Friday, December 18, 2015

Brief zu  philososophisch-politischen Grundfragen 
von Irene Eckert

„… Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse. In Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum oben auf, und es ist ihm wohl und behaglich, im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.“ (Der späte Goethe im Gespräch mit Eckermann)


Liebe Feundin,

Danke für die  ernsthafte Auseinandersetzung um Grundfragen.
Ich stimme  der Unterscheidung zwischen Begriff und Vorstellung zu.  Der „Begriff“ setzt echtes Sinnerfassen voraus, das auf umfassender Analyse und Faktenkenntnis beruht, Vorstellung ist oft nur diffuse Idee und im Grunde häufig unfundierte Meinung. Soweit d'accord. Sind nun aber

  • Begriffe nur im fachwissenschafltichen Konsens“ zu verwenden?
    Das setzte eine fachwissenschaftliche Debatte um die gleichen Fragestellungen voraus, ein gemeinsames Ringen um soziale Lösungen für das 'Gemeinwohl', also die 'res publica' betreffenden Problemstellungen. Im Grunde setzte es eine wieder gesellschaftlich organisierte Forschungsgemeinschaft voraus. Dafür sind wir im privatkapitalistisch organisierten Hochschulbetrieb meilenweit entfernt. Natürlich müssen Begriffe definiert werden, es muss klar gemacht werden, mit welchem Instrumentarium man arbeitet. Aber Definitionen können und dürfen voneinander abweichen
  • Ist die „ durch Technologisierung veränderte Arbeitswelt“ als ein bestimmender Faktor zu betrachten?

    In der Tat hat sich Zusammensetzung der gesamtgesellschaftlichen Arbeitskraft grundlegend verändert seit Marx das Kapital schrieb. In meinem Studium haben wir uns u. a. gründlich mit den veränderten Anforderungen an die Qualifikationsstruktur der „Ware Arbeitskraft“ im Zeitalter rasanter technologischer Umwälzungen befasst, waren auch bei VW in Kassel Baunatal, haben ArbeiterInnen interviewt etc. Zweifelsfrei wurde seither (also seit den 70iger Jahren des vorigen Jahrhunderts) der Produktionsprozess noch radikaler revolutioniert. Aber im Unterschied zur Industriesoziologie, die auf der kritischen Theorie fußt, geht der Marxsche Ansatz gerade nicht von der Oberflächenstruktur der diversen Erscheinungen aus, sondern vom Kapitalverhältnis, von Gesetzmäßigkeiten, die die kapitalistische Produktionsweise antreiben und die sich hinter dem Rücken der Akteure und deren Bewusstsein durchsetzen. Dieses Grundverhältnis hat sich nicht geändert. Dieses Grundverhältnis ist bestimmend geblieben.
  • Es ist dieser Grundwiderspruch der Marxschen Kapitalanalyse der unser Leben auch im immer maroder und barbarischer agierenden spätimperialistischen Teil der westlich beherrschten Welt dirigiert und dieser treibt dahin, die ganze Erde in seinen Moloch hinabzuziehen.
  • Den „Verblendungszustand“ wollen wir (beide) natürlich gemeinsam mit Horkheimer durchstoßen, klare Sache. Aber der gilt zunächst unabhängig von der objektiv zu definierenden Klassenlage, die hat nichts mit dem Gefühl von Ausbeutung zu tun. Der objektive von Marx so defnierte Ausbeutungsbegriff zielt auf die private Aneignung von Mehrwert, der durch gesellschaftliche Arbeit erwirtschaftet wird. Er zielt auch auf die Aneignung der Naturrohstoffe aus den Kolonien, er zielt ebenso auf diktierte Handelsbeziehungen, in denen die Habenichtse nichts zu melden haben etc. Gefühl hin oder her, die Sache ist in der Realität statistisch zu erfassen.
  • Das Sein bestimmt zwar das Bewusstsein, aber in letzter Instanz nur!

