Sunday, September 15, 2013

Aufruf für Frieden in Syrien von Hans-Christof Graf von Sponeck*

Im Nahen Osten wird einmal mehr Säbelrasseln laut mit der Möglichkeit eines bevorstehenden Angriffs auf Syrien auf Grund der Behauptungen, die syrische Regierung habe Chemiewaffen eingesetzt. Gerade in solchen Krisenzeiten wie der derzeitigen liegen Argumente für den Frieden am deutlichsten auf der Hand.
Zunächst einmal haben wir keine wirklichen Beweise für den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Regierung. Und selbst wenn Beweise von westlichen Regierungen geliefert würden, ist Skepsis am Platz, in Erinnerung an all die fragwürdigen oder konstruierten Vorwände, die zur Rechtfertigung früherer Kriege herangezogen wurden: der Tonkin-Golf-Zwischenfall und der Vietnam-Krieg, die kuwaitischen Brutkästen und der erste Golf-Krieg, das Massaker von Razcak und der Kosovo-Krieg, die irakischen Massenvernichtungswaffen und der zweite Golf-Krieg, die Bedrohung Benghazis und der Krieg in Libyen. Beachten wir auch, dass gewisse Beweise für den Einsatz von Chemiewaffen den Vereinigten Staaten durch den israelischen Geheimdienst geliefert wurden, der keine ganz neutrale Quelle ist.
Auch wenn dieses Mal die Beweise echt wären, würde es auf keinen Fall einseitige Massnahmen rechtfertigen. Jede militärische Aktion verlangt die Zustimmung des Uno-Sicherheitsrates. Diejenigen, die sich über die «Untätigkeit» dieses Rates beschweren, sollten sich daran erinnern, dass die Opposition von Russland und China gegen eine Intervention in Syrien teilweise auf der Erfahrung beruht, dass die Westmächte die ­Libyen-Resolutionen für einen «Regimewechsel» in diesem Land missbraucht hatten. Was im Westen «internationale Gemeinschaft» genannt wird, die bereit ist, Syrien anzugreifen, reduziert sich im wesentlichen auf zwei Länder (USA und Frankreich) gegenüber fast 200 Ländern der Welt. Keine Achtung des Völkerrechts ist möglich, ohne ein Minimum an Respekt für das, was es in den Stellungnahmen der übrigen Welt an Menschenwürdigem gibt.
Selbst wenn eine Militäraktion genehmigt und ausgeführt würde, was könnte sie erreichen? Niemand kann ernsthaft Chemiewaffen ohne den Einsatz von Bodentruppen kontrollieren, eine Option, die nach den Desastern im Irak und Afghanistan niemand mehr für realistisch hält. Der Westen hat in Syrien keine verlässlichen Verbündeten. Die Dschihadisten, die die Regierung bekämpfen, hegen für den Westen nicht mehr Sympathie als diejenigen, die den US-Botschafter in Libyen ermordet haben. Es ist eine Sache, Geld und Waffen von einem bestimmten Land anzunehmen, eine ganz andere aber, dessen echter Verbündeter zu sein.
Die syrischen, iranischen und russischen Regierungen haben Angebote für Verhandlungen gemacht, die vom Westen mit Verachtung behandelt wurden. Diejenigen, die sagen, «wir können mit Assad nicht reden oder verhandeln», vergessen, dass man dasselbe über die algerische FLN, Ho Chi Minh, Mao, die Sowjetunion, die PLO, IRA, ETA, Mandela und den ANC sowie mehrere Guerillabewegungen in Lateinamerika gesagt hat. Die Frage ist nicht, ob wir mit dem Gegner sprechen, sondern nach wie vielen unnötigen Toten wir uns endlich entschliessen, es zu tun. Die Zeiten, wo die USA und die wenigen noch verbliebenen Verbündeten sich als Weltpolizisten aufspielen, sind vorbei. Die Welt wird multipolarer, und die Völker der Welt wollen mehr Souveränität und nicht weniger.
Die grösste soziale Transformation des 20. Jahrhunderts war die Entkolonialisierung, und der Westen muss sich in diese Umstände fügen, dass er weder das Recht noch die Befugnis noch die Mittel hat, um die Welt zu regieren.
Es gibt keinen Ort, wo die Strategie des permanenten Krieges kläglicher versagt hat als im Nahen Osten. Langfristig haben der Sturz von Mossadegh in Iran, das Abenteuer des Suez-Kanals, die zahlreichen israelischen Kriege, die beiden Golf-Kriege, die Drohungen und Sanktionen zuerst gegen den Irak und dann gegen Iran zu nichts anderem geführt als zu noch mehr Blutvergiessen, Hass und Chaos. Syrien wird unweigerlich zu einem weiteren Fehlschlag des Westens werden, wenn man die Politik nicht radikal ändert.
Echter Mut besteht nicht darin, von Kriegsschiffen Raketen abzufeuern, um eine immer unwirksamere Militärmacht zu demonstrieren. Echter Mut besteht darin, mit dieser tödlichen Logik radikal zu brechen: Israel zu zwingen, mit den Palästinensern ehrlich zu verhandeln, die Genf-2-Konferenz für Syrien einzuberufen und mit den Iranern über ihr Atomprogramm unter ehrlicher Berücksichtigung ihrer berechtigten Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen zu diskutieren.
Die Stellungnahme des britischen Parlamentes gegen den Krieg und die Reaktionen in den sozialen Medien zeigen eine massive Veränderung der öffentlichen Meinung. Wir, die abendländischen Völker, sind der Kriege müde und bereit, gemeinsam mit der echten internationalen Gemeinschaft eine Welt zu fordern, die sich auf die Grundlagen der Charta der Vereinten Nationen, die Entmilitarisierung, die Achtung der nationalen Souveränität und Gleichberechtigung aller Nationen stützt.
Die Völker im Westen wollen auch ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben: Wenn Kriege geführt werden müssen, dann nur nach einer offenen Debatte und unter Berücksichtigung der Sorge um unsere Sicherheit und nicht auf Grund eines schwammigen Begriffs wie «Recht auf Einmischung», das leicht manipuliert werden kann und das allen Arten von Missbrauch Tür und Tor öffnet.
Wir müssen unsere Politikerinnen und ­Politiker zwingen, dieses Recht zu respektieren.    •
Dieser Aufruf stammt von sechs ehemaligen hohen Beamten der Vereinten Nationen.
*    Hans-Christof von Sponeck, ehemaliger stellvertretender Uno-Generalsekretär, UN-Koordinator für humanitäre Fragen im Irak 1998–2000.
Er wird unterstützt von Denis J. Halliday, stellvertretender Uno-Generalsekretär 1994–1998; Saïd Zulficar, Beamter der Unesco 1967–1996, Direktor für operationelle Einsätze, Abteilung Kulturerbe 1992–1996; Samir Radwan, Beamter der Internationalen Arbeiterorganisation ILO 1979–2003, Berater des Generaldirektors der ILO in entwicklungspolitischen Fragen 2001–2003, Finanzminister Ägyptens von Januar bis Juli 2011; Samir Basta, Direktor des ­regionalen Unicef-Büros für Europa 1990–1995; Miguel d’Escoto Brockmann, Präsident der Generalversammlung der Vereinten Nationen 2008–2009 und Aussenminister Nicaraguas 1979–1990.
(Übersetzung Zeit-Fragen)

No comments:

Post a Comment