Tuesday, July 26, 2016

Offener Brief an den MDR: Schluss mit der Hetze gegen Russland!


11.07.2016 • 10:52 Uhr

Quelle: Screenshot MDR


Anja Böttcher hat genug. Nachdem der MDR abermals russische Medien - darunter auch RT Deutsch - verunglimpfte, verfasste die Lehrerin einen überaus deutlichen Offenen Brief an den öffentlich-rechtlichen Sender. RT Deutsch dokumentiert das Schreiben im Wortlaut.
Sehr geehrte MDR-Redaktion,
als seit über zwanzig Jahren im Schuldienst tätige Lehrkraft mit medienwissenschaftlichem Arbeitsschwerpunkt, die während ihres Studiums auch diskursanalytisch und sprachsoziologisch zur Propaganda im Nationalsozialismus und im deutschen Kaiserreich gearbeitet hat, bin ich in hohem Grade über die unschwer erkennbare Degradierung unseres Mainstreamdiskurses zu einer aggressiv anti-russischen Feindpropaganda mit anscheinend unbegrenzter Eskalationsbereitschaft und eine an frühere Erscheinungsformen rassistischer Hetze erinnernde Reduktion des Russlandbildes hochgradig alarmiert.
Öffentliche Schulen, die dem Rechtsbestand des Grundgesetzes und der Schulgesetze ihres Bundeslandes verpflichtet sind, müssen in medienwissenschaftlichen Unterrichtsvorhaben Schülerinnen und Schülern das Handwerkzeug für die Analyse grundsätzlich jedes vorliegenden medialen Beitrags nach Kriterien vermitteln, die gänzlich unabhängig von der nationalen Herkunft des jeweiligen Senders sind. Für ein wertendes Urteil über einen Artikel oder Filmbeitrag ist von Belang, ob er eine solide Vermittlung sorgfältig recherchierter Fakten und Zusammenhänge leistet und ausgewogen begründende Kommentierungen von deskriptiven Sachdarstellungen trennt oder aber nur versucht, durch unsolide Vermengung von Vermutungen und selektiv gewählten und aus ihrem Kontext fragmentarisch herausgelösten Einzelfakten eine bloße Agenda zu propagieren.

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Im schlimmsten Falle erfolgt solches mit emotionalisierenden, auf die Konstruktion von Feindbildern zielendem Wording oder pejorativem Vokabular, um auf die Dämonisierung oder Dehumanisierung des thematisierten Darstellungsobjekts zu zielen, das dann nur noch als "target" herhalten muss.
Als schlimmstes Beispiel solcher Form der Propaganda dienen im Deutschunterricht öffentlicher Schulen Beispiele der gleichgeschalteten Presse im Nationalsozialismus.
Da Schulen zu Wissenschaftspropädeutik verpflichtet sind, empfehlen sich hierfür anerkannte Modelle wie etwa das Propagandamodell von Chomsky/Hermann, die strukturellen Beobachtungen aus Viktor Klemperers LTI zur Sprache des Nationalsozialismus oder an den Schriften des Freud-Neffen Edward Bernays orientierte Modelle, die maßgeblich für die PR von US-Konzernen wurden. Systematisch hat diese Modelle, die während des Kalten Kriegs in den USA unter tätiger Mitwirkung der CIA jahrzehntelang perfektioniert wurden, der Kognitionspsychologe Prof. Werner Mausfeld in seinem Vortrag "Warum schweigen die Lämmer? Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements" in anschaulichen Schaubildern dargelegt. Seine mit 380.000 Zuschauern auf Youtube wohl meist gesehene medienwissenschaftliche Vorlesung Deutschlands wird vermutlich inzwischen auch einer wachsenden Anzahl junger Menschen bekannt sein.
Umso erschreckender erscheint es zunehmend jungen wie älteren Menschen in unserem Land, dass die durch obligatorische Gebühren eigentlich dem Grundgesetz verpflichteten öffentlich-rechtlichen Sender gegen Russland eine Propaganda fahren, die strukturell der medialen Hetze gegen die Sowjetunion und "den russischen Untermenschen" im Nationalsozialismus auf frappierende Weise ähnelt.
Dies wird besonders zur Absurdität in solchen Beiträgen, die sich als Warnung vor Propaganda ausgeben, selbst aber alle Merkmale plumper Feindpropaganda aufweisen - wie etwa der folgende Beitrag auf „MDR aktuell“.

