Friday, June 24, 2016

Antisemitismus, Philosemitismus und der Palästina-Konflikt - Hitlers langer verhängnisvoller Schatten

Vortrag von Arn StrohmeyerJournalist und Buchautor

Ort: München  Zeit:  MITTWOCH, 29.6.2016   19.00 Uhr
Seminar: DONNERSTAG, 30.6.2016   19.00 Uhr

Im Seminar werden einzelne Aspekte des Themas vertieft.
 Die Teilnahme lohnt sich gewiß auch für dender den Vortrag am Mittwoch nicht gehört hat.
Veranstaltungsort: Das Theaterzelt DAS SCHLOSS
                               Schwere Reiter Straße 15
                               Tram 12/Bus 53 Haltestelle Infanteriestr.
                               Tram 20,21 Haltestelle Leonrodplatz
Eintritt je 5.- Euro, Vortrag und Seminar zusammen: 8.- Euro

Die Themen, um die es hier geht, scheinen mir ganz zentral: eine nicht wirklich, meist nur oberflächlich aufgearbeitete Nazi-Vergangenheit, die falschen Konsequenzen als unvermeidliche Folge dieser Feigheit und/oder Gedankenlosigkeit - es geht eben nicht nur darum, Betroffenheit zu kultivieren -, konkret: die falsche Politik gegenüber einem Staat, dessen wahre Natur man nicht zur Kenntnis nehmen bzw. nicht wahrhaben möchte. 
In diesen Veranstaltungen mit Arn Strohmeyer, die wir begreifen als weitere Kurse zur geistigen Selbstverteidigung gegen Manipulation und Kontrolle“ (Noam Chomsky), werden wir versuchen, neu nachzudenken über das deutsch-israelische Verhältnis und inwiefern die Palästinenser ein Teil dieser Schicksalsgemeinschaftsind. Es geht dabei um Erkenntnisprozesse, an Grabenkämpfen besteht kein Bedarf.
Im Anhang zwei zum Thema hinführende, aufschlußreiche Texte. Der erste stammt von Rolf Verleger, Professor der Psychologie und ehemaliges Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, , heute v. a. aktiv in der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, der zweite von der jungen israelischen Kriegsdienstverweigerin Tair Kaminer.

Herzlichst
Jürgen  Jung / Siehe Anlagen:



