind generell eher keine guten Aussichten. Wie stellen Sie sich denn eine Lösung in dem Konflikt vor? 
Wir sollten daran arbeiten, dass Russland seinen Platz bald wieder in der euroatlantischen Gemeinschaft einnehmen kann. Henry Kissinger hat Anfang 2016 darauf hingewiesen, dass ein Land, durch das seit Jahrhunderten fremde Armeen marschiert sind, seine Sicherheit notwendigerweise sowohl auf geopolitische wie auch auf rechtliche Grundlagen stellt. Er sagte: „Wenn seine Sicherheitsgrenze von der Elbe 1000 Meilen Richtung Moskau verlegt wird, erhält Russlands Auffassung von einer Weltordnung eine unausweichliche strategische Komponente“.
Wir brauchen lösungsorientierte Verhandlungsansätze. Diplomatie ist Reparaturunternehmen. Sie dient keiner internationalen Winkeladvokatur. Bei einem Wasserrohrbruch ruft man den Klempner, nicht den Gutachter. Es geht darum, den Verhandlungsprozess zu Minsk 2 erfolgreich zu beenden, dann die Sanktionen aufzuheben und Russland wieder seinen vollwertigen Platz im Nato-Russland-Rat und in der Runde der G8 einzuräumen. Für die Ukraine muss ein Zustand konsolidierter Neutralität geschaffen werden, um gemeinsam die Lasten für den Aufbau des Landes zu tragen. Und schließlich geht es darum, eine globale, multipolare Weltordnung anzustreben.
Dann bleibt abschließend nur die Frage: Und die Krim?
Die Integration der Krim in die Russische Föderation ist nicht rückgängig zu machen. Einem Rückanschluss an die Ukraine stünde der mehrheitliche Wille der Krimbewohner entgegen. Das Ergebnis kann man unterstellen. Eine erneute Volksabstimmung unter internationaler Aufsicht – wie von einigen angedacht  — brächte keine Vorteile. Es erscheint mir wichtiger, dass die Ukraine und Russland sich zusammenraufen und Bedingungen schaffen, unter denen ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis möglich sein wird.
Interview: Marcel Joppa