Hier werden ohne jede sachliche Argumentation oder empirische Untersuchungen pauschal mediale Beiträge des russischen Auslandssenders RT als "russische Propaganda" verschrien, was wohl einem generellen Verdammungsurteil gleichkommen soll. Nach Auffassung der verantwortlichen Redakteure erzeugt offensichtlich alleine der Ursprungsort „Russland“ einen moralischen Imperativ, jeden Versuch einer Rezeption dort publizierter Sichtweisen gefälligst zu unterlassen. Der in seiner Botschaft primitiv als "Alles Russische ist pfui!" daherkommende Kurzbeitrag gipfelt im Zitat eines deutschen Politikers, RT habe in deutschen Wohnzimmern nichts zu suchen. Ja, liebe Deutsche: Kauft bloß dem Russen nichts ab!
Dieser Tenor ist nicht nur unerträglich in seiner rassistisch-russophoben Verdammung einer Mitteilung allein wegen des russischen Ursprungs der Nachrichtenquelle (bzw. eigentlich nur ihrer Finanzierungsquelle, denn die meisten Verfasser und Moderatoren auf RT sind Mitglieder der deutschen Zivilgesellschaft), sondern auch in seinem anti-demokratischen Paternalismus gegenüber dem Zuschauer.
Weiß der MDR eigentlich noch, welcher Staatsform er zu dienen hat? Ist ihm klar, dass sich aus den mündigen Bürgern dieses Landes der Souverän unseres demokratischen Rechtsstaats konstituiert, von dem laut Artikel 20 des Grundgesetzes alle Macht ausgehen soll? Worauf beruht dann also das medial dekreditierte Wahrnehmungsverbot einer russischen Sicht auf die Welt? Nach dem Wertekodex des Grundgesetzes wären nur mediale Äußerungen zu beanstanden, die die Würde des Menschen missachten und Menschenhass aufgrund ethnischer, religiöser oder nationaler Zugehörigkeit sowie biologischer Eigenschaften verbreiten. Ich habe noch keinen RT-Beitrag mitbekommen, bei dem dies der Fall ist, oder gehört, dass irgendwer dem Sender solches vorgeworfen hat.