Rolf Verleger
Die Politik Israels ­ Wo hört Kritik auf, wo fängt Antisemitismus an?
In der jüdischen Gemeinschaft gibt es zu dieser Frage mindestens zwei Sichtweisen.
A u s e i n e r P o s i t i o n d e r Ve r a n t w o r t u n g is t e s u n s e r e P f l i c h t , K r i t i k z u ä u ß e r n , w e n n i s r a e l i s c h e Politik gegen ethische Gebote verstößt. Diese Position interpretiert die jüdische Tradition, Gottes auserwähltes Volk zu sein, als eine Verpflichtung: Vorbild für ethisches Handeln zu sein, die Menschenrechte universell zu achten und durch unser Handeln den Zustand der Welt zu verbessern. In Deutschland standen für diese Tradition Moses Mendelssohn, Martin Buber, Leo Baeck.
In der Tat: Wie sind die folgenden Punkte ethisch zu verantworten?
­
Vertreibung:750.000 Palästinenser wurden 1948 mit Gewalt und Drohungen aus ihrer Heimat vertrieben.
­
Enteignung:Grundbesitz, Immmobilien und beweglicher Besitz dieser Vertriebenen wur­ den vom israelischen Staat entschädigungslos enteignet.
­
Verdrängung:Seit 1967 baut Israel in den besetzten Gebieten Städte ("Siedlungen") und Straßen auf palästinensischem Land für inzwischen ca. 400.000 jüdische Staatsbürger .
­
Mi s s a c h t u n g : D i e i s r a e l i s c h e S e i t e b o y k o t t i e r t s e i t J a h r z e h n t e n d i e V e r t r e t u n g d e r P a l ä s t i ­ nenser, aktuell die nach freien, allgemeinen und geheimen Wahlen von der Hamas gebildete Autonomiebehörde.
­
Einkesselung:Israel verhindert gewaltsam freien Personen­ und Güterverkehr aus und in den Gazastreifen. Im Westjordanland werden die Palästinenser durch den Bau der Trennungs­ barriere (Mauer und Zaun) und der „Siedlungen“ in voneinander getrennten Enklaven einge­ sperrt. Der Verkehr zwischen diesen „Inseln“ wird durch über 600 Checkpoints lahmgelegt.
­
Ve r s t o ß g e g e n d a s V ö l k e r r e c h t : M i t s e i n e r P o l i t i k d e r e t h n i s c h e n S ä u b e r u n g , d e s S i e d ­ lungsbaus, der Häuserzerstörung, der Kollektivstrafen etc.verstößt Israel gegen fundamentale Grundsätze des Völkerrechts. Das Gutachten des internationalen Gerichtshofs (2004), das es zum Abriss der völkerrechtswidrigen Mauer verpflichtet, wird ignoriert. Ignoriert werden auch so gut wie alle UN­Resolutionen seit 1948.
­
Ge f a n g e n n a h m e : T a u s e n d e P a l ä s t i n e n s e r s i n d o h n e r e c h t l i c h e A n h ö r u n g i n i s r a e l i s c h e n Gefängnissen interniert.
­
Tötung:Verdächtige Personen werden „gezielt getötet“. Bei der letzten Gazainvasion (2008/09) wurden über 1400 Menschen umgebracht.
Aus einer Perspektive der Verantwortung beschädigen solche Handlungen und ihre Rechtfer­tigung das Judentum in seiner Substanz. Daher müssen diese Handlungen kritisiert werden.
Darf sich Israel doch so verhalten?
Nach der Shoah hat in der jüdischen Gemeinschaft eine ganz andere Position die Oberhand gewonnen: Eine Position der Stärke statt der Verantwortung. Diese Position möchte auf alle Fälle verhindern, dass Juden noch einmal zu Opfern werden. Deswegen will sie, dass Israel sich stark verhält. Ob das jeweils mit dem Recht vereinbar ist, hält sie für zweitrangig: In dieser Welt sei der Mensch dem Menschen ein Wolf, und wer nicht gefressen werden wolle, müsse selbst fressen. Daher müsse es einen wehrhaften Staat in einem eigenen Land geben. Kritik am jüdischen Staat gefährdet für Befürworter dieser Position das jüdische Überleben und ist daher nur Ausdruck einer tiefer liegenden Gegnerschaft zum Judentum ­ Antisemitismus.