    Zum „Sein“ gehören eben auch ideologische Faktoren, die eine enorme Gewalt in unserem täglichen Leben darstellen. Der gesamte Bereich der Ideologieproduktion, auch der Theorienbildung gehört dazu. Dieser hat große Macht auf unser kollektives Bewusstsein. Zu welchen Ausmaßen die mediale Macht eines Tages anschwellen würde, das konnten weder Marx, noch Engels, noch Lenin oder sonst jemand damals ahnen. Aber am Ende einer langen Kette siegt eben dann doch das materielle Sein. Wenn die konkrete Ausbeutung solche Ausmaße angenommen hat, dass das Existenzminimum einer großen Zahl nicht mehr gewährleistet ist, wenn die Verstrickung in Kriege sichtbar und spürbar wird, fangen die Menschen kollektiv an zu murren und sich allmählich gemeinsam zu wehren. Was dann passiert, das führt uns seit Jahren der lateinamerikanische Kontinent vor, Jahrhunderte langes Opfer kolonialer Ausbeutung. Auch die Wiederaufrichtung  des ebenfalls kolonial einst ausgebluteten China möge als Signal dienen. Der ganze globale Süden beginnt sich stöhnend und ächzend aufzurichten und sich gegen die Qual des Ausgehungertwerdens zu wehren. Das geht leider alles verdammt langsam. Aber wie gesagt, Gottes Mühlen mahlen langsam...
  • Der Schichtbegriff wurde eben von jener Theorie, die zu kritisieren ich gelernt habe, eingeführt und trägt Erhebliches zur Irreführung bei. Schichten gibt es natürlich auch, aber sie sind ein untergeordnetes Phänomen. Der Gegensatz von Kapital und Arbeit ist maßgebliche Größe auch für die Bestimmung und Zuordnung von Schichten.
  • Der Begriff Gemeinwohl ist in manchen Zusammenhängen zwar angebracht, wenn es etwa darum geht, das nationale Schicksal eines Volkes gegen koloniale oder imperiale Übergriffe zu verteidigen, aber innerhalb einer Klassengesellschaft ist er mit großer Vorsicht zu verwenden! Siehe die verräterische NS-Parole „Gemeinwohl geht vor Eigennutz“, mit Hilfe derer eben genau das Weiterexitieren der Klassenordnung und sogar deren Verschärfung unter den Nazis kaschiert wurde.
  • Ja, wir sind Gefangene unserer erworbenen Denkmuster. Es ist vor allem sehr, sehr schwierig, sich gegen den Strom zu stellen. Das gelingt in der Geschichte immer nur wenigen und diese werden immer stigmatisiert, öffentlich hingerichtet, im Extremfall verbrannt. Die früher als 'Ketzer' aussortierten Kritiker der jeweiligen Ordnung wurden sowohl geistig gebrandmarkt, ihre Schriften wurden verbrannt und im gar nicht seltenen Extremfall wurden und werden sie physisch liquidiert. Solches Vorgehen hat der Macht über Jahrhunderte hinweg zur Abschreckung gegenüber geistigen Abweichlern gedient.
  • Dass unser Bewusstsein aber grundsätzlich immer falsch oder unzulänglich sei, das halte ich nun wieder für ein höchst problematisches AxiomWir können nämlich die Voraussetzungen unseres Denkens, dessen Gewordensein, dessen Klassen- oder Geschlechtsgebundenheit durchaus mitreflektieren. Der Mensch ist als Gattungswesen zu den höchsten Geistesleistungen fähig. Auf dem Gebiet der Naturwissenschaft stellt er das täglich aufs Neue unter Beweis. Grundsätzlich vermag er die vollständige Durchdringung sozialer Problemstellungen ebenfalls zu meistern. Zu ihrer Lösung im Interesse der gesamten Menschheit ist er grundsätzlich in der Lage. Das muss deswegen so betont werden, weil es postmodern immer wieder bestritten wird. Es sind aber gesellschaftliche Fragen ein viel schwierigeres Terrain, weil Intellektuelle von ihrer Geistesarbeit leben müssen, weil Kopfarbeiter der Ausbeutungsordnung genauso unterliegen wie Handarbeiter. Sie bekommen aber nur die geistigen Inhalte bezahlt, die dem Kapital-(verhältnis) nützlich sind. Deswegen ist die Privatisierung des gesamten Bildungswesen, so ein Kapitalverbrechen.
Vergangenheitsbewältigung bzw. Aufarbeitung der Geschichte von unten her:
  • Mit der Beurteilung der DDR Opposition ist die Frage nach dem Verhältnis zum sogenannten „Realen Sozialismus“ insgesamt gestellt.
