Tuesday, November 25, 2014

Hubert Seipel, 64, über sein kritisiertes Putin-Interview bei „Günther Jauch“ im SPIEGEL


DER SPIEGEL 48/2014, Seite 85
Politikjournalismus
„Hübsches Totschlagwort“
Hubert Seipel, 64, über sein kritisiertes Putin-Interview bei „Günther Jauch“
SPIEGEL: Ihr Interview mit dem russischen Präsidenten war ein journalistischer Scoop. Allerdings wurden Sie von Kollegen und Zuschauern dafür geprügelt, dass sie nicht kritisch nachgefragt haben.
Seipel: Der Vorwurf kam vorrangig von einigen der lieben Kollegen, weniger von den fünf Millionen Zuschauern, und ich finde ihn absurd. Es geht doch nicht darum, wie ich mich darstelle. Es geht darum, wie Putin sich darstellt. Was hat der Zuschauer davon, wenn ich mich als journalistisches Alphamännchen aufbaue und eine Wunschliste der Political Correctness abarbeite? Ich bin weder bei Amnesty International und auch nicht der Vorposten des Westens, der als Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit aufzutreten hat. Ich bin gelernter Dokumentarist. Mich interessiert, das Interesse des anderen zu dokumentieren – und das kriege ich nicht heraus, wenn ich den Bad Guy spiele.
SPIEGEL: Wenn Sie gefragt hätten, welche Beweise er etwa für die Behauptung hat, in der Ukraine seien faschistische Gruppen am Werk – dann wären Sie schon ein Bad Guy gewesen?
Seipel: So ein Einwurf hätte dem Zuschauer wenig genutzt. Er hätte bloß meinen journalistischen Narzissmus befriedigt. Putin hätte ausgeholt, und wir hätten uns in eine kleinteilige Diskussion verstrickt. Innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens von 30 Minuten wäre das Verschwendung gewesen.
SPIEGEL: Sie ließen ihn einfach reden.
Seipel: Ich stelle Fragen und lasse dann reden. Das ist eine alte Technik von mir. Ob ich nun Josef Ackermann interviewe oder Wladimir Putin: Je mehr sie ins Reden kommen, desto mehr sagen sie tatsächlich, bewusst oder unbewusst.
SPIEGEL: Sie haben Putin für die ARD porträtiert und einen Zugang zu ihm wie kein zweiter westlicher Journalist. Sind Sie darüber zum Putin-Versteher geworden?
Seipel: Hübsches Totschlagwort. Die Dokumentation wurde damals von den meisten Kritikern hoch gelobt. Aber eines stimmt ja daran: Ich will Putins Interessen verstehen. Das geht aber nur, wenn ich möglichst viel von ihm erfahre. Die Währung zwischen Politikern und Journalisten ist nun einmal die Information, und die bekommt man nur, wenn man eine halbwegs vernünftige Beziehung aufbaut. Das ist so in Berlin wie in Moskau, ob man nun mit Merkel umgeht oder mit Putin. Die entscheidende Frage ist, ob aus Nähe Vereinnahmung wird.
SPIEGEL: Gab es bei Putin den Punkt, an dem Vereinnahmung drohte?
Seipel: Das war die Frage der Autorisierung. Ich hatte wenig Interesse, mit der Pressestelle des Kreml in stundenlangem Hickhack über Streichungen zu diskutieren. Deshalb habe ich direkt nach der Aufzeichnung zu Putin gesagt, ich will das schneiden und es nicht autorisieren lassen. Er hat das sofort abgenickt. Sein Pressechef war wenig glücklich.
SPIEGEL: Als Sie Anfang des Jahres Edward Snowden exklusiv für die ARD interviewten, wurde zuerst bei Jauch diskutiert, das eigentliche Interview danach in der Nacht ausgestrahlt. Was hat die ARD bewogen, es nun andersherum zu versuchen?
Seipel: Das negative Echo, das sie bekommen hat. Und auch ARD-Obere sind lernfähig: Der Grundsatz, dass man ein Buch erst liest, bevor man es diskutiert, ist logisch schwer zu widerlegen. 

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