Wo sollten die Grenzen einer Kritik liegen?
F ü r d i e P o s i t i o n d e r St ä r k e l i e g t d i e S a c h e g a n z e i n f a c h : M i l d e K r i t i k a n I s r a e l i s t m i l d e r Antisemitismus, grundsätzliche Kritik ist grundsätzlicher Antisemitismus. Taktisch gesehen, mag es allerdings manchmal geboten sein, milde Kritik zu akzeptieren, um grundsätzlichere Kritik nicht aufkommen zu lassen.
Fast am schlimmsten ist für diese Sicht eine Kritik, die mit dem Ziel von Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn daherkommt. Denn Frieden ist aus der Sicht dieser Position nicht möglich in einer Wolfswelt: Wer von Frieden spricht, ist ein Wolf im Schafspelz.
Eine Position der Verantwortung bewertet Kritik an Israels Politik primär danach, ob sie den Tatsachen entspricht oder nicht. Wer die Bewertung von Fakten davon abhängig machen will, ob die Kritisierenden "für uns" oder "gegen uns" sind, flüchtet sich vor der eigenen
V erantwortlichkeit.

Allerdings kann Kritik auch Ausdruck von Doppelmoral sein: Dann, wenn man an Anderen Dinge kritisiert, die man an sich selbst nicht kritisiert. Eine solche Kritik kannn nicht ernst­ genommen werden. Dies bringt uns zur nächsten Frage.
Dürfen Deutsche an Israels Politik Kritik üben?
Bezüglich der Juden ist das heutige Deutschland wie der Erbe eines Mannes, der im eigenen und im Nachbar­Haus fast alle Personen umbrachte und beraubte und dann den wenigen Überlebenden sagte: "Ach, tut mir schrecklich leid. Ihr geht am besten ins nächste Haus und schmeißt dort die Leute raus": Deutschland hat erstens in der Vorgeschichte große Schuld auf sich geladen und ist zweitens dadurch für die aktuelle Situation mitverantwortlich.
Sollten Deutsche sich daher mit Kritik an Israel zurückhalten?
Für die Position der Stärkehaben die konkreten Verbrechen Deutschlands an Gewicht verlo­ ren: Juden müssen sowieso die Stärkeren sein, sonst werden sie Opfer, die Täter können wechseln. Der "neue Hitler" wird je nach Lage definiert. Kritik aus Deutschland wird daher in der Tat als "antisemitisch" bewertet, aber nicht anders ergeht es Kritik aus z.B. Frankreich, England oder den USA (s. die Broschüre von A.H. Rosenfeld im Ölbaum­Verlag Augsburg, 2007).
A u s Ve r a n t w o r t u n g s ­S i c h t i s t d i e Z u r ü c k h a l t u n g d e s o f f i z i e l l e n D e u t s c h l a n d s s c h l i c h t Beihilfe zu neuem Unrecht. Dass dies aus schlechtem Gewissen geschieht, macht es nicht besser. Kritik ist vielmehr wünschenswert. Israel muss zu einer Position der Verantwortlich­ keit gebracht werden. Die meisten nichtjüdischen Deutschen, die sich mir hierzu mitteilten, sind keine Leute mit Doppelmoral, keine Nazis, keine Antisemiten, keine Hasser. Sie sind vielmehr Leute, die aus den Verbrechen der Nazizeit die Konsequenz gezogen haben, dass man frühzeitig gegen Unrecht aufstehen muss und dass eine Position der Stärke aufgrund der Überzeugung, das ewige Opfer zu sein, in Wirklichkeit eine Position der Schwäche ist und in den Abgrund führen kann.
Ist dieser Aufsatz antisemitisch?
Aus Sicht der Position der Stärke:Ja. Aus Sicht der Verantwortung:Nein.
Er ist vielmehr Ausdruck einer universellen Achtung der Menschenrechte und der traditionel­ len Ethik des Judentums. Das Judentum war etwas und soll etwas sein, worauf wir stolz sein können. Daher muss der jüdische Staat nach Gerechtigkeit streben. Er muss Leben, Besitz, Kultur und Würde all seiner Bewohner und Nachbarn achten. Dahin müssen wir ihn bewegen.