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Angeprangert wird einzig, dass der Sender Interessen und Sichtweisen der russischen Regierung diene. Abgesehen davon, dass auch noch nie jemand nachgewiesen hat, dass dies in der Gänze für die dort veröffentlichten Beiträge gilt, wäre daran aber auch gar nichts verwerflich. Denn nach Maßstäben des Grundgesetzes darf sich jeder mündige Bürger über die Sichtwese jeder beliebigen Regierung zu jedem auf der Welt vorkommenden Problem informieren, ohne dass ein deutscher Politiker dies zu verhindern trachtet.
Gibt es also im Falle Russlands aus der Warte eines deutschen Rechtsstaats, welcher ja die Informationsfreiheit seiner Bürger und die Pressefreiheit zu seinen zentralen Säulen erhebt, ein grundgesetzlich belastbares Kriterium, ein solches Rezeptionsverbot zu propagieren? Das wäre schon merkwürdig! Denn immerhin ist Russland ein Land, das alle rechtlichen Kriterien erfüllt hat, dem Europäischen Rat anzugehören. Dies gilt weder für Saudi-Arabien noch für Katar, selbst nicht für die USA, deren Strafsystem Todesurteile kennt und die seit 15 Jahren weltweit Folterlager unterhalten, welche dem internationalen Recht widersprechen. Aber für keines dieser Länder wird mantrahaft gefordert, der gute deutsche Staatsbürger möge sich gegen deren mediale Erzeugnisse komplett immunisieren.  
Wie soll aber ein Land, nämlich Deutschland, als demokratischer Rechtsstaat funktionieren, wenn seine eigentlich öffentlich-rechtlichen Medien und seine seiner Verfassung verpflichteten Politiker sich ohne belastbare rechtliche Gründe von der Prämisse leiten lassen, ein einziger Staat, nämlich Russland, sei ein Pariah-Staat, für dessen Sicht auf die Belange der Welt ein Denkverbot für erwachsene deutsche Staatsbürger herrsche? Dass sich dies mit der pejorativen Begriffsprägung des "Russland-Verstehers" bereits vor zwei Jahren ankündigte, ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Umstand für mündige deutsche Staatsbürger langsam hochgradig unheimlich ist. Das aber, was den Menschen da unheilvoll erscheint, ist nicht der geistige Zustand der Russischen Föderation, sondern der der Bundesrepublik Deutschland.
Die historisch unstrittige Tatsache, dass eine solche Dämonisierung Russlands in der deutschen Geschichte keineswegs originell ist, ist da alles andere als beruhigend. Schließlich mündete die letzte entfesselte mediale Russophobie in einem Vernichtungskrieg, der 55 Millionen Menschen das Leben kostete, davon zur Hälfte, nämlich 27,5 Millionen, Bürgern der Sowjetunion, deren größter Nachfolgestaat die Russische Föderation ist.
Auch ist es gar nicht beruhigend, dass der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk, dessen "Alphajournalisten" zu außenpolitischen Themen nach der empirischen Untersuchung des Medienwissenschaftlers Uwe Krüger nahezu vollständig in transatlantischen Elitenetzwerken bestens organisiert sind, hierbei keinen „nationalen Alleingang“ betreibt.
Dies wird ja auch dadurch deutlich, dass, wie man unschwer an diversen Zeitungsmeldungen nachvollziehen kann, fleißig Steuergelder ausgegeben werden, um auf NATO- und EU-Ebene diverse „Taskforce“-Konstruktionen zu finanzieren, weil (alleine für den deutschsprachigen Raum) 28 öffentlich-rechtliche Fernsehsender nebst ebenso vieler öffentlich-rechtlichen Radiosender deutscher, österreichischer und schweizerischer Provenienz plus die US-amerikanischen Sender CBS und CNN zuzüglich der britischen BBC World anscheinend nicht ausreichen, um zwei bescheidene russische Internetportale, nämlich RT Deutsch und Sputniknews, an Einfluss auszugleichen.
Die mediale transatlantische Einheitsfront braucht offensichtlich, um ihre eigenen Bürger zu überzeugen (was an sich schon eine wenig auf die Mündigkeit der Bürger setzende Zielstellung ist), ernsthaft Unterstützung durch zusätzliche steuerfinanzierte Initiativen der EU und NATO, um ihre Bevölkerung davor zu schützen, nicht von der Wucht russischer Meinungsmacht hinweggespült zu werden.

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Wenn ein derartig paranoider Wahn, der einer solch dramatisierenden Warnung vor „russischer Desinformation“ zugrunde liegt, in einer mit Atomwaffen bestückten Welt nicht so beängstigend wäre, müsste ein gescheiter Mensch hier eigentlich laut lachen.
Aber zum Lachen ist dem aufmerksamen mündigen Staatsbürger gar nicht mehr zumute, der bestürzt zur Kenntnis nehmen muss, dass Medienberichte und Politikeräußerungen inzwischen nach Kriterien zu funktionieren scheinen, die weder unserer Verfassung noch dem mit ihr übereinstimmenden Mehrheitswillen der deutschen Bevölkerung und schon gar nicht einem reifen Fazit aus unserer historischen Erfahrung entsprechen.
Ich möchte Sie hiermit auffordern, von dieser propagandistischen, menschen- wie friedensverachtenden Form eines feindseligen propagandistischen Kampagnenjournalismus abzusehen, der siebzig Jahre des Friedens in Europa ernsthaft zu gefährden droht.
Dafür gilt es nur folgenden Artikel des Grundgesetzes zu beachten:
Art. 26
(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gute Besserung!
Mit freundlichen Grüßen,

Anja Böttcher

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