  • Ich meine, dass man die Rolle solcher Opposition heute, nach all den verlogenen 'humanitären Interventionen', nach den Menschenrechtskriegen von Jugoslawien über Afghanistan bis Syrien besser erkennen kann. Wir denken heute als kritische Intellektuelle eher global. Zumindest einige von uns sind sich der globalen geostrategischen Implikationen von Regime-Change-Strategien annähernd bewusst. Wir wissen mitttels welcher Methoden der US-Imperialismus und seine Verbündeten in den letzten Jahren darum bemüht waren, unliebsame gesellschaftliche Ordnungen umzustülpen. Früher nannte man solche Einmischungen Militärputsche, denn darauf lief es ja am Ende hinaus, siehe Lateinamerika. Vor den Militärputschen bzw. vor dem militärischen Eingreifen von außen aber steht die  von außen infiltrierte Wühlarbeit von innen. Diese Strategie der Unterwanderung von fortschrittlichen oder auch nur unliebsamen Bewegungen und Regimen aber ist uralt.
  • Die frühe Sowjetgesellschaft musste sich mit so gestrickter Opposition  intern auseinandersetzen, besonders als die diversen  Militärinterventionen ihrer Gegner nicht zum Erfolg führten. Das war vor dem Großen Vaterländischen Krieg der Fall und nach dem vorläufigen Sieg über den Faschismus erneut. Bei der Verfolgung der Systemgegner kam es zu nachvollziehbarer Weise zu Übergriffen und Unrechtshandlungen. Diese sind  aber in letzter Instanz dem „Klassengegner“ zuzurechnen, denn der hat die Schädlinge ja eingeschleust.
  • Was nun die DDR-Gesellschaft im engeren betrifft, so muss man erst einmal die große Leistung hervorheben, die darin bestand, die vom Nazismus vernebelten Gehirne ein wenig zu lüften und den Menschen Mut zu machen zum Aufbau einer neuen demokratischen Ordnung, die von außen massivst behindert wurde. Der imperialstische Westen hat keinen, aber auch gar keinen Versuch unterlassen, das Projekt einer Systemalternative zu zerstören, am Ende hat er es geschafft. Besonders die Kirchen, wie übrigens auch die Sozialdemokratie waren Einfallstore (Stichwort Ostbüro der SPD in Berlin). Die Kirchen mit ihren vielen Privilegien bildeten Horte der System-Opposition, natürlich vom Westen gesteuert. Die Familie unserer Kanzlerin oder unser Staatsoberhaupt mögen Bände erzählen.
  • Nachdem im Kreml sehr rasch alle echten Revolutionäre nach dem April 1953 weggesäubert waren, wurde von dort aus eine Kursänderung auch in der DDR eingeleitet, die es den bewusstesten, erfahrensten und klügsten Kommunisten vom Zuschnitt Ulbrichts immer schwerer machten den Kurs zu halten. Die Probleme verkomplizierten sich auf der Oberfläche, da sie in ihrem Wesen un begriffen blieben. Als Ulbricht schließlich durch einen  aus Moskau verordneten 'sanften' Putsch von innen beseitigt war, ging es nur noch bergab. Dahinter steckte aber ein zielgerichteter, zerstörerischer, imperialer politischer Wille  des Westens. Die gleichen Kräfte wirken heute in Syrien, in Venezuela und anderswo.
  • Verständlich also, dass so manch  naiver, gutwilliger Oppositioneller in der DDR vor dem endgültigen Ende seiner Gesellschaftsordnung keinen Begriff davon hatte, was er da für Prozesse unterstützte! Die Forderung nach  Einführung des Mehrparteiensystem als Credo der Demokratie westlichen Zuschnittes. Welch einen  großartiger historischer Fortschritt, der das Weiterbestehen der alten Machtordnung gewährleistet haben die DDR Oppositionellen da anvisiert. Das unrühmliche Ende der DDR und der anderen sozial fortschrittlichen Regime  hatten so die wenigsten Oppositionellen gewollt. Am allerwenigsten die ganz einfachen Leute. Die heutigen barbarisch-kriegerischen Zustände sind dem Zusammenbruch der sozialistischen und anderer fortschrittlichen Länder geschuldet. Sie zogen die Vernichtung quasi aller maßgeblichen oppositionellen Kräfte nach sich und zwar weltweit. Man könnte  auch sagen ihre ideologische Auf- oder Durch-Weichung wurde 1989 durchgedrückt.