Quelle:Neues Deutschland 11.9.2009
Rolf Verleger, Professor der Psychologie und Essayist, ehemaliges Mitglied im Zentralrat der J u d e n i n D e u t s c h l a n d ,V o r s i t z e n d e r d e r Jü d i s c h e n G e m e i n s c h a f t S c h l e s w i g ­ H o l s t e i n u n d heute aktiv imVerein Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost.
SALAM SHALOM Arbeitskreis Palästina­Israel e. V. www.salamshalom­ev.desalamshalom.ak@googlemail.com

Tair Kaminer  Warum ich den Dienst in der israelischen Armee verweigere
MEIN NAME ist Tair Kaminer, ich bin 19. Vor ein paar Monaten habe ich ein freiwilliges Jahr bei den israelischen Pfadfindern in Sderot [1] beendet. In ein paar Tagen werde ich ins Gefängnis gehen.
Ein ganzes Jahr lang habe ich in Sderot als Freiwillige mit Kindern gearbeitet, die in einem Kriegs-gebiet leben, und dort habe ich beschlossen, den Dienst beim israelischen Militär zu verweigern. Ich will damit meinen Beitrag für meine Gesellschaft zu leisten und sie zu einem besseren Ort zu machen. Meine Verweigerung ist Teil eines fortlaufenden Kampfes für Frieden und Gleichheit. 
DIE KINDER, mit denen ich gearbeitet habe, sind im Herzen des Konfliktes aufgewachsen und haben von klein auf schwierige Erfahrungen gemacht, Erfahrungen, durch die bei vielen von ihnen großer Hass erzeugt wurde, ein Hass, den man – besonders bei kleinen Kindern – verstehen kann. So wie sie, lernen viele Kinder, die im Gazastreifen und im Rest der besetzten palästinensischen Gebiete in einer noch schwierigeren Realität leben, die andere Seite zu hassen. Auch ihnen kann man daraus keinen Vorwurf machen. Wenn ich all diese Kinder zusammen betrachte, die nächste Generation auf beiden Seiten, und die Realität in der sie leben, dann sehe ich kein Ende dieses Traumas und dieses Schmerzes. Und ich sage: Es reicht!
Seit Jahren schon gibt es keine Perspektive für einen politischen Friedensprozess und es gibt keinen Versuch, Frieden nach Gaza oder Sderot zu bringen. Aber solange der Weg militärischer Gewalt weiter beschritten wird, erzeugen wir Generationen voller Hass, die alles nur noch schlimmer machen werden. Wir müssen dem jetzt Einhalt gebieten.
Deshalb verweigere ich: Ich will mich nicht aktiv an der Besatzung der palästinensischen Gebiete beteiligen, nicht an dem Unrecht, das dem palästinensischen Volk unter dieser Besatzung zugefügt wird. Ich will nicht mitwirken an dem Kreislauf des Hasses in Gaza und Sderot.
DER TERMIN für meine Einberufung wurde auf den 10. Januar 2016 festgelegt. An diesem Tage werde ich bei der Einberufungsstelle in Tal Hashomer vorsprechen und erklären, dass ich mich weigere, Militärdienst zu leisten, und dass ich zur Ableistung eines zivilen Ersatzdienstes bereit bin.
IN GESPRÄCHEN mit mir nahestehenden Menschen wurde ich beschuldigt, die Demokratie zu schädigen, indem ich den Gesetzen des Staates nicht Folge leiste. Aber die Palästinenser in den besetzten Gebieten leben unter der Herrschaft der israelischen Regierung, obwohl sie diese gar nicht gewählt haben. Ich bin überzeugt, dass sich Israel, solange es ein Besatzerstaat bleibt, auch immer weiter von der Demokratie entfernen wird. Und deshalb betrachte ich meine Verweigerung als Teil des Kampfes für Demokratie und nicht als einen Akt gegen Demokratie.
Man sagte mir, dass ich mich meiner Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel entziehe. Aber als eine Frau, in deren Augen alle Menschen gleich sind und das Leben aller Menschen gleich wichtig ist, kann ich das Sicherheitsargument nicht gelten lassen, solange es nur bei Juden ange-wendet wird. Gerade jetzt, bei der anhaltenden Welle des Terrors, zeigt sich ganz klar, dass das Militär nicht einmal Juden zu schützen vermag, weil es in einer Besatzungssituation eben keine Sicherheit geben kann. Wirkliche Sicherheit wird es erst dann geben können, wenn das palästinen-sische Volk in Freiheit und Würde in einem unabhängigen Staat an der Seite Israels lebt.
Es gab auch Menschen, die sich über meine persönliche Zukunft in einem Staat Sorgen machten, in dem die Ableistung des Militärdienstes eine so große Bedeutung hat. Sie schlugen vor, dass ich den Militärdienst trotz meiner Überzeugungen ableisten oder ihn zumindest nicht öffentlich verweigern solle. Aber trotz all der zu erwartenden Schwierigkeiten und begründeten Besorgnisse bin ich zu der Entscheidung gelangt, meine Verweigerung öffentlich zu machen. Dieser Staat, dieses Land, diese Gesellschaft sind mir zu wichtig, um mich auf ein Schweigen einzulassen. Ich bin nicht so erzogen worden, dass ich mich nur um mich selbst zu kümmern habe; bis heute ging es in meinem Leben [stets auch] um Geben und um soziale Verantwortung.
ICH WÜNSCHE MIR, dass meine Verweigerung, auch wenn ich für meine Person einen Preis dafür zahlen muss, dazu beitragen wird, dass die Besatzung in Israel ein Thema des öffentlichen Diskurses wird, weil so viele Israelis von der Besatzung nichts mitkriegen und sie in ihrem tägli-chen Leben vergessen - einem Leben, das im Vergleich zu dem der Palästinenser oder sogar im Vergleich zu dem der Israelis im Westen des Negev (in der Nähe des Gazastreifens) so sicher ist.
MAN SAGT UNS, dass es keinen anderen Weg gibt als den der militärischen Gewalt. Aber ich glaube, dass das der destruktivste Weg ist und dass es sehr wohl andere Wege gibt. Ich möchte uns alle daran erinnern, dass es Alternativen gibt: Verhandlungen, Frieden, Optimismus, den aufrichti-gen Willen, in Gleichheit, Sicherheit und Freiheit zu leben. 
Man sagt uns, dass das Militär nichts mit Politik zu tun hat. Aber den Militärdienst zu leisten, ist eine politische Entscheidung von großer Bedeutung, genau wie seine Verweigerung.
Wir, die jungen Leute, müssen die Bedeutung dieser Entscheidung in ihrer ganzen Tragweite verstehen. Wir müssen die daraus folgenden Konsequenzen für unsere Gesellschaft verstehen. Nachdem ich diese Bedeutung erfasst habe, lautet meine Entscheidung: ich verweigere. Das Militärgefängnis schreckt mich sehr viel weniger als die Vorstellung, dass unsere Gesellschaft ihre Menschlichkeit verliert.


Die Übersetzung wurde von amnesty international angefertigt und von SALAM SHALOM leicht überarbeitet. 

[1] Sderot ist eine Stadt im südlichen Israel, im Westteil der Negev-Wüste, unweit des nördlichen Gaza-streifens. Sie wurde 1951 auf dem Land des palästinensischen Dorfes Nadschd gegründet. Dessen Einwohner waren 1948 von jüdischen Truppen nach Gaza vertrieben worden. Das Dorf selbst war seinerzeit vollständig zerstört worden. Die ehemaligen Bewohner und ihre Nachkommen leben bis heute als Flüchtlinge im Gazastreifen.

Am 3.Mai 2016 wurde Tair zum fünften Mal verurteilt, diesmal zu 30 Tagen Gefängnis.

SALAM SHALOM Arbeitskreis Palästina-Israel e.V.  www.salamshalom-ev.de salamshalom.ak@gmail.come Verantwortung.




page3image5912 page3image6072 page3image6232 page3image6392 page3image6552 page3image6712

No comments:

Post a Comment