Sunday, January 25, 2015

"Es ist Zeit, dieses System radikal in Frage zu stellen" Rainer Wupp über Davos


Ansteigende Massenarmut trotz Arbeit, der eine unvorstellbare Konzentration des Reichtums ohne Arbeit gegenübersteht. Es ist Zeit, dieses System radikal in Frage zu stellen. 
Junge Welt - 24.01.2015 / Wochenendbeilage / Seite 3 (Beilage)Inhalt
Davos radikal in Frage stellen
Der schwarze Kanal Von Rainer Rupp
Von Rainer Rupp
In dieser Woche teilte die Entwicklungsorganisation Oxfam Erschreckendes mit: Im Jahr 2014 habe das wohlhabendste »Prozent der Weltbevölkerung 48 Prozent des globalen Reichtums« besessen. Das heißt: 99 Prozent der erwachsenen Erdenbürger mussten sich die »restlichen 52 Prozent teilen«. Ein guter Teil der Supervermögenden hat sich diese Woche im Schweizer Luxuskurort Davos zum alljährlichen Weltwirtschaftsforum (WEF) zusammengefunden. Und in den globalen Medien wird so getan, als bedeute dies etwas Gutes. Auch die Oxfam-Vorsitzende Winnie Byanyima darf teilnehmen, ist gar eine der stellvertretenden Vorsitzenden der Veranstaltung. Das adelt die Abzocker, gibt ihnen einen sozialen Anstrich.
Für Byanyima und ihre verdienstvolle Organisation ist das ein Dilemma: Sie hofft wohl, dass einige Brotkrumen vom Festtisch in Davos für ihre Hungerhilfe abfallen. Würde sie darauf verzichten, wäre die Arbeit von Oxfam und Co. wohl noch schwieriger.
Leider ist es ein hilfloser Versuch, die Versammlung in Davos als ein Forum gegen die soziale Ungleichheit zu benutzen. Während die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die geringfügige Linderung einiger Symptome gelenkt wird, bleiben die Ursachen für das Wachstum der sozialen Krebsgeschwüre unbenannt: Ansteigende Massenarmut trotz Arbeit, der eine unvorstellbare Konzentration des Reichtums ohne Arbeit gegenübersteht.
Es ist Zeit, dieses System radikal in Frage zu stellen. Nicht nur, wenn es um wirtschaftliche Sicherheit und Wohlstand für die Bevölkerung geht, hat es total versagt. Seit mehr als sechs Jahren nimmt die weltweite Armut wieder zu. Dem stehen ständig neue Rekordmarken an den Aktienmärkten und eine schamlose Bereicherung von Bankstern gegenüber, deren Finanzinstitute eigentlich längst bankrott sind. Mit immer neuen Billionenvolumina frisch gedruckten Geldes sorgen die Zentralbanken dafür, dass die Finanzmärkte weiter vor dem Offenbarungseid bewahrt werden. Das Gespenst »Deflation« wird beschworen, und ein EZB-Chef (Europäische Zentralbank) will alles dafür tun, dass die Geldentwertung vorankommt. Das wird weiterhin jede rationale Investitionsentscheidung ad absurdum führen. Neue Spekulationsblasen sind programmiert, Renten, Versicherungsansprüche und die Vermögen von Kleinsparern schwinden dahin. Eine winzige Clique von Großspekulanten und Fondsmanagern hat den globalen arbeitsteiligen Reproduktionsprozess im Würgegriff und nutzt ihn zur Maximierung ihres ohnehin gigantischen Reichtums. Keiner der von den Kapitalideologen gepriesenen »Märkte«, die im Zentrum der angeblichen Selbstregulierung unseres geltenden Wirtschaftssystems stehen, ist heute nicht von Banken und mächtigen Hedgefonds manipuliert. Angefangen beim LIBOR-Zinssatz über die Wechselkurse auf den Devisenmärkten bis hin zu Rohstoffen wie Öl und geldnahen Rohstoffen wie Gold und Silber. Es zeichnen sich inmitten zerstörter Gesellschaften und Ökonomien insbesondere in den Ländern der EU-Peripherie neue multiple Krisen ab. Keiner weiß, wohin diese führen werden.
Zunehmend wird der Ruf laut, das System müsse repariert oder gar verändert werden. Dabei werden ausgerechnet jene um Rat gefragt, die für die aktuelle soziale und wirtschaftliche Trümmerlandschaft verantwortlich sind. Nur haben die kein Interesse daran, etwas zu verändern. Das derzeitige Modell dient ihnen großartig, denn ohne die perfekte Auspressmaschinerie wären sie heute nicht da, wo sie sind. Derzeit beispielsweise in Davos. Da sie und ihre gut bezahlten Hofnarren aus Politik, Medien und der Wissenschaft alle verantwortlichen Positionen in der gesellschaftlichen Machtpyramide besetzt halten, wird jede Veränderung hart erkämpft werden müssen. Eine Veränderung, die wegführen muss von neoliberaler Globalisierung zugunsten der Superreichen, von zunehmender Bevormundung und Kontrolle des einzelnen, von TTIP und WTO-Diktaten und der zunehmenden Konzentration der politischen Entscheidungen in den Händen anonymer »Marktmächte«.

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