  •  Die DDR war aber die Republik der „kleinen Leute“ wie Günter Gaus es in seinem Buch „Wo Deutschland liegt“ einst formulierte. Natürlich gab es dort Probleme, natürlich gab es enorme ungelöste Widersprüche, aber die heutigen Probleme sind deutlich größer und schwieriger zu überwinden. Die Überwachung der Opposition unter solchen geopolitischen Gegebenheiten war eine Notwendigkeit, aber da das Bewusstsein von der Qualität und vom Ausmaß der Bedrohung auch in der Elite der DDR unterschätzt wurde, nutze sie am Ende sowenig wie die Volksarmee. Allerdings hat die Staatssicherheit völlig versagt! Aber die Untaten, die ihr vom Westen angedichtet wurden, sind erstunken und erlogen. Darüber gibt es durchaus glaubwürdige Dokumente. Der Film das „Leben der Anderen“ ist nachweislich ein Machwerk verleumderischer Propaganda, die Schlimmes bewirkt hat in aller Welt.
  • Die Stasihatz wird deswegen in solchem Umfang und mit Hilfe  großzügister Ausstattung durch Steuermitteln bis heute  betrieben, weil man das Zerrbild des Sozialismus am Leben halten muss. Die Hoffnung auf eine alternative zur herrschenden Ausbeuter-Unordnung soll damit ein für alle mal beseitigt werden.
  • Die Fokusierung einer Oppositionsbewegung, die sich auf die angebliche Verfolgung von Minderheiten stützt(e),  kennen wir doch auch gegenüber Putins Russland etwa, wo angeblich Homosexuelle verfolgt werden. Gleiches gilt für Cuba und ganz Lateinamerika. Nur weil man dort am traditionellen Familienbild festhält, unterstellt man den dortigen Gesellschaften  Hompohobie.
  • Der „Kriegsdienst“ wurde im Unterschied zum westlichen NATO-Bündnis in der Volksarmee nicht trainiert, wohl aber die Landesverteidigung eingeübt. Trotzdem gab es ein Verfassungsrecht, den Dienst an der Waffe aus Gewissengründen zu verweigern.
  • Immer sind es die Menschenrechte von Minderheiten und deren angebliche Verletzung, die herhalten müssen, um ein ungeliebtes „Regime“ anzuprangern.
  • Die Verblendung der Massen, bzw. deren zielgerichtete Blendung und Ablenkung vom Wesentlichen, von Dingen, die unser Leben entscheidend tangieren, das sind Strategiern der Macht. Gegen diese anzukämpfen hilft nur Wissen, helfen Fakten, Zahlen, Daten, Zusammenhänge. 
  • Das Volk aber ist weder tümlich noch dümmlich, wohl aber ist es mit tagtäglicher Lebensbewältigung ausreichend befasst, als dass es die Kraft hätte, die allgegenwärtige  herrschende Propaganda zu konterkarieren. Das ist unsere Aufgabe als Intellektuelle, vor allem als freigestellte Alte, die nicht mehr soviel zu verlieren haben.
    Wenn wir uns aus dem Opferdasein befreien wollen, dann müssen wir als aller erstes das Lügengebäude zum Einsturz bringen, das uns zu erdrücken droht. Gegen die Allgewalt der Lügen anzugehen ist Sisyphosarbeit, das wusste schon Goethe, siehe Eingangszitat.
Wer die Wahrheit leugnet, behält deswegen noch lange nicht recht.
Wiederholen wir also die nachprüfbaren, allenthalben aber für Propaganda gehalten Fakten. Stellen wir die Geschichtsschreibung vom Kopf wieder auf die Füße:
  • Der revolutionäre Jurist Robbespierre war kein Bluthund
  • Stalin war kein Massenmörder, im Gegenteil.
  • Milosevic kein Verbrecher, sondern stand verbrecherischer Politik im Wege.
  • Die Taliban sind ein Geschöpf der US-Amerikaner. ( Zbigniew Brzezinski)
  • Bin Laden ist  aus dem selben Schoß gekrochen.
  • An Saddam Husseins Händen klebte vermutlich weniger Blut als an den Händen des durchschnittlichen westlichen Führungspersonals.
  • Ghaddafi war ein progressiver Politiker etwa vergleichbar mit Nasser. Er arbeitete maßgeblich dafür, Afrika in die Unabhängigkeit führen, er war im Begriff den Dollar ins Wanken zu bringen. Das waren seine Kardinal-Verbrechen.
  • Der Iran ist eine anti-imperiale Macht.
  • Bashar al Assad ist ein Augenarzt, der Menschenleben retten will und das auch im Präsidialamt.
  • Die „islamistischen Terrorgrupen“ jedweder Etikettierung werden überall vom US-Imperium und seinen Vasallen gesponsert.
  • Der von der westlichen Koalition geführte Anti-Terrorkampf ist eine Operation unter falscher Flagge.
  • Russland und China sind anti-imperiale Friedensmächte
Unsere Aufgabe ist klar definiert: Über Tatsachen und faktische globale Zusammenhänge adäquat aufklären. Der folgenschweren Gleichsetzung von Opfern und Tätern ein Ende bereiten. Die wirklich Verantworliche an den Pranger stellen und zur Rechenschaft ziehen.

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